EZB-Direktorin Lautenschläger: Eine außergewöhnliche Gefährdung "kann ich derzeit nun wirklich nicht erkennen"
Foto: DPAFrankfurt am Main/Berlin - Die deutsche EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger sieht den Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank kritisch. "Ich sehe Staatsanleihekäufe absolut nicht am Horizont", sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Ein großangelegter Kauf von Wertpapieren - egal ob staatliche oder private - käme nur bei einer außergewöhnlichen Gefährdung in Betracht. "Die kann ich derzeit nun wirklich nicht erkennen", sagte sie.
Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, kritisierte unterdessen, dass viele Euro-Länder ihre Finanzlage durch das Anlegen von Schattenhaushalten gefährdeten.
Auch das vor allem in Deutschland umstrittene OMT-Programm, das im Notfall den Kauf von Staatsanleihen überschuldeter Euro-Länder vorsieht, sieht Lautenschläger "eher kritisch". Die Maßnahmen der EZB hätten den Regierungen Zeit verschafft, auf die Krise mit einer besseren Politik zu reagieren. "Das OMT-Programm reduziert den Druck der Märkte, und ich fürchte, das setzt die falschen Anreize", sagte Lautenschläger. "Der Reformeifer darf nicht nachlassen und die Haushaltskonsolidierung nicht auf die lange Bank geschoben werden", mahnte die frühere Vizepräsidentin der Bundesbank, die Ende Januar zur EZB gewechselt war.
Die niedrigen Zinsen - die EZB hatte den Leitzins für die 18 Euro-Länder erst im Juni auf ein Rekordtief von 0,15 Prozent gesenkt - hält Lautenschläger für gerechtfertigt. "Das Wachstum im Euro-Raum ist schwach, und die Inflationsrate wird für mehrere Jahre deutlich unter dem angestrebten Wert von knapp zwei Prozent bleiben", sagte sie.
Allerdings sollte es sehr niedrige Zinsen nur so lange geben wie unbedingt notwendig, "denn es gibt sie wie bei Medikamenten nicht ohne Nebenwirkungen." Expansive Geldpolitik könne Spekulationen begünstigen. "Deshalb werde ich die Erste sein, die höhere Zinsen und eine Verknappung der Liquidität fordern wird - sobald das gerechtfertigt ist."
Ifo-Chef Sinn: "Schuldenlawine lässt sich nicht mehr stoppen"
Nach Ansicht von Ifo-Chef Sinn setzen politische Manöver wie die Ausgliederung einzelner Etatlinien und Tricks bei der Berechnung von Staatsschulden die angespannte Lage vieler Euro-Länder zusätzlich unter Druck. Die Regel zur Begrenzung der Neuverschuldung auf maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei in Gefahr, wenn die Euro-Mitglieder und die EU selbst immer mehr Schattenetats aufbauten, warnte der Ökonom in einem Beitrag für die "Wirtschaftswoche": "Man will sie aushöhlen, indem etwa Ausgaben für Militär, Bildung und Forschung nicht mehr bei den Staatsausgaben mitgerechnet werden."
Zudem verleite das "verlockende", anhaltend niedrige Zinsniveau die Staaten dazu, immer neue Schulden zu machen. "Nun lässt sich die Schuldenlawine überhaupt nicht mehr stoppen", kritisierte Sinn. Hinzu komme die Definition neuer Haushaltskategorien, um die Finanzierung auf Pump außerhalb der eigentlichen Etats ausweiten.
In der EU wird derzeit über eine "flexible" Auslegung der gemeinsamen Stabilitätsregeln diskutiert. Vor allem sozialdemokratisch regierte Länder fordern im Gegenzug für Reformen mehr Zeit beim Defizitabbau.
In Deutschland führt die aktuelle Zinsflaute nach Einschätzung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform dazu, dass sich auch in Problemen steckende Unternehmen durch günstige Darlehen am Markt halten können. Dies verzerre den insgesamt positiven Eindruck, den das Langzeit-Tief der Insolvenzen erwecke, sagte Michael Bretz aus der Geschäftsleitung von Creditreform der "Welt am Sonntag": "Die Finanzierungssituation führt dazu, dass derzeit auch schwache Unternehmen überleben."
Kein Geschwafel: Lange Sitzungen sind ihm ein Gräuel - EZB-Präsident Mario Draghi
Rekordtief: Leitzinsen der Euro-Zone in Prozent
Eine schrecklich nette Familie: Das sechsköpfige Direktorium der EZB und wer welche Rolle spielt
Der Boss: Seit November 2011 führt Mario Draghi das EZB-Direktorium - und zwar nach seinem Gusto
Die Nervensäge: Er redet wie ein Wasserfall, meist aber Belangloses: Vítor Constâncio, ein Portugiese. Draghis Vize hat kaum Fans.
Der Vertraute: Auf ihn hört Draghi: Benoît Curé. Der smarte Franzose vertritt die EZB nach außen und regelt deren Marktgeschäfte.
Der Frührentner: Seine Ernennung zog sich ewig hin. Aus Frust habe Yves Mersch die Arbeit weitgehend eingestellt, heißt es über den Luxemburger.
Das Küken: Sabine Lautenschläger ist erst seit Kurzem dabei und zuständig für die Bankenaufsicht. Geldpolitisches Profil hat die Deutsche bisher nicht gezeigt.
Der Professor: Theoretisch gilt Chefvolkswirt Peter Praet als brillanter Ökonom. Schwierig wird es, wenn der Belgier praktische Tipps geben soll.