Gefahr für die Europäische Union Warum wir unseren EU-Partnern mit Geld helfen müssen

Auf Sendung: Die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem jüngsten Gipfel - per Video.
Foto: Ian Langsdon/EPA POOL/AP/dpaDie Krise nach der Krise zeichnet sich bereits ab. Europäische Staaten drohen an den Folgen der Corona-Epidemie Pleite zu gehen. Wenn sich Italien, Spanien, womöglich auch Frankreich nicht mehr zu akzeptablen Bedingungen Geld leihen können, dann bricht unsere Wirtschaftsordnung zusammen. Nichts wäre mehr wie bisher: der Binnenmarkt, die Währung, unser Wohlstand. Die sozialen und politischen Folgen wären unabsehbar.
Dieses Szenario ist keineswegs abwegig. Die Schuldenlasten steigen durch die Epidemie sprunghaft und empfindlich. Ein monatelanger Shutdown wird die Wirtschaftsleistung um zweistellige Prozentsätze schrumpfen lassen. Die Einnahmen des Staates befinden sich im freien Fall, während die Ausgaben explosionsartig wachsen (achten Sie Dienstag und Mittwoch auf neue Arbeitslosenzahlen). Eine solche Konstellation gab es in Friedenszeiten noch nie. Auch während der Großen Depression in den 1930er Jahren ging es nicht so steil bergab.
Die Nervosität der Finanzmärkte war in den vergangenen Wochen bereits sichtbar. Die Zinsen auf italienische, spanische und französische Staatsschulden stiegen, weil Anleger das höhere Pleiterisiko dieser Staaten scheuten. Zwar sind die Risikoaufschläge erst einmal wieder gesunken, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) Wertpapierkäufe in Höhe von 750 Milliarden Euro angekündigt hat. Für den Moment ist Ruhe. Aber angesichts der grimmen Aussichten wird sie nicht von Dauer sein.
Die Euro-Krise kommt zurück. Bereits zwischen 2010 und 2015 hatten drohende Staatspleiten Europa und den Rest der Welt in Atem gehalten. Einiges hat sich in Europa in diesen Jahren verändert. Aber eines ist wie damals: Die Eurozone kann auf schwere, akute Krisen nicht wie andere Währungsräume reagieren, weil sie kaum gemeinsame Schulden aufnimmt. Das ist ein grundlegendes Problem.
In den USA beispielsweise läuft es so: Das Parlament, der US-Kongress, beschließt die Aufnahme neuer Schulden, die die Regierung dann in Form von Staatsanleihen aufnimmt. Kommt es zu Problemen beim Absatz dieser Anleihen auf den Finanzmärkten, kauft die Federal Reserve Bank Wertpapiere auf, notfalls im großen Stil. Notenbanken können Staatspleiten verhindern. Womöglich ist der Preis später steigende Inflation, aber das ist in einer akuten Krisensituation wie der derzeitigen kein vorrangiges Problem. Unbedingte Priorität hat die Vermeidung eines Systemabsturzes.
Nur eine Notenbank ist unbegrenzt handlungsfähig
In der Eurozone hingegen sind es die einzelnen Mitgliedstaaten, die Schulden aufnehmen. Nationale Parlamente entscheiden über die öffentliche Kreditaufnahme. Kommen sie später in die Klemme, gibt es keine nationale Notenbank, die unbegrenzt einspringen und die Märkte beruhigen könnte. Würde die EZB nationale Schulden aufkaufen, hätte das eine Umverteilung von Risiken zur Folge, worüber zuvor kein Parlament entschieden hat. Würde die Euro-Bank etwa massiv italienische Staatsschulden aufkaufen, müssten am Ende alle Euro-Staaten dafür mithaften, ohne vorab mitentscheiden zu können. (Genau um diesen Umverteilungseffekt zu umgehen, erwirbt die EZB im Rahmen ihres Anleihekaufprogramms Wertpapiere aller Euro-Staaten gemäß ihrer jeweiligen Kapitalanteile.)
In einer akuten Krise ist nur eine Notenbank unbegrenzt handlungsfähig, weil nur sie unbegrenzt Geld schaffen kann - nur sie kann letztlich einem Zusammenbruch ganzer Kreditmärkte effektiv und glaubwürdig entgegentreten. Damit eine Notenbank so handeln kann, braucht es Wertpapiere, die sie theoretisch unbegrenzt aufkaufen kann und darf. Die aber gibt es in der Eurozone nicht.
Angesichts der Corona-Krise wird dieser Konstruktionsfehler der Währungsunion nun abermals deutlich. Weil es keine stark legitimierte föderale Staatsebene gibt, sind der gemeinsamen Schuldenaufnahme - also der gemeinsamen Haftung - enge Grenzen gesetzt.
Was tun? Angesichts des Corona-Crashs, der die Wirtschaft in einen Zustand des freien Falls versetzt hat, ist Eile geboten. Beim Video-EU-Gipfel in der abgelaufenen Woche haben die Staats- und Regierungschefs das Thema erstmal vertagt.
Die Debatte verläuft entlang der bekannten Reflexe: Frankreich, Italien, Spanien und andere Südstaaten fordern eine Vergemeinschaftung von Schulden. Deutschland, die Niederlande und andere Nordstaaten hingegen sagen Nein.
So in etwa ging es offenbar beim Video-Gipfel zu. Der Süden verlangte Euro-Bonds (nun umbenannt in "Corona-Bonds"): Schuldscheine, für die die Euro-Staaten gemeinsam haften. Der Norden wollte davon nichts wissen - lieber erstmal abwarten.
Es klingt wie eine Neuaufführung des quälend langen Dramas der Euro-Krise. Damals ließ sich die harte Haltung Deutschlands und anderer Euro-Nordstaaten vielleicht noch rechtfertigen: Die Schuldenkrise traf Länder mit unsoliden Staatsfinanzen und wenig wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften besonders hart. Die anhaltende Krise sollte sie Disziplin lehren. Man kann das zynisch finden, aber immerhin steckte darin eine gewisse Logik: Die abschreckende Wirkung der Krise sollte für langfristige Stabilität der Euro-Zone sorgen.
Euro-Buchstabensuppe: OMT, ESM, EZB
Dieses Mal ist alles anders. Jetzt geht es um eine Naturkatastrophe, die sich der Kontrolle des Staates entzieht, wie der Bundestag in der abgelaufenen Woche bei der Aussetzung der Schuldenbremse festgestellt hat. Es ist deshalb falsch, den Einsatz von Instrumenten hinauszuzögern oder rundheraus auszuschließen. Es muss jetzt darum gehen, Ländern zu helfen, die von der Seuche besonders hart getroffen sind. Whatever it takes.
Es geht um Menschenleben - und auch um Symbole der innereuropäischen Solidarität. Wer jetzt tatenlos zuschaut wie Partnerländer in die Pleite trudeln, wird sich später vorwerfen lassen müssen, für den Zerfall der Eurozone verantwortlich zu sein. Dann gute Nacht: In einer von Feindseligkeiten durchzogenen Welt würden einzelne europäische Länder zu Spielbällen der großen Mächte.
Es geht darum, die enorme Unsicherheit einzudämmen. Das können Regierungen am besten tun, indem sie ihren Instrumentenkasten offenlegen und dadurch, soweit sie können, die Erwartungen von Bürgern, Firmen und Investoren stabilisieren. Die Methode der kleinen Schritte, des Abwartens und des Zögerns ist unter den gegebenen Bedingungen falsch. Die Politik darf jetzt nicht mit hinausschiebender Politik zusätzliche Verunsicherung stiften. Panik braucht Entschlossenheit.
Und es geht um letztgültige Glaubwürdigkeit. Die kann die Eurozone nur dadurch erreichen, dass sie die EZB in die Lage versetzt, Schulden in unbegrenzter Höhe aufzukaufen. Nach geltenden Regeln kann die EZB nur Ländern beispringen, die ein Beistandsprogramm beim Euro-Rettungsschirm ESM haben. Nur dann kann die EZB einzelnen Ländern unbegrenzt beispringen. So steht es in den Richtlinien zu den "Outright Monetary Transactions" (OMT), die die Ankündigung des damaligen EZB-Chefs Mario Draghis, einzelne Euro-Länder zu unterstützen Whatever it takes, formalisiert und rechtlich abgesichert haben.
Dem Euro-Rettungsschirm ESM, geführt vom früheren deutschen Spitzenbeamten Klaus Regling, käme also bei der Bewältigung des Corona-Crashs zentrale Bedeutung zu. Der Fonds und sein Vorgänger EFSF können zusammen bis zu 700 Milliarden Euro verleihen. Dieses Limit ließe sich, wenn alle Euro-Staaten zustimmen, auf ein Vielfaches erhöhen. Der Fonds nimmt diese Gelder überwiegend am Kapitalmarkt auf, indem er Anleihen ausgibt. Dafür bürgen die 19 Euro-Mitgliedstaaten, die Anteilseigner des Fonds sind, entsprechend ihrer Kapitalanteile, legitimiert wiederum durch die nationalen Parlamente.
Keine Zeit für strategische Spielchen
Würden alle Euro-Mitgliedstaaten mit dem ESM vorsorgliche Kreditprogramme für die kommende Krise vereinbaren, könnte die Europäische Zentralbank sowohl die Anleihen einzelner pleitebedrohter Länder aufkaufen als auch ESM-Anleihen, die dann zu echten Euro-Bonds würden. Es wäre eine Versicherung gegen Staatsbankrotte.
Die Folgen der Corona-Krise wären dann immer noch schlimm genug, aber zumindest würden Teile Europas nicht ungebremst in die Pleite trudeln. Und es wäre auch eine Versicherung gegen populistische Anführer wie Italiens Matteo Salvini, die ESM-Programme rundheraus ablehnen, weil sie darin einen Eingriff in die nationale Souveränität sehen.
Dies sind keine Zeiten für strategische Spielchen, für vorsichtig herantastendes Kleinklein. Was während der Eurokrise vielleicht noch zu rechtfertigen war, ist im Angesicht dieser Naturkatastrophe grundsätzlich falsch.
Dies könnte der Moment Europas sein. Der Moment, an dem sich eine "immer engere Union der Völker Europas", wie es im EU-Vertrag heißt, in eine echte Föderation verwandelt. Und das Medium, das diesen Wandel befördert, könnte das gemeinsame Geld sein.
Das öffentliche Leben und die Wirtschaft stehen still in weiten Teilen Europas. Die Reaktionen auf die Gefahr, die vom Corona-Virus ausgeht, mögen zunächst national gewesen sein. Aber auf mittlere Sicht wird das nicht ausreichen. Worauf warten wir?
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche
Montag Wiesbaden - Die Preise im Shutdown-Modus - Das Statistische Bundesamt gibt eine erste Schätzung zur Inflationsrate im März bekannt.
Peking - Retter der Globalisierung? - EU-China-Gipfel mit Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel (bis Dienstag).
Dienstag Nürnberg - Die guten Jahre sind vorbei - Neue Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit: Frühindikatoren zeigen, dass die Corona-Krise schon auf dem Arbeitsmarkt angekommen ist.
Luxemburg - Euro-Inflation - Die Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht eine Schnellschätzung zur Inflation im Euroraum im März, dem ersten Shutdown-Monat.
Mittwoch Luxemburg - Free Falling - Die Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht Zahlen zur Arbeitslosigkeit im Februar.
Donnerstag
Berichtssaison I - Geschäftszahlen von Rocket Internet, Hella.
Freitag
Frankfurt - Vorzeigebranche in trouble - Der Maschinenbauerverband VDMA legt Zahlen zum Auftragseingang vor. Frühindikatoren wie der Ifo-Geschäftsklimaindex lassen Schlimmes erwarten.