Ostdeutschland Angst vor verlassenen Landschaften

Ackerboden bei Dodow in Mecklenburg: Wenn Unternehmen wegen niedriger Löhne nach Polen und Fachkräfte wegen höherer Löhne nach Westdeutschland ziehen, bleibt nicht viel
Foto: dapdDresden - Ein halbes Jahr lang wuchs das Vertrauen in die ostdeutsche Wirtschaft genauso wie die Wirtschaft selbst. Jetzt steht für das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2011 ein weiteres Wachstumsplus an. Nur das Vertrauen in die eigene Wirtschaft ist weg: Im April schätzten ostdeutsche Unternehmen die Entwicklung ihrer Geschäfte für das kommende halbe Jahr längst nicht mehr so optimistisch ein wie in den Monaten zuvor.
Frank Heidan, CDU-Abgeordneter im sächsischen Landtag, sieht die Gründe dafür in der Atomkatastrophe in Japan: "Fukushima störte nicht nur das Import- und Exportgeschäft. Auch die Energiedebatte verunsichert die Unternehmer."
Ein externer Schock klingt als Erklärung plausibel, die Analyse greift aber zu kurz. Tatsächlich sind zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West immer noch so stark, dass von einer einheitlichen Konjunkturentwicklung keine Rede sein kann.
"Bei der Arbeitslosigkeit gibt es noch gravierende Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern", sagt Klaus Abberger vom Ifo-Institut München. Die erhöhte Arbeitslosigkeit im Osten löste eine Migrationsbewegung aus: "Viele Ostdeutsche ziehen oder pendeln in den Westen, um dort Arbeit zu finden", sagt der Wirtschaftsexperte. Dieser Trend wurde nie gestoppt.
Fachkräfte folgen den höheren Löhnen und ziehen gen Westen
Zudem wanderten immer mehr Unternehmen aus Ostdeutschland ab, schimpft Heidan, und verlegten Produktionsstätten stattdessen nach Polen und Tschechien. In Osteuropa sind die Lohnkosten schließlich immer noch deutlich niedriger. So habe zum Beispiel die MAN Roland AG mehr als 100 Arbeitsplätze aus seinem Wahlkreis Plauen im Vogtland abgezogen. Solche Schritte seien für kleinere Kommunen herbe Schläge, sagt der CDU-Mann.
Ostdeutschland droht auszubluten. Der Westen trumpft mit bester Konjunktur auf und wirbt die verbliebenen Fachkräfte mit höheren Gehältern ab. Und in der anderen Himmelsrichtung werben die Anrainerstaaten gleich ganze Unternehmen mit günstigeren Löhnen ab.
Die Quittung: Selbst in den stärksten Regionen des Ostens ist die Stimmung mies. So sank der Ifo-Geschäftsklima-Index, der das Vertrauen der Unternehmern in die kommende Auftragslage abbildet, im Vergleich zum Vormonat um 1,8 Punkte. Die aktuelle Auftragslage bewerteten die befragten Unternehmer dagegen besser. Sie stieg leicht um 0,9 Punkte. Die Lage ist im Osten also weitaus besser als die Stimmung.
Selbst in Sachsen, dem Wirtschaftsprimus der neuen Bundesländer, sinkt das Vertrauen in die konjunkturelle Entwicklung seit März, nachdem sich die Stimmung zuvor ein Dreivierteljahr lang aufgehellt hatte. Vor allem sächsische Großhändler blicken inzwischen voller Sorge in die Zukunft.
Das Problem provinzieller Produktionskreisläufe
Um den Anschluss an den westdeutschen Markt zu schaffen, bräuchten die neuen Bundesländer mehr innovative Unternehmen, die auf dem Weltmarkt bestehen könnten, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik am Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Bislang lebten die meisten Ost-Unternehmen von der Binnenkonjunktur, mithin von der Nachfrage westdeutscher Unternehmen. "Die ostdeutsche Wirtschaft profitiert insofern zwar vom gesamtdeutschen Wachstum", sagt Holtemöller. "Aber weitgehend nur, weil sie auf dem Binnenmarkt den Westen beliefert." Die weitaus stärkeren Impulse für die gesamtdeutsche Wirtschaft stammen aber aus dem Auftragsplus in aller Welt, also den Exporten. Und da taucht kaum ein ostdeutsches Unternehmen auf.
So erklärt sich die trübe Stimmung in der ostdeutschen Wirtschaft trotz des gesamtdeutschen Booms aus einem ganz simplen Umstand: der Provinzialität vieler Produktionskreisläufe im Osten.
Was den Betrieben heute zum Nachteil gereicht, entpuppte sich in der jüngsten Finanzkrise im Übrigen durchaus als Vorteil. Der weltweite wirtschaftliche Einbruch traf die neuen Bundesländer weit weniger hart. Beide Hälften Deutschlands erholten sich von der Krise in rasantem Tempo. Inzwischen ist der weitaus stärker geschwächte Westen dem Osten aber wieder enteilt.