IWF fordert Schuldenschnitt für Griechenland Memo an Merkel - Vergessen Sie Ihr Geld

Zeit für einen Haircut: IWF-Chefin Christine Lagarde blickt der Wahrheit ins Auge
Foto: Olivier Hoslet/ dpaWer eine "Schuldentragfähigkeitsanalyse" über Griechenland schreiben soll, könnte es sich einfach machen: Die Schulden sind nicht tragfähig. Wer wüsste das besser als der Internationale Währungsfonds, gegenüber dem das Land seit Dienstag mit gut 1,5 Milliarden Euro im Zahlungsverzug steht? Doch wer beim IWF arbeitet, muss schon auf 24 Seiten um den heißen Brei herumreden, bevor er doch zu dem unausweichlichen Schluss kommt, der für die europäischen Partner bisher tabu war: Griechenland braucht einen Schuldenschnitt.
Das Dokument namens "vorläufiger Entwurf einer Schuldentragfähigkeitsanalyse" (PDF), vom Fonds am Donnerstag veröffentlicht, trägt das Datum 26. Juni. Eigentlich ist es damit ein Relikt der alten Welt vor dem 1. Juli, als der IWF noch als Geldgeber für Griechenland infrage kam und sich deshalb Gedanken über die Zukunft der Finanzbeziehung machen konnte. Aus zwei Gründen spielt es aber auch künftig noch eine Rolle:
Erstens stimmen die Griechen am Sonntag neben dem von ihrer Regierung abgelehnten Sparplan der Gläubiger auch über die damit verbundene "Schuldentragfähigkeitsanalyse" ab - ja, genau über dieses Dokument. Das ist etwas kurios, denn Premier Alexis Tsipras und Finanzminister Giannis Varoufakis begründen ihr Nein auch mit dem Verweis, die Gläubiger hätten doch längst bekannt, dass ein weiterer Schuldenschnitt nötig sei, handelten nur nicht danach. Dieses Dokument liefert ihnen den Beweis dafür.
IWF liefert Grundlage für drittes Rettungspaket - Hellas braucht 52 Milliarden
Zweitens verschwinden weder Griechenland noch die griechischen Schulden nach dem Referendum einfach von der Landkarte. Irgendwie werden Gläubiger und Schuldner miteinander umgehen müssen, deshalb ist jetzt schon die Rede von weiteren Verhandlungen und einem dritten "Rettungspaket". Dafür liefert die IWF-Analyse eine Grundlage - der Fonds geht von einem Finanzbedarf von 51,9 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre aus.
Derartige IWF-Analysen hatten allerdings auch die Grundlage für die grandios gescheiterte Politik der vergangenen fünf Jahre geliefert. Die darin enthaltenen Prognosen, wie neue Kredite zusammen mit Sparauflagen funktionieren sollten, lagen so weit daneben wie sonst wohl keine Schätzung in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaft.
Mit dem ersten "Rettungspaket" ging die Krise erst richtig los. Innerhalb von 18 Monaten mussten die Fondsökonomen ihre Annahme für die Leistung der griechischen Wirtschaft um 22 Prozent senken, sie haben also etwas wiedergutzumachen.
IWF-Sprech - Klartext: "Das machen wir nicht nochmal"
Das Dokument sei "die Schuldentragfähigkeitsanalyse, um alle Schuldentragfähigkeitsanalysen zu beenden", schreibt Joseph Cotterill im "Alphaville"-Blog der "Financial Times", die das Dokument, über dessen Inhalt längst spekuliert wurde, vor dem IWF veröffentlicht hatte. Cotterill liefert eine nützliche Übersetzung der bürokratischen IWF-Sprache in Klartext:
"1. Wir haben privaten Gläubigern Griechenlands ermöglicht, ihr Risiko über Jahre bei uns abzuladen. Überraschung! Sie wollen es nicht zurück. Dies wird einen dritten Bailout nötig machen.
2. Wir haben die Schuldenquote am Bruttoinlandsprodukt so sehr erhöht, dass sie nicht mehr tragfähig ist. Wir (das heißt, ihr Europäer) mussten deshalb das, was Griechenland tatsächlich für die Schulden bezahlt, senken und strecken. Das ist jetzt das viel sinnvollere Maß für die Schuldenlast.
3. Machen Sie sich auf eine weitere Überraschung gefasst! So gesehen, waren die von uns zuvor angenommen primären Haushaltsüberschüsse, Privatisierungserlöse und so weiter zu riskant. Also haben wir eine Idee, die wir den europäischen Steuerzahlern nahebringen wollen.
(Anmerkung - an dieser Stelle entwirft der IWF ein Szenario, in dem die Laufzeiten der von der EU an Griechenland vergebenen Kredite ebenso wie die zins- und tilgungsfreien Perioden verdoppelt werden)
4. Erinnern Sie sich, dass wir uns von vornherein nur in Griechenland einmischten, weil wir das für systemwichtig erklärten, obwohl zweifelhaft war, dass wir das Geld zurückbekommen würden? Das machen wir nicht nochmal. Witzig genug, wir denken so, weil Regierungen Verluste besser verkraften können als Banken. Ach, falls Sie es noch nicht bemerkt haben, wir sind ziemlich scharf auf diese Verdopplung der Laufzeiten europäischer Kredite.
5. Das fängt ja schon mal an, nach einem Plan zu klingen. Unter den gegebenen Umständen haben wir unser Bestes versucht, das Risiko zu berücksichtigen, dass Wirtschaftswachstum und Haushaltsüberschüsse geringer ausfallen als wir denken. Wir schätzen, dass der Plan uns nicht um die Ohren fliegt, solange Griechenland Primärüberschüsse von mehr als 3 Prozent abliefert.
Ach, warten Sie. Kann irgendeine griechische Regierung dieses Niveau von Überschüssen gegenüber ihren Wählern politisch rechtfertigen? Oh je.
6. Also, wenn das schiefgeht, dann werden wir die Regierungen, die im Jahr 2010 bilateral Geld an Griechenland verliehen haben, bitten müssen, mehr von ihrem Geld zu verlieren. Und mit mehr von ihrem Geld meinen wir genauer gesagt all ihr Geld."
Deutschland soll 15 Milliarden Euro abschreiben - und der IWF?
Gemeint ist die "Greek Loan Facility", die ursprünglich 80 Milliarden Euro betragen sollte und von der knapp 53 Milliarden Euro an Griechenland verliehen wurden. Der deutsche Anteil beträgt gut 15 Milliarden Euro.
Das Geld ist weg - eine späte, aber vielleicht unausweichliche Einsicht. IWF-Chefin Christine Lagarde hatte schon während der Verhandlungen angedeutet, dass sie einen Schuldenerlass für nötig halte - von Seiten der europäischen Staaten. Dass auch der IWF selbst auf eigenes Geld verzichtet, gehört nicht zum Kalkül.
Damit würde der Fonds zwar gegen das eherne Prinzip verstoßen, dass er Vorrang vor allen anderen Gläubigern genießen muss, um als Finanzfeuerwehr ernst genommen zu werden. Fondsveteran Ashoka Mody fordert das trotzdem. Der IWF habe ja ohnehin Glaubwürdigkeit eingebüßt, indem er sich überhaupt am Griechenland-Programm beteiligte - gegen die eigenen Prinzipien und auf Drängen der Europäer. Jetzt könnte er wenigstens Glaubwürdigkeit retten, indem er das ökonomische Urteil der eigenen Experten ernst nimmt.
Vielleicht fällt das nun leichter, da die Illusion zerbrochen ist, dass IWF-Schulden zumindest von Euro-Staaten immer pünktlich beglichen werden.
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