EU-Staaten stoppen Einreise Großbritannien weitgehend isoliert

Boris Johnson: Als sei der Brexit nicht schon Problem genug, sieht der britische Premier sein Land schlagartig durch eine neue Variante des Coronavirus stärker isoliert denn je
Foto: HANNAH MCKAY / imago images/PA ImagesDie in Großbritannien entdeckte neue Variante des Coronavirus isoliert das Land zunehmend. Die meisten europäischen Länder stoppten am Montag die Einreise aus dem Königreich, um die Verbreitung der von den Briten als besonders aggressiv eingestuften Mutation zu unterbinden - darunter auch Deutschland. Weitere Länder wollen am Dienstag folgen. Einzelne Mitglieder des grenzkontrollfreien Schengen-Raums wie Griechenland und Island trafen zunächst aber noch keine Entscheidung. Auch die Fristen für den Einreisestopp sind sehr unterschiedlich: Sie liegen zwischen 48 Stunden und zwei Wochen.
In Deutschland dürfen bis zum 31. Dezember keine Flugzeuge aus Großbritannien mit Passagieren mehr landen. Die Bundesregierung war mit dieser Entscheidung am Sonntag innerhalb der EU vorangeschritten. Ein von ihr als EU-Präsidentschaft einberufenes Krisentreffen der Mitgliedstaaten blieb am Montag aber ohne konkrete Ergebnisse. Die EU-Kommission sei aufgefordert worden, Leitlinien für ein schnelles und koordiniertes Handeln vorzulegen. Das soll bis morgen geschehen, dann beraten die EU-Botschafter darüber.
EU-Krisentreffen ohne Ergebnisse
Bundesaußenminister Heiko Maas (54, SPD) sprach von einer "substanziell veränderten Gefährdungseinschätzung" in Großbritannien. Er betonte, wie wichtig eine gemeinsame Reaktion der Europäischen Union sei. Nur so könne verhindert werden, dass ein Einreisestopp über andere EU-Mitgliedstaaten umgangen wird.
Innerhalb des Schengen-Raums, dem die meisten EU-Staaten angehören, sind die Grenzen während der zweiten Corona-Welle weitgehend offen geblieben. Das heißt, die Einreise von Großbritannien nach Deutschland über ein EU-Land ohne Einreisesperre wäre problemlos möglich.
Einzelne Fälle der Mutation sind bereits in der EU aufgetreten, in Dänemark sind bisher neun Fälle bekannt. Schweden machte deswegen seine Grenze zu dem Nachbarland dicht, auch die Türkei verhängte einen Einreisestopp für das skandinavische Land. Deutschland, das ebenfalls an Dänemark grenzt, ergriff zunächst keine entsprechenden Maßnahmen.
Neue Corona-Variante bislang in sechs Ländern gefunden
Außer in Großbritannien und Dänemark sei die Virusvariation auch in Australien, Island, Italien und den Niederlanden gefunden worden. Abgesehen von Dänemark seien es Einzelfälle gewesen, berichtete die Coronavirus-Expertin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Maria van Kerkhove (43), am Montag in Genf.
Die in Großbritannien entdeckte Mutation ist nach ersten Erkenntnissen britischer Wissenschaftler um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form sein könnte. Premierminister Boris Johnson (56) hatte betont, es gebe aber keine Hinweise darauf, dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv seien. Die Form breitet sich vor allem in London und Südostengland rasant aus. Über diese Regionen wurde auch innerhalb des Landes eine Reisesperre verhängt.
Nach einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron (42) erklärte Johnson, er hoffe auf eine rasche Wiederaufnahme des Warenverkehrs mit dem Festland. Er sei hoffnungsvoll, dass das Problem "in den nächsten Stunden" gelöst werden könne, sagte Johnson am Montag. "Wir wollen das Problem so schnell wie möglich lösen." Es müsse sichergestellt werden, dass Lastwagen in beide Richtungen "covid-frei" fahren könnten.
Der Premier versuchte, die Bevölkerung zu beruhigen. "Die große Mehrheit von Lebensmitteln, Medikamenten und Versorgungsgütern erreichen uns wie immer", sagte Johnson. Die Supermarktketten Tesco und Sainsbury's warnten vor Hamsterkäufen. Lediglich manche frischen Waren wie Salat, Blumenkohl oder Zitrusfrüchte dürften knapp werden.
Der Eindruck, dass sich das Virus rascher übertrage, habe sich indes "verstärkt", sagte der Wissenschaftsberater der britischen Regierung, Patrick Vallance, am Montagabend. Wegen einer Zunahme privater Kontakte sei es "unvermeidlich", dass es in den kommenden Wochen eine weitere Zunahme von Neuinfektionen geben werde.
Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery (68) bezweifelte die britischen Aussagen zu der neuen Corona-Variante. "Man sollte alle Angaben von Herrn Johnson mit außerordentlicher Vorsicht behandeln", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). "Wenn die Aussage dennoch stimmen sollte, bedeutet sie auch nur, dass unsere Schutzmaßnahmen um 70 Prozent wichtiger werden."
Montgomery betonte, dass die Wirksamkeit der Impfungen nicht unbedingt beeinträchtigt werde. Allein das Pharmaunternehmen Biontech habe seinen Impfstoff bereits bei 19 Mutationen des Corona-Virus getestet, gewirkt habe das Mittel bei jeder dieser Varianten.
Aggressive Virusvariante in Südafrika aufgetaucht
Auch in Südafrika ist eine aggressive Virusvariante aufgetaucht. Die Flugverbindungen von dort nach Deutschland sind aber noch nicht gekappt worden. Die Bundesregierung plant allerdings eine entsprechende Verordnung. Zunächst gingen aber noch Flüge von dort nach Deutschland. Die Frage nach einer Rückholaktion wie im Frühjahr, als Zehntausende deutsche Touristen in einer beispiellosen Aktion aus Dutzenden Ländern ausgeflogen wurden, stelle sich deshalb aktuell nicht, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts.
Die in Großbritannien festsitzenden Deutschen müssten sich allerdings auf "erhebliche Einschränkungen" einstellen. "Wir empfehlen Betroffenen, nach Möglichkeit vor Ort zu bleiben und die Lage zu beobachten."
Von den am Sonntag auf dem Hamburger Flughafen eingetroffenen Passagieren aus Großbritannien wurden sieben positiv auf das Coronavirus getestet. Bei einem Fluggast in Hannover hat sich ebenfalls eine Infektion bestätigt. Weitere Labortests sollten nun klären, ob die Passagiere sich mit der neuen, möglicherweise besonders ansteckenden Virus-Variante infiziert haben, teilte die Region Hannover mit. Anders als in Hamburg mussten am Flughafen Hannover die 62 Passagiere aus London in einem Terminal übernachten.
Lufthansa fliegt weiter Großbritannien an
Die Lufthansa fliegt weiter Passagiere nach Großbritannien, kehrt aber ohne Reisende zurück. Die Maschinen flögen abgesehen von der Crew leer wieder nach Deutschland, sagte ein Sprecher der Airline. Gestrichen seien Verbindungen, bei denen die Besatzung in Großbritannien übernachten müsste. Am Montag würden sieben Flüge in das Land durchgeführt.
Die härtesten Maßnahmen wegen der neuen Mutation ergriff Israel. Das Corona-Kabinett entschied am Montag, Ausländern aus allen Ländern die Einreise zu verbieten. Regierungschef Benjamin Netanyahu sagte, es gebe Ausnahmen von dieser Regel, wie etwa bei Diplomaten. "Wir haben eine neue Epidemie mit einem Virus, dessen Eigenschaften wir nicht genau kennen", sagte der 71-Jährige zu der Entscheidung. "Diese Mutation könnte auch Corona 2 sein."