EU-Kommissionschefin präsentiert "Green Deal" Wie Von der Leyen die europäische Klimapolitik revolutionieren will

Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen: "Der Green Deal wird die Emissionen senken und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und unsere Lebensqualität verbessern"
Foto: Sven Hoppe/ DPA
Nur noch Autos ohne Abgase, Fabriken ohne Schlot und optimal gedämmte Häuser, dazu riesige neue Wälder und grüne Städte. Europa soll in 30 Jahren völlig anders aussehen und der Welt zeigen, wie das geht: eine moderne Wirtschaft, die die Erde nicht kaputt macht. Den Plan für dieses "klimaneutrale" Europa 2050 - den "Green Deal" - stellt die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen an diesem Mittwoch vor.
"Der Green Deal wird die Emissionen senken und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und unsere Lebensqualität verbessern", schrieb von der Leyen kurz vor der Präsentation ihres Plans für ein "klimaneutrales" Europa bis 2050 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwoch). Zweifeln aus der Wirtschaft widersprach sie: "Wir wissen, dass wir es schaffen können."
Mit dem umfassenden Gesetzgebungsprogramm zu Energieversorgung, Industrieproduktion, Verkehr und Landwirtschaft soll Europa binnen 30 Jahren klimafreundlich umgebaut werden. Gedacht ist die Ankündigung als Signal an den EU-Gipfel am Donnerstag, bei dem es auch um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 geht, und den laufenden UN-Klimagipfel Madrid. In der spanischen Hauptstadt kritisierte die schwedische Aktivistin Greta Thunberg derweil die Regierungen gerade wohlhabender Staaten für ihre Untätigkeit in der Klimakrise scharf.
Von der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament erhielt von der Leyen bereits Rückendeckung. Das Programm des "Green deal" sei ausgewogen und gut, sagte Gruppenchef Daniel Caspary in Brüssel. In dieser Form werde die Union dies im Europaparlament mittragen. Entscheidend sei, dass von der Leyen auf marktwirtschaftliche Mechanismen setze, die Klimaschutz auf möglichst preiswerte Weise erreichten. "Wir wollen nicht Sachen verbieten, sondern Sachen ermöglichen", sagte Caspary.
Polen, Ungarn und Tschechien blockieren Green Deal bislang
EU-Ratschef Charles Michel forderte alle Mitgliedstaaten auf, den Deal mitzutragen. "Das wäre ein wichtiges Signal von uns im Europäischen Rat, dass die EU eine globale Führungsrolle bei diesem ungeheuer wichtigen Thema übernehmen will", schrieb Michel in seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs. Allerdings stellen sich Polen, Ungarn und Tschechien bisher noch quer.
Klimaneutralität bedeutet, dass von 2050 an keine neuen Treibhausgase aus Europa in die Atmosphäre gelangen, um die Erderwärmung - wie im Pariser Klimaabkommen vorgesehen - bei 1,5 Grad zu stoppen. Dafür muss der größte Teil der Klimagase, die zum Beispiel bei Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas und in der Landwirtschaft entstehen, vermieden und der Rest gespeichert werden. Zum "Green Deal" gehört ein Zwischenziel für 2030: Bis dahin sollen die Emissionen um 50 bis 55 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Bisher hat sich die EU ein Minus von 40 Prozent vorgenommen.
Thunberg mahnte im Plenum in Madrid bei einer auf wissenschaftliche Daten zu CO2-Emissionen und die Erderwärmung gestützten Rede aber davor, noch 30 Jahre zu warten, um Klimaneutralität zu erreichen. "2050 Treibhausgas-Neutralität zu erreichen bedeutet gar nichts, wenn die Emissionen inzwischen noch für ein paar Jahre weitergehen wie bisher. Denn unser verbleibendes Budget wird dann aufgebraucht sein", erklärte die junge Schwedin. Sie appellierte an die Regierungen, umgehend konkrete Maßnahmen einzuleiten, um die Erderwärmung einzudämmen. "Jeder Bruchteil eines Grades zählt." Thunberg monierte, dass die Verhandlungen in Madrid so schleppend vorankämen. "Es gibt überhaupt kein Gefühl der Dringlichkeit", warf sie den Politikern vor. Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan brachte es auf den Punkt: "Das Herz des Pariser Abkommens schlägt noch, aber nur ganz schwach."
Grüne und Umweltschützer kritisieren vor allem, dass von der Leyens neues Etappenziel erst im Herbst nächsten Jahres festgezurrt werden soll und dass der "Green Deal" zunächst nur die Ankündigung einer Vielzahl von Gesetzen und Programmen in den Jahren 2020 und 2021 ist. "Es ist richtig, Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Form eines Green Deal nach vorne zu stellen", sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch). "Es darf aber nicht bei wohlklingenden Überschriften bleiben."
Kritik aus der Industrie
Dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gehen von der Leyens Pläne hingegen zu weit. Die ständige Verschärfung der Klimaziele führe zu einer Verunsicherung der Konsumenten und Unternehmen, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf der Deutschen Presse-Agentur. Das sei "Gift für langlebige Investitionen".
Auch Bosch-Chef Volkmar Denner äußerte sich kritisch und betonte, die Pläne bedrohten zahlreiche Jobs in der Autobranche. "Derartig anspruchsvolle Grenzwerte bedeuten das Ende des klassischen Verbrennungsmotors mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung der betroffenen Unternehmen", sagte er der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".
Gleichzeitig wurde am Mittwoch bekannt, dass der Boom von SUVs und Geländewagen in Deutschland anhält: 2019 werden erstmals in einem Jahr mehr als eine Million dieser Fahrzeuge neu zugelassen, wie aus Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) in Flensburg hervorgeht.
Der "Green Deal" sollte am Vormittag von der EU-Kommission gebilligt werden. Am Nachmittag stellt von der Leyen den Plan in einer Sondersitzung des EU-Parlaments vor. Am Donnerstag beraten EU-Staats- und Regierungschefs, ob sie das Ziel der Klimaneutralität 2050 offiziell annehmen.
Fragen und Antworten zum Green Deal
WAS DER GREEN DEAL IST
Kern des "Green Deal" sind zwei Ziele: In einem Klimagesetz, das bis März 2020 vorliegen soll, soll die "Klimaneutralität 2050" verankert werden. Das bedeutet, dass alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden, sei es in Wäldern oder unter der Erde. Nötig ist dafür ein kompletter Umbau von Industrie, Energieversorgung, Verkehr und Landwirtschaft. Auf dem Weg dorthin, das ist der zweite zentrale Punkt, soll ein ehrgeiziges Etappenziel stehen: Die EU soll bis 2030 ihre Klimagase um 50 bis 55 Prozent unter den Wert von 1990 bringen. Bisher geplant ist ein Minus von 40 Prozent.
WAS IM GREEN DEAL STECKT
An den neuen Zielen soll die gesamte Gesetzgebung ausgerichtet und dann mit einer Mischung aus Anreizen, Hilfen und Vorgaben umgesetzt werden. In vorab bekannt gewordenen Entwürfen des "Green Deal" werden für 2020 und 2021 seitenweise Gesetzentwürfe und Programme angekündigt. Eine kleine Auswahl: eine Industriestrategie; Importhürden für klimaschädlich produzierte Waren; eine Strategie für sauberen Verkehr und neue Emissionsgrenzwerte für Autos; der Handel mit Verschmutzungsrechten auch im Schiffsverkehr; die Verteuerung von Verschmutzungsrechten für Airlines; schnellerer Ausbau von Energieeffizienz und Ökoenergie.
Geplant sind auch neue Standards für saubere Luft und sauberes Wasser; eine auf Umwelt und Klima ausgerichtete Agrarreform; die drastische Reduzierung von Pestiziden und Düngern; ein Plan zur Aufforstung und zum Erhalt von Wäldern. Hinter einigen Überschriften verbergen sich neue Hilfen für Bürger, Unternehmen und Staaten bei der Umstellung, die aus einem milliardenschweren Fonds finanziert werden sollen. Insgesamt will von der Leyen grüne Investitionen für eine Billion Euro anstoßen.
WAS DER GREEN DEAL BEWIRKEN SOLL
Ziel ist es, die Überhitzung der Erde abzuwenden und damit katastrophale Folgen wie das Abschmelzen der Eiskappen, vermehrte Stürme, Dürren oder Überschwemmungen so weit wie möglich zu vermeiden. Das ist schon 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbart. Dort heißt es, die globale Erwärmung solle bei unter zwei Grad, möglichst sogar bei 1,5 Grad gestoppt werden, gemessen an vorindustrieller Zeit. Nach neuen Warnungen der Wissenschaft ist eigentlich nur noch vom 1,5-Grad-Ziel die Rede. Auch die Vereinten Nationen fordern "Klimaneutralität" bis 2050. Die EU will Vorreiter sein und ihre technischen Lösungen dann auch in alle Welt verkaufen.
WAS DIE KRITIKER SAGEN
Kritiker nehmen von der Leyens Pläne von beiden Seiten in die Zange. Umweltverbände und die Grünen halten vor allem das Ziel für 2030 für unzureichend. Um das Pariser Abkommen umzusetzen, müssten die Klimagase dann schon um 65 Prozent gesenkt sein, sagt zum Beispiel Greenpeace.
Konservative und die Industrie sagen hingegen, Klimaneutralität 2050 sei nach jetzigem Stand gar nicht möglich. Von "magischem Denken" sprach neulich der Bundesverband der Deutschen Industrie. Auch die kurzfristigen Ziele seien unerreichbar. Außerdem habe Europa nur einen Anteil von neun Prozent an den weltweiten Treibhausgasen und die Großverschmutzer China und USA teilten den Ehrgeiz nicht.
WIE ES JETZT WEITER GEHT
Schon am Mittwochnachmittag debattiert das Europaparlament. Eine Mehrheit hat kürzlich erst den Klimanotstand ausgerufen - sie dürfte von der Leyen zur Seite stehen. Spannend wird es beim EU-Gipfel am Donnerstag. Polen, Ungarn und Tschechien wollen konkrete Zusagen für Milliardenhilfen, bevor sie das Ziel der Klimaneutralität 2050 akzeptieren. Das ist jedoch knifflig, weil der EU-Finanzplan für das nächste Jahrzehnt noch nicht steht. Diplomaten schätzten die Chance für eine Einigung auf nur 50 Prozent.