Digitale Grundgesetze
Europa holt zum Schlag gegen die Tech-Konzerne aus
EU-Kommissarin Margrethe Vestager hat grundlegende Gesetze für die Zähmung der Internetkonzerne vorgestellt. Sie droht mit empfindlichen Strafen und Zerschlagung – und zielt vor allem auf die US-Riesen.
Digitalkämpferin: EU-Kommissarin Margrethe Vestager während der Präsentation ihres Gesetzespakets
Foto: OLIVIER MATTHYS / AFP
Die EU-Kommission holt zum weltweit bisher heftigsten Schlag gegen die amerikanischen Tech-Konzerne aus. Technologiefirmen wie Amazon, Apple, Facebook oder die Google-Mutter Alphabet sollen künftig mit Geldstrafen von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes belegt oder sogar zerschlagen werden können. So sieht es zumindest ein Gesetzentwurf vor, den Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (52) und Binnenmarktkommissar Thierry Breton (65) am Dienstag vorgestellt haben.
Die Regeln sind der bislang ernsthafteste Versuch des 27 EU-Staaten, die Macht der Plattformen einzuschränken. Zwar hatte gerade die EU-Kommission immer wieder Kartellverfahren gegen die US-Konzerne angestrengt und zum Teil milliardenschwere Strafen verhängt – aber an der nach Auffassung der Politik teils wettbewerbswidrigen Praxis das ebensowenig geändert wie an der Dominanz der Konzerne. Außerdem dauerten die Wettbewerbsverfahren oft zu lang.
Weltweit hat der politische Widerstand gegen die Geschäftsmodelle der Tech-Konzerne zuletzt zugenommen. Erst in der vergangenen Woche machte ein Vorstoß der US-Behörden und fast aller US-Bundesstaaten Schlagzeilen, der ebenfalls auf eine Zerschlagung der Plattformen hinauslaufen kann.
Die neuen EU-Regeln gelten als neue "Verfassung für das Internet". Man sei an einem Punkt, "an dem die Macht der digitalen Unternehmen – insbesondere der größten Gatekeeper – unsere Freiheiten, unsere Chancen, sogar unsere Demokratie bedroht", erklärte Vestager.
Zwei Gesetze, sie zu zähmen
Genau genommen stellten die Kommissare zwei Gesetze vor: eines über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) und eines über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA). Durch europaweit einheitliche Regeln soll es für kleine Unternehmen einfacher werden, im Wettbewerb mit den Großen zu bestehen. Zudem sollen Internet-Plattformen mehr Verantwortung für die Inhalte übernehmen, die auf ihren Seiten veröffentlicht werden. Auf diesem Paket soll die EU-Gesetzgebung der kommenden Jahre aufbauen – das macht den Vorstoß so bedeutend. Die letzten grundlegenden Regeln sind zwanzig Jahre alt, da war Google gerade erst gegründet, Facebook gab es noch gar nicht.
Der Digital Markets Act sieht für sogenannte Online-Gatekeeper, die sich nicht an die neuen Regeln halten, Bußgelder in Höhe von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes sowie als letztes Mittel eine Zerschlagungsanordnung vor. Als "Gatekeeper" werden dabei Unternehmen mit einer gefestigten Position, einem signifikanten Einfluss auf den EU-Markt und mit einem zentralen Plattformangebot definiert – was vor allem auf die US-Konzerne zutrifft. Sie werden auch verpflichtet sein, Übernahmeangebote an die Behörden zu melden, um Zukäufe zu verhindern, die rivalisierende Unternehmen auslöschen.
Das zweite Regelwerk, der Digital Services Act, zielt auf die gesellschaftlichen Folgen aller Plattformen und zielt auch auf "sehr große Online-Plattformen" ab. Erstmals ist dieser Begriff nun definiert für Dienste mit mehr als 45 Millionen Nutzern. Faktisch zielt auch das vor allem auf die US-Riesen. Von ihnen wird – neben anderen Anforderungen – verlangt, mehr gegen illegale Inhalte, grundrechtsverletzenden Missbrauch ihrer Plattformen, Hassrede und absichtliche Manipulationen zur Beeinflussung von Wahlen und der öffentlichen Gesundheit zu tun. Die Unternehmen werden auch Details über politische Werbung auf ihren Plattformen und die Parameter ihrer Algorithmen offenlegen müssen und sich einem neuen Europäischen Ausschuss für digitale Dienste unterstellen. Und Handelsplattformen wie Amazon müssen schärfer gegen Fälschungen auf ihren Seiten vorgehen.
Verbraucherschützer begrüßen den Vorstoß. "Jetzt können wir einen Rahmen für die Zukunft setzen, der für alle gilt. So kann Europa zum Vorreiter für den Schutz der Grundrechte und Verbraucherschutz in der digitalen Welt werden", sagte auch die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht (55; SPD).
Der Entwurf muss nun von den EU-Ländern und dem EU-Parlament genehmigt werden. Einige Staaten hatten auf eine Verschärfung der Gesetze gedrängt, während andere über eine Überregulierung und die Auswirkungen auf die Innovation besorgt sind. Es wird erwartet, dass die Tech-Unternehmen diese Spaltung ausnutzen werden, um für schwächere Regeln zu lobbyieren. Vermutlich wird das Gerangel Jahre dauern.
Facebook, Google und Apple sind sich uneinig
Allerdings sind sich auch die US-Konzerne nicht einig. Facebook zum Beispiel hat die EU dazu gedrängt, Apple zu zügeln. "Wir hoffen, dass die DMA auch für Apple Grenzen setzen wird. Apple kontrolliert ein ganzes Ökosystem, vom Gerät über den App-Store bis hin zu den Apps, und nutzt diese Macht, um Entwicklern und Verbrauchern sowie großen Plattformen wie Facebook zu schaden", so das soziale Netzwerk aus den USA in einer Stellungnahme.
Facebook zeigte sich in einer ersten Reaktion aufgeschlossen für die Vorschläge. Man begrüße einheitliche EU-Regeln und mehr Verantwortung dafür, schädliche Inhalte zu löschen, sagte ein Sprecher. Karan Bhatia von Google zeigte sich hingegen besorgt, dass die Vorschläge "offenbar speziell auf eine Handvoll Unternehmen abzielen und die Entwicklung neuer Produkte zur Unterstützung kleiner Unternehmen in Europa erschweren". Man werde die Vorschläge in den kommenden Tagen sorgfältig prüfen.