
DUP-Abgeordnete Emma Little Pengelly vor Bürgerkriegsgemälde in Belfast
Foto: REUTERSZu Hause in Belfast sind sie nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden. Aber in London haben die protestantischen Loyalisten von der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) nach der Parlamentswahl vom Donnerstag mit ihren zehn Abgeordneten den größtmöglichen Machthebel. Dank der von Theresa May ausgerufenen Neuwahl zieht die sektiererische, vom Bürgerkrieg (lokal "Troubles" genannt) geprägte Politikkultur Nordirlands in Europas Finanzzentrum ein.
Für die Konservativen von Theresa May, aber auch für die Europäische Union ist das Ergebnis kurz vor dem geplanten Beginn der Brexit-Verhandlungen wohl das schlechteste aller möglichen Szenarien. Die Tories haben die Wahl verloren. Regieren müssen sie aber trotzdem, und dabei ständig um die Mehrheit im "Hung Parliament" zittern.
Weil Liberaldemokraten und schottische Nationalisten als Mehrheitsbeschaffer nicht infrage kommen, hängt jetzt alles an der DUP. Die lässt bereits wissen, dass sie zu haben ist - aber nicht billig. "Das ist perfektes Gelände für uns", erklärte Fraktionschef Jeffrey Donaldson der BBC. "Wir sind in einer starken Verhandlungsposition, die wir mit Genuss auskosten werden."
Die DUP ist eine Schöpfung des Predigers Ian Paisley, der mit der Freien Presbyterianischen Kirche auch seine eigene Religion ins Land brachte. Die traditionellen protestantischen Kräfte, die nun von der Landkarte gefegt sind, waren ihm zu nachgiebig gegenüber Katholiken und Republikanern.
Ein gespaltenes Verhältnis zum nötigen Kompromiss
Der bewaffnete Konflikt zwischen probritischen und proirischen Kräften ist zwar seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 weitgehend beigelegt. Doch die DUP lehnte den Friedensschluss damals ab und hatte auch später ein gespaltenes Verhältnis zum nötigen Kompromiss.
Immer wieder hatte die Partei mit Abweichlern und Abspaltungen wie der "Traditional Unionist Voice" zu kämpfen. Auch unter den zehn Loyalisten, die jetzt ins britische Parlament ziehen, gelten einige nur als bedingt loyal, wenn sie ihre Prinzipien verletzt sehen. Abweichler aber kann sich die künftige Koalition mit ihrer dünnen Mehrheit nicht leisten - die Konservative Partei mit ihren verfeindeten Lagern und ambitionierten Karrierepolitikern hat schon alleine Potenzial, die eigene Regierung zu stürzen.
Schwierig wird es schon mit den sozialpolitischen Vorstellungen der Unionisten, die Homosexualität ebenso rigoros als Sünde verteufeln wie Abtreibungen, Glücksspiel oder Alkohol. Wirtschaftspolitisch wiederum steht die vor allem in protestantischen Arbeitervierteln verankerte Partei gegen den Sparkurs der Konservativen. Angesichts der starken linken Opposition sind Zugeständnisse von mehr Staatsausgaben ein wahrscheinlicher Preis der Regierungsmehrheit.
Hoffnungsträger für den "soft Brexit" - aber viel kann schiefgehen
Kompliziert sind die Folgen für den Brexit. Nordirland ist stark abhängig von Subventionen der EU und hat im Referendum mit deutlicher Mehrheit für den Verbleib gestimmt - mit Ausnahme der Unionisten-Hochburgen. "Niemand will einen harten Brexit", versichert DUP-Chefin Arlene Foster - wohl wissend, dass Premierministerin Theresa May genau mit der Formel vom "harten Brexit" um ein Mandat des Volks für ihre Gespräche mit der EU warb.
Jetzt verkörpern ausgerechnet die radikalen Unionisten die größte Hoffnung auf einen moderaten Deal, den "soft Brexit", der wesentliche Wirtschaftsbeziehungen mit Europa intakt ließe. Die anderen maßgeblichen Kräfte mit diesem Interesse, Liberale und schottische Nationalisten, sind durch die Wahl geschwächt.
Andererseits kommt der "hard Brexit" sowieso, falls es nicht gelingt, schnell überhaupt eine Regierung zu bilden, die sich dann auch auf einen Kurs gegenüber der EU einigen kann, mit dieser bis Anfang 2019 ein Abkommen aushandelt und dafür dann auch eine Mehrheit in den Parlamenten gewinnt.
Ziemlich viel, was da schiefgehen kann.
Für die Nordiren hängt an einer Einigung mit der EU auch die Frage, ob die alltäglich von Pendlern, Familien und Einkäufern überquerte grüne Grenze zur Republik Irland wieder geschlossen werden muss. Das will niemand, wäre aber wohl die Folge eines "hard Brexit" - es sei denn, die Londoner Regierung würde das neue Grenzregime auf die britische Insel beschränken und so Nordirland aus dem Vereinigten Königreich ausschließen. Undenkbar für die DUP.
Abhängig von den größten Gegnern: Auch Sinn Fein wird mächtiger
Kurioserweise würde die Tory-DUP-Koalition ein wenig stabiler, indem die größten Gegner von der irisch-republikanischen Sinn Fein traditionell auf ihre im britischen Parlament gewonnenen Mandate verzichtet. Inzwischen sind es sieben verwaiste Sitze, weil Sinn Fein ihrerseits die moderate Konkurrenz von der SDLP beiseite gefegt hat.
Innerhalb Nordirlands sehen sich die Republikaner im Aufwind und hoffen mit dem Brexit sogar eine Gelegenheit für ein Referendum zur irischen Wiedervereinigung gefunden zu haben. Seit einer Neuwahl im Januar sind die protestantischen Parteien zusammen erstmals ohne Mehrheit in der nordirischen Versammlung.
Zuvor hatte Sinn Fein eine gemeinsame Regierung unter DUP-Führung gestürzt, weil deren Parteichefin Arlene Foster nicht als Regierungschefin zurücktreten wollte. Sie wurde für ein als Förderung der Energiewende getarntes Betrugssystem verantwortlich gemacht, das als "Cash for Ash" zu Energieverschwendung und gewaltigen Kosten führte.
Immerhin: So normal sind die Unionisten inzwischen, dass sie auch Krisen erzeugen, in denen es nicht um Religion oder Nationalität geht.