Rebellion im britischen Parlament verebbt
Klare Mehrheit für Boris Johnsons Brexit-Bruch
Die Empörung über den kalkulierten Bruch des Brexit-Vertrags trug nicht weit: Die angekündigte Rebellion konservativer Abgeordneter in London ist vorbei. Premier Boris Johnson erhielt eine klare Mehrheit für sein Binnenmarktgesetz.
In einer ersten Abstimmung hat sich allen Warnungen zum Trotz eine deutliche Mehrheit im britischen Unterhaus für das umstrittene Binnenmarktgesetz von Premier Boris Johnson (56) ausgesprochen. 340 der Abgeordneten votierten am Montagabend für das Gesetz, mit dem Johnson Teile des gültigen Brexit-Deals ändern will. 263 stimmten dagegen. Ein Antrag der Opposition, um das Gesetz zu stoppen, war zuvor mehrheitlich abgelehnt worden.
Die Abstimmung gilt als Stimmungsbarometer - in den kommenden Tagen geht die Debatte über den Gesetzesentwurf weiter, erst in einer Woche steht die entscheidende Abstimmung an. Danach muss das Gesetz noch das Oberhaus passieren. Doch bereits am Montag kochten die Emotionen im Parlament hoch: "Was für eine Inkompetenz! Was für ein gescheitertes Regieren!", empörte sich etwa der Abgeordnete der oppositionelle Labour-Partei, Ed Miliband (50), zu einem kopfschüttelnden Regierungschef.
Es gebe nur eine Person, die für all das verantwortlich sei - Johnson selbst. Dieser verteidigte sein Gesetz in der Debatte hingegen erneut als "Sicherheitsnetz", das notwendig sei, um die Beziehung zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens zu schützen.
Johnson verfügt über eine Mehrheit von 80 Stimmen im Unterhaus, in der Abstimmung hatte seine Regierungsfraktion am Montagabend eine Mehrheit von 77 Stimmen - und das, obwohl sich zuvor etliche führende Parteimitglieder, darunter auch konservative Ex-Premierminister wie David Cameron (53) und John Major (77), klar von dem Gesetz distanziert hatten.
Kalkulierter Rechtsbruch
Der Premierminister will mit dem Binnenmarktgesetz den 2019 mit der Europäischen Union vereinbarten Austrittsvertrag in wesentlichen Punkten ändern. Dabei geht es konkret um Sonderregeln für das britische Nordirland, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen. Für den inzwischen wahrscheinlichen Fall, dass zum Jahreswechsel eine Zollgrenze zwischen der EU und Großbritannien entsteht, gibt es nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder trennt diese Grenze Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs, was Johnson nun doch noch verhindern will, oder sie entzweit die irische Insel - was durch den im Vorjahr geschlossenen Vertrag ausgeschlossen wurde.
Für die EU handelt es sich bei Johnsons Vorstoß um einen Rechtsbruch. Selbst Johnsons Nordirlandminister Brandon Lewis (49) bestätigte diese Ansicht - mit der Einschränkung, dieses Gesetz "bricht das internationale Recht auf eine sehr spezifische und begrenzte Weise". Brüssel forderte London daher auf, bis Ende September einzulenken. Kritiker befürchten, dass das geplante Gesetz der Todesstoß für den Handelsvertrag sein könnte, der die künftigen Wirtschaftsbeziehungen neu regeln soll. Nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase droht ohne Vertrag ein harter Bruch mit Zöllen und hohen Handelshürden.
Ex-Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox (60) warf Johnson vor, das Ansehen Großbritanniens zu beschädigen. Die geplante Einführung des Binnenmarktgesetzes sei unzumutbar, sagte der Tory-Abgeordnete der "Times". Es gebe "keinen Zweifel" daran, dass die "unangenehmen" Folgen des Brexit-Abkommens schon bekannt gewesen seien, als Johnson es unterzeichnet habe.