Henrik Müller

Wohnungsmarkt Stress and the City

Henrik Müller
Eine Kolumne von Henrik Müller
Deutschland erlebt einen Immobilien-Crash, die Baubranche befinde sich in "Schockstarre", warnen Forscher. Und es ist noch reichlich Luft nach unten. Wie geht es weiter? Hier ist ein Zukunftsszenario.
Wohnungen in Berlin: Die Lage am Immobilienmarkt dreht sich, der jahrelange Boom ist vorbei

Wohnungen in Berlin: Die Lage am Immobilienmarkt dreht sich, der jahrelange Boom ist vorbei

Foto: Fabian Sommer / dpa

"Das wievielte Mal hat Herr Müller gerade das Platzen der Immobilienblase vorausgesagt? Zählt jemand mit?" Das stand in einem von 380 Kommentaren auf einen Text über "die große Zinswette", der im Frühjahr 2021 erschien.

Die These des Beitrags lautete, kurz gesagt, dass die Zeit der niedrigen Zinsen zu Ende gehen würde und dass dann die Preise für Wohneigentum einbrechen müssten, weil die Finanzierungskosten steigen. Das war keine Schwarzseherei, sondern eine absehbare Entwicklung. Denn dass die Inflation anzog, zeichnete sich damals bereits ab – jedenfalls für all jene, die es sehen wollten. Steigende Verbraucherpreise wiederum würden steigende Zinsen mit sich bringen. Eigentlich eine unspektakuläre Schlussfolgerung.

Doch unser kognitiver Apparat verleitet uns immer wieder dazu, die unmittelbare Vergangenheit in die Zukunft fortzuschreiben – zumal, wenn wir ein unmittelbares materielles Interesse daran haben. Entsprechend erhielt ich eine Menge Resonanz, darunter die E-Mail eines Immobilienmaklers, der mich der Ahnungslosigkeit bezichtigte und behauptete, ich wolle die Leute doch nur vom Eigentumserwerb abhalten (warum auch immer ich das tun sollte). Und überhaupt sei es völlig bescheuert, von einer "Blase" zu sprechen. Auch hohe Preise seien durch die reale Entwicklung gerechtfertigt. Wichtiges Argument, auf das wir weiter unten zurückkommen.

Das langsame Entweichen heißer Luft

Warnungen, Immobilien seien stark überbewertet, gab es in den 2010er-Jahren immer wieder, etwa von der Bundesbank. Genützt hat es wenig.

Nun ist die Immobilienpreisblase dabei zu platzen. Oder vielmehr: Wir erleben das langsame Entweichen heißer Luft. Voriges Jahr begann dieser Prozess, und er ist längst nicht zu Ende. Anders als an den Börsen, wo Kursblasen mit lautem Rumms explodieren und die Bewertungen binnen Wochen in den Keller rauschen können, geht es bei Wohnungen und Häusern langsam abwärts, weil Verkäufer typischerweise lange an überkommenen Preisvorstellungen festhalten, auch wenn sie keine Käufer finden.

Es ist noch reichlich Luft in der Blase. 2010 kosten Immobilien im deutschen Schnitt das 20-Fache der fürs jeweilige Objekt erzielbaren Jahresmiete. Die letzten verfügbaren Zahlen zeigen, dass immer noch rund das 30-Fache aufgerufen wird. In Großstädten sind die Bewertungen noch höher . Dass die Preise – in Relation zu Mieten und real verfügbaren Einkommen – weiter nachgeben, erscheint unausweichlich. Alles andere jedenfalls wäre sehr erstaunlich.

Denn die Preisanstiege des vorigen Jahrzehnts waren in diesen Größenordnungen nur wegen der extrem niedrigen Zinsen möglich. Wer hingegen behauptet, all diese Wertzuwächse seien durch Fundamentaldaten gedeckt – etwa durch die wachsende Einwohnerzahl, auf die Immobilienenthusiasten gern verweisen –, der übersieht, dass steigende Bewertungen auch in dünnbesiedelten Gegenden weit ab der Metropolen feststellbar waren, in Regionen also, von denen viele vor einer beispiellosen demografischen Schrumpfung stehen.

Auf die Euphorie folgt nun die "Schockstarre"

Hinter uns liegen außergewöhnliche Zeiten. Seit der Finanzkrise waren die Leitzinsen stets niedriger als die Inflationsraten. Diese lange Phase negativer Realzinsen war ein massiver Booster für die Preisentwicklung von überwiegend kreditfinanzierten Assets wie Immobilien. Entsprechend haben sich die Wohnimmobilienpreise in Deutschland in etwa verdoppelt, in den sieben größten Städten stiegen sie sogar um den Faktor 2,5, deutlich schneller als Einkommen und Mieten.

Nun haben sich die Vorzeichen umgekehrt: Die Inflation und die Straffung der Geldversorgung durch die Europäische Zentralbank (EZB) seit vorigem Sommer sorgen für eine Schubumkehr.

Entsprechend ist der Preistrend für Wohnungen und Häuser gekippt, wie Statistiken zeigen, die die Bundesbank veröffentlicht . Der Vermietungskonzern Vonovia musste im ersten Quartal dieses Jahres bereits mehr als drei Milliarden Euro auf sein Immobilienvermögen abschreiben, weil die tatsächlich erzielbaren unter den bilanzierten Werten lagen.

Die Vergabe von Immobilienkrediten geht weiter zurück, vermelden die Banken . Gründe: gestiegene Zinsen, schlechtere Aussichten für die Immobilienmärkte, weniger freigiebige Kreditvergabestandards der Banken, sehr hohe Baupreise, auch wegen gestiegener regulatorischer Anforderungen, und überhaupt grassierender Pessimismus hinsichtlich der weiteren Wirtschaftsentwicklung in Deutschland – kein Wunder, nach drei Jahren sinkender Realeinkommen und einem Krieg an der Nato-Ostgrenze.

Der Neubau stockt. Die Zahl der Bauanträge ist bereits seit vorigem Jahr stark rückläufig. Der Wohnungsbau befinde sich "in Schockstarre", befanden kürzlich die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten .

Euphorie schlägt um in Depression. Es ist wie so häufig auf den Märkten für Vermögensgüter.

Abermals sinkende Zinsen? Vergessen Sie’s!

Dass die Party zu Ende ist, mag schwer zu akzeptieren sein für jene, die vom zurückliegenden Boom profitiert haben, ob Makler, Maler oder Anleger. Und es ist schmerzlich für diejenigen, die teure Immobilien gekauft haben und sich nun fragen, ob sie sich die eigenen Wände noch leisten können, wenn die Zinsbindung ausläuft und die Anschlussfinanzierung zu höheren Kosten ansteht.

Zu hoffen, die Zinsen könnten in absehbarer Zeit wieder sinken, dürfte sich jedenfalls als Illusion erweisen. Falls die Notenbanken es ernst meinen mit ihrem Kampf gegen die Inflation, dann werden die Zinsen noch deutlich höher steigen müssen.

In der abgelaufenen Woche haben die EZB und die US-Federal Reserve die Sätze abermals um einen Viertelprozentpunkt erhöht. Die Inflationsdynamik ist längst nicht gebrochen, auch wenn Energie, gemessen an den Höchstständen vom vorigen Jahr, wieder billiger geworden ist. Die "Kerninflation" (ohne Energie und Nahrungsmittel) liegt nach wie vor bei 5,5 Prozent. Und die Erfahrung der 70er- und 80er-Jahre zeigt, dass die Zinsen über Jahre oberhalb der Inflationsrate liegen müssen, um eine einmal aus dem Ruder gelaufene allgemeine Preissteigerung wieder in den Griff zu bekommen. Für die Eurozone bedeutet das nach derzeitiger Datenlage: nochmal zwei Prozentpunkte höhere Zinsen. Ein weiterer mächtiger Dämpfer für die Immobilienmärkte. Wie geht es weiter?

Das große Schrumpfen

Hier ist ein Szenario: Es mag einige Zeit dauern, aber irgendwann wird die Wirtschaft den aktuellen Zinsschock verdaut haben. Die Banken werden ihre Bilanzen neu sortiert haben und wieder verstärkt Hypothekenkredite vergeben. Die Schockstarre am Bau wird sich lösen – aber längst nicht überall.

Sofern es zu einer Normalisierung der Geldpolitik kommt, wird vor allem die regionale Bevölkerungsentwicklung die Entwicklung der Immobilienmärkte bestimmen. Und in dieser Hinsicht sind die Aussichten für die meisten Teile Deutschlands düster.

Eine Langfristprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigt , dass in mehr als 70 Prozent der deutschen Regionen die Zahl der privaten Haushalte bis 2040 zurückgehen wird. Betroffen sind vor allem große Teile Ostdeutschlands. In Gegenden, die bislang schon mit Bevölkerungsschwund zu kämpfen hatten, blieb die Zahl der Haushalte zunächst relativ stabil, weil immer mehr Bürger allein oder zu zweit lebten. Jetzt kommt die nächste Stufe dieser Entwicklung: Viele jüngere Leute sind längst in Richtung der größeren Städte gezogen und haben dort Familien gegründet. Zurück blieben Ältere, die in den kommenden Jahrzehnten ihre Wohnungen aufgeben werden. Wer künftig dort einziehen soll, ist unklar.

Verlassenes Dorf in Brandenburg: In der ostdeutschen Provinz schrumpft die Zahl der Haushalte

Verlassenes Dorf in Brandenburg: In der ostdeutschen Provinz schrumpft die Zahl der Haushalte

Foto: Patrick Pleul/ dpa

Die BBSR-Forscher rechnen für Ostdeutschland (ohne Berlin) mit einem Rückgang bei der Zahl der Haushalte um fast ein Zehntel. Auch Westdeutschland wird von dieser Entwicklung erfasst. Von Schrumpfung werden insbesondere Südniedersachsen, Nordhessen, das Saarland, Hinterpfalz und Oberpfalz sowie Teile Nordrhein-Westfalens betroffen sein. Auch in Gegenden mit schwacher Bevölkerungsprognose sind in den vergangenen Jahren die Wohnraumpreise gestiegen – ein Boom paradox. Das wird mutmaßlich vorbei sein.

Allerdings: Es gibt auch Gebiete, wo der Wohnraumbedarf weiter steigt. In Baden-Württemberg, Teilen Bayerns, dem Rhein-Main-Gebiet, Berlin, Köln, Hamburg oder Leipzig wird die Zahl der Haushalte weiter zulegen. Aber die stehen nicht mehr für den Bundestrend. Lediglich in einem Viertel der deutschen Regionen, so die BBSR-Forscher, dürfte der Wohnungsbedarf in den kommenden 20 Jahren noch steigen.

Keine inspirierende "Feierabendökonomie" ohne florierende "Tagesökonomie"

Dazu kommt ein weiterer Faktor: Es sind nicht mehr unbedingt die Metropolen selbst, die profitieren. Angestoßen durch die pandemiebedingten Lockdowns und die rasche Verbreitung von digitaler Heimarbeit verändern sich Siedlungs- und Arbeitsmuster ziemlich radikal. Die Leute ziehen raus aus den Städten, nicht mehr unbedingt in die traditionellen Vororte, sondern noch ein überschaubares Stück weiter weg. Auf ein paar Kilometer mehr oder weniger kommt es schließlich nicht an, wenn man nur noch gelegentlich in die Stadt muss.

Eine Studie der OECD  hat die Veränderung der Siedlungsmuster in 13 Mitgliedstaaten untersucht. Die Forscher stellten fest, dass Wohnimmobilien im Umland der Großstädte in Relation zu den Zentren deutlich im Preis zugelegt haben – ein Muster, das sich praktisch überall zeigt, von New York über London und Dublin bis Berlin und Wien.

Großstädte, die Gewinner des zurückliegenden Booms, können leicht in eine Abwärtsspirale geraten, warnen die Regionalforscher Gilles Duranton und Jessie Handbury von der Wharton School der University of Pennsylvania in einem soeben erschienen Arbeitspapier . Wenn die hochproduktiven Bürojobs weitgehend aus den Zentren verschwinden, weil die Leute im Homeoffice schaffen, dann schrumpfe auch das Angebot an Unterhaltung, Kultur und Zerstreuung. Umso unattraktiver würden die Städte auch als Wohnorte. Der Niedergang nimmt seinen Lauf – Stress and the City. Nur wenn es gelinge, die "Tagesökonomie wiederzubeleben" – also die Leute zurück ins Office zu locken –, lasse sich eine "lebendige Feierabendökonomie aufrechterhalten".

Wir steuern auf eine Entwicklung zu, in der die Kerne der Großstädte schrumpfen. Profitieren werden Stadtränder und das erweiterte Umland. Abgelegene ländliche Gegenden werden abgehängt. Diese Effekte dürften sich in stark auseinanderdriftenden Immobilienpreisen niederschlagen – ob uns das gefällt oder nicht.

Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche

Montag

Berlin – Zwischenzeugnis – Die OECD stellt ihren Deutschlandbericht vor sowie einen Umweltprüfbericht.
Berichtssaison I – Geschäftszahlen von Deutsche Wohnen, Biontech, Jungheinrich, Banca Monte dei Paschi di Siena, PayPal.

Dienstag

Berichtssaison II – Geschäftszahlen von Bad Fresenius, FMC, K+S, Evonik, Coty, Schaeffler, Hochtief, Carl Zeiss Meditec, Dürr, Hensoldt.

Peking – Trading all over the world – Neue Zahlen vom chinesischen Außenhandel.

Frankfurt – Stresstest D. – Jahrespresskonferenz der Finanzaufsicht Bafin. Achten Sie auf Hinweise zur Stabilität deutscher Banken und zum möglichen Überspringen der US-Bankenkrise auf Europa.

Mittwoch

Hannover – Es gipfelt wieder – Bund-Länder-Gipfel zu Flüchtlingskosten.

Wiesbaden – Inflation en détail – Detailzahlen zur Preisentwicklung im ersten Quartal in Deutschland.

Berichtssaison III – Geschäftszahlen von Munich Re, Eon, Siemens Healthineers, Heidelberg Materials, Evotec, Lanxess, Tui, 1&1, United Internet, Continental, Vestas, Crédit Agricole, ABN Amro, Walt Disney.

Donnerstag

Peking – Überraschend stabil – Chinas Statistikamt legt neue Zahlen zur Entwicklung der Verbraucherpreise vor. Bislang sind die Raten erstaunlich niedrig.

Berichtssaison IV – Geschäftszahlen von Deutsche Telekom, Bayer, Merck, Hannover Rück, RWE, Aurubis, Leoni, Nordex, Hapag-Lloyd, Thyssenkrupp, Knorr Bremse, Sixt, Jenoptik, Bechtle, ING, Telefonica, Mediobanca, Pirelli, Swiss Life, Rolls-Royce

Berlin – Baukrise, bei städtischen Engpässen – Kongress "80 Sekunden – Neues Bauen" der Bau- und Wohnungswirtschaft, mit Bundesbauministerin Geywitz (SPD), Justizminister Buschmann (FDP), Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und anderen.

Freitag

Berichtssaison V – Geschäftszahlen von Allianz, BVB, Soc Gen, Richemont.

Sonntag

Ankara – Schicksalswahl – Präsidenten- und Parlamentswahlen in der Türkei. Es würde dem Land helfen, wenn es die Chance auf einen Neuanfang bekäme. Denn wie Präsident Erdoğan das eigentlich mögliche türkische Wirtschaftswunder vergeigt, tragisch.

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