"Mehr Biss für die Bafin"
SPD-Ministerien legen Wirecard-Aktionsplan vor
Mehr Rechte für die Finanzaufsicht, strengere Regeln für Wirtschaftsprüfer und eine stärkere Einbindung von Whistleblowern - so wollen Finanzminister Scholz und Jusitzministerin Lambrecht einen zweiten Fall Wirecard verhindern. 100 Prozent Schutz werde es aber nie geben.
Finanzminister Olaf Scholz und Justizministerin Christine Lambrecht im Bundestag
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Als Konsequenz aus dem mutmaßlichen Milliardenbetrug beim Dax-Konzern Wirecard sollen Kapital- und Finanzmärkte in Deutschland stärker kontrolliert werden. Ein unter den beteiligten Ministerien abgestimmter Aktionsplan sieht unter anderem mehr Befugnisse für die Finanzaufsicht (Bafin) vor, damit Bilanzbetrug effektiver bekämpft werden kann. Zudem sollen Wirtschaftsprüfer auch in Kapitalmarktunternehmen künftig alle zehn Jahre wechseln.
Kritiker werfen der Bafin als auch insbesondere den Wirtschaftsprüfern von EY vor, im Fall Wirecard versagt zu haben. EY hatte viele Jahre die Bilanzen des Zahlungsdienstleister geprüft und erst für den Abschluss 2019 die Unterschrift verweigert. Dabei sollen die Prüfer schon 2016 intern auf Betrug hingewiesen worden sein.
Dem Plan zufolge soll der Staat komplexe internationale Firmenkonstrukte künftig wirksamer im Auge behalten, Finanzminister Olaf Scholz (62, SPD) und Justizministerin Christine Lambrecht (55, SPD) stellten den Aktionsplan am Mittwoch vor, einen Tag bevor im Bundestag ein Untersuchungsausschuss zum Fall Wirecard startet. "Wir wollen mehr Biss für die Bafin", sagte Scholz.
Es handele sich um erste Schlussfolgerungen, weil die Analyse des Falles noch nicht vollständig abgeschlossen sei. "Einen hundertprozentigen Schutz gegen kriminelles Verhalten wird es niemals geben, auch nicht auf dem Finanzmarkt." Der Staat könne aber mit einem strikten Kontroll- und Aufsichtssystem vorbeugen, heißt es in ihrem sechsseitigen Papier.
Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister hatte im Sommer Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchener Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. Scholz hatte Ende Juli bereits einen Aktionsplan vorgelegt, der in der Bundesregierung allerdings noch nicht abgestimmt war. Der Fall Wirecard habe deutlich gezeigt, "dass unser System der Finanzkontrolle bei hoher krimineller Energie an seine Grenzen stößt", erklärte Justizministerin Lambrecht. Es gehe darum, verloren gegangenes Vertrauen in den Finanzstandort Deutschland zurückzugewinnen.
"Wirecard ist das Ergebnis kriminellen Handelns", betonte Scholz. Das dürfe aber nicht davon abhalten, Vorkehrungen zu schaffen, damit so ein Fall nicht erneut geschehen könne. Mehrere Maßnahmen sollen in den kommenden Wochen als Gesetze dem Kabinett und dem Bundestag vorgelegt werden:
Bafin-Ermittlungen: Die Finanzaufsicht kommt bei der Überprüfung von börsennotierten Unternehmen bisher erst spät ins Spiel. Bisher kann sie nur bei Finanzinstituten - wie bei der Tochter Wirecard Bank AG - direkt selbst Sonderprüfungen vornehmen. Zunächst sind private Wirtschaftsprüfer für die Buchprüfung zuständig, dann die privatrechtliche Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Das soll sich nun ändern. Bei Verdachtsfällen soll die Bafin künftig allein für Prüfungen zuständig sein. Es soll geprüft werden, wie Hinweise von Whistleblowern künftig stärker genutzt und Anreize für Hinweisgeber verbessert werden können. Außerdem soll der Straftatbestand der Geldwäsche noch in diesem Jahr reformiert werden.
Wirtschaftsprüfer: Abschlussprüfer sollen künftig auch bei Kapitalmarktunternehmen alle zehn Jahre wechseln. "Das soll verhindern, dass Abschlussprüfer betriebsblind werden, weil sie sich zu lange mit demselben Unternehmen beschäftigt haben", sagte Lambrecht. Die Prüfer sollen stärker in Haftung genommen werden. Außerdem sollen Wirtschaftsprüfer ein Unternehmen nicht mehr zugleich prüfen und beraten dürfen. Und es wird erwogen, ob die Abschlussprüfer-Aufsichtsstelle (Apas) mehr Befugnisse bekomme. Außerdem soll sie enger mit der Bafin zusammenarbeiten.
Härtere Strafen: Der "falsche Bilanzeid", also wenn fälschlicherweise behauptet wird, ein Abschluss vermittele ein zutreffendes Bild der Lage eines Unternehmens, soll zu einem eigenen Straftatbestand werden - mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Finanzgeschäfte von Bafin-Mitarbeitern: Private Finanzgeschäfte der Bafin-Mitarbeiter sollen stark eingeschränkt werden, um jeden Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden.
Die Opposition, aber auch der Koalitionspartner Union, zeigte sich enttäuscht über die Vorschläge. Der Aktionsplan biete "wenig mehr als die Ankündigung, dies oder jenes zu prüfen" sagte Danyal Bayaz (36), der für die Grünen im Wirecard- Untersuchungsausschuss sitzen wird. "Olaf Scholz versucht sich in der Inszenierung als großer Aufklärer, indem er Geschäftigkeit genau einen Tag vor Beginn des Untersuchungsausschusses vortäuscht." FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar (40) warf Scholz vor, von seinem eigenen Versagen als oberster Chef der Finanzaufsicht ablenken zu wollen. "Da trieft das schlechte Gewissen aus jeder Pore." Auch der Unions-Finanzpolitiker Matthias Hauer zeigte sich enttäuscht.