Der frühere Vorstandsvorsitzende der Arcandor AG, Thomas Middelhoff (l) in Begleitung seines Anwalts Udo Wackernagel bei einem Gerichtstermin am 11. Oktober in Hamm.
Foto: Bernd Thissen/ dpaDie Staatsanwaltschaft Bochum hat gegen die vorzeitige Haftentlassung von Thomas Middelhoff Ende November Beschwerde eingelegt. Das teilte das Landgericht Bielefeld am Freitag mit.
Ob der wegen Untreue zu drei Jahren Haft verurteilte frühere Top-Manager wie am Vortag verkündet nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe auf freien Fuß kommt, entscheidet jetzt das Oberlandesgericht in Hamm. Zuerst hatte die Neue Westfälische über die Beschwerde berichtet. Zuvor kann allerdings auch noch die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm die Beschwerde aus Bochum stoppen.
Das Landgericht Bielefeld hatte die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt und angeordnet, Middelhoff am 26. November aus der Haft zu entlassen. Grund: Eine positive Sozialprognose des Ex-Managers, der seit seinem Haftantritt als Freigänger in einer Behindertenwerkstatt in Bielefeld-Bethel arbeitet.
Positive Sozialprognose und vier Jahre Bewährungszeit
Die Kammer hat dem Verurteilten eine positive Sozialprognose gestellt. In diesem Rahmen hat die Kammer u.a. auch die Art und Weise der Auseinandersetzung des Angeklagten mit seiner Verurteilung berücksichtigt, war jedoch nicht der Meinung, dass dies einer solchen Prognose nachhaltig entgegensteht.
Middelhoff hatte über seinen Prozess und seine Haft jüngst ein Buch veröffentlicht, in dem er scharfe Kritik am Strafvollzug äußerte. Die Bewährungszeit betrage vier Jahre.
Middelhoff war im November 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue zulasten des ehemaligen Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Wegen Fluchtgefahr wurde er noch im Gerichtssaal verhaftet und saß mehr als fünf Monate in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Essen in Untersuchungshaft, bevor er gegen Kaution entlassen wurde.
Derzeit verbüßt er den Rest der Freiheitsstrafe im offenen Vollzug in Bielefeld und widmete sich zuletzt bereits Gedanken zu seiner beruflichen Zukunft.
So síeht in den vergangenen Monaten der Alltag des einst am meisten bewunderten Medien-Managers der Republik aus: Während seiner Haftzeit im offenen Vollzug arbeitet Ex-Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff in einer Behindertenwerkstatt in Bielefeld mit...
... die Nächte verbringt der heute 64-Jährige im Gefängnis in Essen. In dieser Zeit hat er eifrig Tagebuch geführt, das er zu einem Buch...
...verarbeitet hat. Der Titel: "A 115 - Der Sturz". Nach Informationen von "manager-magazin.de" soll es Ende der ersten September-Woche in der Verlagsgruppe LangenMüller erscheinen. Es wäre das erste Mal, dass ein einstiger Top-Manager über seinen Absturz von der Vorstandsetage in die Gefängniszelle berichtet. Allerdings ist Middelhoffs Karriere in Deutschland bislang auch beispiellos...
....Seinen bisher wohl folgenreichsten Einschnitt erlebt er am 14. November 2014: Das Essener Landgericht Thomas Middelhoff zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Middelhoff habe sich...
...in 27 Fällen der Untreue und in drei Fällen der Steuerhinterziehung schuldig gemacht, sagt Richter Jörg Schmitt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten gefordert, weil Middelhoff private Flüge und die Kosten einer Festschrift für einen Mentor über Arcandor abgerechnet hatte. Mit dem Urteil überrascht Richter Schmitt...
...nicht nur den Manager selbst, der am Morgen noch mit demonstrativer Zuversicht in den Gerichtssaal gekommen war. Auch viele Beobachter ...
... hatten vor der Urteilsverkündung allenfalls mit einer Bewährungsstrafe gerechnet.
Middelhoffs Verteidiger, die hier mit dem Angeklagten auf die Verkündung des Urteils warten, hatten zuvor auf Freispruch plädiert. Middelhoff nimmt das Urteil ...
... mit versteinerter Miene zur Kenntnis. Noch in seinem Schlusswort hatte der Manager alle Vorwürfe zurückgewiesen und gesagt, er könne sich kein Fehlverhalten vorwerfen. Middelhoffs Karriereweg beginnt...
... im Jahr 1986 beim Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann, wo er sich auch den Spitznamen "Big T" erwirbt; 1989 steigt der Sohn einer Düsseldorfer Unternehmerfamilie (Middelhoff GmbH, Textil) zum Geschäftsführer der Druckerei Mohndruck auf, 1994 zieht er in den Konzernvorstand ein. Im gleichen Jahr kauft Bertelsmann auf sein Anraten hin für 200 Millionen Dollar Anteile am US-Internetanbieter AOL. 1998 übernimmt der Manager schließlich...
... als Nachfolger von Bertelsmann-Urgestein Mark Wössner (links) den Vorstandsvorsitz. Kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase verkauft er im Jahr 2000 Bertelsmanns AOL-Anteile wieder - für rund 8 Milliarden Euro. Middelhoff, der auch Bertelsmanns heute größten Umsatzbringer, die RTL Group, geschmiedet hat, legt damit den Grundstein für seinen Ruf als Macher. Finanziell lohnt sich der Deal auch persönlich für den Düsseldorfer, ...
... Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn (rechts, hier ein Foto von Middelhoffs Amtsantritt in Gütersloh) zahlt seinem Vorstandsvorsitzenden einen 50-Millionen-Euro-Bonus.
Nach und nach verspielt Middelhoff allerdings Mohns Gunst: Seine Pläne für einen Börsengang des Konzerns gehen dem bodenständigen Ostwestfalen zu weit - 2002 muss Middelhoff gehen. Nur drei Jahre später steht der Manager aber...
... erneut an der Spitze eines großen deutschen Konzerns: KarstadtQuelle hatte ihn 2004 bereits an die Spitze seines Aufsichtsrats gesetzt. 2005, mit 52 Jahren, übernimmt Middelhoff dann die Geschäftsführung. Es folgen turbulente Jahre. Middelhoff...
... startet ein Sanierungsprogramm und benennt den Handelskonzern in Arcandor um, im April 2007 notiert die Aktie auf ihrem Höchststand: 30 Euro. Trotz Middelhoffs Bemühungen schlittert das Unternehmen tiefer und tiefer in die Krise - im März 2009 ist für ihn dann bei Arcandor Schluss. Für Middelhoff persönlich beginnen damit aber die Leidenszeiten erst...
...durch verschiedene zivil- und strafrechtliche Verfahren mit und gegen den einstigen Chef. Die Staatsanwaltschaft Essen erhebt 2009 Anklage wegen Untreue. Einer der Vorwürfe: Middelhoff soll den klammen Konzern mit zu Unrecht auf Firmenkosten abgebuchten Charterflügen etwa eine Million Euro gekostet haben. Der Prozess endet im November 2014 mit dem Urteil: 3 Jahre Haft. Aber auch danach ist er häufig in Gerichtssälen: Gegen seinen ehemaligen Vertrauten...
...Josef Esch (links) und weitere ehemalige Verantwortliche des Bankhauses Sal. Oppenheim beginnt in Köln ein Strafprozess, ihnen wird im Zuge der Arcandor-Insolvenz Anstiftung und Beihilfe zur Untreue vorgeworfen. Middelhoff tritt hier als Zeuge auf. Während des Prozesses hatte er für einen Eklat gesorgt, als er nach Monaten der Planung spontan die Aussage verweigerte.
Neben dem Esch-Prozess tritt der Manager auch in einem weiteren Verfahren rund um dessen Verflechtungen mit Karstadt auf. Ebenfalls in Köln...
...streitet die Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz um einen Milliarden-Schadensersatz. Angeklagt ist erneut die Sal.Oppenheim-Führungsriege und Josef Esch.
Immer wieder fällt Middelhoff vor Gericht durch aufsehenerregendes Verhalten auf. Mal...
... gibt er sich als moralisch einwandfreier Katholik, mal versucht er, seine Fluggewohnheiten mit dem Hinweis zu relativieren, Dax-Vorstände flögen noch viel häufiger als er. Am stärksten wird aber wohl folgende Anekdote im Gedächtnis bleiben: Auf der Flucht vor Journalisten sprang Middelhoff aus einem Fenster: "Ich bin wie die Katze übers Dach", erzählte er der dpa. "Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße. Dann bin ich durch den Hinterhof zu einer Nebenstraße gegangen, habe mir ein Taxi gewunken und bin zu Gesprächen und Verhandlungen geflogen."
In seinem Buch wird sich Middelhoff nun ausführlich zu seinem Leben in den vergangenen Jahren äußern und dabei...
... auch kräftig an der Rolle der Medien Kritik üben.