Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforscher Zweiter Lockdown versetzt deutscher Wirtschaft neuen Schlag

Deutschlands Ökonomen sehen angesichts der neuen Corona-Beschränkungen eine schwächere Konjunkturentwicklung. Damit könnte sich auch die Erholung des Arbeitsmarkts verzögern.
Containerschiff im Hamburger Hafen: Ökonomen dämpfen die Erwartung an eine rasche wirtschaftliche Erholung

Containerschiff im Hamburger Hafen: Ökonomen dämpfen die Erwartung an eine rasche wirtschaftliche Erholung

Foto: Christian Charisius / DPA

Die verschärften Corona-Einschränkungen sind ein Dämpfer für die wirtschaftliche Erholung in Deutschland. Darin sind sich mehrere Forschungsinstitute in ihren am Mittwoch veröffentlichten Konjunkturprognosen zwar einig. Unterschiedliche Ansichten gibt es aber zu der Frage, ob es nun im kommenden Jahr schneller oder langsamer aufwärts gehen könnte als bisher gedacht.

Das Münchner ifo-Institut äußerte sich vergleichsweise pessimistisch und senkte seine Prognose für 2021 von den bisher erwarteten 5,1 auf 4,2 Prozent Wachstum: "Wegen des neuerlichen Shutdowns bei uns und in anderen Ländern verschiebt sich die Erholung nach hinten", sagte Timo Wollmershäuser, der Leiter der ifo-Konjunkturforschung.

In diesem Jahr wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt nach allgemeiner Erwartung um mehr als fünf Prozent schrumpfen, ebenso stark oder etwas stärker als auf dem Höhepunkt der internationalen Finanzkrise 2009.

Was das nächste Jahr betrifft, so blickt das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen (RWI) etwas zuversichtlicher in die Zukunft als die Münchener Kollegen: Für 2021 prognostiziert das RWI statt 4,5 nunmehr 4,9 Prozent Wirtschaftswachstum.

Die Ökonomen des Leibniz-Instituts in Halle (IWH) gehen für 2021 von 4,4 Prozent Wachstum aus und rechnen damit, dass "die Erholung ab dem Frühjahr langsam wieder in Gang kommt". In Ostdeutschland fällt demnach sowohl der Rückgang als auch der Wiederanstieg der Wirtschaftsleistung deutlich geringer aus.

Das ifo-Institut bezifferte die wirtschaftlichen Folgekosten der seit November geltenden verschärften Einschränkungen für die deutsche Wirtschaft auf knapp 40 Milliarden Euro verlorene Wertschöpfung. Doch ohne Verschärfung in diesem Winter wären nach Einschätzung der Münchner Ökonomen die Folgekosten in der Zukunft noch höher.

Auch IfW senkt Prongose

Angesichts der wieder verschärften Corona-Pandemie hat auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) seine Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr gesenkt. "Die zweite Welle der Corona-Pandemie versetzt der deutschen Wirtschaft einen spürbaren Schlag, wirft sie aber nicht um", heißt es in einer am Donnerstag in Kiel veröffentlichten Konjunkturprognose. Die Erholung werde um ein halbes Jahr unterbrochen, komme dann aber kräftig zurück.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird laut IfW im Jahr 2021 nur noch um 3,1 Prozent wachsen. Bisher war man von 4,8 Prozent ausgegangen. Für das laufende Jahr erwarte man einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 5,2 Prozent. Bisher hatte man ein Minus von 5,5 Prozent prognostiziert.

Die seit November neu verhängten Beschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie seien zwar "gesamtwirtschaftlich ein Rückschlag für den Erholungsprozess, aber kein Rückfall in eine Krise wie im vergangenen Frühjahr", sagte Stefan Kooths, Konjunkturchef des IfW Kiel. Belastet würden erneut konsumnahe Branchen. "Aber die Industrie kommt - vor allem dank eines insgesamt robusten Auslandsgeschäfts - nicht wieder unter die Räder", erwartet Kooths. Die Industrie profitiere von der Erholung der Weltwirtschaft und vor allem vom Wachstum in China.

Zweiter Lockdown wird verstärkt den Einzelhandel treffen

Einig sind sich die Institute auch darin, dass die derzeitige Schließung großer Teile des Einzelhandels weniger gravierende Folgen haben wird als der erste Shutdown im vergangenen Frühjahr. Ein Hauptgrund: Im Unterschied zur ersten Corona-Welle läuft die Industrieproduktion weiter. "In Deutschland wird der jüngst beschlossene Shutdown die Produktion schrumpfen lassen, wenn auch in deutlich geringerem Maß als im Frühjahr", sagte IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller.

Ebenfalls Konsens unter den Wissenschaftlern ist, dass die gestiegene Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr trotz der erwarteten wirtschaftlichen Erholung nicht wesentlich zurückgehen wird. Ifo und RWI rechnen mit einer Arbeitslosenquote von 5,9 Prozent, das IfW rechnet mit 6,1 Prozent, das IWH mit 5,8 Prozent. Die Quote lag im Jahr 2020 bei 5,9 Prozent. Bis Oktober seien durch die Krise geschätzt 860.000 Stellen verloren gegangen.

Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden sieht bisher keine Anzeichen für ein abruptes Ende der wirtschaftlichen Erholung. "Zumindest im Oktober und teilweise auch schon im November war gesamtwirtschaftlich weiterhin eine stabile Aufwärtsentwicklung zu beobachten", fassten die Wiesbadener Statistiker die jüngsten Konjunkturdaten zusammen. Dass dies nun abrupt zum Erliegen komme, habe die Behörde "noch nicht wahrgenommen", sagte Peter Schmidt, Leiter der Abteilung Unternehmen, Verdienste, Verkehr.

Dass es im kommenden Jahr wieder aufwärts gehen dürfte, zeigt auch der von vielen großen Unternehmen genau beobachtete internationale Einkaufsmanagerindex des Forschungsunternehmens IHS Markit. Dieser ist im Vergleich zum Vormonat um 4,5 Punkte auf 49,8 Zähler gestiegen, wie Markit in London mitteilte. Nicht nur die Gesamtstimmung besserte sich zum Jahresende. Sowohl in der Industrie als auch unter Dienstleistern war die Konjunkturlaune besser.

cs/dpa/dpa-afxp
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