Auf einen Blick So wichtig sind die Kohlekraftwerke für Deutschland

Braun- und Steinkohle als Energieträger: Insgesamt gibt es in Deutschland noch rund 130 Kohlekraftwerke
Foto: Andreas Rentz / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Ursprünglich hatte die Bundesregierung einen klaren Plan: Den Kohleausstieg bis spätestens 2038. So stand es im Koalitionsvertrag – bevor Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Im Fall eines Lieferstopps von russischem Erdgas droht Deutschland Experten zufolge eine schwere Wirtschaftskrise. Deshalb hat die Ampel einen neuen Plan: Kohle statt Gas. "Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken", sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (52).
Seit 14. Juli erlaubt eine Verordnung, dass Steinkohlekraftwerke aus der sogenannten Netzreserve wieder in Betrieb gehen können, um Erdgas einzusparen. Nun kommt auch die noch klimaschädlichere Braunkohle wieder hinzu: Neben der bereits gültigen Verordnung für Steinkohlekraftwerke bereitet das Ministerium für Anfang Oktober auch eine Verordnung für das Wiederanfahren von bereits stillgelegten Braunkohlekraftwerken vor. Hinzu kommt eine Gaseinsparverordnung, die die unnötige Verstromung von Erdgas verhindern soll. Im Juni lag der Erdgasanteil an der Stromerzeugung in Deutschland laut Bundesnetzagentur bei 11,2 Prozent.
Aber welche Bedeutung hat die Kohle überhaupt für Deutschland? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick – samt Grafik mit den Standorten aller Kraftwerke.
Wo stehen die meisten Kohlekraftwerke und wer betreibt sie?
Insgesamt gibt es in Deutschland rund 130 Kohlekraftwerke. Nordrhein-Westfalen ist mit Abstand das Bundesland mit den meisten Kraftwerken: Fast die Hälfte aller Werke befinden sich hier. Thüringen und Rheinland-Pfalz sind hingegen die einzigen Bundesländer, die kein Kohlekraftwerk in Betrieb haben.
Die häufigsten Betreiber in Deutschland sind Uniper, Steag, EnbW sowie RWE. RWE-Werke gibt es nur in Nordrhein-Westfalen, während die anderen großen Betreiber deutschlandweit Kraftwerke betreiben. Die meiste Energie aus Kohle produziert RWE. Das Kraftwerk in Grevenbroich hat eine Leistung von 4211 Megawatt und in Niederaußem 3406 Megawatt. Zum Vergleich: Das größte EnbW-Werk hat eine Leistung von 1750 Megawatt. Bei Uniper und Steag sieht es ähnlich aus.
Was ist an Kohle so problematisch?
Hierzulande ist ein Kohlekraftwerk das "Rückgrat" der Energieversorgung. Denn Kohlekraft ist eine der billigsten Stromarten und leicht verfügbar. Das Problem: Vor allem Braunkohle stößt bei der Stromerzeugung deutlich mehr CO₂ aus als Erdgas. Deshalb sind viele Kohlekraftwerke zur Abschaltung vorgesehen. Zu diesen Abschalt-Kandidaten gehört unter anderem nach mehr als drei Jahrzehnten Betrieb der Block F im Kohlekraftwerk Jänschwälde, südlich von Brandenburg. Die Anlage wurde vier Jahre lang in der sogenannten Sicherheitsbereitschaft nur noch für den Notfall in Betrieb gehalten. Nun könnte sie aber von der Regierung wieder aus der Reserve geholt werden. Und viele weitere.
Wie viele Kraftwerke werden wieder eingeschaltet?
Im Bereich der Steinkohle gibt es bereits eine lange Liste an Kraftwerken, die in den Markt zurückkehren. Dazu gehören zehn Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von 4,3 Gigawatt. Das erste Steinkohlekraftwerk aus der Reserve steht bereits vor dem Neustart. Es handelt sich um das Kraftwerk Mehrum im niedersächsischen Hohenhameln (Landkreis Peine) zwischen Hannover und Braunschweig, das dem tschechischen Energiekonzern EPH gehört. Das Kraftwerk hat eine Nettoleistung von 690 Megawatt. Außerdem sollen elf Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von 2,6 Gigawatt erst später stillgelegt werden als vorgesehen. Die Liste kann aber noch erweitert werden, falls es im Herbst richtig eng werden sollte mit der Stromversorgung.
Ist es überhaupt möglich, binnen weniger Tage den Betrieb wieder hochzufahren?
Die Reservekraftwerke werden seit Jahren von den Stromkunden mitfinanziert. Seit 2016 flossen nach Angaben des Fernsehsenders ntv mehr als 1,6 Milliarden Euro für die Betriebsfähigkeit der ursprünglich acht Anlagen an die Energiekonzerne RWE, Mibrag und Leag. Dafür versprachen die Betreiber, die abgeschalteten Blöcke im Ernstfall innerhalb von zehn Tagen wieder hochzufahren. Erst nach Ablauf einer Vier-Jahres-Frist sollten sie stillgelegt werden. Die Kraftwerke in Buschhaus (Niedersachsen) und Frimmersdorf (Nordrhein-Westfalen) sind schon außer Betrieb. Es gibt große Zweifel, dass es den Betreibern dort gelingen wird, die Kraftwerke tatsächlich wieder innerhalb von wenigen Tagen zu starten.
Denn die Transportkapazitäten für die Versorgung reaktivierter Kohlekraftwerke über die Schiene reichen womöglich nicht aus. Der globale Kohleverbrauch könnte nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) in diesem Jahr den höchsten Stand seit zehn Jahren erreichen.
Selbst wenn die Versorgung klappt, fehlen die Fachkräfte. Das Personal ist häufig mit dem Übergang in die Sicherheitsbereitschaft gekündigt worden. Nun suchen die Betreiber händeringend nach Mitarbeitern, die dafür sorgen, dass wieder Strom aus Kohle gewonnen werden kann.