
Klamme Kommunen Letzte Rettung Schuldenschnitt?
mm: Herr Geißler, laut einer Untersuchung von Ernst & Young ist der Schuldenberg der Kommunen weiter gewachsen - auf mittlerweile rund 48 Milliarden Euro. Viele deutsche Städte sind de facto längst bankrott. Anders als in den USA, wo Detroit offiziell Insolvenz angemeldet hat, wurschtelt man hierzulande aber weiter. Wäre eine Insolvenz wie in Detroit in Deutschland undenkbar?
Geißler: Eine Insolvenz öffentlicher Haushalte, von Kommunen, Ländern, Bund oder Sozialversicherungsträgern ist rechtlich ausgeschlossen. Dahinter steht der Gedanke der Haftungskette: Für die Gemeinden, Städte, Kreise haftet das Land und im nächsten Schritt der Bund. Bislang ist diese Haftungskette so aber noch nie in Anspruch genommen worden. Dass kleine Gemeinden so hoch verschuldet waren, dass die Länder einen Teil der Schulden übernommen haben, allerdings schon. Aber auch wenn eine Insolvenz wie in Detroit rechtlich nicht möglich ist: Faktisch gibt es durchaus Städte, die sich in ihrem Handelungsspielraum nahe Null bewegen.
mm: Und dennoch schaffen es die größten Schuldenkandidaten noch, sich scheinbar unbegrenzt weiter Geld zu besorgen. Meist über sogenannte Kassenkredite, die eigentlich nichts anderes sind als ein unbesicherter Dispo. Setzen die Kreditgeber hier darauf, dass im Zweifel Länder oder Bund einspringen?
Geißler: Die Banken vertrauen momentan darauf, dass sie das Geld zurückbekommen. Der Gedanke der Haftungskette ist weiter intakt. Aber das ist auch nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit ist, dass es zum immer größeren Teil öffentliche Banken sind, die die hochverschuldeten Städte finanzieren. Über 70 Prozent der Kommunalverschuldung liegen mittlerweile bei den Sparkassen, den Landesbanken und den öffentlichen Förderbanken.
mm: Geben die Privaten kein Geld mehr?
Geißler: Die privaten Banken ziehen sich mehr und mehr aus dem kommunalen Kreditgeschäft zurück. Das liegt zum einen an den Margen. Aber auch daran, dass solche Banken offenbar Zweifel hegen, ob das langfristig eigentlich noch ein tragfähiges Geschäftsmodell ist. Das heißt: die hochverschuldeten Städte bekommen weiter ihren Dispo. Aber der Markt wird enger.
mm: Wie sieht denn so die Kreditstruktur einer Kommune aus. Welcher Anteil ist überhaupt noch mit Werten unterlegt?
Geißler: Klassischerweise besorgen sich Städte, Gemeinden und Kreise Geld über Kredite - sogenannte Kommunalkredite. Aber mittlerweile gibt es Städte, bei denen kurzlaufende Kassenkredite mittlerweile mehr als die Hälfte ausmachen. Bei einigen sind das bis zu 6000 Euro pro Kopf. Das sind Gelder, da steht nichts dahinter. Das wird einfach wegkonsumiert.
Wenn das Kartenhaus zusammenbricht
mm: Die Kommunen klagen ja seit Jahren, dass sie immer mehr Aufgaben vom Bund übernehmen müssen. Können Sie einmal die größten Haushaltsposten aufzählen?
Geißler: Das variiert natürlich. Aber wenn wir mal eine durchschnittlich westdeutsche Großstadt nehmen, dann ist da natürlich ein immer größerer Anteil von Sozialausgaben. In manchen Städten sind das mehr als 60 Prozent. Etwa ein Viertel sind Personalkosten. Und auch die Altersvorsorgelasten steigen, während in der Regel wenig investiert wird.
mm: Und der Schuldendienst?
Geißler: Momentan sind die Zinsen ja sehr gering. Das ist auch ein Grund, warum es in den problematischen Städten überhaupt noch funktioniert: Momentan kriegen Sie eine Kassenkredit für ein Prozent oder vielleicht noch darunter. Wenn in einem Jahr der Zinssatz bei 2 Prozent liegt, verdoppelt sich allerdings die Zinslast. Das sprengt jeden Haushalt. Das ist ein ganz großes Risiko.
mm: Das heißt…
Geißler: Bislang sind immer die öffentlichen Banken eingesprungen. Aber vielleicht machen sie das irgendwann nicht mehr. Aber darüber will auch keiner wirklich öffentlichkeitswirksam nachdenken. Denn dann stellt sich ja die Frage nach Schuldenschnitt oder Insolvenz. Und das ist ein Thema, das die Städte und die kommunalen Verbände nicht diskutieren wollen. Weil man genau weiß: dann bricht uns der Glauben an die Haftungskette zusammen und dann explodieren die Zinssätze, weil dann eben die Risikoaufschläge drauf kommen. Und dann bekommen viele Städte gar kein Geld mehr.
mm: In Detroit war der letzte Schritt die Insolvenz. Dort regiert jetzt der Schulden-Sheriff. Welchen Spielraum aber haben Städte wie Oberhausen überhaupt noch, die seit Jahren im Schuldenstrudel stecken.
Geißler: Bei Städten wie Oberhausen, Dusiburg, Kaiserslautern, die jetzt seit zehn, fünfzehn Jahren gegängelt werden, ist natürlich irgendwann mal die letzte Luft raus. Aber es bewegt sich derzeit einiges. Der Bund hat seine Verantwortung erkannt. Ab nächstem Jahr steht das Thema bei der Föderalismuskommission auf der Tagesordnung. Und der Koalitionsvertrag sieht ab 2018 weitere 5 Milliarden vor. Zudem gibt es in vielen Ländern bereits Entschuldungs- und Konsolidierungsprogramme. Es dauert noch ein bisschen, aber es kommt etwas mehr Geld.
Raum für Überraschungen
mm: Wird das auch für Städte wie Oberhausen reichen?
Geißler: Dort wo sich die Probleme seit zehn, 15 Jahren kumuliert haben, gibt es keinen leichten Ausweg mehr. Da ist der Verschleiß zu hoch.
mm: Das heißt, es braucht womöglich doch einen Schuldenschnitt?
Geißler: Für unmöglich halte ich das nicht. Angesichts von 48 Milliarden Kreditsumme wäre es finanziell machbar, die überproportionalen Lasten bestimmter Städte mit sehr strengen Auflagen zu übernehmen. Das wäre vielleicht der beste Schritt, Strukturförderung zu betreiben, und diesen Städten einfach wieder Luft zum Atmen zu verschaffen.
mm: Quasi ein Kommunen-Bail-Out?
Geißler: Das ist gar nicht so unrealistisch. Die Länder haben so was bereits angefangen - in Hessen, in Rheinland-Pfalz, in NRW. Das muss alles unter strengen Auflagen passieren. Man muss die strukturellen Ursachen der Defizite angehen - nicht nur die Schulden übernehmen und die Ursachen weiterlaufen lassen. Der Bund ist sehr kommunalfreundlich - insbesondere Herr Schäuble. Und die Öffentlichkeit macht unglaublich Druck. Da kann es meiner Ansicht nach durchaus Überrraschungen geben.
Arme und reiche Städte in Deutschland