IT-Gipfel Die falsche Hoffnung auf die Politik

Großaufgebot: Beim diesjährigen IT-Gipfel gab es von allen Seiten überraschend viele Eingeständnisse.
Foto: DPAAls Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Google-Chairman Eric Schmidt vergangene Woche in Berlin für eine Podiumsdiskussion zusammenkamen, fragte einer aus dem Publikum den Google-Manager, ob er Europa, genauer Frankreich oder Deutschland, einen Tipp geben könne, wie auch aus diesen Ländern mal ein Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon entstehen könnte. Schmidt blieb nicht viel Zeit für die Antwort (er musste zu viele Fragen in zu kurzer Zeit beantworten), aber er brachte es ganz gut auf den Punkt: "Sie müssen erkennen, dass Sie ein Problem haben. Das wäre ein erster Schritt."
Er hat Recht. Wir haben ein Problem. "Wir haben die erste Halbzeit in der Digitalisierung verloren", bekannte auch Telekom-Vorstandschef Timotheus Höttges freimütig in Analogie zum Fußball. Big Data, Cloud Computing, Softwareindustrie, Glasfaserausbau et cetera: Alles Segmente, in denen wir weiter sein müssten. Höttges immerhin verteilte Hoffnung: "Wir sind eine Industrienation, jetzt beginnt unsere Halbzeit."
Wir können nun darüber lange streiten, wer die erste Halbzeit vergeigt hat. Da sind wir schnell beim Henne-Ei-Problem. Waren die politischen Rahmenbedingungen lausig? Fehlte das Kapital? Ist uns der Gründergeist verloren gegangen, gab es also zu wenig Mut, Risikobereitschaft und allen voran innovative Ideen? Und: Brauchen wir zu lange, um Fehler zu verzeihen, etwa die Fehler des Neuen Marktes? Wir können uns darüber schwindelig debattieren, wir müssen es sogar. Allerdings müssen wir daraus endlich Schlüsse ziehen und handeln.
Man kann viel über die Bundesregierung schimpfen. Das ist immer einfach, manchmal aber auch einfach nur billig. Die Große Koalition hat immerhin eine Digitale Agenda. Die hat ihre Schwächen und sie ist an mancher Stelle unscharf und zu unverbindlich. Aber sehen wir es als Anfang mit Potenzial. Von der Vorgängerregierung ist leider nur der Austritt der früheren Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) beim Onlinenetzwerk Facebook in Erinnerung geblieben und eine Reise ins Silicon Valley vom damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP).
Von der aktuellen Regierung muss mehr in Erinnerung bleiben. Denn inzwischen geht es um den Kern unserer Wirtschaft, den wichtigen deutschen Mittelstand, um unsere wichtigen Industriekonzerne, die insgesamt Millionen Menschen beschäftigen. Wir haben, wenn die Digitalisierung der Industrie in Deutschland scheitert, wenn die Vernetzung der Maschinen, der Produkte scheitert, so ziemlich alles zu verlieren, was die Stärke des Standorts ausmacht.
Es ist daher ein gutes Zeichen, wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Dienstag in Hamburg schockiert ist, als ihm vor Augen geführt wird, dass der Mittelstand noch nicht soweit ist. Ein Schock kann natürlich zur Erstarrung führen, er kann aber auch ein Antrieb sein. Und bei Gabriel hat man tatsächlich den Eindruck, dass er verstanden hat, dass es eng wird. Dass die Amerikaner und die Asiaten beim Thema Industrie 4.0 nicht zu unterschätzen sind - im Gegenteil.
Während einer Schalte zu einem Mittelständler beim parallel laufenden Maschinenbaugipfel, verlangte der Mittelständler eine klare Rollenverteilung bei der Digitalisierung der Industrie. Die Führungsrolle müsse bei der Industrie liegen, erst dann komme die IT. Der Wirtschaftsminister vermittelte dem Mittelständler unumwunden, es gehe nicht um Führungsrolle, sondern um Kooperation, um Kollaboration. Offensichtlich gibt es im Mittelstand noch viel zu tun - und das ist das eigentlich Erschreckende.
Die Politik muss zunächst die Rahmenbedingungen schärfen. Und angesichts der Dringlichkeit ist sie dazu anscheinend auch bereit. Das hätten wir die Stichworte Datenschutzgrundverordnung oder Anreize für die Startup-Finanzierung. Aber: Die Politik kann nicht alles machen und für alles verantwortlich sein, wenn vorher an anderer Stelle schon reichlich viel falsch gelaufen ist.
Ein Beispiel: Immer wieder hört man von Risikokapitalgebern und Gründern in Deutschland, es gebe zu wenig Kapital, zu viel Bürokratie und zu wenige finanzielle Anreize. Das mag stimmen, aber entschuldigt das die Tatsache, dass gerade viele vermeintliche Startup-Gründer lange Zeit ihre "Ideen" lieber im Silicon Valley gesucht, also häufig einfach dreist kopiert haben?
Es gibt in der Berliner Startup-Szene, auf die auch auf dem IT-Gipfel viel verwiesen wurde, leider zu wenige wirkliche Innovationen. Kürzlich sagte ein Investor in einem privaten Gespräch, dass einer der Top-Risikokapitalgeber aus dem Silicon Valley es bei seinem einen Investment in Berlin belassen würde. Das liege nicht an politischen oder finanziellen Rahmenbedingungen, sondern am Mangel an innovativen und originellen Ideen.
Dafür kann man die Politik schlecht verantwortlich machen. Da hilft nur die Selbsterkenntnis, dass etwas falsch läuft. Und Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Oder wie es Eric Schmidt formuliert hat. "Sie müssen erkennen, dass Sie ein Problem haben."