
Innovationen in der Krise Dein neues Geschäftsmodell steckt längst in dir


Siemens erfindet sich konsequent neu: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (l.) mit Siemens-Gamesa-Geschäftsführer Jochen Eickholt im Werk
Foto: Hauke-Christian Dittrich / dpaZu jeder Krise gehört auch die Chance. Oder genauer: Zu jeder Krise gehört auch das Insistieren auf der Chance. Wenn Wirtschaft strauchelt, kommen Berater und Beraterinnen wie zum Beispiel ich aus ihren Berater- und Beraterinnenkemenaten, um gemeinsam gegen Niedergang, Angst und eine gewisse Trägheit anzusingen: "Gerade jetzt brauchen wir Innovation!" Oder wiederum genauer: Gerade dann, wenn sich die Zwänge einer Krise manifestieren, brauchen Unternehmen neue Ideen, um diesen Zwängen aktuell und vor allem in Zukunft auszuweichen. Also: Diversifizierung statt Optimierung, echte Wertschöpfungs- statt effizienzorientierter Prozessinnovation.
Kurz: Jetzt ist höchste Zeit für ein "neues Geschäftsmodell".

ist Geschäftsführer von TLGG. Die Unternehmensgruppe berät Kunden aus Pharma, Mobility und Finance zu digitalen Businessmodellen und Markentransformation. Dazu zählen Bayer, Lufthansa und ING.
Das ist in einer Wirtschaft, in der schon in ruhigen Zeiten eher die Optimierung des bewährt Erfolgreichen Vorrang hat, nicht so einfach. Und Druck von außen verstärkt noch die Tendenz zum Rückzug auf das, was man kennt. Dabei ist gerade das, was man kennt, der Schlüssel für den Erfolg von morgen.
Eine neue Wertschöpfung kann in den meisten Fällen schlicht dadurch entwickelt werden, bestehende Corporate Assets in Kombination mit neuen Technologien und einer konsequenten Portfolioambition zu neuen Produkten und Märkten zu entwickeln. In den Strategiepräsentationen eines großen deutschen Konzerns wurde dieser Ansatz einmal griffig zusammengefasst: "Aus Kosten Erträge machen". So einfach.
Lehrbuchbeispiel Amazon
Mit der Entwicklung ihrer Inhouse-Cloudkompetenz zu einem global erfolgreichen Produkt haben Amazons Web Services (AWS) ein Lehrbuchbeispiel für diesen Ansatz geliefert. "Das machen wir ja eh schon, dann können wir’s auch gleich anderen anbieten" ist aber nur die halbe Lehre. Denn die Definition dessen, was ein Corporate Asset sein kann, ist bewusst unscharf und kann durchaus ätherisch werden. Der Zugang zu einer bestimmten Art von Kunden ist ein Asset. Patente sind ein Asset. Daten sind ein Asset. Konzepte sind ein Asset. Markenwerte sind ein Asset. Expertise ist ein Asset. Was sie und viele andere Teilelemente des täglichen Geschäfts eint: Sie lösen Tag für Tag ein Wertversprechen ein, das aber meist nur im Dienst des bewährten Outputs steht.
Geschäftsmodellinnovation beginnt, wo die Frage "Was können wir eigentlich besonders gut?" mit einer Offenheit für Alternativen zum aktuellen Erfolg kombiniert wird – und die bestehenden Stärken zu einer neuen, eigenen Sinnhaftigkeit und Produktivität hin entwickelt werden. "Neue Geschäftsmodelle" entstehen meist schlicht durch die Entflechtung und Modularisierung des bewährten Modells in Kombination mit neuer Technologie und den gezielt eingesetzten Ressourcen Talent und Kapital.
Die Konkurrenzfähigkeit in der Zukunft setzt dann voraus, dass sich der derart entflochtene Unternehmensmonolith als unternehmerisches Portfolio versteht und konsequent in diesem Sinne handelt. Auf den schon heute weitgehend modularisierten Märkten voller neuer Konkurrenten besteht kaum ein Unternehmen dauerhaft, das seinen Full-Stack-Apparat immer wieder neu in Position manövrieren muss.
Joe Kaesers Bild vom Umbau des Siemens-Konzerns vom Tanker zum Flottenverband ist da tatsächlich sehr treffend – und Siemens ist in der Konsequenz, mit der das Unternehmen seine Identitäten und Möglichkeiten stetig neu evaluiert, sicher weit vorn. Doch ein deutscher Mittelständler muss nicht Siemens sein, um diese Perspektive auf die eigenen Leistungen, Erfolgsrezepte, Fähigkeiten und, ich schreib’s einfach noch einmal, Assets anzuwenden. Die eigenen, langfristig erarbeiteten Vorteile müssen in Zeiten der Veränderung nicht als Ballast, sondern als Schwungmasse verstanden werden.
Es zuckt nun die Mittelständlerbraue. Der Zweifel daran, dass neue Produkte, Leistungen, Angebote im Vergleich zum Kerngeschäft eine relevante Größe bekommen, lässt die CEOs zögern, wenn es um initiale Investitionen oder auch nur die Sorge geht, hier ein Running System zu verändern, Potenzial hin oder her: "Fass ich gar nicht erst an, viel zu kompliziert." Hier sind Partnerschaften eine Möglichkeit, singt der Krisenchor der Berater und Beraterinnen: Beteiligungen, Carve-outs, Ventures. Sicher ist: Auch technologischer Fortschritt selbst kann eine Krise sein. Wohl dem, der seine Startvorteile erkennt und sie zu nutzen weiß.