Die Zahl der Firmenneugründungen steigt – Ausdruck des Strukturwandels, der durch die Corona-Krise angestoßen wird. Während Konzerne Leute entlassen, beginnen Neuunternehmer zu experimentieren. Was dabei wohl rauskommt?
Vorzeigeunternehmer: Die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin dürften vielen Einsteigern in die Selbstständigkeit ein Vorbild sein
Foto: Stefan Sämmer / imago images
Shutdowns sind schwierige Zeiten. Aber neben allen Problemen und Frustrationen bieten sie auch Freiräume, sich neu zu orientieren: das Bisherige überdenken, das Künftige ins Auge fassen. Einige tun dies aus blanker Existenzangst, andere aus überraschender Gelegenheit zum Müßiggang. Manchmal ist es eine Mischung aus beidem.
Die Corona-Krise mag die schwerste Rezession seit Generationen ausgelöst haben. Doch eine Menge Leute versuchen gerade jetzt, als Unternehmer fußzufassen. Es sind Menschen, die versuchen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, die eine Idee haben oder neue Bedürfnisse erkennen, die sie glauben, besser bedienen zu können als andere.
ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für manager magazin gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.
Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen, dass die Gewerbeanmeldungen in Deutschland zwischen Juli und September um 2,9 Prozent höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs lagen. Neuere Zahlen liegen hierzulande bislang nicht vor. Aber der Trend zu Firmenneugründungen lässt sich international beobachten.
In diesen Zahlen offenbart sich der Strukturwandel, der durch die Corona-Krise angestoßen wird. Während Konzerne Leute entlassen und manch etabliert Firma vor der Pleite steht, beginnen Neuunternehmer zu experimentieren.
Natürlich, viele Gründer handeln aus der Not heraus: Ihre bisherigen Job- und Karriereperspektiven sind zerbröselt. Was bislang halbwegs sicher schien, ist es nun nicht mehr. Die Selbstständigkeit ist in dieser Situation ein möglicher Ausweg, vielleicht aber auch eine lange erhoffte Chance.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamts deuten darauf hin, dass viele neben ihrem bisherigen Job einfach mal einen Versuchsballon starten: Den größten Anstieg gab es im dritten Quartal 2020 bei Nebenerwerbsneugründungen, die um 14,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zulegten. Es dürfte sich vielfach um Leute handeln, die ihren bisherigen Job nicht mehr für sicher halten – und womöglich bereits in Kurzarbeit sind.
Was Corona verändert
Allerdings sind keineswegs alle Neugründungen Teilzeit-Start-ups. Auch die Zahl regulären Betriebsgründungen hat zuletzt in Deutschland deutlich zugenommen. Es könnte der Beginn eines Trends sein.
Ein Blick zurück zeigt: Schwere Rezessionen sind Gründerzeiten. In der Krise der Jahre 2008/09 stieg die Gründungsaktivität in Deutschland rapide – um dann im Zuge der wirtschaftlichen Erholung der 2010er-Jahre wieder abzuflauen. Der stabile Aufschwung des zurückliegenden Jahrzehnts ließ etablierte Unternehmen wachsen, die entsprechend viele Mitarbeiter einstellten. Jüngere Beschäftigte mit guter Ausbildung konnten sich in den Vor-Corona-Jahren vor Angeboten kaum retten.
Der Corona-Schock verändert vieles. Die Schwere der pandemiebedingten Rezession legt nahe, dass in der näheren Zukunft die Gründungszahlen noch weiter steigen werden.
Anders als nach 2009, als es im Großen und Ganzen weiterging wie zuvor, sieht es jetzt so aus, als folge auf die Krise ein umfassender Wandel. Konsum- und Kommunikationsgewohnheiten, Arbeits-, Wohn- und Mobilitätsmuster – all das verändert sich gerade, womöglich dauerhaft. Nach Covid wird vieles nicht mehr sein wie zuvor.
Die Pandemie beschleunigt den ohnehin schon laufenden Strukturwandel. Die Industrie, die in Deutschland immer noch ein Fünftel zur Wirtschaftsleistung beisteuert, steht vor gewaltigen Herausforderungen. Das über lange Zeit exportgetriebene deutsche Geschäftsmodell hat Risse bekommen.
Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf, aber auch der Umbau in Richtung klimaneutraler Produktion, der gerade durch staatliche und europäische Programme zur Stützung der Wirtschaft vorangetrieben wird.
Neues in der Pipeline
Bisherige Lösungen und Geschäftsmodelle werden obsolet, neue Bedürfnisse und Bedarfe entstehen. Das ist der Humus, auf dem Unternehmensgründungen gedeihen. Viele werden scheitern, aber einige werden womöglich Großes auf die Beine stellen.
Was möglich ist, zeigt sich in der Biotechnologie. Lange wurden hiesige Start-ups belächelt. Zu kapitalschwach, zu langsam, nicht hungrig genug. Das Segment der Impfstoffe galt ohnehin als wirtschaftlich unattraktiv, teuer und risikoreich, aufgeteilt unter wenigen Großkonzernen. Nun gehören zwei deutsche Firmen, Biontech und Curevac, zu den führenden Entwicklern von Corona-Impfstoffen. Und sie haben noch mehr in der Pipeline.
Neue Technologien, wie der mRNA-Ansatz, werden durch neue Akteure vorangetrieben. Etablierte Konzerne wie Pfizer und Bayer helfen mit Kapital, Produktion, Vertrieb, Logistik. Aber die echten Innovationen treiben junge Firmen und ihre Kapitalgeber voran.
Klar, bei den Gründern der Jahre 2020/21 handelt es sich ganz überwiegend nicht um ambitionierte Wissenschaftler wie das Biontech-Gründerpaar Özlem Türeci (53) und Uğur Şahin (55). Aber einige werden das Zeug haben, beachtliche Unternehmen aufzubauen.
Was macht eigentlich ein Unternehmer?
Die Wirtschaftswissenschaft sieht den Typus des Unternehmers vor allem jemanden, der mit Unsicherheit umzugehen weiß. Danach sind Entrepreneure Leute, die sich von anderen Menschen vor allem dadurch unterscheiden, dass sie sich auch in einem extrem unübersichtlichen Umfeld zurechtfinden und handlungsfähig bleiben. Sie sind es, die in Phasen von Unsicherheit, wie derzeit, Leadership übernehmen. Es ist im Übrigen diese besondere Fähigkeit, die hohe Gewinne rechtfertigt: Unternehmerische Profite, formulierte einst der Ökonom Frank Knight, resultierten einzig aus der "inhärenten, totalen Unsicherheit der Dinge und dem brutalen Faktum, dass die Folgen menschlichen Handelns nicht vorhersehbar sind". Anders gewendet: Diejenigen, die damit umgehen können, haben ihr Geld verdient - weil sie der Gesellschaft entscheidende Anstöße geben und sie aus der Lethargie herausholen.
Unsicherheit ist auch im Innovationsprozess allgegenwärtig. Wer wirklich Neues entwickelt, agiert ständig an der Grenze des etablierten Wissens und Könnens – es ist ein Probieren im Ungewissen. Entsprechend groß ist das Risiko des Scheiterns.
Konzerne mit all ihren geordneten Prozeduren und Prozessen im Innovationsmanagement können einen stetigen Strom von allmählichen Weiterentwicklungen produzieren. Aber radikal Neues kommt eher von echten Unternehmern. Kaum verwunderlich, dass nicht VW oder Daimler angetreten sind, den Autobau zu revolutionieren, sondern der etwas überdrehte Außenseiter Elon Musk (49).
"Die Geschichte jeder Industrie", formulierte einst der österreichisch-amerikanische Ökonom Joseph Schumpeter, "führt auf Männer zurück und auf energisches Wollen und Handeln, diese stärkste und glänzendste Realität des Wirtschaftslebens." Das Zitat, über 100 Jahre alt, stammt aus Schumpeters Werk "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung". Der Ton der Verehrung (natürlich) männlicher Helden mag heute schwer erträglich sein. Und doch ist die fundamentale Einsicht nach wie vor gültig: Anonyme Großsysteme – der Markt, die Weltwirtschaft, die Gesellschaft, die Politik… – bestimmen nicht allein das menschliche Schicksal. Jede und jeder einzelne kann die Umstände entscheidend mitgestalten.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche
Montag Peking – Die Preise im Osten – Chinas Statistikamt legt Zahlen zur Entwicklung der Verbraucherpreise im Dezember bekannt.
Frankfurt – Industrieindikator – Der deutsche Maschinenbauverband VDMA veröffentlicht Neues zum Auftragseingang im November.
Las Vegas – Surfing USA – Eröffnung der Technik-Messe CES, die dieses Jahr digital stattfindet.
Dienstag München – Clean the Diesel – Fortsetzung des Prozesses gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler (57) und weitere leitende Mitarbeiter. Es geht um den Vorwurf des Betrugs durch manipulierte Abgaswerte bei Dieselmotoren.
Mittwoch Hannover – Lohn der Industrie – Beginn der Tarifverhandlungen bei Volkswagen.
Washington – Die Preise im Westen – Neue Zahlen zum Anstieg der Verbraucherpreise in den USA. Zuletzt lag die jährliche Steigerungsrate bei knapp über ein Prozent.
Donnerstag Wiesbaden – Bilanz 2020 – Das Statistische Bundesamt legt eine erste Schätzung zum deutschen Bruttoinlandsprodukt und zum Finanzierungssaldo des Staates im abgelaufenen Jahr vor.
Washington – Düsterer Corona-Winter – Neue Zahlen zu den Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA.
Freitag
Berlin – Die Zeit nach Merkel – Beginn des 33. Parteitags der CDU. Auf dem Programm steht insbesondere die Wahl eines neuen Vorsitzenden. Es kandidieren Friedrich Merz (65), Norbert Röttgen (55), Armin Laschet (59) und andere.
Samstag Paris/Rom – Neuer Riese – Der Autokonzern Stellantis formiert sich: Die Hersteller PSA und Fiat Chrysler wollen die Großfusion formell abschließen.