"Fachkräfte-Einwanderungsgesetz" ist ein Placebo So geht Einwanderungspolitik für Unternehmen

Fachkräfte gesucht: Das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das SPD und Union planen, greift zu kurz
Foto: Hendrik Schmidt/ picture alliance / dpaSchon seit der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder wird in Deutschland intensiv über ein Einwanderungsgesetz diskutiert - also seit gut 20 Jahren. 2005 trat schließlich ein Zuwanderungsgesetz in Kraft, das unter anderem die Einreise und den Aufenthalt von Studenten und Fachkräften regelt.
Während des Wahlkampfs im Sommer 2017 erweckten SPD, FDP und Grüne mit ihren Forderungen nach einem Einwanderungsgesetz allerdings den Anschein, in Deutschland verlaufe die Fachkräftemigration völlig ungeregelt - und das in einem Ausmaß, das ausländische Talente sogar abschrecke, nach Deutschland zu kommen. Doch dieser Eindruck täuscht.

Marius Tollenaere ist Senior Manager und Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von Fragomen, einer auf Migrationsrecht spezialisierten internationalen Kanzlei.
Ein Blick in die Praxis zeigt, dass die politische Diskussion die Realität kaum richtig widerspiegelt. Zwar mögen die Regeln zur Migration in unterschiedlichen Gesetzen festgehalten sein, die für Laien wenig durchschaubar sind; den Anwendern des Rechts - unter anderem den zuständigen Behörden - bereitet dies aber keinerlei Probleme.
Das deutsche Einwanderungsrecht funktioniert
Es ist für das deutsche Recht normal, dass bestimmte Rechtsgebiete nicht in eigenen Gesetzbüchern festgehalten sind. Ein "Arbeitsgesetzbuch" beispielsweise kennen wir in Deutschland nicht. Das deutsche Arbeitsrecht ergibt sich aus unzähligen Einzelnormen wie etwa dem BGB, dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder der Berufskrankheiten-Verordnung sowie aus umfangreicher Rechtsprechung zu diesem Thema.
Die OECD kommt in einer Studie aus dem Jahr 2013 zu dem Schluss, dass Deutschland über ein relativ liberales, gut funktionierendes System der Arbeitsmigration verfügt. Die Aussage mancher Politiker, der Gesetzgeber mache es ausländischen Fachkräften und deutschen Unternehmen über die Maße schwer, zusammenzufinden, ist vor diesem Hintergrund so nicht haltbar.
Aber manchmal muss es eben Symbolpolitik sein. Die Flüchtlings- und Migrationskrise hat zweifellos Fragen aufgeworfen, auf welche die Politik plakative Antworten formulieren will. Dabei wird meist zugunsten der politischen Geste die notwendige inhaltliche Debatte vermieden.
Ein wirklicher Neuansatz in der Migrationspolitik ist weder dem Positionspapier noch der allgemeinen politischen Diskussion zu entnehmen. Wünschenswert wäre eine tiefgehende ordnungspolitische Durchwirkung des Regelungskomplexes Migration, die Individualrechte berücksichtigt, aber auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen offen zugibt - und das alles auf der Grundlage messbarer Migrationsrealitäten. Aber für eine solche Debatte ist Deutschland offenbar noch nicht bereit.
Alte Gesetze mit neuem Etikett
Gut an dem Papier der angehenden Großkoalitionäre ist, dass es zumindest von der Schaffung eines Einwanderungsgesetzes für alle Bereiche der Migration Abschied nimmt. Ein solches Gesetzbuch wäre ein gewaltiger Kraftakt, an dem auch große Einwanderungsländer wie die USA seit Jahren scheitern. Gelebte Realität in den meisten fortschrittlichen Einwanderungsländern ist ein Bündel unterschiedlicher Regelungen, die zu ganz unterschiedlichen Zeiten mit ganz unterschiedlicher Zielsetzung in Kraft getreten sind.
Insofern ist das Vorhaben, alle Migrationsfragen analog zur Sozialgesetzgebung in einzelnen Büchern zu regeln und unter einem Überbegriff zu vereinen, das kleinere Übel - Symbolpolitik ist es trotzdem, weil über die vielen Einzelregelungen eine Politisierung des großen Themas Einwanderung vermieden wird, die das ganze Unterfangen zu Fall bringen könnte.
Übrig bleibt das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung, wie es im Sondierungspapier genannt wird. Wirklich neue Ansätze sind hier nicht absehbar, es handelt sich eher um eine Umetikettierung des bestehenden Rechts. Dennoch erlaubt die Beschränkung auf das zahlenmäßig eher kleine Thema Arbeitsmigration vielleicht etwas Kreativität und Gestaltungsmöglichkeit.
Priviligierter Zugang für einige wenige?
Interessant wird deshalb sein, welche der inhaltlichen Änderungen eine neue Große Koalition auf den Weg bringen wird: Die Union spricht sich im Prinzip dafür aus, die bestehenden Regeln für schrittweise Erweiterungen zu nutzen, während die SPD darüber hinaus ein Punktesystem für qualifizierte Zuwanderung fordert.
Einen gewissen Charme hat der Ansatz, den CDU und CSU verfolgen könnten: Privilegierten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben seit langer Zeit Staatsangehörige von Nicht-EU-Staaten, die wirtschaftlich oder politisch eng mit Deutschland verbunden sind, etwa aus den USA, Kanada, Australien oder Japan. Fachkräfte aus diesen Ländern haben es nicht schwer, eine Arbeitserlaubnis für Deutschland zu erhalten, wenn sie auch voll der Prüfung der Bundesagentur für Arbeit unterliegen.
Seit Ende 2015 wurde dieses System auf die Staaten des Westbalkans erweitert, um eine legale Zuwanderungsmöglichkeit für nicht-akademische Fachkräfte zu schaffen und so den Anreiz für die Einreise über das Asylrecht zu verringern. Es ist gut denkbar, dass die Union diese Grundidee künftig etwa auf nordafrikanische Staaten ausdehnen könnte.
Sprich: Auch wer nicht hochdekorierter Akademiker ist, kann aus diesen Ländern nach Deutschland kommen, sofern eine Arbeitsaufnahme gesichert ist. Der Vorteil dabei: Der gewünschte Steuerungseffekt stellt sich recht einfach ein, da es sich um Ermessensentscheidungen handelt, die von der Bundesagentur für Arbeit getroffen werden und dem Zugriff der Bundesregierung somit nicht entzogen sind. Allerdings ist hier auch im Einzelfall mit langen Bearbeitungszeiten zu rechnen.
Punktesystem ja - aber nicht so
Was das von der SPD angedachte Punktesystem angeht, käme es auf einen Versuch an. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Sozialdemokraten damit am Ende sogar durchsetzen - ein allzu großer Wurf dürfte es jedoch nicht werden. Ein Punktesystem wird erst dann spannend, wenn man sich - wie in etwa in Kanada seit langem üblich - allein durch bestimmte Parameter wie Qualifizierung, Alter oder Sprachkenntnisse für die Einwanderung qualifiziert. Das SPD-Modell dagegen sieht vor, dass ohne vorheriges Jobangebot kein Aufenthalt genehmigt wird. Insofern dürfte sich durch das Punktesystem am aktuellen Status quo nicht viel ändern. Letztlich kommt dabei kaum mehr heraus als die Überführung der bisher sprachlich festgelegten Kriterien in ein anderes System, ein Punktesystem eben.
Auch der Vorschlag der Sozialdemokraten, eine Kommission einzusetzen, die feste Quoten festlegt, wird nicht viel bewegen - dafür müsste es jedes Jahr mehr Arbeitsangebote an zuwanderungswillige Fachkräfte geben, als für den Arbeitsmarkt verkraftbar wären -ein ordnungspolitisch fragwürdiger Ansatz.
Gesetze sind selten Pull-Faktoren
Grundsätzlich dürfte es nicht schaden, sowohl die Regeln für die Zuwanderung zusammenzufassen und zu erweitern, als auch mit einem Punktesystem zu experimentieren. Die Erwartung, allein durch diese Neuerungen Hunderttausende Fachkräfte ins Land holen können, ist allerdings überzogen. Gesetze sind selten Pull-Faktoren. Sprache, Verdienstmöglichkeiten, Arbeitsmarkt, eine interessengeleitete auswärtige Kultuspolitik sowie das gelassene und gelebte Selbstverständnis, offen für Einwanderer zu sein, scheinen mir die wichtigeren Aspekte zu sein.
Marius Tollenaere ist Senior Manager und Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von Fragomen und schreibt als Gastkommentator für manager-magazin.de - trotzdem gibt seine Meinung nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.