

Petro-Staaten Explosive Klimapolitik


Ölfeld im Irak: Das von Krieg, Bürgerkrieg und IS-Terror zerrissene Land braucht mittelfristig einen Ersatz, sollten die Petro-Umsätze sinken
Foto: REUTERSDer Klimawandel macht die Welt unsicherer. Konflikte um die Verteilung knapper Ressourcen nehmen zu. Wassermangel, Dürren, Überflutungen von Küstenregionen, Flüchtlingsbewegungen, bis hin militärischen Auseinandersetzungen und Terror – all diese Gefahren sind seit langem bekannt. John Kerry, der frühere US-Außenminister und heutige Klimabeauftragte der Biden-Regierung, hat sie dieser Tage noch einmal betont. Die Erwärmung der Atmosphäre sei eines der "komplexesten Sicherheitsprobleme, mit denen wir es je zu tun hatten", sagte er bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Spannungen nähmen zu – "die Glut des Konflikts" werde angefacht.
Leider lässt sich daraus nicht schließen, dass Klimaschutz per se für Entspannung sorgt. Im Gegenteil: Der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen wird wohl zunächst keine friedlichere Welt schaffen, sondern für allerlei Spannungen sorgen. Verteilungskonflikte nehmen zu. Herrschaftssysteme geraten unter Druck. Ganzen Weltregionen droht eine Destabilisierung. Entwicklungen, die auch Europas Sicherheitslage massiv beeinflussen werden. Allerdings ist eine EU-Strategie zum Umgang mit den neuen Unwägbarkeiten bislang nicht erkennbar (achten Sie Freitag auf den EU-Gipfel zur Außen- und Sicherheitspolitik).
All das spricht keineswegs gegen eine entschlossene Klimapolitik. Doch wir sollten damit verbundene Risiken und Nebenwirkungen auf dem Schirm haben, während der Schutz der Erdatmosphäre abermals ganz oben auf die internationale Politikagenda rückt:
Dienstag berät der UN-Sicherheitsrat über Klima- und Sicherheitsfragen. Parallel dazu beginnt in Nairobi die nächste UN-Umweltversammlung zur nachhaltigen Entwicklung. Im November wird der nächste Klimagipfel in Glasgow stattfinden; das Pariser Abkommen von 2015, dem die USA gerade wieder beigetreten sind, soll verschärft werden. Bill Gates, Microsoft-Gründer und Milliardär-Aktivist, hat sich gerade mit einem neuen lesenswerten Buch in die Debatte eingemischt und zeigt einen begehbaren Weg hin zur Nullemissionsweltwirtschaft auf. Finanzmärkte und Notenbanken ringen darum, Klimarisiken stärker bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Keine Frage, es ist eine Menge in Bewegung in Sachen Klimapolitik.
Welchen Ländern der Hahn abgedreht wird
Um das Klima zu schützen, müssen wir darauf verzichten, Öl, Gas und Kohle zu nutzen. Während letztere an vielen Orten auf dem Globus vorkommt, sind Öl und Gas konzentriert nur an wenigen Orten zu finden. Deshalb hat sich eine überschaubare Zahl von Förderländern auf die Produktion und den Export dieser Hochenergiegüter spezialisiert. Die Wirtschaft und die Staatsfinanzierung dort hängen zum überwiegenden Teil von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport ab. Geht nun das industrielle Karbonzeitalter zu Ende, wird ihnen im Wortsinn der Hahn abgedreht.
Es geht dabei nicht um reiche Demokratien, die nebenher auch Energierohstoffe verkaufen, wie die USA, Australien oder Norwegen. Problematisch wird die Lage für ohnehin heikle Weltregionen: den Persischen Golf, Nordafrika, Russland und Zentralasien. Dazu kommen weitere Großproduzenten wie Venezuela, Nigeria und Angola, deren Volkswirtschaften ebenfalls der Treibstoff auszugehen zu droht.
Keines dieser Länder verfügt über funktionierende demokratische Strukturen. Führende Clans und Cliquen sichern bislang ihre Herrschaft, indem sie Petro-Gelder unters Volk verteilen. Gesellschaftliche Konflikte lassen sich auf diese Weise zukleistern. Sie erkaufen Gefolgschaft, trotz korrupter, teils freiheitsberaubender Strukturen, solange die Einnahmen sprudeln. Gehen die Petro-Erträge zurück, bleibt womöglich nur noch Unterdrückung als Instrument zur Herrschaftssicherung, was wiederum den revolutionären Druck im Kessel erhöht. Eine potenziell explosive Gemengelage.
Venezuela ist auf diesem abschüssigen Pfad bereits weit fortgeschritten. Andere drohen zu folgen – mit all den gesellschaftlichen und geopolitischen Verwerfungen, die damit einhergehen.
Covid-Jahr 2020 – die neue Normalität?
2020 war in gewisser Weise ein Testlauf für das, was auf die Petro-Staaten zukommt. In Folge der Corona-Rezession verfielen die Preise rapide. Bis Ende April war der Ölpreis auf 20 US-Dollar pro Fass abgesackt, dann erholte er sich dann allmählich mit den helleren konjunkturellen Aussichten. Derzeit liegt er bei 60 Dollar. Aber auch dieses Niveau ist für viele Produzenten nicht auskömmlich: Um ihre Staatsausgaben zu decken, benötigen sie deutlich höhere Preise, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) berechnet hat. Eine Zeitlang können sie sich mit steigender Verschuldung über Wasser halten. Doch bei dauerhaft niedrigen Öl- und Gaspreisen droht vielerorts eine Schuldenspirale.
Eben dies ist im Zuge einer entschlossenen klimapolitischen Wende zu erwarten: Die wichtigsten Verbraucherländer, voran China, die USA und die EU, würden weniger fossile Brennstoffe verbrauchen. Die Nachfrage geht zurück, die Preise sinken. Während hierzulande die Bruttopreise durch höhere Emissionsabgaben steigen, geben die Nettopreise auf dem Weltmarkt nach.
Algerien und Libyen bräuchten dieses Jahr Ölpreise von über 120 Dollar pro Fass, um ihre Staatshaushalte zu finanzieren. Der vom Mullah-Regime und Sanktionen gebeutelte Iran bräuchte gar 400 Dollar, um sein Budget in den Griff zu bekommen. Auch abseits dieser Extremfälle gilt: Die allermeisten Förderländer kommen mit den derzeitigen Preisen nicht zurecht. Saudi-Arabien und die Golf-Emirate (Ausnahme: Qatar), Oman, Kasachstan und Aserbaidschan – sie alle brauchen nach IWF-Berechnungen mehr als 60 US-Dollar pro Ölfass, um fiskalisch auf Dauer manövrierfähig zu bleiben.
Probleme am Golf
Exemplarisch lässt sich die Problemlage vieler Förderländer am Irak ablesen. Um das von Krieg, Bürgerkrieg und IS-Terror zerrissene Land zu befrieden, hat der Staat jede Menge Leute eingestellt. Mehr als ein Drittel aller Beschäftigten sind auf öffentlichen Gehaltslisten. All das wird finanziert mit Petro-Umsätzen, die den ganz überwiegenden Teil der Staatseinnahmen ausmachen. Rund die Hälfte der Öleinnahmen floss in den vergangenen Jahren in die Löhne von öffentlich Bediensteten. Der Staat investierte nur, wenn die Ölpreise hoch waren, und auch dann flossen öffentliche Mittel vor allem in den Ölsektor. Andere produktive Aktivitäten können so kaum entstehen.
Die Regierung in Bagdad hangelt sich so hin: Bei einem Ölpreis um die 50 Dollar pro Fass würde es für das Staatsbudget in den kommenden Jahren wohl gerade so reichen. Jede Verwerfung auf den internationalen Märkten könnte gravierende Auswirkungen auf die Finanzen des inzwischen hochverschuldeten Staates haben.
Auf viele Länder werden dauerhaft niedrige Ölpreise durch entschlossenen Klimaschutz massive Auswirkungen haben. Das gilt auch weiter südlich am Golf, zumal in Saudi-Arabien, wo eine junge, wachsende Bevölkerung in den Arbeitsmarkt drängt, aber der öffentliche Sektor nicht in der Lage ist, noch mehr staatlich bedienstete Untertanen zu alimentieren. Prinz Mohammed bin Salman, der Herrscher von Riad, hat zwar ein Programm "Vision 2030" aufgelegt, mit dem er die Abhängigkeit des Wüstenstaats vom Öl verringern will. Aber das reicht kaum aus, wie der IWF kürzlich in einem Bericht über Saudi-Arabien und die anderen Mitglieder des Golfkooperationsrats (GCC) mahnte: Weil weiteres Wachstum der Beschäftigung im Staatssektor kaum finanzierbar sei, müsse das System so reformiert werden, dass die Privatwirtschaft gedeihen könne: das lückenhafte Rechtssystems verbessern, Korruption eindämmen, überhaupt die schwache Leistungsfähigkeit der Verwaltung erhöhen. Nur: Derartige Reformen würden letztlich die absolutistisch regierenden Golfpotentaten entmachten. Entsprechend stellt sich die Frage, wie groß die Erfolgsaussichten derartiger Ratschläge sind.
Russlands Position ist stärker
Russlands finanzielle Position ist deutlich stärker. Aber auch hier trägt der Öl- und Gassektor einen großen Teil zur Wirtschaftsleistung und zu den Staatseinnahmen bei. Rund 60 Prozent von Russlands Exporten bestehen aus Öl und Gas, wie die Weltbank kalkuliert (pdf).
Wladimir Putins Regierung hat zwar versucht, das Land durch einen harten Sparkurs und die Bildung stattlicher Finanzreserven widerstandsfähig gegen einen Preisverfall zu machen. Dennoch Russland braucht nach IWF-Kalkulationen Notierungen von mindestens 40 Dollar pro Ölfass, um seinen Staatshaushalt dauerhaft stabil halten zu können – deutlich weniger als andere große Förderländer, aber womöglich zu viel, um in der Ära Klimawandels bestehen zu können.
Wenn es die Welt ernst meint mit dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern, dann werden nicht nur Öl und Gas auf dem Weltmarkt im Preis verfallen. Auch klimaintensiv produzierte Waren, etwa Produkte der chemischen Industrie, Aluminium oder Zement, werden dann von Ökozöllen betroffen sein, wie sie die EU bereits plant. Den Petro-Staaten würde der naheliegende Umstieg auf energieintensive Industrien massiv erschwert.
Das Resultat könnte eine gesellschaftliche und politische Destabilisierung sein, von der erhebliche Schockwellen um die Welt gingen, gerade auch ins nahegelegene Europa. Das gilt für die Golfregion, aber auch für Russland und andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion, für Nordafrika ohnehin.
Die Staaten, die den Klimaschutz entschieden vorantreiben, stünden vor großen politischen Herausforderungen, schrieben vor einiger Zeit Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik und der Londoner Politologe Andreas Goldthau in einem gemeinsamen Beitrag. Die "schnellen Dekarbonisierer" müssten sich auf gesellschaftliche "Kipppunkte” in den Förderländern vorbereiten. Soziale Unruhen könnten manches Regime von der Bildfläche fegen.
Was dann? Gut so, könnte man argumentieren, bekommen die Menschen doch endlich die Chance auf einen demokratischen Neuanfang: Wo bislang Oligarchien das Volk mittels Petro-Milliarden unterdrücken konnten, würden Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einziehen. In der Tat, eine großartige Perspektive. Allerdings bleibt die Frage offen, wovon diese Länder nach dem fossilen Zeitalter leben sollen. Und diverse Beispiele zeigen, dass Regimewechsel in Petro-Staaten selten ohne Blutvergießen gelingen – und dass der Westen dabei bislang keine gute Figur abgegeben hat (siehe Irak und Libyen).
Wir brauchen, so sieht es aus, nicht nur wirksame Strategien gegen die Erderwärmung, sondern auch einen Plan für die geopolitischen Nebenwirkungen der Dekarbonisierung. Zugegeben, das ist leichter hingeschrieben als getan. Umso willkommener ist die Rückkehr der globalstrategisch erprobten USA in den Klimakonsens nach den schlimmen Trump-Jahren. Mit einem von Joe Biden dominierten Washington lässt sich die "Glut des Konflikts" (John Kerry) womöglich leichter einhegen.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche
Montag
Brüssel – Versuch einer Kursbestimmung – Die EU-Außenminister tagen. Auf der Tagesordnung unter anderem: die Beziehungen zu Russland und zu Hongkong.
München – Deutsche Konjunktur – Das ifo Institut veröffentlicht den Geschäftsklimaindex für Februar.
Berlin etc. – Back to School? – Schrittweise sollen die Schulen wieder öffnen, in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg und anderswo.
Nairobi – Globaler Naturschutz – UN-Umweltversammlung: Zwei Tage geht es um Klima, Umwelt und Entwicklung.
Dienstag
Wolfsburg – Lohnfragen – Die Tarifverhandlungen bei Volkswagen gehen in die dritte Runde.
Luxemburg – Preisfragen – Die EU-Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht neue Zahlen zur Inflationsentwicklung.
New York – Klimafragen – Der UN-Sicherheitsrat berät über Klima und Sicherheit. Das Treffen wird vom britischen Premier Boris Johnson geleitet.
Berichtssaison I – Geschäftszahlen von Fresenius, Fresenius Medical Care, HeidelbergCement, Covestro, Pfeiffer Vacuum, Scout24, Telecom Italia, HSBC, Macy's.
Mittwoch
Wiesbaden – Deutsche Schulden – Das Statistische Bundesamt legt Zahlen zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal 2020 sowie zur Defizitquote (nach Maastricht-Definition) vor.
Berichtssaison II – Geschäftszahlen von Telefonica Deutschland, Aareal Bank, Puma, Iberdrola, Endesa, Accor, PSA, Wienerberger, Sulzer, Lloyds, Reckitt Benckiser, Wolters Kluwer.
Donnerstag
Brüssel – Covid und kein Ende – Erster Tag des EU-Sondergipfels. Es soll (online) um die Bekämpfung der Corona-Pandemie gehen.
Nürnberg – Deutsche Stimmung – Die GfK veröffentlich aktuelle Zahlen zum Konsumklima.
Berichtssaison III – Geschäftszahlen von Munich Re, Evotec, Krones, Takkt, Dürr, Freenet, Aixtron, Axa, Telefonica, Suez, ACS, Anheuser-Busch InBev, Saint-Gobain, Adecco, Standard Chartered, Anglo American, Moderna, HP, Dell.
Freitag
Brüssel – Haben wir einen gemeinsamen Plan? – Fortsetzung des EU-Gipfels. Thema: Außen- und Sicherheitspolitik.
Tokio – Fernöstliches Glimmen – Neue Daten zur japanischen Industrieproduktion.
Berichtssaison IV – Geschäftszahlen von BASF, Erste Group, LafargeHolcim