

Unser Rentensystem ist besser als sein Ruf Eine Rentenkasse für alle schadet mehr als sie nützt


Beamte und Ärzte zahlen in der Regel nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein
Foto: Patrick Pleul/ picture alliance / dpaGerechtigkeit ist ein großes Wort und findet trotzdem oder gerade deshalb, auch in der politischen Debatte, täglich Anwendung. So auch beim Thema Alterssicherung, wo sowohl die Medien als auch die Akteure in Berlin immer wieder feststellen, wie ungerecht doch das deutsche Rentenversicherungssystem sei. Insbesondere scheint hier aufzustoßen, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen wie etwa Beamte, Selbstständige oder Freiberufler sich vermeintlich aus der Solidarität der gesetzlichen Rentenversicherung verabschieden und anderweitig vorsorgen dürfen.

Christian Hagist ist Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der WHU - Otto Beisheim School of Management.
Auf den ersten Blick stimmt das auch - warum können sich Mediziner in einem Versorgungswerk zusammenschließen, angestellte Professoren an Privatuniversitäten aber nicht? Warum gibt es kein Dachdeckerversorgungswerk? Und warum zahlen Angehörige bestimmter Berufe eben nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein? Die Antwort findet man, wie so häufig, in der Geschichte. Auf dem Reißbrett würde heute niemand mehr ein Alterssicherungssystem wie das deutsche entwerfen und natürlich gäbe es bei einem Neubau keine Einordnung nach Berufsgruppen. Allerdings stehen wir bei der Rentenversicherung eben nicht vor einem Neubau, sondern vor einem Umbau - und wie alte Häuser hat auch unser Alterssicherungssystem eine ganz eigene Statik.
Die Einheitskasse ist ein Minusgeschäft für alle
Die eigentliche Frage dreht sich nicht um Gerechtigkeit, sondern um Nützlichkeit. Dient es den Versicherten der Gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich, wenn künftig auch Ärzte, Juristen, Apotheker und Beamte in die Gesetzliche Rentenkasse einzahlen müssten? Die Antwort lautet: kurzfristig ja, langfristig aber auf keinen Fall.
Kurzfristig würden bei der Einführung einer einheitlichen Rentenversicherung die Beiträge fallen, da es sich um eine gut verdienende Klientel mit relativ hohem Einkommen handelt. Das entlastet alle anderen Beitragszahler, zumal wahrscheinlich nur junge Beamte, Freiberufler und Selbstständige aufgenommen werden würden.
Langfristig aber wäre es ein Minusgeschäft für alle Beteiligten: Für die neuen Versicherten, da ihre Bezüge im Alter aus der Gesetzlichen Rentenversicherung deutlich niedriger ausfallen dürften als Beamtenpensionen oder Renten aus den kapitalgedeckten Versorgungswerken. Und für alle bisherigen Versicherten, weil fast alle Neuankömmlinge aus Sicht einer Rentenversicherung schlechte Risiken sind und damit auf lange Sicht teuer werden.
Warum Ärzte und Beamte Risiko für die Rentenversicherung sind
Warum aber sind Ärztinnen schlechte Risiken? Weil sie im Durchschnitt sehr, sehr alt werden. Mit Ausnahme der heterogenen Selbstständigen sind alle der genannten Gruppen durchgängig hoch gebildet und teilweise auch noch weiblicher als der Durchschnitt der Erwerbstätigen. Das bedeutet, wie zahlreiche internationale Studien zeigen, dass sie eine hohe Lebenserwartung haben. Beamte werden im Schnitt zwei Jahre älter als der Rest der Bevölkerung. Frauen leben bei Renteneintritt ungefähr vier Jahre länger als Männer. Somit fände in der Rentenversicherung im Extrem eine Umverteilung von männlichen Arbeitern zu Lehrerinnen statt. Wenn wir nun mehr dieser Hochqualifizierten in die Rentenversicherung holen, wird es für alle teurer.
Zudem beteiligen sich die genannten Gruppen derzeit am Steuerzuschuss zur Rentenversicherung ohne daraus einen direkten Nutzen zu ziehen. Indirekt zahlen sie also etwas für das Privileg sich mit einer kapitalgedeckten Altersvorsorge und damit mit einer höheren Rendite absichern zu dürfen. Da die Bedeutung der Steuerfinanzierung in der Rentenversicherung aller Erwartungen nach zunehmen dürfte, ist dieser "Ablasshandel" für die bisherigen Rentenversicherten durchaus attraktiv.
Warum Österreich kein Vorbild ist
Verfechter einer Einheitsversicherung weisen immer gerne darauf hin, dass gerade unser Nachbarland Österreich ganz gut mit einem solchen System fahren würde und sogar höhere Renten dabei heraussprängen. Dies stellt jedoch Rosinenpickerei dar, denn bei einem solchen Vergleich muss immer das Gesamtsystem gesehen werden. Österreich kennt beispielsweise keine separate Pflegeversicherung, weswegen die Rente auch für das Pflegeheim reichen muss. Das System ist zudem weit entfernt von einer nachhaltigen Finanzierung. Bereits heute sind in Österreich, gemessen an der Wirtschaftsleistung, die Pensionsausgaben mit die höchsten in der OECD. Zudem macht der demografische Wandel auch vor der Alpenrepublik nicht halt, das österreichische System fährt derzeit ungebremst auf eine Wand zu. Als Vorbild taugt es daher kaum.
Anstatt also eine Revolution in der Alterssicherung anzustreben, sollten wir lieber auch die derzeit gesetzlich Versicherten stärker kapitalgedeckt sparen lassen, damit die Gesamtbezüge im Alter am Ende für alle ausreichend sind. Angesichts der rasanten Alterung der Gesellschaft kann das Umlageverfahren der Rentenversicherung nur noch als Basis dienen - alles andere muss aus alternativen Sparanstrengungen kommen. Die Ärztinnen retten das System jedenfalls nicht für uns.
Christian Hagist ist Professor für Generationen-übergreifende Wirtschaftspolitik und Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.