Top-Ökonom über panische Politik Energiewende: "Teuerste Panikentscheidung einer deutschen Regierung"

Die Neigung zur Panik haben die Menschen von ihren Vorfahren.
Foto: Roland Weihrauch/ dpaHerr Krämer, als Statistiker und Gesundheitsökonom betonen Sie immer wieder, der Mensch kämpfe heute längst nicht mehr ums blanke Überleben. Trotzdem ließen wir uns oft leiten von Schreckensnachrichten. Sind die Deutschen ein Angst-Volk?
Krämer: Ja. Die Deutschen verfallen sehr schnell in Panik. Der Dioxin-Fund bei Eiern 2011 hat das deutlich gezeigt. Es gab eine regelrechte Hetzjagd gegen das Unternehmen, das dioxinbelastetes Futtermittel hergestellt hatte. Die Medien stürzten sich auf den angeblichen Giftfund - obwohl die Dosis so niedrig war, dass für die Bevölkerung nie auch nur die geringste Gefahr bestand. Legehennenbetriebe mussten Millionen von Frühstückseiern grundlos aus dem Verkehr ziehen.
Grundlos? Immerhin wurde bei vielen Eiern der Dioxin-Grenzwert überschritten.
Krämer: Wir sprechen hier von einer angeblichen Belastung mit drei Billionstel Gramm an Dioxin. Für viele Eier stimmte dieser Wert noch nicht einmal. Diese Information, vom Landwirtschaftsministerium eingeräumt, haben die Medien einfach weggelassen. Der schlampige Umgang mit Fakten schürt Panik in der Bevölkerung.
Was hätten Sie denn geschrieben?
Krämer: Gar nichts. Giftfunde sind für mich erst eine Meldung wert, wenn die gesundheitsgefährdende Dosis überschritten ist. So weit denken die meisten Leute jedoch nicht. Im Schnitt trifft ein Mensch rund 90 Prozent seiner täglichen Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Bei nur rund zehn Prozent strengt er sein Hirn an und denkt wirklich nach.
Haben Sie sich die Panik etwa abtrainiert?

Walter Krämer ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund. Zur Ökonomie von Panik, Angst und Risiko hat er zahlreiche Sachbücher und Fachaufsätze veröffentlicht. Er ist ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und gehörte von 2008 bis 2016 dem Vorstand des Vereins für Socialpolitik an.
Krämer: Leider nicht komplett. Kein Mensch ist völlig panikresistent. Deshalb kommt es in unserer Gesellschaft auch immer wieder zu Panik-Attacken. Doch für die meisten gibt es einfach keinen rationalen Grund.
Wir nehmen an, Sie halten auch Sorge vor Terroranschlägen in Deutschland für unangebracht?
Krämer: Was die Gefahr des Todes angeht, schon. Ein ganz normaler Wochenendausflug mit dem Auto ist gefährlicher für unser Leben als der Terror, weil man viel eher bei einem Verkehrsunfall sterben könnte. Ich spreche genau dann von Panik, wenn sich Menschen vor Dingen fürchten, die gar nicht gefährlich oder zumindest unwahrscheinlich sind.
Woher kommt diese unbegründete Angst?
Krämer: Sie ist der Evolution geschuldet. Dieser Angstmechanismus war bei unseren Affen-Vorfahren überlebenswichtig, und den schleppen wir heute noch in den Genen mit uns herum. Bei Lebensmitteln reagieren wir besonders empfindlich, weil sie uns schaden können. Zudem entdeckt die moderne Technik heute auch kleinste Mengen an Gift im Essen. Selbst wenn die Dosis völlig ungefährlich ist, reagieren die Menschen immer noch genauso ängstlich wie im Urwald vor einer Million Jahren. Beispiel Dioxin.
Nehmen wir an, die Bürger haben unnötig auf Eier verzichtet. Die Politiker aber haben bewusst deren Vernichtung angeordnet. Müssten sie nicht eigentlich in der Lage sein, einen kühlen Kopf zu bewahren?
Krämer: Wünschenswert wäre das, aber sie treffen regelmäßig irrationale, panikgetriebene Entscheidungen. 2001 hat die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast aus der BSE-Panik heraus das Töten von 400.000 völlig gesunden Rindern angeordnet. Das ist fast schon kriminell. Von der Vernichtung von Futtermitteln bis hin zur Schlachtung hat das die deutschen Steuerzahler etwa eine Milliarde Euro gekostet.
Von Angst getriebene Regierung
Was sagt dieser Fall über deutsche Politiker aus?
Krämer: Häufiger als in anderen Ländern lässt sich in Deutschland die Regierung von der Angst der Bevölkerung antreiben. Die einen haben Panik vor dem Rinderwahn, die anderen ängstigt die nächste Wahl. Dass eine in Rage geratene Masse ihre Politiker praktisch zwingt, Blödsinn zu machen, erleben wir in Deutschland über die Maßen. Inzwischen kann man den Verbrauchern kaum mehr vermitteln, dass ein schädlicher Stoff in geringer Menge völlig ungefährlich ist. Würden sich Politiker aus rationalen Gründen weigern, Kühe zu schlachten und Eier zu entsorgen, hätten wir schnell einen wütenden Mob vor dem Bundestag. Die Bevölkerung würde denken, dass die Politiker sie vergiften wollten.
Wo entdecken Sie dieses Muster auch außerhalb des Verbraucherschutzes?
Krämer: Nach dem Atomunglück in Fukushima hat die Bundesregierung ebenfalls gegen ihre Vernunft gehandelt. Sie ließ moderne Atomkraftwerke abschalten und lieber alte Kohlemeiler laufen, obwohl die deutschen Atomkraftwerke durch Fukushima natürlich nicht unsicherer geworden sind. Selbst der damalige Koalitionspartner FDP - als Partei der Ökonomen - zog bei der Energiewende auf einmal mit. Damit war die teuerste Panikentscheidung besiegelt, die eine deutsche Regierung jemals getroffen hat.
An welchen Zahlen machen Sie diese Einschätzung fest?
Krämer: Man muss sich nur ansehen, wie viel Geld die Deutschen heute für Strom bezahlen. Bei meinem Anbieter zum Beispiel liegt der Strompreis derzeit bei 25 Cent pro Kilowattstunde. In Frankreich zahlen die Verbraucher knapp die Hälfte. Ungefähr zehn Cent des Strompreises in Deutschland sind reine Panik, begründet durch den wahnwitzigen Atomausstieg und das ökonomisch wie auch ethisch ineffiziente Ringen um erneuerbare Energien.
Einen Vorschlag bitte: Was muss sich ändern, damit Politiker rationaler entscheiden?
Krämer: Um uns ein Stück von der Panik zu befreien, würde es schon reichen, die ökologischen Scheuklappen abzulegen. Die Deutschen geben viel zu viel auf die halbgaren Aussagen von Magazinen wie Ökotest, von Aktivisten von Greenpeace und sogenannten Umweltschützern. Nirgendwo sonst beeinflusst diese Lobby die Gemüter der Bevölkerung so sehr wie hier.
Sie sagen also, dass uns die Öko-Lobby beherrsche, wir wegen Kleinigkeiten in Panik gerieten und unsere Politiker zu blödsinnigen Entscheidungen nötigten. Sind wir überhaupt noch zu retten?
Krämer: Da bin ich ziemlich pessimistisch. Ängste sind so tief in uns verwurzelt, dass es Jahrhunderte dauern kann, bis wir unser Verhalten ändern. Kurzfristig können wir nur versuchen, öfter über ein Problem nachzudenken, anstatt aus dem Bauch heraus zu entscheiden.
Die Autoren sind Absolventen der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft , die vom ehemaligen mm-Redakteur Ulric Papendick geleitet wird und deren Curriculum ein begleitendes Volkswirtschaftsstudium an der Universität zu Köln vorsieht. Dieses Interview ist Teil der Gesprächsreihe auf manager-magazin.de zu den Zukunftsthemen der Ökonomen. Die Idee für diese Reihe ist gemeinsam mit der Redaktion von manager-magazin.de entstanden. Der stellvertretende Chefredakteur von manager-magazin.de, Sven Clausen, ist Absolvent der Kölner Journalistenschule.