
Frankfurter Bankenviertel: Die gleichen Lockungen wie in der Schweiz?
Foto: © Kai Pfaffenbach / Reuters/ REUTERSWie bitte, Deutschland ist eine Steueroase, versteckt internationales Fluchtkapital ähnlich wie die Schweiz oder die Cayman-Inseln? Ja, genau - diese These vertritt Markus Meinzer, Senior Analyst des internationalen Netzwerks Steuergerechtigkeit, in einem neuen Buch. Wir haben nachgefragt.
manager-magazin.de: Die Luxleaks-Affäre zu Steuerdeals mit Konzernen dreht sich nicht mehr nur um Luxemburg. Das Europaparlament nimmt auch Deutschland unter die Lupe, an diesem Dienstagabend soll Finanzminister Wolfgang Schäuble aussagen. Haben wir etwas zu verbergen, Herr Meinzer?
Meinzer: Das ist sehr zu befürchten. Der Beweis systematischer Absprachen, um Steuergeschenke zu verteilen, wurde zwar nicht erbracht. Aber sicher ist, dass Länderfinanzbehörden Berichtspflichten gegenüber dem Bundesamt für Steuern missachten, was Absprachen mit Firmen angeht.
Hier liegt ein Rechtsbruch vor. Warum meldet man die nicht, wenn man nichts zu verbergen hat? Es liegt nahe, dass es ähnliche Praktiken, wie sie in Luxemburg ans Tageslicht gekommen sind, auch hier geben könnte. Mein Eindruck: Deutschland ist eine Steueroase.

Markus Meinzer ist Senior Analyst des internationalen Netzwerks Steuergerechtigkeit.
mm.de: Haben Sie dafür nähere Hinweise?
Meinzer: Es gibt Beispiele, wo Länderfinanzministerien gegen Investitionszusagen ausländischer Konzerne das Steuerrecht nach Gutdünken links liegen gelassen haben. Wo der Gedanke eines Steuerwettbewerbs gepredigt wird, gedeihen solche Praktiken.
Wir sind in Deutschland noch besonders tief in diesem Sumpf. Wir blenden aus, dass damit tatsächlich der marktwirtschaftliche Wettbewerb ausgeschaltet wird. Steuerprivilegien verzerren den Markt unter dem Deckmantel der Marktfreundlichkeit.
mm.de: Bei dem Thema Steuertricks denken wir immer an die anderen, an Steuertricks wie Apples "Double Irish with a Dutch Sandwich", an Amazon oder Starbucks in Luxemburg. Aus Deutschland aber hört man nichts von konkreten Beispielen.
Der deutsche Föderalismus führt zu Intransparenz
Meinzer: Die deutsche dezentrale Finanzverwaltung führt dazu, dass es noch nicht einmal im Bundesfinanzministerium zentrales Wissen darüber geben dürfte, wie Konzerne hier steuerlich behandelt werden. Wir beobachten sehr unterschiedliche Praktiken der Bundesländer, wie ernst zum Beispiel die Steuerprüfung genommen wird.
Bund und Länder sind sich auch in grundlegenden Fragen der Finanzverfassung nicht einig. Diese deutsche Besonderheit der Finanzhoheit der Länder befördert die Intransparenz, auch im Vergleich zu anderen Staaten. Ein fast omnipotentes Steuergeheimnis tut das Übrige.
mm.de: Und was ist mit der privaten Steuerflucht? Wir kennen Fälle wie Zumwinkel oder Hoeneß. Aber die Vorstellung, dass reiche Schweizer ihr Geld nach Deutschland bringen, um Steuern zu vermeiden, erscheint doch einigermaßen absurd.
Meinzer: Das ist in der Tat noch nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen, aber es gibt eindeutige Hinweise darauf. Schweizer Journalisten haben aufgedeckt, dass deutsche Banken auf die gleiche Weise Steuerflüchtlinge locken, wie umgekehrt. Die Steuerstrafjustiz macht regelrechte Slalomläufe durch die Paragrafen, damit Fluchtkapital nicht nach Geldwäscherichtlinien oder anderem aufgedeckt wird.
mm.de: Und Sie vermuten, dass das nicht nur Einzelfälle sind?
Meinzer: Es geht um gewaltige Summen. 2,5 bis 3 Billionen Euro an zinstragenden Anlagen von Steuerausländern sind in Deutschland investiert, die hier gezielt von der Abgeltungsteuer befreit sind. Gleichzeitig unterlässt der Staat es geflissentlich, die Herkunftsländer routinemäßig über die Identität der Eigner zu informieren - anders, als es zum Beispiel Finnland tut. Selbst in der Schweiz brauchen Steuerausländer zumindest noch einen zusätzlichen Trick, um nicht besteuert zu werden.
mm.de: Wird jetzt nicht alles besser, nachdem die OECD-Staaten beispielsweise einen automatischen Informationsaustausch gegen Steuerflucht vereinbart haben, für den besonders Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warb?
Meinzer: Selbst da stehen im Entwurf für das nationale Umsetzungsgesetz Maximalstrafen von 5000 Euro für den Fall von Falschmeldungen, sogar unter Vorsatz. Da stellt sich schon die Frage, wie ernst es Deutschland ist, sich vom Modell der Steuerfluchtburg zu verabschieden.
Internationale Ansätze zur Reform - aber Deutschland blockiert
mm.de: Einige Passagen Ihres Buchs lesen sich so, als sei Deutschland in diesem Steuerwettbewerb einfach nur geschickter als beispielsweise die Schweiz, um diese Geheimnisse zu bewahren.
Meinzer: Natürlich hat sich in der Schweiz über lange Zeit eine Industrie gebildet, die gezielt von der Steuerflucht lebt. Diese Industrie ist politisch sehr mächtig. In Deutschland ist das in diesem Ausmaß nicht bekannt geworden. Aber ich frage mich schon, ob wir tatsächlich in einer grundsätzlich anderen Liga spielen. Vielleicht sind wir sogar nur doppelzüngiger, diskreter und haben große politische Debatten bisher vermieden.

mm.de: Dennoch ist es ja Teil des Selbstverständnisses der deutschen Öffentlichkeit, dass wir hier eine gute Steuermoral pflegen.
Meinzer: Ich denke, hier steckt uns der sprichwörtliche Balken im Auge. Als in der Swissleaks-Affäre Daten von HSBC-Kunden bekannt wurden, gab es den großen Aufschrei, wann Griechenland endlich seine reichen Steuerhinterzieher verfolgt - was dort aber zumindest in manchen Fällen wie dem eines früheren Finanzministers geschieht.
In Deutschland ist so gut wie gar nichts darüber bekannt, was aus den Fällen wurde. In Nordrhein-Westfalen wurde im Rahmen von Swissleaks keine einzige Anklage erhoben.
mm.de: Haben Sie denn gar keine Hoffnung, dass all die internationalen Initiativen gegen Steuerflucht Erfolg haben?
Meinzer: Es gibt auf EU-Ebene tatsächlich einige gute Entwicklungen. Jetzt läuft gerade die Debatte über länderbezogene Berichtspflichten für alle Wirtschaftssektoren, wie sie für Banken schon gelten. Diese Daten wären entscheidend, um Steuervermeidung der Unternehmen zunächst zu erfassen. Aber dann muss man sie auch in den Griff bekommen.
Die Vorschläge der OECD dazu sind ein Schuss in den Ofen. In der internationalen Steuerpolitik müssten vor allem die Entwicklungsländer mitreden, die am meisten unter Steuerflucht leiden. Aber eine Aufwertung der Uno in dieser Frage verhindert maßgeblich Deutschland.
Mit dem automatischen Informationsaustausch haben wir schon etwas erreicht, allerdings ist wieder die Umsetzung das große Problem. Hoffnungsfroh stimmt mich die Geldwäscherichtlinie der EU, wo erstmals zentrale Register der wirtschaftlich Berechtigten von Firmen erstellt werden, die auch öffentlich einsehbar sein sollen. Aber wer blockiert? Wieder Deutschland.