Merkel macht es nochmal Merkel wagt den Establishment-Test

Hier lacht lieber niemand mehr.
Foto: TOBIAS SCHWARZ/ AFPBundeskanzlerin Angela Merkel strebt nach der Bundestagswahl 2017 eine vierte Kanzlerschaft an. Am Sonntag kündigte sie nach den Sitzungen der CDU-Gremien eine Kandidatur für weitere vier Jahre und für eine Wiederwahl als CDU-Vorsitzende beim Bundesparteitag am 6. Dezember in Essen an. "Der geeignete Zeitpunkt ist heute da", sagte die 62-Jährige. Sowohl das CDU-Präsidium als auch der Bundesvorstand stellten sich einmütig hinter die Kandidatur. Aus der CSU kam vorsichtige Zustimmung.
Merkel begründete ihre langes Nachdenken über eine vierte Kandidatur auch mit den veränderten Umständen. "Die Wahl wird wie keine zuvor ... schwierig", sagte mit Blick auf eine Polarisierung der Gesellschaft. "Wir werden es mit Anfechtungen von allen Seiten zu tun haben - von rechts, von links", fügte sie hinzu. SPD, Grüne und Linke würden 2017 ihrer Meinung nach eine Regierung bilden, falls dies rechnerisch möglich sei. International würden die Werte angefochten, für die Deutschland stehe und für die sie persönlich kämpfe. Aber nach erheblicher Bedenkzeit glaube sie jetzt, dass sie sowohl die Neugier, die Entschlossenheit als auch die Ideen habe, um erneut antreten zu können. Merkel warnte vor hasserfüllten Angriffen, sagte aber, dass sie sich auf die politische Auseinandersetzung freue. "Wir werden sie unter Demokraten führen und im Ton von Demokraten."
Noch hält Helmut Kohl den Rekord
Ihre Entscheidung wird wenige Tage nach der weltöffentlichen Unterstützung Merkels durch den US-Präsidenten Barack Obama publik. Die Physikerin ist seit November 2005 Bundeskanzlerin als Nachfolger von Gerhard Schröder (SPD). Wird sie erneut gewählt, könnte sie Deutschland bis 2021 regieren. Bislang hält Helmut Kohl (CDU) mit 16 Jahren den Rekord.
SPD-Vize Ralf Stegner und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter äußerten Zweifel, dass die CDU-Chefin die Union zusammenhalten könne. Ihr "Mythos der Unbesiegbarkeit" sei vorbei, sagte Stegner zu Reuters. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry twitterte: "Deutschland kann sich eine weitere Amtszeit Angela Merkels nicht leisten". Vertreter der deutschen Wirtschaft begrüßten dagegen Merkels Ankündigung. "Das war alternativlos, die Bundeskanzlerin musste wieder antreten", sagte Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, der "Frankfurter Rundschau".
DGB fordert jetzt Klarheit von Sigmar Gabriel
Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann begrüßte im "Tagesspiegel" (Montag), dass Merkel Klarheit geschaffen habe. "Wir benötigen jetzt aber auch Klarheit bei der SPD." Deshalb sei es an der Zeit, dass sich SPD-Chef Sigmar Gabriel erkläre. Mit Merkels Entscheidung rund zehn Monate vor der Bundestagswahl könnte Gabriel unter Druck geraten, nun die Kanzlerkandidatur in seiner Partei zu klären. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte der dpa in Berlin: "Die Bundestagswahl ist offen, Angela Merkel ist nicht mehr unschlagbar."
Die Linke prophezeite für den Fall einer weiteren Amtszeit der Kanzlerin die Fortsetzung einer "Politik der sozialen Spaltung". Die Grünen kündigten einen harten Wahlkampf über Klimaschutz und gesellschaftlichen Zusammenhalt an. FDP-Chef Christian Lindner hielt Merkel eine "angegrünte" Innenpolitik vor und sagte der dpa: "Die Union zieht ihren letzten Trumpf und weiß nicht, ob er noch sticht."
Merkel äußerte sich zuversichtlich, dass CDU und CSU gemeinsam in den Wahlkampf zögen. CSU-Chef Seehofer, mit dem Merkel am Wochenende telefoniert hatte, werde aber nicht zum CDU-Parteitag nach Essen kommen. "CDU und CSU können nur gemeinsam gewinnen", sagte auch CDU-Vize Julia Klöckner. "Jeder, der glaubt, wir könnten auf unterschiedlichen Tickets fahren, muss wissen, dass wir dann nicht ankommen werden, zumindest nicht erfolgreich." Hintergrund sind Differenzen zwischen beiden Parteien etwa in der Flüchtlings- und Rentenpolitik. Im Bundesvorstand hatte Merkel nach Teilnehmerangaben gesagt, dass sie die Kluft zur CSU für überwunden halte.
CSU-Chef Seehofer reagierte positiv auf Merkels Ankündigung. "Wir wollen jetzt für weitere vier Jahre das Vertrauen der Bevölkerung. Deshalb ist es für heute gut, dass jetzt Klarheit herrscht", sagte er in München. Es komme jedoch darauf an, noch inhaltliche Differenzen zu klären. Kritischer äußerte sich Bayerns Finanzminister und Seehofer-Widersacher Markus Söder: "Das muss man zunächst mal mit Respekt entgegennehmen, aber nicht automatisch mit Euphorie", sagte er.
Mehrheit der Deutschen für vierte Amtszeit Merkels
Laut einer Emnid-Umfragen unterstützten 55 Prozent der Deutschen eine weitere Amtszeit Merkels. 39 Prozent wollten hingegen nicht, dass Merkel nach der Wahl 2017 Kanzlerin bleibe, berichtete "Bild am Sonntag". Im Vergleich zu August hat sich die Zustimmung zur CDU-Chefin damit deutlich verbessert. Besonders groß ist ihr Rückhalt bei Unions-Anhängern, von denen 92 Prozent für eine vierte Amtszeit sind, sowie bei Frauen (66 Prozent). Die CDU liegt laut der Umfrage derzeit bei 33 Prozent, die SPD bei 24 Prozent.
Merkel warnte vor überhöhten Erwartungen an ihre Person. Es ehre sie, dass gerade nach der US-Präsidentschaftswahl gesagt werde, nun komme es ganz auf sie an. "Aber ich empfinde es auch sehr stark als grotesk und geradezu absurd." Kein Mensch könne alleine alle Probleme lösen. Politik sei immer das gemeinsame Ringen um Interesse und Kompromisse. "Erfolge erzielen, das geht wirklich nur gemeinsam." Merkel hatte bereits im CDU-Bundesvorstand ausdrücklich um Unterstützung geworben. "Sie ist die Steuerfrau auf stürmischer See", sagte CDU-Vize Thomas Strobl mit Blick auf die Lage in Europa.
Im Mittelpunkt der CDU-Klausurtagung, die am Montag fortgesetzt wird, steht die Debatte über den Leitantrag. Notfalls soll mit weiteren Maßnahmen verhindert werden, dass erneut innerhalb eines Jahres fast eine Million Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland kommen. Die CDU rechnet zudem mit neuen Spielräumen im Bundeshaushalt durch steigende Steuereinnahmen und niedrige Zinsen. Überschüsse sollten zu gleichen Teilen für Investitionen, Steuerentlastungen und zusätzliche Ausgaben verwendet werden, heißt es in dem Entwurf des Leitantrages.
Parteifreunde hatten Merkel seit langem breite Rückendeckung für eine erneute Kandidatur gegeben, aus der CSU kam zuletzt ebenfalls Zustimmung.
Merkel hatte ihre Entscheidung zunächst im Präsidium, dem engsten Führungszirkel, und anschließend im größeren Vorstand mitgeteilt. Am Abend wollte sie sich bei einer Pressekonferenz in der Parteizentrale öffentlich äußern. Später war ein Auftritt in der ARD-Talkshow von Anne Will geplant.
SPD-Chef Gabriel hatte am Samstag bei einem Landesparteitag in Erfurt gesagt: "Wir freuen uns auf eine demokratische Auseinandersetzung." Auf die Frage, ob die SPD nun im Zugzwang sei, sagte er: "Das heißt nichts für die SPD." Gabriel hat bisher offen gelassen, ob er als Kanzlerkandidat antritt. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) werden Ambitionen nachgesagt.
CDU-Vize Armin Laschet sagte vor dem CDU-Treffen, Merkel habe in den vergangenen Tagen und Wochen viel außenpolitisches Lob erfahren. "Ich finde es wichtig, dass wir jemanden haben, der die Gesellschaft im Inneren zusammenhalten kann." EU-Kommissar Günther Oettinger sagte, viele Europäer - "fast alle" - wünschten sich, dass Merkel noch lange Verantwortung im Europäischen Rat trage.
Merkel ist seit April 2000 CDU-Vorsitzende und seit November 2005 Kanzlerin. Sollte sie 2017 zum vierten Mal gewinnen, hat sie die Chance, CDU-Mitbegründer Konrad Adenauer und auch Rekordhalter Helmut Kohl einzuholen. Adenauer war 14 Jahre, Kohl 16 Jahre Bundeskanzler.
Trotz der Flüchtlingskrise und der daraufhin einbrechenden Beliebtheitswerte gilt Merkel international nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA als letzte Verteidigerin westlicher Werte. US-Präsident Barack Obama nannte sie "zäh" und erklärte bei seinem Abschiedsbesuch, wäre er Deutscher, würde er sie wählen.

Die CDU will im Wahlkampf enttäuschte Wähler zurückgewinnen und ihre Politik stärker auf Familien und Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen ausrichten. Nach dem Entwurf eines Leitantrags für den Parteitag soll sich eine Flüchtlingskrise wie 2015 nicht wiederholen. Integrationsverweigerer sollen mit Sanktionen bis hin zu Leistungskürzungen und Ausweisung rechnen.