Schwache Bilanz Deutschlands Einwanderer wandern zu oft wieder aus

Mangelnde Perspektive daheim: Die Zuwanderung junger Südeuropäer nach Deutschland nimmt zu
Foto: ANDREA COMAS/ REUTERSHamburg - "Bienvenidos! Willkommen in Baden-Württemberg!" Im Schwarzwald versuchen gleich mehrere Initiativen, Nachwuchskräfte aus Spanien in die Region zu locken. Spanische Azubis für die Gastronomie, spanische Fachkräfte für Pflegedienste, Krankenhäuser und Kitas, spanische Ingenieure für die mittelständischen Industriebetriebe der Region: Im vom Fachkräftemangel geplagten ländlichen Süden Deutschlands haben Unternehmensverbände, Handwerks-, Industrie- und Handelskammern ihr Herz für rezessionsgeplagte Spanier entdeckt.
Die Idee: Südeuropa kämpft mit dramatisch hoher Jugendarbeitslosigkeit, die Mittelständler in Süddeutschland hingegen suchen händeringend Personal. Warum also nicht junge Nachwuchs- und erfahrene Fachkräfte aus Südeuropa nach Deutschland einfliegen lassen - und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?
Rührige Lokalpolitiker reisen daher nach Südeuropa und setzen hundert spanische Ingenieure ins Flugzeug, um sie zu einem Kennenlern-Tag nach Deutschland einzufliegen. Die Bundeskanzlerin verkündet beim Staatsbesuch in Madrid, Deutschland brauche spanische Ingenieure. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) verspricht, dass in den kommenden vier Jahren rund 5000 junge Spanier in Deutschland Ausbildung oder Beschäftigung erhalten sollen. Sprachangebote, Umzugs- und Bewerbungshilfen will sie aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit und europäischen Förderprogrammen finanzieren.
Empfangskomitees mit Lokalpresse, Blumen und Geschenken
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag fordert derweil "Welcome-Center" für Zuwanderer in allen größeren Städten - mindestens 1,5 Millionen zusätzliche ausländische Fachkräfte für Betriebe in Deutschland müssten bis zum Jahr 2025 her, fordert DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Und BMW startet ein Pilotprojekt, bei dem 25 junge Spanier ein Jahr lang in München ausgebildet werden: Rundumbetreuung und Unterbringung bei einer BMW-Gastfamilie inklusive. In der "Bild"-Zeitung fordern erste Politiker Willkommensprämien für qualifizierte Einwanderer.
Die Aktionen von Politikern und Unternehmensverbänden erinnern an die deutschen Anwerbeaktionen der 1960er und 1970er Jahre: Politiker und Unternehmer lockten damals rund vier Millionen "Gastarbeiter" ins Land, mit Werbeaktionen in Südeuropa, Geldprämien und Willkommensgeschenken. 1964 wurde der millionste Gastarbeiter öffentlichkeitswirksam vom Bundesverband deutscher Arbeitgeber (BDA) am Bahnhof begrüßt: Eine Blaskapelle spielte "Auf in den Kampf, Torero", und die Presse berichtete bundesweit darüber, wie die Augen des Portugiesen glänzten, als die örtlichen Honoratioren ihm ein nagelneues Moped schenkten.
2013 warten auf südeuropäische Fachkräfte, die dem Ruf der Lokalpolitiker und Unternehmer in meist ländlichen deutschen Regionen folgen, nun wieder Empfangskomitees mit Lokalpresse, Blumen und Geschenken. Der große Unterschied: Damals waren ungelernte Arbeitskräfte gefragt, die einfache Arbeiten übernahmen. Und sie sollten nur für einige Jahre ins Land kommen, bis die Aufbauarbeit erledigt und der Arbeitskräfteengpass überwunden wäre.
Gute Nachrichten für Deutschland
Heute suchen Unternehmengezielt nach ausgebildeten Fachkräften mit Deutschkenntnissen. Und sie wollen, dass die Zuwanderer bleiben: Am liebsten mit Kind und Kegel und für immer. Denn die Fachkräftelücke ist dieses Mal kein kurzfristiger Engpass. Sie wächst vielmehr mit jedem Jahr, das vergeht. Denn Deutschland altert und schrumpft.
Da trifft es sich gut, dass die Werbeaktionen Wirkung zu zeigen scheinen: Eine Million Menschen verlegten im Jahr 2012 ihren Wohnsitz in die Bundesrepublik, so viele waren es zuletzt Mitte der 1990er Jahre. Viele von ihnen kamen aus den südeuropäischen Krisenländern. Die Zahl der zugewanderten Spanier stieg um 45 Prozent, , Portugal und Italien kamen ebenfalls jeweils mehr als 40 Prozent mehr Zuwanderer als im Vorjahr. Doch die hohen Zuwachsraten trügen, warnt Klaus-Heiner Röhl, Experte für Regionalpolitik beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln: "Man darf den hohen Anstieg der Zuwanderung aus Südeuropa nicht überinterpretieren", sagt er.
"Die Zuwanderung aus Ländern wie Spanien und Portugal steigt stark an, allerdings von einem niedrigen Niveau aus. In absoluten Zahlen ist die Zuwanderung also absolut nicht vergleichbar mit der Gastarbeiter-Welle in den 1960er Jahren." Tatsächlich sind insgesamt nur rund 70.000 Menschen aus Griechenland, Italien, Portugal und Spanien nach Deutschland gezogen. Zum Vergleich: Allein aus Polen kamen 176.000 Menschen, aus Rumänien wanderten 116.000, aus Bulgarien 59.000 Menschen ein.
In absoluten Zahlen sei die Zuwanderung aus Osteuropa ein wesentlich wichtigerer Faktor für den deutschen Arbeitsmarkt, sagt IW-Experte Röhl. Allerdings zeige die Statistik nicht alle Auswirkungen der südeuropäischen Krise auf die Migrantenströme. "Einen Teil der Wanderungsbewegungen können wir in den Statistiken gar nicht verfolgen", sagt Röhl. So sei es zum Beispiel plausibel, dass Migranten aus Osteuropa, die zuvor in Spanien, Italien oder Griechenland Arbeit gefunden haben, nun diesen Ländern den Rücken kehren - und stattdessen Deutschland ansteuern.
Von einer Million Zugewanderter blieben nur 400.000
Die steigenden Zuwanderungszahlen sind gute Nachrichten für Deutschland. Schließlich zeigte der jüngste Zensus, dass hierzulande 1,5 Millionen Menschen weniger leben als gedacht. Und ein großer Teil dieser verlorenen anderthalb Millionen sind offenbar Ausländer, die sich unbemerkt wieder in ihre Heimatländer verabschiedet haben.
Das ist ein Warnsignal für das schrumpfende und alternde Deutschland. Wir schaffen es offenbar nicht, Zuwanderer auch im Land zu halten. Auch von der einen Million Zuwanderer blieb 2012 unterm Strich nur ein knappes Plus von nicht einmal 400.000 Menschen, wenn man die Zahl der Fortzüge im selben Zeitraum berücksichtigt. In die Türkei wanderten etwa 4000 Menschen mehr ab, als umgekehrt nach Deutschland einreisten.
Eine schnelle Integration will vielerorts nicht gelingen
Das soll bei den neuen Zuwanderern nicht passieren. Politiker und Unternehmensverbände wollen sie unbedingt im Land halten. Denn sie sind meist jung - und außergewöhnlich hoch qualifiziert. "Ein Trend ist klar erkennbar: Die Migranten, die zurzeit nach Deutschland kommen, kann man nicht mit den Gastarbeitern der 1960er Jahre vergleichen", sagt Röhl. "Sie sind deutlich besser qualifiziert, der Anteil der Akademiker unter den Zuwanderern steigt." 43 Prozent der Neuzuwanderer zwischen 15 und 65 Jahren haben einen Meister, Hochschul- oder Technikerabschluss, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Zum Vergleich: Bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund verfügen nur 26 Prozent über vergleichbare Abschlüsse.
Und doch: Eine schnelle Integration in den deutschen Arbeitsmarkt will vielerorts nicht gelingen. Das mag auch daran liegen, dass sich die neuen Zuwanderer dieses Mal selbst eher als Gastarbeiter sehen. Sie sind sie es plötzlich, die einen kurzfristigen Engpass auf dem Arbeitsmarkt überbrücken wollen. "Wenn es den Heimatländern wirtschaftlich wieder besser geht, wollen gerade die jungen Leute wieder zurück", sagt Johann Fuchs, Analyst beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Deutsche Unternehmen hätten daher womöglich die Sorge, dass sie jetzt in Ausbildung und Integration der Krisenflüchtlinge investieren - nur damit die dann nach wenigen Jahren wieder ins Ausland verschwinden.
Hinzu kommt: Zwar ist der Fachkräftemangel in einigen Regionen und Branchen bereits deutlich spürbar. "Aber das gilt noch nicht flächendeckend für alle Unternehmen", sagt Fuchs. "Die meisten Betriebe sind sich des Trends bewusst, sie sehen, dass das Erwerbspersonenpotenzial stetig sinkt. Aber der Handlungsdruck ist noch nicht so hoch, dass sie sofort und unter allen Umständen einstellen." Fachkräfte aus Südeuropa, um die man sich mit Sprach- und Integrationskursen bemühen muss, sind da oft nicht die erste Wahl.
Berliner Malaise lässt Einwanderer enntäuscht zurückkehren
Die meisten der gut qualifizierten Migranten zieht es in die wirtschaftlich starken Regionen Deutschlands: Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen waren 2012 die beliebtesten Ziele der Zuwanderer. "Allerdings müssen viele dann feststellen, dass sich die schleppende Konjunktur auch hierzulande bemerkbar macht", sagt IW-Experte Röhl. "Die Rekrutierung läuft zumindest aktuell etwas schleppender." Und wo nur punktuell eingestellt wird, ziehen Unternehmen häufig Muttersprachler als die unkomplizierteren Kandidaten vor.
Enttäuschung droht auch den Zuwanderern, die es nicht zu den "Hidden Champions" aufs Land, sondern in die deutsche Hauptstadt zieht. "Gerade bei jungen Hochschulabsolventen ist Berlin ein beliebtes Ziel", sagt IW-Experte Röhl. Dahinter stecke nicht nur der Coolness-Faktor der Hauptstadt. "In südeuropäischen Ländern sind die Hauptstädte nicht nur Zentrum des kulturellen, sondern auch des wirtschaftlichen Lebens. Die Zuwanderer erwarten, dass das auch hierzulande der Fall ist." Ist es aber nicht. Berlin ist trotz aller Erfolge etwa mit Start-ups in der IT-Branche weiterhin eine schwache Region Deutschlands.
In der Hauptstadt angekommen, folgt die Ernüchterung: Berlin ist mit einer Arbeitslosenquote von 11,8 Prozent bundesweites Schlusslicht auf dem Arbeitsmarkt. Gut bezahlte Stellen sind heiß umkämpft, die Lebenshaltungskosten steigen. Statt dem Karrierestart im Traumjob winkt oftmals nur ein Aushilfsjob als Kellner - von dem sich kaum Miete und ein Sprachkurs bezahlen lassen. "Diejenigen, die nach zwei oder drei Monaten ernüchtert wieder das Land verlassen, sehen wir in den Statistiken gar nicht", sagt IAB-Analyst Fuchs. Denn erst nach zwei Monaten sind Zuwanderer meldepflichtig.