Sparkassentag Merkel sieht EZB vor Zinsentscheid in Dilemma

Kanzlerin Angela Merkel: Die EZB "müsste für Deutschland im Augenblick die Zinsen im Grunde wahrscheinlich etwas erhöhen"
Foto: Arno Burgi/ dpaDresden/Frankfurt - Die Zentralbank befinde sich in einer "ganz schwierigen Situation", sagte Merkel am Donnerstag auf dem Deutschen Sparkassentag in Dresden und fügte hinzu: "Sie müsste für Deutschland im Augenblick die Zinsen im Grunde wahrscheinlich etwas erhöhen." Allerdings fügte sie mit Blick auf die rezessionsgeplagten Krisenstaaten in Südeuropa hinzu: "Aber sie müsste für andere Länder eigentlich noch mehr tun dafür, dass noch mehr Liquidität zur Verfügung gestellt wird. Und vor allem, dass diese Liquidität für die Unternehmensfinanzierung ankommt."
An den Finanzmärkten wird damit gerechnet, dass die EZB deswegen in ihrer Sitzung am 2. Mai den Leitzins senken wird. Normalerweise äußert sich Merkel nur selten konkret zur Zinspolitik der politisch unabhängigen Europäischen Zentralbank (EZB) - das Dilemma, dass die EZB zwischen unterschiedlichen Bedürfnissen der Euro-Länder abwägen muss, gibt es allerdings seit der Einführung der Gemeinschaftswährung.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Kanzlerin stelle in keiner Weise die Unabhängigkeit der EZB infrage. "Die Bundeskanzlerin hat beschrieben, warum es nicht einfach ist, unterschiedliche Interessen innerhalb der Eurozone in Ausgleich zu bringen." Deshalb sei es so wichtig, die interne Spaltung der Eurozone mit Strukturreformen und engerer wirtschaftspolitischer Koordination zu überwinden.
Auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler betonte: "Es ist klare Aufgabe der EZB, in völliger Unabhängigkeit - und das macht sie auch immer - die Leitzinsen festzulegen", sagte er in Berlin. Die Bundesregierung achte diese Unabhängigkeit.
EZB-Rat entscheidet am 2. Mai über mögliche Zinssenkung
Der EZB-Rat entscheidet kommenden Donnerstag über den Leitzins für die 17 Länder der Währungsunion. Laut EZB-Vizepräsident Vitor Constancio hat die Zentralbank noch etwas Spielraum, um Entscheidungen zu treffen. "Und wir sind bereit zu handeln, wenn die Wirtschaftsdaten schlecht sind, was leider der Fall war", sagte der Stellvertreter von EZB-Chef Mario Draghi am Mittwoch vor dem Europäischen Parlament.
Im Gegensatz zu Constancio und vielen Notenbankern aus Südeuropa sehen Bundesbank-Chef Jens Weidmann und das deutsche Mitglied im EZB-Direktorium, Jörg Asmussen, den Nutzen einer Zinssenkung skeptisch. Asmussen sagte am Donnerstag in London: "Angesichts der gestörten Übertragungskanäle der Geldpolitik wären die Effekte von Zinssenkungen in der Peripherie begrenzt, genau dort, wo sie am dringendsten gebraucht würden."
Ob weitere Zinssenkungen für Deutschland nützlich oder eher schädlich sein könnten, entzweit derzeit die Ökonomen. Manche fürchten etwa, dass immer billigeres Geld der Notenbank dazu beitragen könnte, dass in Ballungsräumen der Immobilienmarkt überhitzt, wie das zum Teil schon in München, Stuttgart und Frankfurt, aber auch in Teilen Berlins und Hamburgs der Fall ist.
Vor- und Nachteile einer Zinssenkung im Euro-Raum
Andere Experten sehen durchaus noch positive psychologische Effekte durch eine Zinssenkung auch in Deutschland. So könne ein weiterer Zinsschritt nach unten - von aktuell 0,75 Prozent auf dann vermutlich 0,5 Prozent - dazu beitragen, Konsum und Investitionen anzukurbeln.
Akute Inflationsgefahr besteht in Deutschland bei einer Teuerungsrate von 1,4 Prozent nicht, so dass die EZB nicht Gefahr läuft, mit einer Zinssenkung in der größten Volkswirtschaft die Preise anzuheizen. Allerdings sind in Deutschland vor allem Sparkassen, Volks-und Raiffeisenbanken und Versicherungsunternehmen von den schon sehr lange niedrigen Zinsen betroffen. Die einen, weil sie ihren Millionen Kleinsparern kaum Zinsen zahlen können, die anderen, weil sie keine renditeträchtigen Anlagemöglichkeiten finden, um den Lebens-Versicherten die ihnen vor Jahren garantierten Zinsen zu erwirtschaften.
Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon hatte am Mittwoch an gleicher Stelle, an der Merkel am Donnerstag sprach, perspektivisch höhere Leitzins der EZB gefordert. Der Verband der Volks- und Raiffeisenbanken bezweifelt ähnlich wie Asmussen, ob noch niedrigere Leitzinsen überhaupt helfen, die Lage in den Krisenländern zu verbessern.
"Wir können uns nicht abkoppeln"
Merkel betonte die gegenseitige Abhängigkeit in der Euro-Zone. Deutschland habe ein "immanentes Interesse" daran, dass es der Euro-Zone gutgehe, da es mittel- und langfristig nur erfolgreich sein könne, wenn es den Partnern gutgehe. "Wir können uns nicht abkoppeln."
Zugleich forderte sie aber ehrgeizige Reformen in Europa, damit sich die Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen Volkswirtschaften wieder mehr annähere. "Wenn wir wieder zu einem erträglichen Zinsniveaus kommen wollen, dann müssen wir die interne Spaltung des Euroraums überwinden." Es sei nicht akzeptabel, dass Kredite an Unternehmen in vielen Ländern des Südens zwei- bis dreimal so teuer seien wie in Deutschland. Viele Reformbestrebungen würden dadurch aufgefressen
Die Forderung nach schuldenfinanzierten Wachstumsprogrammen oder einer Lockerung der Sparpolitik in der EU wies sie entschieden zurück. "Nur Wachstum auf der Grundlage staatlicher Finanzierung wird uns in Europa nicht wettbewerbsfähiger machen", sagte Merkel. "Die Lage, in der wir sind, ist nicht durch Austerität entstanden." Man müsse den Kreislauf verstehen: "Deshalb ist es besser, man baut Schulden ab und hat nicht soviel Schulden, weil sonst die Finanzierung von Wachstum sehr viel schwieriger wird", mahnte sie.