Vermögenssteuern Reichenabgabe kann Mittelschicht treffen

Neue Steuern: Schuldenkrise soll durch Abgaben von Reichen gelöst werden, doch selbst die Mittelschicht kann nicht vor Zwangsabgaben sicher sein
Foto: CorbisHamburg - In Hamburg wollen sie Ende September die Reichen umzingeln. Das Bündnis "Umfairteilen", an dem sich Gewerkschaften, Sozialverbände und andere Organisationen beteiligen, ruft zu einem Menschenring rund um die Bank- und Versicherungsgebäude in der "Hauptstadt der Millionäre" auf. Sobald der Ring geschlossen ist, so der Plan, werden die Aktivisten symbolisch große Geldsäcke von den Banken und Versicherungen hinüber zum Rathaus schaffen. Man müsse nur von den Reichen nehmen, dann sei genug für alle da und Schluss mit "Kürzen, Kürzen, Kürzen", erklärt der örtliche Ableger der NGO Attac die Aktion.
Immer neue Forderungen nach Sparprogrammen, Kürzungen und Schuldenbremsen mag kaum jemand mehr hören. Die "Reichensteuer", eine einmalige Zwangsabgabe für Vermögende, die Wiedereinführung der Vermögensteuer, ein höherer Spitzensatz bei der Einkommensteuer und höhere Erbschafts-, Kapitalertrags- und Unternehmenssteuern: Solche Themen haben jetzt Konjunktur. Mit dem Geld der Reichen, so die Idee, sollen die Folgen der Finanz- und Euro-Krise bezahlt werden.
Die Gewerkschaften und Attac fordern höhere Abgaben für Reiche, ebenso die Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die Grünen, die SPD und die Linke. Selbst einige Millionäre haben sich mit einem "Appell für eine Vermögensabgabe" zu Wort gemeldet und möchten gerne höhere Steuern zahlen.
Wer dabei allerdings als "reich" gilt und wer nicht, ist alles andere als klar. Verdi fordert Abgaben für jeden, der Vermögen im Wert von mehr als einer Million Euro besitzt. Für SPD und Grüne ist reich, wer mehr als zwei Millionen Euro besitzt. Reichtum ist eben relativ. "Mit 250.000 bis 300.000 Euro Vermögen zählt man in Deutschland schon zu den reichsten 8 Prozent der Bevölkerung - auch wenn viele sich damit eher als Teil der Mittelschicht fühlen", sagt Stefan Bach, Experte beim DIW in Berlin. Eine Vermögensabgabe von 10 Prozent für diese 8 Prozent der Bundesbürger könnte dem Staat 230 Milliarden Euro einbringen, rechnen die DIW-Ökonomen vor.
Flucht noch vor der Wahl
Vermögensverwalter raten ihrer wohlhabenden Klientel angesichts dieser für den klammen Staat verführerischen Summen bereits, ihr Kapital vor einer möglichen Einführung von Vermögensabgaben nach der kommenden Bundestagswahl in Sicherheit zu bringen. "Die aktuellen Vorschläge sind sehr unkonkret, wenn es um die Abgrenzung zwischen Mittelschicht und den sogenannten Vermögenden geht", warnt etwa Philipp Jess von der Vermögensverwaltung und Finanzberatung Dahm und Jess. "Im Moment scheint es nur um die sogenannten Superreichen zu gehen, aber wo die Freibeträge bei neuen Abgaben tatsächlich liegen würden, ist nicht absehbar." Es könne deshalb sinnvoll sein, das Vermögen etwa durch Schenkungen an Dritte aufzuteilen und möglichst in flexible Anlagen zu stecken.
Gerade der aktuelle Immobilien-Hype sei vor dem Hintergrund möglicher neuer Vermögensteuern riskant. "Die wirklich Superreichen finden immer Möglichkeiten, einer Besteuerung auszuweichen", sagt Jess. Doch wer etwa eine Immobilie in einer deutschen Großstadt sein eigen nenne, käme nach den aktuellen Preissprüngen am Immobilienmarkt ebenfalls schnell über ein Vermögen von mehreren hunderttausend oder einer Million Euro. "Dann ist man Vermögensmillionär, auch wenn man sich nicht so fühlt", sagt Jess.
Wer dann aber nur ein geringes Einkommen, aber ein hohes Vermögen in Sachwerten wie Immobilien hat, kommt dann schnell in die Bredouille. "Wenn es dumm läuft, muss etwa eine Rentnerin, die in einer hoch bewerteten Immobilie lebt, ihr Haus beleihen, um die Vermögensteuer zahlen zu können." Statt ihren Zweck als Alterssicherung zu erfüllen, ist die Immobilie dann plötzlich eine finanzielle Belastung. "Zusätzlich stellt sich die Frage, wer all diese Bewertungen von Vermögensgegenständen vornehmen soll, und nach welchen Bewertungsgrundsätzen", sagt Jess. "Wie hoch der Erhebungsaufwand solcher Vermögensdaten ist, hat sich ja bereits bei der Erbschaftssteuer gezeigt."
Würde eine Vermögensteuer oder eine einmalige Vermögensabgabe eingeführt, drohte den Finanzbehörden deshalb wohl eine Klagewelle. "Wenn der Staat schon bei Immobilien Probleme hat, den tatsächlichen Wert festzustellen, wie soll das dann erst funktionieren, wenn es plötzlich um Gesamtvermögen und Unternehmensbeteiligung geht, um den Oldtimers, Antiquitäten, die Briefmarkensammlung", sagt der Berater. Rechtsstreitigkeiten über die richtige Bewertung seien vorprogrammiert - vor allem, weil selbst Vermögende, die zu höheren Beiträgen bereit wären, bei solchen Detailfragen wohl der Geduldsfaden reißen würde. "Die aktuelle Debatte ist mit ihrer Hetze gegen die vermeintlich Reichen ohnehin schon nah an der Schmerzgrenze", findet Jess.
"Der Schaden einer solchen Abgabe wäre höher als ihr Nutzen"
Selbst Befürworter von Vermögensabgaben sehen in der praktischen Umsetzung einen Schwachpunkt. Wenn die Freibeträge für Vermögensabgaben bei ein oder zwei Millionen Euro festgelegt würden, wäre nur noch ein Prozent der Bevölkerung betroffen, erklärt DIW-Ökonom Bach. Der Erhebungsaufwand für die Finanzbehörden und Steuerpflichtige wäre dann geringer als bei einer breit angelegten Vermögenssteuer, die etwa bei 300.000 Euro anfangen würde, weil sehr viel weniger Menschen betroffen wären.
Der Steuersatz müsse dann allerdings deutlich höher angesetzt werden, um noch das gleiche Aufkommen zu erzielen. Und selbst dann stehe die Finanzverwaltung vor der Herausforderung, alle Vermögenden und ihre Vermögenswerte zu erfassen und zu bewerten. Und: "Die tatsächlich Superreichen haben sehr viel mehr Möglichkeiten, einer Besteuerung auszuweichen", sagt Bach.
Wolle man diese Klientel stärker belasten, sei deshalb eine einmalige Vermögensabgabe sinnvoller als eine Erhöhung der Erbschafts- und Abgeltungsteuern oder die Einführung einer laufenden Vermögensteuer. "Der Vorteil einer solchen Abgabe auf den vorhandenen Vermögensbestand wäre, dass so schnell kaum jemand sein Vermögen der Besteuerung entziehen könnte." Auch künftige Investitionen und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands seien von einer solchen Abgabe nicht betroffen, anders als bei Erhöhungen laufender Steuern.
Damit könne ein wichtiger Beitrag zur Absenkung der Staatsschulden geleistet werden, ohne dass größere gesamtwirtschaftliche Schäden entstehen. "Klar ist aber auch, dass sich die Leute bei einer solchen außerordentlichen Maßnahme überrumpelt und enteignet fühlen würden", gibt der Ökonom zu. Ob die aktuelle Haushaltslage und die Belastungen durch die Euro-Krise einen solchen Schritt rechtfertigen, sei letztlich eine politische Entscheidung. Eine unmittelbare fiskalische Notsituation bestehe in Deutschland derzeit zwar nicht, anders als in den südeuropäischen Krisenländern, für die Bach auch Zwangsanleihen bei wohlhabenden Bürgern empfiehlt.
Keine außergewöhnliche Notsituation
Tatsächlich habe es solche Sonderabgaben in der deutschen Geschichte immer wieder und aus den unterschiedlichsten Gründen gegeben. "Anfang der 50er Jahre war auch nicht eine fiskalische Notsituation der Auslöser für den Lastenausgleich. Die Sonderabgaben dienten als Starthilfe für Flüchtlinge und Vertriebene. Und waren sehr wichtig für den erfolgreichen Wiederaufbau."
Vermögensverwalter Georg Graf von Wallwitz warnt vor Vergleichen mit dem Lastenausgleich nach dem Krieg. "Wenn ohne Not ein Notopfer verlangt wird, wittert das Kapital eine Wiederholungsgefahr und wandert ab. Spanien und Italien sind in Not, Deutschland aber noch nicht", sagt der Chef der Vermögensverwaltung Eyb & Wallwitz. "Der Schaden einer solchen Abgabe wäre höher als ihr Nutzen, weil eine Wiederholung nicht glaubhaft ausgeschlossen werden könnte."
Auch Ökonom Ralph Brügelmann vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hält den Vorstoß der Berliner DIW-Ökonomen und die aktuellen Forderungen der Oppositionsparteien deshalb für gefährlich. "Ob solche Abgaben verfassungsgemäß sind, ist mehr als fraglich. Es gibt keine außergewöhnliche Notsituation, die eine Zwangsabgabe rechtfertigen würde", sagt er; erst gestern hatte das Statistische Bundesamt mitgeteilt, dass die Bundesrepublik in der ersten Jahreshälfte ein gesamtstaatliches Plus in der Haushaltskasse erreicht hat. "Deutschland ist nun wirklich weit davon entfernt, einen Marshallplan zu brauchn, wie es etwa nach dem zweiten Weltkrieg der Fall war", sagt dann auch IW-Ökonom Brügelmann. Damals habe eine viel härtere Ungleichheit geherrscht: "Bei dem einen hat die Bombe eingeschlagen, er hat alles verloren. Bei dem anderen nicht. Ein Ausgleich war gerechtfertigt."
Der deutsche Schuldenstand sei ohne Frage viel zu hoch, sagt Brügelmann. "Der Anstieg der Verschuldung war aber etwa zwischen 1990 und 1999 durch die Wiedervereinigung prozentual ebenso hoch wie nun durch die Finanzkrise. Damals haben wir auch keine Vermögensabgabe eingeführt. Warum also jetzt?", fragt Brügelmann. Der Schuldenabbau sei auch ohne massive Eingriffe wie eine Vermögensabgabe zu schaffen.
Deutsche Privatanleger fürchten sich trotz der aktuellen Debatte mehr vor einer Verschlimmerung der Euro-Krise und vor Inflation als davor, dass der Staat ihr Vermögen mit höheren Steuern schmälert. Das zeigt eine Umfrage des britischen Vermögensverwalters Schroders. Während sich dem Schroders Wealth Barometer zufolge mehr als 60 Prozent der italienischen Anleger und fast die Hälfte der Spanier vor Steuererhöhungen fürchten, sind es in Deutschland gerade einmal rund 20 Prozent. Aus Furcht vor der Geldentwertung investieren die Deutschen vielmehr besonders gerne in Immobilien und sparen für's Alter.
Für viele Anleger sei das jetzt schon schwer genug, sagt IW-Ökonom Brügelmann. Angesichts niedriger Zinsen, nach Inflation und Abgeltungsteuer schaffen sie mit ihren Investments kaum noch einen realen Erhalt des Ersparten. "Wenn man jetzt noch Vermögensteuern und weitere Abgaben oben drauf setzt, wird das den Kapitalaufbau und die Altersvorsorge vieler Menschen erschweren."