
Euro-Krise Das Versagen der Eliten


Kanzlerin Angela Merkel und Tschechiens Regierungschef Petr Necas: Gespräche über Formen, nicht immer über Inhalte
Foto: DPAHamburg - Die Gegenwart ist gut. Soeben haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute eine Fortsetzung des Aufschwungs im kommenden Jahr vorhergesagt. Der manager-magazin-Konjunktur-Indikator, ermittelt von Kiel Economics, zeigt sogar schon für 2012 ein Wachstum von 2 Prozent an. Andere Forschungsinstitute sehen das ähnlich.
Deutschland geht's gut, so gut wie lange nicht, so gut wie kaum einem anderen westlichen Land. Aber was die Zukunft betrifft, ist den Bürgern nicht so ganz geheuer.
Das ist kaum verwunderlich, angesichts der sich abermals zuspitzenden Euro-Krise, angesichts der immer größeren Hilfspakete und Liquiditätsspritzen. Dreiviertel der Deutschen fürchten den Wertverlust ihres Geldes, fast ebenso viele haben Angst um ihre Altersversorgung, wie kürzlich die Deutschland-Trend-Umfrage der ARD ermittelte.
Die Euro-Krise schlägt den Bürgern aufs Gemüt: Sie vergällt ihnen die gute Gegenwart und schürt den Pessimismus. Hält der Euro? Was passiert mit diesem Land und mit Europa, falls die gemeinsame Währung auseinanderbricht? Bleibt Deutschland dann fest verankert in der Völkergemeinschaft Europas? Oder kommt es abermals zu Feindseligkeiten zwischen den Nationen?
Beim Blick in die Zukunft erfasst die Deutschen großes Unbehagen. Denn ein tragender Eckpfeiler der Bundesrepublik - die Einbindung in die Völker- und Wohlstandsgemeinschaft Europas - ist durch die Euro-Krise brüchig geworden.
Eine konkrete Vision für Europa bleibt auch Angela Merkel schuldig
Man kann die Verunsicherung als Versagen der deutschen Eliten werten. So verkündete die Kanzlerin am Beginn der Euro-Krise, man werde anderen Staaten auf keinen Fall zu Hilfe eilen. Dann schwenkte sie um, half erst, ein Paket für Griechenland zu schnüren und kurz darauf den Rettungsfonds EFSF aufzulegen. Inzwischen verkündet Angela Merkel, wenn der Euro scheitere, dann scheitere Europa. Das klingt dramatisch - schließlich wären die Konsequenzen des Scheiterns kaum abschätzbar. Aber mit ihren Ängsten lässt sie die Bürger allein.
Denn eine konkrete Vision, wie es denn weitergehen soll mit Europa, bleibt sie schuldig. "Ich glaube, wir werden Schritt für Schritt Kompetenzen vergemeinschaften", sagte Merkel kürzlich in Prag. Dann sprach sie über europäische Institutionen und ihren künftigen Zuschnitt - sie sprach über Formen, nicht über Inhalte. Seltsam blutarm klang ihre Botschaft. Gesellschaftliche Führung sieht anders aus.
Schon scheint in der Wirtschaft die Unterstützung für den Euro zu bröckeln. Einige Unternehmer und Topmanager sprechen sich inzwischen öffentlich gegen immer weitere Rettungsaktionen und für die Rückführung der Währungsunion auf einen harten Kern aus. Wissenschaftler streiten wild durcheinander und bringen wüste Szenarien in die Debatte ein.
Wo Deutschland steht, und wohin es will, bleibt unklar.
Ein gemeinsame Führungskultur fehlt
Mit ihrer Euro-Kakophonie werden die Vorleute in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ihren Rollen nicht gerecht - in einer Kernfrage der Nation lassen sie eine gemeinsame Sicht vermissen. Im aktuellen manager magazin, das seit vorigem Freitag erhältlich ist, befassen wir uns mit dem Zustand der deutschen Eliten. Basierend auf einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), der Personalberatung Egon Zehnder und der Stiftung Neue Verantwortung analysiert ein umfangreicher Report die nicht gerade berauschenden gesellschaftlichen Führungsqualitäten.
Insofern ist der Mangel an Orientierung in der Euro-Krise symptomatisch für den Zustand der Nation. Jörg Ritter, Berater bei der Personalberatung bei Egon Zehnder und einer der Autoren der Berliner Studie, sagt, es fehle ein wechselseitiges Verständnis: "Die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft neigen dazu, abgeschottet in ihren Festungen zu bleiben. Manche pflegen gar ihre Vorurteile. Eine konstruktive Zusammenarbeit kommt nicht zustande, obwohl alle erkennen, dass das für zukünftige Herausforderungen unersetzlich ist. Letztendlich fehlt eine gemeinsame Führungskultur."
Gerade die Spitzenleute in der Wirtschaft gelten als wenig gesellschaftsförderlich. "Nur wenige Topmanager verstehen, wie die anderen Sektoren ticken", kritisiert WZB-Chefin Jutta Allmendinger.
Und Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und Initiator des Global Economic Symposium, konstatiert trocken: "Es fehlt eine Ausrichtung auf größere gesellschaftliche Ziele." Gerade die Wirtschaftsspitzen müssten lernen, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken: "Große Unternehmen und ihre Topmanager müssen helfen, sich an der Suche nach Lösungen zu beteiligen", fordert Snower.
Vertrauen in die Eliten fehlt
Der Mangel an Führung ist den Bundesbürgern wohl bewusst. Entsprechend schlecht schätzen sie die Eliten ein. Wer vertraut den Politikern? 1 Prozent der Deutschen. Wer vertraut Unternehmen und Managern? 2 Prozent. Beunruhigende Zahlen, die das Meinungsforschungsinstitut Allensbach ermittelt hat. Sie geben den Blick frei auf eine tiefe Orientierungslosigkeit: Eine Gesellschaft, die ihren Eliten misstraut, hat ein Problem mit sich - es fehlt die Richtung, es mangelt an Zutrauen in eine gute, gemeinsame Zukunft.
Die Euro-Krise ist so gesehen ein Testfall. Sie bedroht die Zukunft dieses Landes und seines Wohlstands. Und sie berührt Grundfragen an das Wesen der Bundesrepublik: Treiben die Deutschen die europäische Integration weiter voran? Oder ziehen sie sich besserwisserisch und frustriert in nationale Schutzräume zurück?
Fragen, die ähnlich wie Demokratie und Westbindung Grundkoordinaten der Gesellschaft betreffen.
Natürlich darf - und muss - über das Wie der europäischen Zukunft gestritten werden. Wer aber Deutschlands prinzipiellen Integrationswillen in Zweifel zieht, der unterminiert das bundesrepublikanische Fundament.