Führungskräfte "Erfolg haben die Härtesten, nicht die Besten"

Erschöpft: Viele Führungskräfte arbeiten weit über die Grenze der normalen Belastbarkeit hinaus
Foto: Corbismm: Frau Professor Allmendiger, Herr Leipprand, Herr Ritter, soeben ist Ihre Studie über die Einstellungen deutscher Führungskräfte erschienen. Warum dieses Projekt?
Ritter: Seit geraumer Zeit erleben wir in unserer täglichen Praxis, dass es am gegenseitigen Verständnis fehlt: Die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft neigen dazu, abgeschottet in ihren Festungen zu bleiben. Manche pflegen gar ihre Vorurteile. Eine konstruktive Zusammenarbeit kommt nicht zustande, obwohl alle erkennen, dass das für zukünftige Herausforderungen unersetzlich ist. Letztendlich fehlt eine gemeinsame Führungskultur. Das kann zum Problem werden.
mm: Für wen?
Ritter: Für die Gesellschaft insgesamt, aber auch für die Wirtschaft. Als Personalberater erlebe ich einen eklatanten Mangel an Persönlichkeiten, wenn es darum geht, Positionen an der Schnittstelle zweier Bereiche zu besetzen. Menschen, die in verschiedenen Welten zu Hause sind, sind rar.
Allmendinger: Das kann ich nur bestätigen. Nur wenige Topmanager verstehen, wie die anderen Sektoren ticken und welche Rahmenbedingungen sie damit auch setzen. Würde man sich in der Wirtschaft immer klar machen, dass die Politik in Legislaturperioden denkt, könnten viele Projekte ganz anders aufgesetzt werden. Das gilt natürlich auch in umgekehrter Richtung.
mm: Sie halten Topmanager für engstirnig?
Allmendinger: Eher für extrem auf ihren eigenes Umfeld konzentriert. Sie nehmen sich auch selten Zeit, sich anderen Bereichen auszusetzen. Ihr Arbeitstag ist allemal randvoll und hört eigentlich nie auf. Die Reizüberflutung ist hoch, viele meinen: zu hoch.
mm: Verständlich. Die Konzerne sind heute international aufgestellt, die Informationsflut hat exponentiell zugenommen. Aber deutsche Unternehmen agieren in dieser Welt doch sehr erfolgreich. Wo ist das Problem?
Allmendinger: In den Gesprächen zeigte sich, dass es für die Topmanager ganz persönlich ein Problem ist. Viele fühlen sich getrieben, die Schreibtische und Mailboxen sind übervoll. Es fehlt die Zeit innezuhalten und sich zu fragen: Wo sehe ich mich in zwei Wochen, in zwei Monaten, geschweige denn in zwei Jahren?
Leipprand: Den enormen Druck aushalten zu können - das wird zunehmend zum Auslesekriterium für Führungskräfte. Übrigens gilt das nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für den öffentlichen Sektor. Nur wer auf Dauer 18-Stunden-Tage aushält, kommt nach oben.
mm: Karriere nach dem Last-man-Standing-Prinzip - nicht gerade das ideale Auswahlkriterium, oder?
Leipprand: Zurzeit kommen nicht unbedingt die Leute mit den größten Führungsqualitäten nach oben, sondern die härtesten. Übrigens sehen den Dauerdruck viele der Befragten selbst als Problem. Sie sehnen sich nach Rückzugsmöglichkeiten. Von Bildungsministerin Annette Schavan ist bekannt, dass sie stets morgens und abends eine Stunde betet. Sie sagt, es gebe ihr Kraft und Gelassenheit. Aber das ist eine absolute Ausnahme.
mm: Im neuen manager magazin, das am 20. April erscheint, beschäftigen wir uns eingehend mit den Ergebnissen Ihrer Studie, gerade aus Sicht der Wirtschaft. Wo sehen Sie die größten unbearbeiteten Probleme?
Ritter: Führungspersönlichkeiten, nicht nur in der Wirtschaft, sehen sich heute mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Die Grenzen, die früher in Bezug auf die eigene Tätigkeit, auf Märkte und Produkte galten, sind ins Wanken geraten. Jeder sieht, dass keiner allein weiterkommt. Doch man findet noch zu selten zusammen. Letztendlich mangelt es an einem Leitbild, wie das Führen von Organisationen und Menschen über Sektoren hinaus gelingen kann.
Kaum Wertorientierung im Topmanagement
mm: Aber momentan ist Deutschland doch hochgradig erfolgreich. So ganz schlecht können die Spitzenleute ihre Sache doch nicht machen.
Ritter: Natürlich nicht. Wir haben viele sehr gute Leute in Spitzenpositionen, übrigens auch beim Staat. Aber wie gut sind wir für die Zukunft aufgestellt?
mm: Was Sie da sagen, klingt als prangerten Sie das Versagen der deutschen Eliten an.
Ritter: Das ist Ihre Schlussfolgerung. Aus meiner Sicht kann davon keine Rede sein. Aber klar ist auch, dass jede Gesellschaft den Blick über den Tag hinaus richten sollte. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten.
Leipprand: Wir vermeiden übrigens den Begriff "Elite". Uns geht es um gute Führung. Wir sind der Meinung, dass wir eine neue Führungspraxis in Deutschland brauchen. Und das beschränkt sich nicht nur auf die obersten Entscheider. Wer Führungspositionen übernimmt - egal an welcher Stelle in der Gesellschaft -, der muss sich seiner übergreifenden Verantwortung bewusst sein und entsprechend handeln.
Allmendinger: Ich prangere Menschen nicht an. Es geht mir um Strukturen und Werte. Mit welchen Strukturen könnten wir das Denken, Verstehen und Handeln viel stärker gesellschaftsbezogen und damit sektorübergreifend gestalten? Wie können wir es schaffen, dass wertorientiert geführt wird? Welche Anreize können wir hier setzen? Es gibt uns schon zu denken, dass Topmanager in den langen Gesprächen nur selten über Werte gesprochen haben. Oder darüber, welchen Sinn sie eigentlich in ihrer Arbeit sehen.
mm: Ist das nicht völlig normal? Wer Entscheidungen treffen muss, kann doch nicht ständig über Grundsätzliches nachgrübeln. Dann kommt er oder sie doch nie zu Entscheidungen.
Allmendinger: Von Grübeln haben wir nicht gesprochen. Aber Reflexion sollte schon sein.
mm: Und dafür bleibt kein Raum?
Allmendinger: Viel zu wenig. Das sagen uns die Topmanager ja auch. Moralische Dimensionen kommen oft zu kurz. Wie gehe ich mit Mitarbeitern um? Wie schaffe ich es, dass diese langfristig dem Unternehmen verbunden bleiben, dass sie sich wohlfühlen? Was passiert mit meinen Beschäftigten, wenn ich Arbeitsplätze abbaue? Was kann ich dazu beitragen, dass Teile der deutschen Bevölkerung nicht völlig abgehängt werden? Für viele Menschen an der Spitze ist das weit weg.
mm: Weit weg?
Allmendinger: Ich meine damit, dass man die einzelnen Menschen oft nicht mehr sieht oder kennt. Wer an der Spitze großer Organisationen steht, der gerät leicht in die Gefahr, Menschen, für die er Verantwortung trägt, nur noch als abstrakte Größe wahrzunehmen - als Zahl oder Betrag in der Kostenrechnung. Der direkte Umgang beschränkt sich auf einen relativ kleinen persönlichen Kreis: Sekretärin, Referenten, ein paar andere Vorstände. In den Familienunternehmen ist das ganz anders.
mm: Herr Leipprand, Sie haben gesagt, es gehe Ihnen darum, die Führungspraxis in Deutschland zu erneuern. Ein großes Ziel.
Leipprand: Führungskräfte dürfen nicht nur von Geld getrieben sein. Sie müssen sich als Dienstleister verstehen: Ihre Dienstleistung besteht darin, anderen - Teams, Belegschaften, der Gesellschaft - eine Richtung zu geben. Grundsätzlich gesprochen geht es darum, Gruppen von freien Individuen auf gemeinsame Ziele hin auszurichten. Das Idealbild vom einsamen Helden an der Spitze passt nun wirklich nicht mehr in die Gegenwart.