Müllers Memo Wirtschaft gut, Stimmung schlecht - eine gefährliche Mischung

Es ist das Thema des Jahres 2016: Die wirtschaftliche Lage und die politische Stimmung driften immer weiter auseinander - mit gravierenden Folgen, nicht nur in Deutschland.
Weihnachtshopping in Hamburg: Den Menschen geht es gut - doch die Unzufriedenheit steigt

Weihnachtshopping in Hamburg: Den Menschen geht es gut - doch die Unzufriedenheit steigt

Foto: Daniel Bockwoldt/ picture alliance / dpa

Eigentlich war 2016 kein schlechtes Jahr, wirtschaftlich gesehen. Eine vorläufige Bilanz aus deutscher Sicht fällt durchaus positiv aus. Es gibt immer mehr Jobs, die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Löhne steigen, wenn auch verhalten, bei stabilem Preisniveau. Die Wirtschaft wächst (Montag gibt's neue Daten vom Ifo-Institut.) Und was die Finanzen betrifft, so baut der deutsche Staat Schulden ab.

Deutschland, ein Land auf gutem Weg - sollte man meinen. Doch die Bürger sehen das anders. Nur ein Viertel der Bürger glaubt noch, die Bundesrepublik entwickle sich in die richtige Richtung. 46 Prozent hingegen wähnen die Nation auf falschem Weg, wie aus der letzten Eurobarometer-Umfrage hervorgeht.

Vielen Menschen ist mulmig zumute. Obwohl die Wirtschaft läuft. Und, erstaunlicher noch, obwohl eine große Mehrheit das genauso empfindet: 83 Prozent gaben in der erwähnten Umfrage an, sie hielten die Wirtschaftslage in Deutschland für gut; mit ihrer persönlichen Finanzsituation waren 82 Prozent zufrieden.

Dennoch grassiert latentes Unwohlsein. Die alte politische Faustformel "gute Konjunktur = zufriedene Bürger" geht nicht mehr auf. Das ist neu.

Es ist das eigentliche Thema des Jahres 2016, nicht nur in Deutschland: Ökonomische Lage und politische Stimmung driften auseinander - mit gravierenden Folgen.

In Großbritannien stimmte im Sommer eine Mehrheit für das größte Politabenteuer seit Generationen - den EU-Ausstieg -, obwohl sehr große Mehrheiten mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Lage und ihrem Leben im Allgemeinen zufrieden waren.

Lage gut, Stimmung schlecht: Brexit und Trump-Triumph in USA

In den USA, wo die Konjunktur auf Hochtouren läuft, Beschäftigung und Löhne ordentlich steigen (weshalb die Notenbank diese Woche die Zinsen angehoben hat), wählte eine Mehrheit - seine Unterstützer kommen auch aus der wohlhabenden Mittelschicht - den unberechbaren Donald Trump. Eine Figur, die in allen entscheidenden Politikfeldern radikale Brüche angekündigt hat. Im reichen Österreich wäre fast ein Rechtsnationalist Bundespräsident geworden.

In diesem Stil könnte es 2017 weitergehen: In den Niederlanden, einer Volkswirtschaft, die ähnlich gut dasteht wie Deutschland, könnte Geert Wilders der große Gewinner der Wahlen im Frühjahr werden. Ob es in Deutschland nach der Bundestagswahl im Herbst noch einmal für eine große Koalition reicht - oder ob die AfD so stark wird, dass es eine Dreiparteienkonstellation (Schwarzgrüngelb, Rotrotgrün oder Schwarzrotgrün) braucht, um noch eine Kanzlermehrheit zusammenzubekommen -, ist eine offene Frage. Wir sollten uns auf einiges gefasst machen.

Auch hierzulande gilt: Persönlich sind die Bürger zufrieden. Große Mehrheiten finden ihre persönlichen Finanz- und Jobsituation und auch die wirtschaftliche Lage insgesamt gut. Aber das ändert nichts an ihrer negativen Grundeinstellung.

Wenn in Italien oder in Griechenland viele Menschen unzufrieden sind, dann ist das verständlich. Hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Lebensstandards und immer schlechtere öffentliche Leistungen schaffen eine triste Atmosphäre. Auch in Frankreich ist eine schleichende Erosion des Wohlstands zu beobachten. Es gibt dort objektive Gründe für eine So-geht's-nicht-weiter-Stimmung.

Warum aber ist auch in Ländern wie der Bundesrepublik - wo die wirtschaftliche Lage gut ist, messbar und gefühlt - eine ähnlich fatalistische Dynamik zu beobachten? Woher kommt der Pessimismus?

Ich sehe vor allem drei Faktoren:

· Demographie: Der Anteil der Älteren nimmt zu. Und sie beeinflussen immer stärker den politischen Mainstream. Da bahnt sich ein neuer Generationenkonflikt an: einerseits die älteren Semester, die sich nach Stabilität sehnen und deshalb Globalisierung, Zuwanderung, technologischen Wandel oder europäische Integration skeptisch beäugen. Andererseits die Jüngeren, die sich Chancen ausrechnen in einer offenen und immer enger vernetzten Welt.

· Verteilungsfragen: In vielen westlichen Ländern mussten seit Mitte der 2000er Jahre große Teile der Bevölkerungen stagnierende oder sinkende Einkommen hinnehmen, wie eine Studie des McKinsey Global Institute vorgerechnet hat. Staatliche Umverteilung hat der Einkommenspolarisierung zwar in vielen Ländern erstaunlich effektiv entgegengewirkt. Aber womöglich ändert das nichts am verbreiteten Eindruck, das Wirtschaftssystem nütze am Ende nur wenigen.

· Wahrnehmungsverzerrungen: Das Image der Weltwirtschaft ist von Problemen geprägt, die in Form von Bildern und Schlagzeilen von überall auf uns einprasseln: kollabierende Fabriken in Bangladesh, Smog in China, Regenwaldvernichtung in Indonesien, Korruption in Brasilien, Verteilungsfragen in den USA, Dauerkrise in Griechenland. All das vermengt sich zu dem Gefühl, dass Grundsätzliches falsch läuft. Rar ist ein differenzierter Blick auf die Fakten; wir streiten zu wenig darüber, welche Entwicklungen positiv sind und welche negativ, welche wirtschftspolitischen Strategien funktionieren und welche nicht.

Populistische Politiker nutzen diese Faktoren aus. Sie sprechen gerade ältere Wähler an, auch solche, denen es gutgeht, und versprechen ein Ende des Wandels. Ob Trump, die englische Ukip oder die AfD: Ihre Unterstützer sind älter als der Durchschnitt. Sie stellen Verteilungsfragen in den Mittelpunkt, verständlicherweise. Aber sie gelangen zu politischen Kurzschlüssen: Schuld sind wahlweise Zuwanderer, ausländische Konkurrenten oder die sinisteren Mächte des Kapitals (Banken, Brüssel, IWF, EZB…).

Entsprechend simpel fallen die politischen Problemlösungsvorschläge aus: Grenzen dichtmachen, internationalen Wettbewerb begrenzen, Renationalisierung der Politik - Maßnahmen, die nach aller Erfahrung die Lebensstandards bedrohen. Anstatt darüber nachzudenken, wie die Sozial-, Steuer- und Bildungssysteme verbessert werden können, wie die internationale Zusammenarbeit effektiver werden könnte und wie, nicht zuletzt, der Frieden erhalten bleibt.

Die Gründe für das grassierende Unwohlsein mögen nicht primär in der wirtschaftlichen Lage liegen. Aber die Auswirkungen populistischer Politik haben das Zeug, eine Menge Unheil anzurichten, auch wirtschaftlich. Wie gesagt, für 2017 sollten wir uns auf Einiges gefasst machen.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der Woche

Die wichtigsten Ereignisse der kommenden Woche

MONTAG

München - Dynamisches Deutschland - Neue Daten zum Ifo-Geschäftsklimaindex, dem wichtigsten Frühindikator für die deutsche Konjunktur.

Brüssel - Strahlendes Belgien - Nach den Meilerpannen: Unterzeichnung des deutsch-belgischen Abkommens zurAtomsicherheit.

Washington - Auftritt: the Donald - Die "Wahlmänner" ("electoral college"), über die bei der US-Präsidentschaftswahl eigentlich abgestimmt wurde, kommen zusammen, um ihre Stimmen für ihre jeweiligen Kandidaten abzugeben. Der Sieger steht fest…

DIENSTAG

Köln - Arme reiche Erbin - Mutmaßliche Entscheidung im Schadenersatzprozess vonQuelle-Erbin Madeleine Schickedanz gegen die vormalige Privatbank Sal.Oppenheim. Es geht um Milliarden von Euro.

MITTWOCH

Stockholm - Nordlicht - Die schwedische Reichsbank entscheidet über ihren weiteren geldpolitischen Kurs. Sie gilt als eine der führenden Notenbanken weltweit und deshalb als einflussreich.

DONNERSTAG

Moskau - Putin und wie er die Welt sieht - Russlands Präsident erklärt bei seiner Jahrespressekonferenz Hunderten geladenen Journalisten aus dem In- und Ausland seine Sicht der Dinge.

FREITAG

Nürnberg - Weihnachtsstimmung - Die GfK veröffentlicht zum Fest die neuesten Daten zum Konsumklima.

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