Wachstum nach der Wahl Der vertagte Boom - Starthilfe für Merkels Nachfolger

Die Ära Merkel begann mit einem Sommermärchen. Auch ihr Nachfolger kann auf einen Traumstart hoffen – doch ein Selbstläufer wird dieser Aufschwung nicht.
Warten auf das Ende der Pandemie: Mitarbeiterinnen eines Restaurants in Dresden

Warten auf das Ende der Pandemie: Mitarbeiterinnen eines Restaurants in Dresden

Foto: Sebastian Kahnert / dpa

Geht alles nach Plan, dann kann der nächste Kanzler genauso perfekt in sein Amt starten wie einst Angela Merkel. 2022 soll nach den jüngsten Konjunkturprognosen das Jahr werden, in dem die deutsche Wirtschaft den Pandemiemodus endlich überwindet. Die nächste Regierung würde dann mit dem kräftigsten Aufschwung seit 30 Jahren beginnen.

Satte 5,1 Prozent sagt das Ifo-Insitut in seiner am Mittwoch veröffentlichten Konjunkturprognose für das kommende Jahr voraus. Damit steht das Münchener Institut an der Spitze, aber nicht fernab der anderen Volkswirte. Die meisten rechnen mit einer Wachstumsrate zwischen 4 und 5 Prozent. Zugleich senken sie reihenweise ihre Prognosen für das laufende Jahr, das Ifo rechnet jetzt nur noch mit 2,5 Prozent Wachstum für 2021, nachdem es im Juni noch mit 3,3 Prozent kalkulierte. "Die ursprünglich für den Sommer erwartete kräftige Erholung nach Corona verschiebt sich weiter", sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Auch Angela Merkel startete 2006 mit einem solchen Rückenwind: Ihr erstes volles Amtsjahr brachte mit einem Plus von 4 Prozent das bis dahin stärkste Wirtschaftswachstum seit dem Einheitsboom - zusätzlich angeschoben durch die Fußball-WM in Deutschland und durch Vorziehkäufe vor der heftigen Mehrwertsteuererhöhung 2007.

Doch so entspannt wie im damaligen "Sommermärchen" wird es diesmal nicht laufen. Merkel profitierte von Strukturreformen der "Agenda", die ihren Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) gerade das Amt gekostet hatten. Und ihr Aufschwung hatte schon im Wahlkampf deutlich Fahrt aufgenommen. Davon kann jetzt keine Rede sein. Die Erholung verspätet sich immer weiter.

Störungen im Betriebsablauf

Wegen der vielen Störungen im Betriebsablauf werden die Prognosen für das laufende Jahr reihenweise gesenkt. In Deutschland klemmt es, obgleich die Weltwirtschaft sich erholt, Nachbarn wie Frankreich und Italien positiv überraschen und die OECD ihre Prognose für die Eurozone deshalb um einen ganzen Prozentpunkt auf 5,3 Prozent angehoben hat.

Die Industrie leidet besonders unter Lieferengpässen. In der Schlüsselbranche Autobau und -zulieferer beklagen über 90 Prozent  der Unternehmen Materialmangel. Wegen fehlender Chips bleiben ganze Werke geschlossen. Weltweit sind die Autoverkäufe, die im Frühjahr schon fast wieder auf Vorkrisenniveau lagen, zuletzt erneut um mehr als zehn Prozent eingebrochen. Jenseits des Chipproblems rücken damit auch die Strukturprobleme der Branche wieder in den Blick.

Die gesamte deutsche Wirtschaft steht vor einem gewaltigen Umbau, dessen Vorgaben aus der Politik kommen. Viele Unsicherheiten lähmen. Bevor Unternehmen und Verbraucher wieder richtig Geld ausgeben können, müssen also nicht nur Corona-Beschränkungen fallen und Materialengpässe aufgelöst werden. Es braucht schnelle Klarheit über die künftigen Rahmenbedingungen.

Angela Merkel konnte die Dinge zu Beginn ihrer Regierungszeit einfach mal laufen lassen. Der jetzt auf 2022 vertagte Aufschwung wird so nicht funktionieren.

cs, ak/Reuters
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren