Digitale Wirtschaft 2015 Deutschland braucht einen Masterplan

Deutschland droht den digitalen Wandel zu verpassen. Dabei sind Google und andere Player längst dabei, mit ihren Produkten auch die reale Wirtschaft zu erobern. Deutschland braucht einen nationalen Schulterschluss von allen Kräften in der Wirtschaft, Deutschland braucht einen Masterplan.
Selbstfahrendes Autor mit Technik von Google: Große digitale Konzerne erobern die reale Wirtschaft

Selbstfahrendes Autor mit Technik von Google: Große digitale Konzerne erobern die reale Wirtschaft

Foto: Andrej Sokolow/ picture alliance / dpa

Im Rückblick auf das Jahr 2014 steht für die Digitale Wirtschaft zunächst die bittere Erkenntnis, dass ein "digitales made-in-Germany" im internationalen Online-Wettbewerb mal wieder nicht stattgefunden hat. Der größte Online-Händler in Deutschland ist weiterhin Amazon. Und Google, Facebook und Twitter hatten erneut die wirtschaftliche und gesellschaftliche Informationshoheit.

Die Marktkapitalisierung dieser "Digital-Big-5" (inklusive Apple) aus den USA ist immer noch in etwa genau so groß, wie die von allen deutschen Dax30-Konzernen zusammen. Der nächste Online-Riese aus dem Ausland steht mit Alibaba auch schon vor der Tür. Dieses chinesische Unternehmen schaffte am "Single-Day" (11.11.2014) im Netz einen Rekordumsatz von 7,9 Milliarden Dollar innerhalb von 24 Stunden. Das ist doppelt so viel, wie der Jahresumsatz der Kaufhauskette Karstadt, aber die hat ja eh die digitale Transformation verschlafen.

Die einzige Antwort aus Deutschland in diesem Bereich heißt Zalando und das ist wahrlich ein einsamer digitaler "Schrei vor Glück" im weltweiten Datennetz.

Deutschland findet im weltweiten Online-Wettbewerb nicht statt

Neben diesem aktuellen Stand sieht auch die Prognose nicht viel besser aus: Unter den weltweit 60 wertvollsten nicht-börsennotierten Internet-Startups mit einer Bewertung von mehr als eine Milliarde Dollar findet sich neben den dominierenden US-Unternehmen wie Uber, Airbnb, Dropbox, Palantir und Square sowie der neuen chinesischen Online-Macht mit Xiaomi, Vanct und Dianping mit Delivery Hero nur ein einziger deutscher Vertreter.

Und während in den USA pro Jahr etwa 200.000 neue Online-Startups angeschoben werden, zählen wir in Deutschland insgesamt gerade einmal 5000 junge Unternehmen in der digitalen Wirtschaft. Es ist daher schlichtweg nicht zu erwarten, dass es in naher Zukunft auch digitale Weltmarktführer aus Deutschland geben wird.

Nun könnte man auf die Idee kommen, dass dies nicht weiter tragisch ist, denn wir haben unsere Stärke ja immer noch in der realen Wirtschaft mit den vielen mittelständischen und industriellen Weltmarktführern. Doch diese Position ist gefährdet, denn die Player der digitalen Ebene dringen zunehmend auch in die klassischen Branchen ein.

Digitale Unternehmen erobern bereits die reale Wirtschaft

Google arbeitet schon heute an Produkten für die Automobil-, Medizin und Energieindustrie. Facebook und andere Startups bereiten weltweite Finanzprodukte vor, die auch für die heimische Versicherungs- und Finanzbranche zum Problem werden könnten. Auch das Transportwesen mit Uber, die Lebensmittelbranche mit Amazon Fresh und viele andere werden betroffen sein.

Wenn es diesen Schwergewichten aus dem Online-Bereich gelingen wird, die digitalen Wertschöpfungsprozesse mit den dahinterliegenden realen Produkt- und Plattformentscheidungen zu verbinden, dann werden Nachfrageströme umgeleitet, neue Handelsstrukturen etabliert und die Wahl zu bestimmten Endgeräten diktiert. Wann das passiert, dann müssen wir uns warm anziehen, denn dann geht es an das Eingemachte unserer deutschen Wirtschaft!

Schulterschluss von Startups, Mittelstand und Industrie als Antwort

Wir haben in den vergangenen Jahren massiv den digitalen Wandel verschlafen und sind nun in einer Situation, wo es ein einzelner Player kaum noch schaffen wird, im internationalen Online-Wettbewerb zu bestehen. Wir brauchen einen nationalen Schulterschluss von allen Kräften in der deutschen Wirtschaft, um die Herausforderungen der digitalen Transformation zu bestehen. Hierfür müssen wir im Rahmen eines Masterplans für die digitale Wirtschaft

  1. die digitale Wettbewerbsfähigkeit für die klassische Industrie und den Mittelstand in der Zukunft thematisieren,
  2. die digitale Innovationskraft über die Förderung von Startups für und in Deutschland unterstützen und
  3. die digitalen Synergien zwischen den Geschäftsmodellen der klassischen Industrie und dem Mittelstand sowie den innovativen Startups aufzuzeigen.

Wir werden aktuell aus Deutschland heraus kein Google oder Facebook aufbauen können. Unsere Chance liegt in der Verbindung von Startups (Innovation), Mittelstand (Investition) und Industrie (Marktzugang). Nur diese Kombination kann uns im digitalen Wettbewerb weiterhelfen, da wir in allen wesentlichen Rahmenbedingungen für die reine Entwicklung von Online-Startups deutlich zurückliegen. Wir müssen die vorhandene Wirtschaftskraft ins digitale Zeitalter führen, vielleicht sogar retten. Eine Alternative gibt es nicht!

Die 3K-Strategie für die digitale Wirtschaft

Diese Aspekte führen unmittelbar zu einer Strategie: Wir brauchen mehr Köpfe, Kapital und Kooperationen von, für und mit Startups, Mittelstand und Industrie für die digitale Transformation in Deutschland. Gesucht sind also im ersten Bereich Denker, Macher und Unterstützer auf allen Ebenen für digitale Themen, Innovationen und Unternehmen. Wir brauchen im zweiten Bereich eine höhere Aktivierung, Multiplizierung und Syndizierung von privatem, unternehmerischem und staatlichem Kapital als Investment in die digitale Transformation von Geschäftsprozessen und -modellen. Im dritten Bereich brauchen wir eine stärke Vernetzung, Zusammenarbeit und Entwicklung von digitalen Innovationen im Schulterschluss von jungen Startups mit etablierten Unternehmen aus dem Mittelstand und der Industrie. Leider können wir für diese 3K-Strategie nicht auf einen Knopf drücken und die Umsetzung ist vollzogen, aber viele notwendige Maßnahmen sind bereits entwickelt worden. Es gilt diese nun umzusetzen!

Die 3K-Strategie - was jetzt zu tun ist

Wollen wir mehr Köpfe, Kapital und Kooperationen für die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland in Zukunft hervorbringen, müssen wir konkrete Maßnahmen umsetzen. Dazu zählen:

Köpfe

• Flächendeckende Einführung eines allgemeines Schulfachs "Digitalkunde" mit einer Ausbildung von Produktion ("Computing") und Konsumtion ("Mediennutzung") von digitalen Inhalten

• Flächendeckende Einführung des EU-Unternehmerführerscheins für Schüler, als projektorientierte Persönlichkeitsentwicklung über Umsetzung von (digitalen) Geschäftsideen

• Aufbau von (dualen) Studiengängen für die Digitale Wirtschaft an Hochschulen, für die Ausbildung für elektronische Geschäftsprozesse und -modelle

• Aufbau von E-Entrepreneurship-Lehrstühlen an Hochschulen in der Schnittstelle von BWL, Wirtschaftsinformatik und Informatik als Quelle für die Entwicklung von innovativen digitalen Geschäftsideen

• Etablierung einer Willkommenskultur für ausländische Gründer der Digitalen Wirtschaft mit einem finanziellen Anwerbungsprogramm zur kurzfristigen Stärkung der Gründerszene in Deutschland

Kapital

• Übernahme des Enterprise Investment Scheme (EIS) aus England, für die direkte steuerliche Absetzbarkeit von privaten Investitionen in junge (digitale) Startups

• Aufbau eines "HTGF+" für die Wachstumsphase von digitalen Startups, als nationalen Wachstumsfonds mit einer Co-Finanzierung aus privatem und staatlichen Kapital

• Wiederaufbau eines "Neuen Markt 2.0" als Exit- und Wachstumskanal für die Stärkung eines funktionierenden Finanzierungskreislaufs und Startup-Ecosystems

• Einführung von Sonderabschreibungsmöglichkeiten für Corporate-Investitionen zum Aufbau von Plattformen (z.B. Inkubatoren) einer Zusammenarbeit mit Startups der digitalen Wirtschaft

• Wiederaufnahme von Fonds-in-Fonds-Investitionen durch die KfW-Bank zur Unterstützung von Venture Capital-Unternehmen als prinzipielle Finanzierungsmöglichkeit und -grundlage für (digitale) Startups in Deutschland

Kooperationen

• Einführung von IHK-Beratungsgutscheinen für den Mittelstand als grundsätzliche Mobilisierung der digitalen Transformation von klassischen Geschäftsmodellen

• Aufbau von Kooperationsplattformen für digitale und reale Händler (Cross-Media) als Vermittlung von gegenseitigen Angebotsexpansionen

• Einführung eines Corporate-Startup-Alliance-Programms (B2B) als Basis der gemeinsamen Marktbearbeitung von Startups, Mittelstand und Konzernen

• Durchführung von lokalen Branchen-Anwendertreffen zur Digitalen Wirtschaft mit der Vorstellung von digitalen Best-Practise-Beispielen für den Mittelstand

• Einführung von "Digitale Hermes-Bürgschaften" für den Mittelstand als Anreiz und Absicherung einer Zusammenarbeit mit Startups (Schutz gegen Ausfall)

Fazit: Wir brauchen mehr gesellschaftliche Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien. Wir brauchen mehr unternehmerischen Gründergeit für die digitale Wirtschaft. Wir brauchen mehr Akzeptanz und Wissen in Mittelstand und Konzernen für die digitale Transformation. Wir brauchen mehr digitales Wissen auf der politischen Ebene für die Umsetzung der Digitalen Agenda in Bund und Land. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche und wirtschaftliche Kraft für die Herausforderungen der Digitalen Zukunft! Nur wenn uns das gelingt, werden wir auch ein "digitales made-in-Germany" gestalten können. Ansonsten laufen wir nur weiterhin hinterher. Das kann und darf aber keine Option für die Digitale Wirtschaft in Deutschland 2015 sein!

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren