Tsipras beim EU-Gipfel Gute-Laune-Show trotz Grexit-Angst

Schuldenstreit und Griechenland-Krise? Lösbar! Beim Gipfel in Brüssel mühen sich Merkel, Juncker, Tsipras und Co., Optimismus zu verbreiten. Die Rekonstruktion eines diplomatischen Balance-Akts.
Tsipras nach dem Ende des Gipfels: Gespräche auf Arbeitsebene

Tsipras nach dem Ende des Gipfels: Gespräche auf Arbeitsebene

Foto: Orestis Panagiotou/ dpa

Brüssel - Europas Mächtige bemühten sich um Haltung. Kanzlerin Angela Merkel, gestählt durch 17 Stunden Verhandlungen mit Wladimir Putin, zeigte beim EU-Gipfel in Brüssel am Donnerstag Milde für Griechenland. Im Schuldenstreit mit dem Land sei es Europas Anliegen, "einen Kompromiss zu finden".

Griechenlands neuer Premier Alexis Tsipras begrüßte seinerseits Merkel betont freundlich. Nach dem Gipfel sprach er von wichtigen Schritten, die gemacht worden seien. Und Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, sagte, Politiker würden am Ende ja meist vernünftig, also gäbe es auch Hoffnung im Showdown mit Athen.

Aber die Durchhalteparolen können nicht verdecken, dass die Eurozone wieder einmal am Abgrund taumelt. Es droht das Schreckensszenario einer Währungsunion in Auflösung, erschüttert durch einen Austritt Griechenlands, einem "Grexit".

Denn in der Nacht vor dem Gipfel erschien diese gefährliche Möglichkeit so realistisch wie selten zuvor. Schuld daran war nicht allein, dass sich die Regierung in Athen und die Eurogruppe nicht auf eine Erklärung über weitere Verhandlungen zu Hilfspaketen einigen konnten.

Gute Laune: Kanzlerin Merkel, Regierungssprecher Seibert beim Gipfel in Brüssel

Gute Laune: Kanzlerin Merkel, Regierungssprecher Seibert beim Gipfel in Brüssel

Foto: Virginia Mayo/ AP/dpa

Es war eher die Art und Weise, wie die Griechen den Rest der Eurozone brüskierten - und wie unversöhnlich sich die 18 anderen Mitgliedstaaten und Athen gegenüber standen. "So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt ein erfahrener Teilnehmer. Und das zu einer Zeit, da buchstäblich jeder Tag zählt, denn das Hilfsprogramm für Athen läuft zum Monatsende aus - wie schnell die Lage im Land und an den Finanzmärkten dann außer Kontrolle geraten könnte, mag niemand vorhersagen.

Also bestimmte der mögliche "Grexit" auch den EU-Gipfel am Donnerstagabend - und die Erinnerung an das Vorabend-Drama. "Spiegel Online" hat es rekonstruiert:

1. Akt: Der Provokateur

Kaum einer der 19 Finanzminister der Eurogruppe kannte Janis Varoufakis, den wortgewaltigen neuen Finanzminister in Athen. Doch statt einer langen Vorstellung erwartete man am Mittwoch von ihm konkrete Zahlen, "den Beginn eines Finanz- und Sanierungsplans für Griechenland", so ein Teilnehmer.

Aber Varoufakis sprach lieber über allgemeine Prinzipien wie Wettbewerbsfähigkeit und das soziale Drama in Griechenland. Konkrete Reformvorschläge ersparte er sich weitgehend, was unter kleineren Euro-Staaten für Empörung sorgte, die schmerzhafte Reformen umgesetzt haben und teilweise niedrigere Einkommen aufweisen als Griechenland. "Der Akademiker Varoufakis kommt aus einer anderen Welt", war in der Runde zu vernehmen.

Einer lacht, die anderen grollen: Griechenlands Finanzminister Varoufakis bei der Eurogruppe.

Einer lacht, die anderen grollen: Griechenlands Finanzminister Varoufakis bei der Eurogruppe.

Foto: YVES HERMAN/ REUTERS

2. Akt: Der Umkipper

Zwar rang Varoufakis auch um beinahe jedes Wort in einer rund 250 Wort langen Erklärung, die einen Weg für Griechenland skizzieren sollten. Statt von "Programmen" sollte etwa von "vertraglichen Vereinbarungen" die Rede sein.

Doch gegen 23 Uhr am Mittwochabend erklärten Varoufakis und der Vizepremier Griechenlands, Yannis Dragasakis, mit der aktuellen Fassung könnten sie leben. Einige Delegationen, darunter die deutsche, sahen das Treffen als erfolgreich beendet an. Finanzminister Wolfgang Schäuble verließ den Sitzungssaal und flog nach Berlin.

Yaroufakis aber erklärte plötzlich, man könne doch nicht zustimmen, er müsse erst Athen konsultieren. Der Minister verzog sich in eine Ecke und führte Telefonate auf Griechisch, mehrmals fiel der Name Alexis.

Nach rund einer Stunde verkündete der Finanzminister knapp: "Wir können nicht zustimmen." Teilnehmer vermuten, dass Athen etwa ein Satz über die "Möglichkeit einer Verlängerung" des Hilfsprogramms widerstrebte. Syriza hat schließlich im Wahlkampf dieses Programm kategorisch abgelehnt.

Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sprach sichtlich verärgert in die Kameras: "Wir haben nicht genug Fortschritte gemacht." Bis zum nächsten Treffen der Eurogruppe am Montag werde man nichts unternehmen.

3. Akt: Ein neuer Aufbruch?

Bereuen die Griechen ihre Blockade bereits? Dijsselbloem und Tsipras vereinbarten am Donnerstag, Gespräche zwischen griechischen Behörden und Experten von EU und Internationalem Währungfonds (IWF) sollten schon Freitag beginnen. "Es könnte sein, dass wir nur einen Tag verloren haben", hofft ein EU-Experte.

Aber nach wie vor zählt jeder Tag. Ein Griechenland ohne Programm ist für viele Experten eine Horrorvorstellung. "Es könnte zu einem Ansturm auf griechische Banken kommen, Investoren wären verschreckt", so ein Verhandler. Auch Kanzlerin Merkel betonte beim EU-Gipfel, sie wünsche sich "möglichst bald" einen Antrag auf Verlängerung des Hilfspakets.

Und die Eurozone? Zwar ist sie mittlerweile mit einer Bankenunion und einem Rettungsfonds ausgestattet. Doch ob diese Instrumente den Austritt eines Mitglieds der Währungsunion abfedern könnten, weiß niemand. "Ich bin sehr besorgt über die Lage, die eingetreten ist", sagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Fotostrecke

Ranking: Die reichsten Griechen

Foto: Youtube / Plaisio

Manche in Brüssel hoffen, die griechische Regierung wolle mit ihrem Contra-Kurs nur Unterstützung zu Hause für Reformen sichern. Sofort würde die EU ihr wohl entgegen kommen, etwa per Brückenfinanzierung.

Andere fürchten aber, Tsipras und Co. beharrten darauf, eine klare Mehrheit errungen zu haben - und ignorierten, dass die Griechen zwar eine neue Regierung, aber kein neues Land ohne alte Verpflichtungen wählen konnten.

Das düsterste Szenario jedoch beschreibt das Hineinschlittern einer unerfahrenen griechischen Regierung in den Abschied seines Landes aus der Währungsunion: "Man kann nicht ausschließen, dass sie einfach nicht überblicken, welche Folgen ihre Schritte haben könnten", sagt ein Eurozonen-Insider.

Analyse: Wie die irre Strategie von Varoufakis aufgehen könnte

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren