Abgas-Grenzwerte für Autos Das Gefeilsche ums CO2 beginnt von vorn

Weg vom Abgas: Die EU-Kommission will, dass Autobauer die Emissionen ihrer Fahrzeuge exakter messen
Foto: Ulrich Perrey/ picture-alliance/ dpaHamburg - Wenn Beamte und Politiker in Brüssel um Schadstoffgrenzwerte für Autos ringen, geht es um weit mehr als eine rein technische Angelegenheit. Stets gleichen die Auseinandersetzungen einem industriepolitischen Machtkampf zwischen den Mitgliedsstaaten.
Setzt sich Deutschland als Heimat der Hersteller großer Autos durch? Oder schaffen es Frankreich und Italien, wo eher kleine und abgasarme Wagen gebaut werden, die teutonische Konkurrenz mittels scharfer Grenzwerte zu pisacken?
Gerade schien es noch, als kehre an der Schadstofffront etwas Ruhe ein. Nach langem Hin und Her und einer Intervention der deutschen Bundeskanzlerin hatten sich die Mitgliedsstaaten vor einem Jahr auf einen Grenzwert für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) auf 95 Gramm pro Kilometer ab dem Jahr 2020 geeinigt. Garniert wird dieser Kompromiss mit Sonderregelungen für einzelne Hersteller, die mehrfache Anrechnung von (offiziell emissionsfreien) Elektroautos sowie Übergangsfristen.
"Das grenzt an Betrug" Politiker unzufrieden mit Messverfahren
Doch das Geschacher beginnt von neuem. Denn zunehmend wächst bei EU-Kommission und Politikern die Unzufriedenheit mit den Messmethoden gemäß dem gültigen Verfahren (NEFZ), mit denen die Autohersteller die CO2-Werte ihrer Autos ermitteln.

"Das grenzt teilweise an Betrug", schimpft der Europaabgeordnete und Umweltpolitiker Matthias Groote (SPD) im Gespräch mit manager magazin. Autobauer würden auf immer dreistere Weise ihre Wagen für Bestleistungen auf dem Rollenprüfstand konstruieren - mit den Werten auf der Straße habe dies nichts mehr zu tun.
Hersteller kleben laut einem Bericht der Organisation Transport & Environment Kanten zu, klemmen die Lichtmaschine ab, heizen das Auto vor oder erhöhen den Reifenluftdruck. Ist der offizielle CO2-Wert in einem zertifizierten Labor erst einmal ermittelt, gibt es dagegen praktisch keine Handhabe mehr.
Ein neues, weltweit gültiges Messverfahren (WLTP) soll ab 2017 realistischere Verbrauchs- und Abgasdaten sicherstellen. Gemäß dem neuen Verfahren fließen unter anderem höhere Fahrgeschwindigkeiten in die Ergebnisse ein.
Forscher: "Emissionsobergrenze auf 100-102 Gramm CO2 anheben"
Doch wenn die CO2-Werte der Autos dadurch plötzlich höher liegen, wird es für die Hersteller praktisch unmöglich, die CO2-Vorgaben zu erfüllen, die noch auf dem alten Messverfahren basieren. "Eine Änderung des Messverfahrens darf nicht durch die Hintertür zu einer Verschärfung bereits vereinbarter Ziele missbraucht werden", warnt bereits der Verband der Automobilindustrie (VDA).
Also wird kräftig gerechnet: Wie müssen die alten CO2-Grenzwerte umgerechnet werden, damit die Anforderungen weder aufgeweicht, noch verschärft werden?
Die Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) prescht nun vor: Auf 100 bis 102 Gramm CO2 pro Kilometer müsse der Wert angehoben werden, um die neuen, realistischeren Messmethoden zu berücksichtigen. Dies geht aus einer Untersuchung hervor, die manager magazin vorliegt.
Industrie will offizielles Untersuchungsverfahren abwarten
"Es sollten nur drei Faktoren bei der Umrechnung berücksichtigt werden", schreiben die ICCT-Autoren: Der längere Testzyklus und die größeren Variationen bei der Geschwindigkeit, das höher angesetzte Fahrzeuggewicht sowie die niedrigere Temperatur des Motors zu Fahrtbeginn.
Dass sich die Autoindustrie dieser nur leichten Erhöhung der CO2-Grenzwerte anschließt, ist eher unwahrscheinlich. Ein VDA-Sprecher wollte die ICCT-Ergebnisse gegenüber manager magazin nicht kommentieren. Er verwies auf das offizielle Untersuchungsverfahren der EU-Kommission.
Dafür hat die Kommission eine Arbeitsgruppe gebildet, in der Beamte, Vertreter von Mitgliedsstaaten und Gesandte der Autoindustrie mit Testergebnissen jonglieren. Es ist ein extrem intransparenter Prozess, der zum Teil chaotische Züge trägt, wie Protokolle der Gruppe zeigen, die manager magazin vorliegen.
Einzelne Vergleichstests weichen auf unerklärliche Weise voneinander ab, Prüforganisationen sind mit ihrer angeforderten Expertise im Rückstand, und auch die Vertreter der Autohersteller selbst lassen es bei der Mitarbeit eher ruhig angehen.
Verkauf von Elektroautos läuft schleppend an
Für die Autoindustrie stehen bei dem Gefeilsche Milliarden auf dem Spiel, deshalb hat sie keine Eile. Es sind oftmals gerade die eher durstigen Wagen, die Herstellern eine ordentliche Rendite ermöglichen, also SUVs, Gelände- und Sportwagen.
Zugleich läuft der Verkauf von emissionsarmen Elektro- und Plugin-Hybrid-Autos schleppend an und zeitigt eher Kosten denn Gewinne. Jedes Gramm CO2, dass ein Hersteller aufgrund des neuen Testverfahrens zusätzlich einsparen muss, schmerzt daher.
Jedes Gramm, dass Volkswagen flottenweit einspare, koste den Konzern 100 Millionen Euro, sagte VW-Chef Martin Winterkorn beim Autosalon in Paris. Daimler-Chef Dieter Zetsche sprach von 50 Euro pro Gramm und Auto.
Kein Wunder, dass die Branche die Einführung des neuen Testzyklus am liebsten so weit wie möglich nach hinten schieben möchte - hat sie sich doch gerade erst gelernt, wie sie mit dem bestehenden Testzyklus zurechtkommt. Und so heißt es beim VDA: "Es ist ja noch gar nicht sicher, ob das neue Testverfahren wirklich schon 2017 kommt."