EZB vor Masseneinstellungen Frankfurts Makler bejubeln neue Banker-Einwanderungswelle

Ab 2014 soll die Europäische Zentralbank alle großen Geldhäuser des Kontinents überwachen. Bis dahin muss sie mehr als tausend neue Experten einstellen und so ihre Mitarbeiterzahl fast verdoppeln. Doch wie macht sie das? Und wer profitiert davon?
Von Meike Schreiber
Frankfurter Ostend: Mehr als Tausend neue Mitarbeiter sollen im neuen Gebäude der Europäischen Zentralbank arbeiten

Frankfurter Ostend: Mehr als Tausend neue Mitarbeiter sollen im neuen Gebäude der Europäischen Zentralbank arbeiten

Foto: DPA

Frankfurt am Main - Fast jeder kennt die Geschichten über ehemalige Investmentbanker, die wegen der Finanzkrise ihren Job verloren haben und jetzt als Bistrobesitzer, Hüttenwirt oder Opernsänger den Sinn des Lebens suchen. Demnächst bietet sich den früheren Masters of the Universe eine neue Möglichkeit, den zweiten Karriereweg einzuschlagen - und dafür müssen sie nicht einmal das Finanzgewerbe verlassen: Die Europäische Zentralbank (EZB) sucht in Kürze händeringend nach neuem Personal, weil sie ab 2014 auch die Aufsicht über die Kreditinstitute des Kontinents übernehmen soll.

Mehr als tausend neue Mitarbeiter will die EZB bis Anfang 2014 einstellen. Ab dann soll die Notenbank gewährleisten, was ihr die Politik aufgetragen hat: Europas Banken durch verschärfte Kontrolle sicherer zu machen. Dafür braucht es Profis. Und so zücken in den nationalen Notenbanken, aber sicher auch in der Privatwirtschaft Banker, Juristen und Wirtschaftsprüfer derzeit ihre Taschenrechner, um zu schauen, ob sich ein Wechsel rechnen kann.

Insbesondere für Ex-Investmentbanker, die einen neuen Job suchen, wird der Vergleich zu dem, was sie bisher verdient haben, eher bitter ausfallen. Schließlich dürfte selbst ein erfahrener Mitarbeiter bei der EZB kaum mehr als 100.000 Euro im Jahr nach Hause bringen. Zwar fällt die Steuer- und Abgabenlast gering aus. Auch Zulagen gibt es. Verglichen mit den einstigen Verdienstmöglichkeiten mitsamt Boni in höherer sechsstelliger Höhe ist das allerdings überschaubar - kleine Münze eben.

Wer dagegen bisher bei der arbeitet oder der deutschen Finanzaufsicht BaFin, die sich bislang die Kontrolle der hiesigen Geldhäuser teilen, wird sich allemal verbessern, sobald er ins Frankfurter Ostend zieht. Dort bezieht die EZB im kommenden Jahr ihren neuen, prachtvollen Hauptsitz.

Banken-Aufpasser, IT-Experten, Statistiker gesucht

Noch freilich können sie sich nicht offiziell bewerben. Erst einmal muss das Europaparlament dem Aufbau der gemeinsamen Bankenaufsicht zustimmen, was es voraussichtlich im September tun wird. Dennoch ist Eile geboten bei dem Vorhaben, das EZB-Direktor Yves Mersch eine "Herkulesaufgabe" nennt: die einheitliche Aufsicht über mehr als 6000 Banken der Eurozone. Vor allem jener rund 30 Großbanken, die systemrelevant sind.

"Wir organisieren derzeit viele Informationsveranstaltungen bei den nationalen Aufsehern und haben die Jobprofile damit schon über 2000 Interessenten erklärt. Wir sind richtig in den Startlöchern", sagt eine EZB-Sprecherin. Die Notenbank sei auch an qualifizierten Experten aus der freien Wirtschaft interessiert. Eine Vorgabe, wie viele der neuen Aufseher aus welchem Land kommen sollten, gebe es nicht. Die meisten neuen Mitarbeiter werden Aufseher sein. Aber auch IT-Experten, Statistik-Fachleute sowie Juristen sollen eingestellt werden. Die Kandidaten müssen sich Auswahlgremien stellen, schriftliche Tests machen. Vielleicht werden sie auch von externen Firmen auf ihre Managementqualitäten geprüft.

So jedenfalls lautet der Plan. Doch wer oder was garantiert, dass die Kontrolle künftig besser wird, wenn am Ende bloß nationale Aufseher zur EZB wechseln und dort den gleichen Job machen, nur eben gemeinsam? Eine gesunde Mischung interner und externer Kenner der Materie soll es richten, rät der Personalberater Andreas Halin von Globalmind. "Wenn die EZB ihre neue Rolle ernst nimmt, wird sie auch Ex-Risikomanager oder Produktleute aus Banken einstellen. Die wissen genau, an welchen Stellschrauben in der Bilanz zu drehen sind, um bestimmte Effekt zu erzielen. Oder sie haben auch schon einmal selbst ein Derivat gebastelt."

Genug Profis auf dem Markt

Gebraucht würden zudem Experten, die sich mit nationalen Bilanzierungsbesonderheiten auskennen. Und noch etwas sei wichtig, so Halin: Falls die EZB tatsächlich irgendwann auch einmal lokale Banken abwickeln solle, müsse sie mehr Experten aus Euro-Krisenländern einstellen als aus vermeintlich sicheren Ländern. "Sprachkompetenz ist sehr wichtig. Wer die Gläubiger einer südeuropäischen Großsparkasse informieren und dem Management im Rahmen einer Abwicklung auf die Nase boxen muss, sollte das in der Landessprache tun können". Große Schwierigkeiten werde EZB-Chef Mario Draghi aber nicht kriegen, gute Leute zu rekrutieren. "Durch die vielen Freisetzungen gibt es genug Profis auf dem Markt. Die Konditionen bei der EZB sind, gemessen an denen im Investmentbanking, vielleicht schlechter, aber im aktuellen Arbeitsmarkt für Banker immer noch sehr attraktiv", sagt der Personalberater.

Das glaubt auch Norbert Walter-Borjans. Ende Juli trifft sich Nordrhein-Westfalens Finanzminister mit EZB-Direktor Mersch, um auszuloten, welche Jobchancen die ehemaligen Banker der WestLB haben. Die wurde auf EU-Geheiß abgewickelt. Ihre landeseigene Nachfolgegesellschaft Portigon beschäftigt noch immer gut 2500 Mitarbeiter. Rund 1000 Arbeitsplätze sollen in diesem Jahr bei dem Abwicklungsspezialisten für Wertpapier- und Kreditportfolios zwar noch abgebaut werden. Doch viele Ex-WestLB'ler haben noch beamtenähnliche Verträge und sind praktisch unkündbar - und langfristig kann Portigon nur wenigen Hundert Menschen Arbeit bieten.

Kein Wunder also, dass Walter-Borjans bei Mersch anklopft. Und auch wenn die NRW-Opposition vorschlägt, die überzähligen Mitarbeiter in der Finanzverwaltung einzusetzen: SPD-Politiker Walter-Borjans hält die EZB für die bessere Alternative: "Wir nutzen alle Möglichkeiten, den Beschäftigten bei Portigon neue Perspektiven zu eröffnen. Wir hoffen, dass sich aus den Gesprächen mit der EZB in Kürze konkrete Angebote für die Portigon-Beschäftigten ergeben, die sich neu orientieren müssen. Von ihnen erwarten wir dann allerdings auch, dass sie konstruktiv und flexibel darauf reagieren".

Immobilienmakler jubeln über Banker-Zuzug

Etwas weniger offensiv ist man bei Bundesbank und BaFin. "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust", seufzte Bundesbank-Vizepräsidentin Sabine Lautenschläger kürzlich. Was sie meinte: Einerseits wünsche sie sich eine einheitliche Aufsicht, zu dessen Erfolg viele ihrer Bundesbanker künftig beitragen. Andererseits falle es ihr schwer, auf eben jene Mitarbeiter zu verzichten. "Ich erhoffe mir von der europäischen Aufsicht, in deren Teams Personen verschiedener Nationalitäten mitarbeiten werden, einen neuen Ansatz, in dem die Stärken der jeweiligen nationalen Behörden einfließen."

Gleichwohl unterstützen Bundesbank und BaFin die EZB nach Kräften - zumindest offiziell. "Es wird keine beamtentechnischen Hürden geben", sagt ein BaFin-Sprecher. Die Leitung unterstützt es sehr, wenn sich BaFin-Mitarbeiter bei der EZB bewerben wollten. "Wir wollen sicherstellen, dass die Aufsicht bei der EZB mit vielen qualifizierten Mitarbeitern an den Start geht". So könnten die Mitarbeiter für eine mehrjährige Tätigkeit bei der EZB beurlaubt werden. Bei der EZB selbst kann man nicht verbeamtet werden und erhält in der Regel auch nur einen Zeitvertrag. Bei der BaFin übrigens gibt es sogar Bewerbungstrainings für diejenigen Mitarbeiter, die sich ins Rennen bringen wollen.

Neben früheren Investmentbankern und WestLB-Mitarbeitern, denen sich neue Jobperspektiven öffnen, gibt es einen weiteren, überraschenden Profiteur: die Stadt Offenbach. Schließlich müssen jene neuen EZB-Aufseher, die nicht von Bundesbank oder BaFin kommen oder ohnehin schon in Frankfurt leben, irgendwo wohnen. Und da Frankfurts Immobilienmarkt als überhitzt gilt, kann sich der ungeliebte Nachbar auf den Zuzug neuer Mitbürger freuen.

Von Offenbach aus lässt sich bald schon gemütlich über die neue Osthafenbrücke, die in diesen Wochen fertiggestellt wird, ins Frankfurter Ostend radeln. Dorthin, wo die EZB baut. "Der Hafenbereich im Ostend ist im Kommen, das Gebiet wird hip", sagt Sven Carstensten, Immobilienexperte vom Analysehaus Bulwiengesa. Er glaubt: "Offenbach ist ein noch unerkannter Juwel".

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