Politischer Vorstoß für europäischen Digitalmarkt Wie Europa die digitale Vorherrschaft der USA beenden kann

Symbol US-amerikanischer IT-Vorherrschaft: Die Apple Watch

Symbol US-amerikanischer IT-Vorherrschaft: Die Apple Watch

Foto: REUTERS

Ein Blick auf die Startansicht beim Handy und die dort hinterlegten Apps, die bunten Favicons in der Favoritenliste im Browser, die aktuellen Börsenkurse von Internet-Konzernen oder die Liste der vielversprechenden Online-Unicorns im Startup-Bereich zeigt uns schnell, dass insbesondere US-amerikanische Unternehmen die Informations-, Kommunikations- und Transaktionshoheit im Netz haben. Aber warum ist dem eigentlich so?

Unter der prinzipiellen Annahme, dass wir nicht weniger kreativ oder innovativ im Hinblick auf digitale Technologien sind, muss es also an etwas anderem liegen. Sicherlich sind im Einzelfall die Gründe für den Erfolg der US-amerikanischen Startups gerade im digitalen Bereich im Detail vielfältig, sie können aber sowohl dort als auch bei uns auf drei wesentliche Aspekte reduziert werden:

1. Eine allgemein starke Gründungsneigung und zugehörige Gründungsausbildung mit einer hohen Risikobereitschaft in der (jungen) Bevölkerung.

2. Eine enorme Verfügbarkeit von Risikokapital für die Finanzierung gerade von jungen Online-Unternehmen und deren Wachstum im nationalen und internationalen Kontext.

3. Ein sehr großer (Online-) Binnenmarkt für den schnellen und homogenen Markteintritt.

Tobias Kollmann

Tobias Kollmann ist Professor für BWL und Wirtschaftsinformatik an der Universität Duisburg-Essen. Seine Schwerpunkte sind Digital Business und Digital Entrepreneurship.

Im Ergebnis werden landesweit laut US Small Business Administration pro Jahr ca. 100.000 neue Startups gegründet, die mehr oder weniger ein Geschäftsmodell im Zusammenhang mit dem Internet zum Gegenstand haben. 100.000! Und alle haben nur ein Ziel: Sie wollen die Welt verändern! Sie wollen mit ihren disruptiven Online-Ideen ganze Branchen umkrempeln.

Und nachdem sie in den USA gestartet sind, rückt für den unstillbaren Hunger nach Erfolg und Expansion eine Region besonders in den Fokus: Europa. Denn während Europa über seine Einwanderer in den USA den realen "Wilden Westen" erobert hat, erobern die USA nun mit ihren Internetunternehmen den digitalen "Zahmen Osten" in Europa.

Unsere Antwort ist im Moment ein heterogener Kontinent im Hinblick auf digitale Infrastruktur sowie auf rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen für den Online-Wettbewerb. Bezüglich der oben aufgelisteten Gründe muss man in diesem Zusammenhang einfach feststellen, dass wir in Europa alles haben, nur eben noch keinen Digitalen Binnenmarkt. Das bedeutet: wir müssen größer denken und das geht nicht für ein europäisches Land alleine. Das geht nur auf europäischer Ebene.

Damit das Rennen um die Hoheit im Netz auch von Europa aus aufgenommen werden kann, müssen zahlreiche Hemmnisse abgebaut und Anreize für die digitalen Akteure geschaffen werden. Zu viele europäische Gründer werden heute zwei Mal bestraft, wenn sie zum einen im harten internationalen Wettbewerb bestehen und zum anderen fragmentierte, manchmal ungeeignete und oft instabile Regeln des europäischen Markts anwenden müssen.

Die europäische digitale Agenda muss deswegen über das ehrgeizige Ziel der Schaffung eines europäischen digitalen Binnenmarktes hinausgehen und sich an zwei Anforderungen orientieren: der Notwendigkeit der Internationalisierung und Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen im digitalen Raum und der Schaffung eines fairen Wettbewerbsrahmens für deren Entfaltungsmöglichkeit im Netz. Europa muss daher einheitliche digitale Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer sicherstellen, sowohl im Bereich der datenrelevanten und wirtschaftlichen Online-Regeln wie auch in der Besteuerung.

Nicht zuletzt muss der Zugang zur Finanzierung von europäischen Startups als Träger digitaler Innovationen verbessert werden. Innovationen unserer Startups sind ein wichtiger Hebel der digitalen Transformation und damit wesentlich für ein nachhaltiges Wachstum unserer Industrie und unserer gesamten Wirtschaftsstruktur! Europäische Startups haben aber bei ihrer Finanzierung im Vergleich zu ihren nordamerikanischen oder asiatischen Wettbewerbern immer noch deutliche Nachteile in der Verfügbarkeit von Venture Capital. Diese Herausforderungen können nur durch eine einheitliche europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik im digitalen Bereich gemeistert werden.

Deutsch-französischer Aktionsplan für Innovation

Vor diesem Hintergrund hat der "Nationalrat für Digitales" (Conseil national du numérique, CNNum) und der "Beirat Junge Digitale Wirtschaft" (BJDW) einen deutsch-französischen Aktionsplan für Innovation (API) mit dem Titel "Digitale Innovation und Digitale Transformation in Europa" entworfen und auf der gemeinsamen Konferenz zur Digitalen Wirtschaft am 27. Oktober 2015 an Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie und seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron, Minister für Wirtschaft, Industrie und Digitales in Frankreich, übergeben.

Zu der Konferenz im Élysée-Palast hatte der Staatspräsident der Französischen Republik François Hollande gemeinsam mit der Deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeladen. Der Aktionsplan enthält 15 konkrete Vorschläge für den gemeinsamen digitalen Binnenmarkt in Europa zu den Themen Ausbildung und Förderung von digitalen Kompetenzen, Aufbau eines europäischen Ecosystems für digitale Startups, Finanzierung von digitalen Innnovationen, Etablierung eines Europäischen digitalen Marktes und digitale Transformation der Europäischen Wirtschaft. Im Einzelnen wird beispielsweise gefordert:

  • Europa braucht digitale Kompetenzen für alle Bürger als Basis für die Gesellschaft und Wirtschaft von morgen. Entsprechend brauchen wir Digitalkunde als Fach in den Schulen, berufsbegleitende Aus- und Weiterbildungsprogramme für Digitalkompetenzen in den Unternehmen, Studiengänge zur Digitalen Wirtschaft sowie Lehrstühle für E-Entrepreneurship an den Hochschulen.
  • Europa muss jungen Unternehmen von Anfang an ermöglichen, sich als europäisches Startup zu positionieren. Wir brauchen daher den Aufbau von realen und virtuellen Plattformen für die europaweite Zusammenarbeit von Startups, Investoren, KMUs und großen Konzerne für die Digitale Wirtschaft.
  • Europa muss seinen Unternehmen einen nachhaltigen Zugriff zur Finanzierung von digitalen Innovationen bieten. Wir müssen ein attraktives Umfeld für Investitionen von Business Angels in digitale Innovationen in Europa schaffen und den Zugang von digitalen Startups zu den Finanzmärkten mit einem gemeinsamen europäischen Börsensegment ermöglichen.
  • Europa braucht einheitliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Digitalen Innovationen. Wir brauchen eine Rating-Agentur für digitale Plattformen auf europäischer Ebene als Basis für mehr Transparenz in den Bereichen Datenkooperation, Datenschutz und Datensicherheit sowie ein einheitliches Steuersystem für alle Online-Marktteilnehmer in Europa nach dem Konzept der "digitalen Präsenz" (Vor-Ort-Besteuerung).
  • Europa muss seinen starken Mittelstand und seine starken Industrien ins digitale Zeitalter führen. Wir brauchen eine einheitliche Entwicklung von europäischen Standards insbesondere zum "Internet der Dinge" und "Big Data" durch die Festlegung von offenen Normen in Europa sowie die Förderung von Text-/Data-Mining und Data-Portability.

Im Ergebnis muss sich auch Deutschland als digitaler Teil Europas sehen! Europa kann und muss gemeinsam digital sein, denn jedes Land für sich ist für die Online-Welt zu klein. Nur gemeinsam kann man sich als digitaler Wirtschaftsraum im Online-Wettbewerb gegen die USA und Asien behaupten. Das soll das Signal sein, welches vom Aktionsplan von CNNum und BJDW ausgeht. Möge es in Brüssel und ganz Europa wahrgenommen werden!


Hier gibt es den Aktionsplan zum Download (PDF-Dokument ca. 370 KB):
Digitale Innovation und Digitale Transformation in Europa: Ein deutsch-französischer Aktionsplan für Innovation (API)

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren