Euro-Krise Zyperns Sparplan lässt Experten rätseln

Zyprer am Geldautomat: Kommt das Land wieder auf die Beine?
Foto: BOGDAN CRISTEL/ REUTERSHamburg - "In Zypern gibt es ein massives Problem, was soziale Gerechtigkeit anbelangt", sagt Hubert Faustmann, Politologe und Historiker an der Universität von Nikosia. "Im öffentlichen Dienst haben sich privilegierte Strukturen gebildet. Dort werden viel höhere Gehälter gezahlt, als in vergleichbaren Jobs in der Privatwirtschaft." Gleichzeitig, so der Landeskenner, genießen die Beamten weitere Vorteile. Sie zahlen etwa keine Rentenbeiträge und erhalten hohe Zahlungen am Ende des Berufslebens, deutlich höhere Renten, eine freie medizinische Versorgung sowie "absolute Jobsicherheit".
Schon im vergangenen Jahr gab es in Zypern Einschnitte bei Gehältern, sagt Faustmann. "Im privilegierten öffentlichen Sektor sind mit Sicherheit weitere Kürzungen notwendig."
Das sieht auch Thorsten Kruse so, Experte des Zypern-Institut der Universität Münster. "Die Staatsbediensteten verdienen in vielen Bereichen sehr gut", sagt er. "An Universitäten beispielsweise erhalten öffentlich angestellte Dozenten mitunter bis zu 30 Prozent mehr als Dozenten an den privaten Universitäten in vergleichbarer Stellung." Moderate Einschnitte bei den Gehältern im öffentlichen Dienst, so Kruse, seien daher durchaus zu verkraften.
Was die Fachleute ansprechen, wird wohl schon bald Wirklichkeit. Denn die Senkung der Gehälter von Zyperns Staatsdienern ist Teil des Sparprogramms, mit dem das Land wieder auf die Beine kommen will. Offiziell wurde der Sparplan zwar noch nicht veröffentlicht. Die Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen, mit denen die Troika aus Europäischer Union (EU), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) zur Freigabe der dringend benötigten Zehn-Milliarden-Euro-Spritze bewegt werden soll, kursieren jedoch schon seit Tagen in den Medien.
Geplant ist demnach Folgendes:
- Zwischen 6,5 und 12,5 weniger Gehalt für Staatsbedienstete
- Alle Renten sollen um 3 Prozent gekürzt werden, Anhebung des Renteneintrittsalters
- Zusätzliche Immobiliensteuern in Höhe von 70 Millionen Euro
- Eine Erhöhung der Unternehmensteuer von 10 auf 12,5 Prozent
- Die Steuern für Tabak, Alkohol und Treibstoffe sollen steigen
- Schrittweise Mehrwertsteuererhöhung von 17 Prozent auf 19 Prozent
- Der Staat soll durch Privatisierungen verschlankt werden
- Abbau von 1900 Stellen im öffentlichen Dienst bis 2016
- Erhöhung der Gebühren für öffentliche Dienste um mindestens 17 Prozent
- Besteuerung von Zinsen und Dividenden mit 30 Prozent
- Besteuerung von Lottogewinnen über 5000 Euro mit 20 Prozent
Und damit nicht genug. Um Zyperns Wirtschaft und den Staatshaushalt wieder auf Vordermann zu bringen, werden schon weitere Maßnahmen vorbereitet. Zum Beispiel:
Plant Zypern einen Verstoß gegen EU-Recht?
- Unternehmensgewinne, die wieder auf Zypern investiert werden, sollen nicht besteuert werden
- Mieten sollen reduziert werden
- Die Regierung strebt eine informelle Beschäftigungsklausel zum Schutz der zyprischen Arbeitnehmer an, nach der künftig in Zyperns Firmen 70 Prozent zyprische Bürger und höchstens 30 Prozent Ausländer beschäftigt werden
- Mit der Eröffnung von Kasinos sollen die Staatseinnahmen gesteigert werden
Beschlossene Sache ist zudem der Umbau des überdimensionierten zyprischen Bankensektors. Der wichtigste Einschnitt dabei dürfte die Abwicklung der zweitgrößten Bank des Landes, der Laiki Bank (Volksbank) sein.
Das Institut soll gespalten werden: Geldeinlagen bis 100.000 Euro werden gerettet. Sie gehen an den gesunden Teil der Bank, der von der Bank of Cyprus übernommen wird. Der Rest wird in eine sogenannte Bad Bank gepackt - Schicksal ungewiss.
Ohnehin werden auf Zypern Spareinlagen in Zukunft erheblich geschröpft. Wer mehr als 100.000 Euro bei der Bank of Cyprus angelegt, muss mit einer Zwangsabgabe von bis zu 60 Prozent rechnen, wie Zyperns bis vor wenigen Tagen noch amtierender Finanzminister Michalis Sarris erklärte.
Gewaltige Einschnitte also, die dem Mini-Euro-Staat bevorstehen. Und die Frage drängt sich auf: Bringen sie Zypern den Kollaps? Oder wird die Schrumpfkur zum heilsamen Schock, der die Modernisierung der Wirtschaft und langfristiges Wachstum möglich macht?
Bis zu 200.000 Zyprer haben Migrationshintergrund
Schon jetzt scheint klar: Zunächst wird der Mittelmeerstaat unter den zusätzlichen Belastungen weiter einsacken. Nach Einschätzung seiner internationalen Gläubiger etwa wird die Wirtschaft in diesem und dem kommenden Jahr deutlich schrumpfen. Erst 2015 und 2016 soll es laut Troika auf Zypern wieder ein Wachstum geben.
Ob es wirklich so kommt, wird vor allem davon abhängen, wie die angekündigten Spar- und Reformvorhaben konkret umgesetzt werden. Experten, die manager magazin online befragt hat, halten den Sparplan zwar insgesamt für aussichtsreich. Hinter einige Punkte setzen sie jedoch Fragezeichen.
Das gilt zum Beispiel für die Idee, den Anteil der Ausländer unter den Beschäftigten auf 30 Prozent zu begrenzen. Zypern-Kenner Faustmann hält das für eine "bedauerliche Entscheidung, die gegen fundamentale EU-Prinzipien" verstoße. Auch Thomas Diez, Professor für Politikwissenschaften und internationale Beziehungen an der Universität Tübingen, ist skeptisch. "Die Begrenzung ausländischer EU-Arbeitnehmer würde gegen EU-Recht verstoßen", sagt er.
Experte Kruse von der Uni Münster weist zudem auf praktische Hürden hin. "Bis zu 200.000 der insgesamt rund 860.000 Menschen auf Zypern haben einen Migrationshintergrund", sagt er. "Jobs in privaten Haushalten etwa werden praktisch ausschließlich von Asiaten ausgeübt. Im Servicesektor sind in großer Zahl Osteuropäer tätig. Es wird schwierig in solchen Branchen die angestrebte Quote von zyprischen Bediensteten zu erreichen."
Probleme bei der Privatisierung
Kritisch sehen die Fachleute auch die geplanten Privatisierungen, mit denen Geld in die staatlichen Kassen gespült werden soll. Der Knackpunkt: Es gibt auf Zypern kaum Bereiche, die dafür in Frage kommen. Zudem sind die Umsatzvolumina auf dem örtlichen Markt zumeist wohl zu gering, um das Interesse internationaler Investoren oder global agierender Konzerne zu wecken. Zur Orientierung: Gemessen an der Einwohnerzahl spielt Zypern etwa in einer Liga mit Köln und Frankfurt am Main.
Hinzu kommen individuelle Hindernisse. Zum Beispiel beim Thema Energieversorgung: Vor der Küste Zyperns sollen in den kommenden Jahren umfangreiche Gasvorkommen erschlossen werden. Der Staat will damit den eigenen Bedarf decken und auf dem Weltmarkt Geschäfte machen. "Mit dieser Aussicht wird die Regierung das Zepter jetzt kaum aus der Hand geben", sagt Experte Kruse.
Oder auf dem Transportsektor. Seehäfen beispielsweise, die nach dem Vorbild Griechenlands veräußert werden könnten, gibt es auf Zypern so gut wie keine. Flughäfen dagegen schon eher - die befinden sich aber bereits in privater Hand. Und die staatliche Fluggesellschaft "Cyprus Airways" dürfte nach Angaben von Zypern-Fachmann Kruse kaum Interessenten anlocken, weil sie seit Jahren immer wieder auf staatliche Zuschüsse angewiesen ist.
Was bleibt ist die CYTA, die halbstaatliche Telekomgesellschaft des Landes, die sich den Markt mit der afrikanischen MTN teilt. "Privatisierungen von halbstaatlichen Organisationen wie CYTA machen Sinn und werden auch von Teilen der Bevölkerung nicht abgelehnt", urteilt Zypern-Kenner Faustmann. Wer für die Übernahme dieser nach globalen Maßstäben eher unbedeutenden Gesellschaft in Frage käme, ist jedoch offen.
Tourismus wurde vernachlässigt
Solchen Bedenken zum Trotz überwiegt unterm Strich bei den Experten allerdings die Zuversicht. "Ich sehe keine Alternative zu dem was wir J-Kurven-Anpassung nennen", sagt etwa Thomas Plümper, Professor an der Universität in Essex. "Ein kurzer, sehr tiefer Einschnitt und eine langsame, aber nachhaltige Erholung."
Nach Ansicht von Plümper zielen die Reformen offensichtlich auch darauf ab, die Importe des Landes und damit den Konsum drastisch zu senken. " Das hat kurz- und mittelfristig drastische Konsequenzen", sagt er. "Die Wohlfahrtsillusion die durch geliehenes Geld erzeugt wurde, wird verschwinden". Wenn Investoren an die Nachhaltigkeit der Reformen glauben, so der politische Ökonom, können mittel- bis langfristig aber durchaus Arbeitsplätze und sogar neue Industrien entstehen.
"Die generelle Linie zeigt in die richtige Richtung", sagt auch Lüder Gerken, Chef des Zentrums für Europäische Politik in Freiburg. "Zypern muss es gelingen, seine Schuldentragfähigkeit zu sichern und neue Industrie- und Dienstleistungszweige aufzubauen." Auch Gerken glaubt, dass die Entwicklung neuer, produktiver Geschäftszweige Vorrang hat.
Eine Hoffnung Zyperns dürfte in jedem Fall der Tourismus sein, der schon bisher neben dem Geldgewerbe ein zweites Standbein der Wirtschaft bildete. Nach Angaben von Thorsten Kruse, Uni Münster, hat die Branche in vielen Bereichen allerdings seit mehr als 20 Jahren nicht mehr ausreichend investiert, um die von den europäischen Touristen mittlerweile geforderten Standards zu erfüllen. "Die Türkei oder die Länder Nordafrikas haben Zypern im Preis-Leistungs-Verhältnis überholt", sagt er. "Das lässt sich nicht so einfach wieder aufholen." Auch in dem Bereich gibt es also offenbar jede Menge Handlungsbedarf.