IW-Chef Michael Hüther "Krise des staatlichen Finanzgebarens"

Den Euro im Blick: Michael Hüther ist Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW)
Foto: dapdmm: Professor Hüther, handelt es sich eigentlich um eine Euro-Krise oder eine Staatsverschuldungskrise?
Hüther: Wir haben es mit einer Krise des staatlichen Finanzgebarens zu tun. Die Selbstverständlichkeit staatlicher Kreditaufnahmen ist an ihr Ende gekommen, weil die Finanzmärkte auf Schuldenintoleranz umgeschaltet haben. Dies trifft nicht nur die Eurozone, sondern ebenso die USA und das Vereinigte Königreich. Die CDS-Kurse machen deutlich, dass die Risikobewertung der Staatsanleihen dieser Länder trotz niedriger Marktzinsen sich deutlich verändert. Eine Währungskrise wird daraus nur, wenn es politisch gewollt ist. Denn warum soll ein Zahlungsmittel in die Krise geraten, wenn einzelne Nutzer dieses Zahlungsmittel in Schwierigkeiten sind?
mm: Wie werten Sie die Arbeit der Politik in dieser Krise?
Hüther: Man muss zugestehen, dass diese Entwicklung die Politik auf einen Such- und Irrtumspfad führt. Der Masterplan war nicht vorhanden, konnte auch nicht vorliegen. Die klare Konditionierung der Hilfen, die Schärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die Propagierung verfassungsrechtlicher Schuldenbremsen und die Einrichtung eines Rettungsfonds sind im Kern angemessene Antworten. Misslich ist, wenn seitens der Politik nicht konsequent kommuniziert wird und einzelne Akteure - wie Kommissionspräsident Barroso - mit luftigen Ideen unabgestimmt in die Öffentlichkeit gehen. Dann wird die Politik selber zum Unruheherd.
mm: Politik scheint ein Getriebener zu sein. Liegt das daran, dass die Politik an Macht verloren hat oder die Wirtschaft an Macht gewonnen hat?
Hüther: Finanzmärkte legen nicht das Feuer, aber sie machen viel Wind. Das Feuer hat die Finanzpolitik gelegt, indem sie über Jahrzehnte undiszipliniert versucht hat, der jeweiligen Generation durch Neuverschuldung mehr Handlungsspielraum zu verschaffen. Getrieben wird die Politik nun zu nachhaltigen Lösungen generationengerechter Haushalte. Glaubwürdige Signale sind gefordert, aber auch der deutliche Hinweis, dass solche Sanierungsprozesse - wie in Griechenland - kein Kurzgeschichte schreiben, sondern einer sehr lange.
mm: Wie gelegen kommen den USA eigentlich die Verwerfungen in Euroland?
Hüther: Die USA stecken selber in einer doppelten Misere. Die finanzpolitischen Möglichkeiten sind ausgereizt, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist schwach, die Verschuldung des privaten Sektors hoch.
mm: In der Post-Lehman-Phase hatten die Lenker erklärt, die Freiheiten der Finanzindustrie beschneiden zu wollen, viel geschehen ist nicht. Wäre das ein gangbarer Weg um zu verhindern, dass Investoren von der Bonitätsschwäche eines Staates profitieren?
Hüther: Es stimmt nicht, dass nichts geschehen ist. Neue Aufsichtsbehörden, Regulierung der Ratingagenturen, veränderte Eigenkapitalanforderungen, Regeln für die Leverage-Ratio, Selbstbehalte bei Verbriefungen, Restrukturierungsgesetze für das Bankensystem. Die Rekapitalisierung der Banken benötigt Zeit. Wichtig ist es dabei auch, die Anreize für den Erwerb von Staatsanleihen zu verändern. Hier sollte wie bei Unternehmensanleihen risikodifferenziert Eigenkapital unterlegt werden müssen.
mm: Blicken wir einmal in die Zukunft - werden Politiker die Lehre lernen und der Staatsverschuldung mehr Augenmerk schenken?
Hüther: Sie können angesichts der breit verankerten Schuldenintoleranz der Finanzmärkte nicht anders. So wie in den 1980er Jahren der Geldpolitik - und den Staaten - die Inflation ausgetrieben wurde, so wird jetzt der Finanzpolitik die Verschuldung ausgetrieben. Beides - Inflation und Verschuldung - erhöhen den Handlungsspielraum der lebenden Generation zulasten der künftigen Generationen. Das wird aufhören müssen.
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