Deutschland Hurra, der Euro fällt

Der Euro verliert an Wert. Doch was das Misstrauen der Welt gegenüber Europa widerspiegelt, ist für Deutschland derzeit von großem Vorteil. Allerdings nur, solange der aktuelle Abwärtstrend nicht für einen Inflationsschub in Euro-Land sorgt.

Hamburg - Es ist wie so oft im Leben: Mit ein wenig Abstand betrachtet verliert vieles an Dramatik. Schaut man zum Beispiel aus nächster Nähe auf den Chart des Euro-Dollar-Kurses, so erscheint die Wertentwicklung alarmierend. Seit Dezember 2009 fiel der Kurs von mehr als 1,50 Dollar auf weniger als 1,20 Dollar - ein Verlust von mehr als 20 Prozent innerhalb von lediglich sechs Monaten. Auf dem vorläufigen Tiefpunkt notierte der Euro jüngst bei 1,18 Dollar, so niedrig, wie zuletzt vor vier Jahren.

Kein Wunder also, dass europaweit die Sirenen heulen. "Der abrupte Absturz der europäischen Währung ist ein Zeichen dafür, dass internationale Investoren vielen Ländern im Euro-Raum zunehmend misstrauen, was deren Fähigkeit angeht, die Staatsfinanzen unter Kontrolle zu bekommen", sagt Joachim Scheide, Volkswirt vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Deshalb fordern die Investoren aus aller Welt höhere Risikoaufschläge, bevor sie ihr Geld in große Teile von Europa überweisen, so der Experte. "Die Entwicklung muss daher als Warnsignal ernst genommen werden", sagt er.

Und das wird sie, wie der jüngst geschmiedete 750-Milliarden-Euro-Stützungsplan der EU-Spitzen zeigt. Die Schuldenkrise, so die Botschaft, ist eine ernste Gefahr, der die Staaten gemeinsam begegnen wollen.

Aber was ist mit der Euro-Schwäche? Ist die ebenfalls eine solche Gefahr? An dieser Stelle hilft der Blick mit etwas Abstand. Denn wer einen Schritt zurücktritt, erkennt: Auf lange Sicht befindet sich der Wert der Währung noch auf einem ganz und gar undramatischen Niveau. Tatsächlich haben die Statistiker just 1,18 Dollar als langfristigen Durchschnittskurs des Euro errechnet. Zudem war dies auch der Kurs, zu dem die Währung 1999 überhaupt in den Handel startete. Und damit nicht genug.

40 Prozent der Exporte profitieren von der Euro-Schwäche

Insbesondere Deutschland hat unter der Euro-Schwäche derzeit kaum zu leiden. Im Gegenteil, noch überwiegen die Vorteile, die der hiesigen Wirtschaft daraus erwachsen.

Schließlich verbilligt der schwächere Euro deutsche Waren und Dienstleistungen außerhalb der Euro-Zone. Für ein exportstarkes Land wie die Bundesrepublik ist dies ein enormer Vorteil. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von gut 2,4 Billionen Euro belief sich der Wert der Ausfuhren im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt auf 979 Milliarden Euro. Etwa 40 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung also werden Jahr für Jahr ins Ausland verkauft.

Davon wiederum rund 40 Prozent verlassen das Land in nicht-europäische Währungsräume. Geschäfte mit einem Volumen von knapp 400 Milliarden Euro also profitieren direkt von jedem Cent, den der Euro an Wert verliert.

Ein weiterer Effekt, der aus der Schuldenkrise erwächst und damit ebenfalls indirekt mit der Euro-Schwäche zusammenhängt, ist das niedrige Zinsniveau, dessen sich Deutschland, seine Unternehmen und die Konsumenten hierzulande erfreuen können. Der Grund: Wenn Investoren zurzeit Geld in Europa anlegen, dann eher in sicheren Ländern. Und da steht Deutschland nach wie vor ganz oben auf der Bonitätsrangliste. Aus diesem Grund muss die Bundesrepublik für ihre Verschuldung derzeit vergleichsweise niedrige Zinsen zahlen.

Importierte Inflation macht sich schon bemerkbar

Und weil die Europäische Zentralbank (EZB) mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten schwächerer Länder vor allem im Süden Europas die Zinsen noch niedrig hält, freuen sich auch Kreditnehmer hierzulande über günstige Konditionen.

So weit die komfortable Lage der Bundesrepublik im Status quo. Auch diese Medaille hat jedoch eine Kehrseite. Und die, das lässt sich in jedem Lehrbuch nachlesen, heißt importierte Inflation.

Der Hintergrund: Im gleichen Maße, wie die deutschen Exporte auf dem Weltmarkt durch die Euro-Schwäche billiger werden, steigen auch die Preise, die hierzulande für eingeführte Waren und Dienstleistungen gezahlt werden müssen. Die Dimension ist nicht zu unterschätzen: Laut Statistischem Bundesamt steht dem Exportwert von 979 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ein Importwert von 866 Milliarden Euro gegenüber.

Einfuhrposten Nummer eins mit einem Volumen von mehr als 70 Milliarden Euro sind Produkte der Unterhaltungselektronik, Fernseher, Computer, Kameras und Ähnliches also. Es folgen mit 60 Milliarden Euro Autos und Autoteile und mit 55 Milliarden Euro die Importe von Erdöl und Erdgas. Dahinter chemische und pharmazeutische Erzeugnisse, Maschinen, Nahrungs- und Futtermittel.

Was sich hinter dem akademisch klingenden Begriff der importierten Inflation praktisch verbirgt, erleben Autofahrer schon heute täglich an der Tanksäule. "Der Ölpreis ist seit Anfang Mai deutlich gefallen", sagt Jörg Hinze, Volkswirt vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). "Dass die Benzinpreise hierzulande nicht ebenso zurückgegangen sind, liegt in erster Linie daran, dass gleichzeitig der Euro gegenüber dem Dollar so stark an Wert verloren hat." Umgekehrt bedeutet das: Ein möglicher Anstieg des Ölpreises in Kombination mit einem weiter fallenden Euro-Kurs könnte sich auf das deutsche Preisniveau verheerend auswirken.

Damit bekommt die Inflationsangst, die sich hierzulande ohnehin breitmacht, zusätzliche Nahrung. Umfragen zufolge befürchtet mehr als die Hälfte der Deutschen, dass künftig die Geldentwertung zunehmen wird. Grund dafür dürfte vor allem die starke Ausweitung der Geldmenge angesichts der Geldpolitik der EZB sein.

Aber auch die Entwicklung des Euro-Kurses rechtfertigt solche Sorgen. "Noch können die Unternehmen Kostensteigerungen kaum an die Verbraucher weitergeben, weil die Wettbewerbssituation angesichts der noch schwachen Konjunktur dies nicht zulässt", sagt Volkswirt Hinze. "Sollte die Wirtschaft aber wieder mehr Fahrt aufnehmen, ändert sich das."

Spätestens dann dürfte sich die importierte Inflation auch anderswo bemerkbar machen. Nicht nur an der Tanksäule.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren