
Trend-Investing So investieren Sie in "Big Data" (mit allen Risiken)
Die folgende Geschichte stammt aus der Ausgabe 6/2017 des manager magazins, die Ende Mai erschien. Wir veröffentlichen sie hier als Kostprobe unseres Journalismus' "Wirtschaft aus erster Hand". Damit Sie künftig früher bestmöglich informiert sind, empfehlen wir ein Heft-Abo.
Pliezhausen, 30 Kilometer südlich von Stuttgart. Ringsherum blühen die Wiesen, in der Mitte ist die Firmenzentrale des IT-Dienstleisters Datagroup gelandet, einem Ufo gleich.
Kreisförmig haben sich die Büros ums Atrium angesiedelt, wo ein 15 Meter hoher Wasserfall herunterstürzt. Aus seinem Büro im vierten Stock genießt Datagroup-Chef Max Schaber (61) einen Panoramablick über die Wacholderheiden und Wälder der Schwäbischen Alb.
"In mir trage ich die DNA eines klassischen schwäbischen Unternehmers", sagt Schaber, der anders als seine Mitarbeiter keinen Hoodie trägt, sondern blauen Anzug, schwarze Schnallenschuhe und Rolex.
So idyllisch das Setting, so zukunftsweisend das Business, in dem sich Schaber tummelt. Als er die Datagroup 1983 gründete, war sie zunächst ein gewöhnliches Systemhaus, das Hardware handelte und wartete - ein hart umkämpfter Markt mit niedrigen Margen. Stück für Stück baute Schaber das Unternehmen zu einem Outsourcingdienstleister um, der für seine Kunden die komplette IT betreibt, 2006 brachte er die Datagroup an die Börse. Seitdem ist die Aktie im Small-Cap-Segment der Deutschen Börse gelistet.
Mittelständler wie der Betonpumpenhersteller Putzmeister oder die Juwelierkette Christ lassen ihre Geschäftsprozesse über die Cloud der Datagroup laufen. Außerdem betreibt Schaber sogenannte Service-Desks zur Lösung von IT-Problemen und lässt SAP-Anwendungen über die Rechenzentren seiner Kunden laufen.
Die 1700 Mitarbeiter der Datagroup verdienen ihr Geld dort, wo es für Global Player wie SAP zu kleinteilig wird. In dem stark fragmentierten Markt mit kleinen und mittelgroßen Firmen will Schaber Marktführer werden. "Als Mittelständler sind wir mit unseren Kunden auf Augenhöhe und sprechen ihre Sprache", sagt er. Die wissen es zu schätzen, bei Problemen nicht in einem bulgarischen Callcenter zu landen, sondern von einem der rund 40 Standorte in Deutschland betreut zu werden.
Das Business wächst rasant. Rund 175 Millionen Euro setzte der Cloudanbieter im abgelaufenen Geschäftsjahr um, bei einem operativen Ergebnis von über 19 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr des neuen Geschäftsjahres stiegen die Erlöse um fast 31 Prozent, das Ebitda gar um 92 Prozent - auch dank der Übernahme eines Teils der Deutschland-Tochter von Hewlett Packard Enterprise.
Die Aktie hat sich seit dem Börsengang verelffacht. 85 Prozent des Rohertrags basieren auf zuverlässig wiederkehrenden Vertragseinnahmen, seit elf Jahren werden die Prognosen erfüllt oder übertroffen. Die Investoren lieben den Small Cap, mit dem 31-Fachen des für 2017 erwarteten Gewinns ist er immer noch nicht überteuert.
In dem Geschäft herrscht Goldgräberstimmung. Einer Studie norwegischer Forscher zufolge sind 90 Prozent aller auf der Welt verfügbaren Daten nicht älter als zwei Jahre. Ob im Gesundheitswesen, in der Industrie oder Werbung - überall steigern sie die Effizienz und senken die Kosten.
Immer mehr Unternehmen entdecken Big Data als strategische Waffe. "Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts" - ein Satz, der in keiner Firmenpräsentation mehr fehlen darf; und eine unerschöpfliche Einnahmequelle für all jene, die das digitale Rohöl speichern (Cloud-Computing), analysieren (Internet der Dinge), weiterentwickeln (künstliche Intelligenz) und schützen (Cybersecurity). Apple, Google, Microsoft, Amazon und Facebook - bei den fünf wertvollsten Konzernen der Welt gehört Datensammeln zum Kerngeschäft.
Doch das ist erst der Anfang. Wenn sich Maschinen erst in großem Stil miteinander vernetzen und Roboter zu Facharbeitern, Pflegekräften, Taxifahrern und Sprachassistenten werden, wird das Datenvolumen weiter anschwellen. Die Credit Suisse glaubt, dass die Anzahl der vernetzten Geräte von heute 15 Milliarden schon bis 2020 auf 50 Milliarden steigen wird.
Für datengetriebene Geschäftsmodelle machen die Wagniskapitalgeber ihre Kassen weit auf. Die rund 550 Start-ups, die derzeit mit künstlicher Intelligenz experimentieren, konnten 2016 fünf Milliarden Dollar einsammeln.
Und auch an den Finanzmärkten kommen die Datenspezialisten gut an. Allein im April gingen drei US-Softwarehäuser an die Börse und erzielten vom Start weg Bewertungen in Milliardenhöhe. Celonis, eines der in Deutschland am schnellsten wachsenden Start-ups, will sich ebenfalls listen lassen. Der Data-Miner durchwühlt Prozesse auf der Suche nach Schwachstellen, um die Effizienz zu steigern. Mittlerweile gibt es kaum mehr eine Fondsgesellschaft, die keinen Tech-Aktienfonds im Angebot hat.
Alle 2 Sekunden 120.000 Signale
Diese Fonds werden jedoch zumeist dominiert von den großen, teuren US-Giganten. Auch wenn die das Zeug zur ersten One-Trillion-Dollar-Company haben (also mehr als eine Billion Dollar Börsenwert), lässt sich als Anleger mehr Rendite erzielen, wenn man die Tech-Perlen mischt mit dynamischen Hidden Champions und frisch notierten Start-ups, deren Marktkapitalisierung sich noch vervielfachen kann (siehe Tabelle). Das Risiko-Rendite-Profil eines solchen Megatrendportfolios ist zurzeit kaum zu schlagen.
Von seinem Büro aus kann Ton de Jong (60) den Rotterdamer Hafen sehen, alle paar Minuten fahren riesige Containerschiffe am Fenster vorbei. Auf dem Schreibtisch stehen fünf Monitore und ein Fernglas, das braucht er für seinen Job aber längst nicht mehr.
Die roten Punkte auf dem Monitor erkennt der CIO des niederländischen Marinedienstleisters Royal Dirkzwager auch so. Der Frachter "Grande Sierra Leone", der sich derzeit noch mitten auf dem Atlantik befindet, wird früher in Rotterdam eintreffen als geplant, meldet die Software. Ein Algorithmus berechnet den präzisen Ankunftszeitpunkt und übermittelt ihn direkt an die Reederei, der das Schiff gehört. "Diese Information spart vermutlich mehrere Zehntausend Dollar", sagt de Jong. Denn sie kann das Entladen vorziehen, das Schiff liegt nicht ungenutzt herum.
Alle zwei Sekunden senden Satelliten rund 120.000 Signale der über die Ozeane fahrenden Schiffe an das Datenzentrum von Royal Dirkzwager. Eigentlich ein kaum beherrschbarer Wust. "Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Wasserschlauch und wollen daraus trinken", sagt de Jong.
Seit sein Unternehmen ein Programm der deutschen Software AG einsetzt, lässt sich daraus trinken, sprich der Aufenthaltsort eines jeden Schiffes in Echtzeit abrufen. Die Darmstädter, nach SAP das zweitgrößte deutsche Softwarehaus, setzen große Hoffnungen aufs Geschäft mit Big Data, ihre operative Marge stieg zuletzt auf fast 30 Prozent.
Zur Jahrtausendwende hätte das noch keiner für möglich gehalten. Da musste das Unternehmen mit Umsatzeinbußen und den Folgen diverser Fehlentscheidungen aus der New-Economy-Ära kämpfen, es hatte zu sehr auf das wachstumsschwache Datenbankgeschäft gesetzt. Nachdem die Dotcom-Blase geplatzt war, entwich auch aus der Aktie alle Luft, sie krachte um zeitweise 95 Prozent ein.
CEO Karl-Heinz Streibich (64) richtete sein Unternehmen strategisch komplett neu aus. Heute rüstet die Software AG die Prozesse industrieller Hersteller digital auf. Bei Bosch etwa kommt eine Software der Darmstädter zum Einsatz, die mittelständischen Kunden hilft, frühzeitig zu erkennen, wann Maschinen gewartet werden müssen.
Noch ist das Softwarehaus mit einem Umsatz von knapp 900 Millionen Euro ein kleiner Player - verglichen mit der internationalen Konkurrenz. Doch die Nähe zu den heimischen Kunden ist ein Vorteil, der sich zunehmend auszahlt.
Zudem hat sich Streibich durch eine Reihe von Firmenzukäufen verstärkt, etwa der Softwareplattform Apama, mit der - wie im Rotterdamer Hafen - Datenströme live analysiert werden können. Es läuft bei den Darmstädtern. Als sie Ende April starke Quartalszahlen vorlegten, schoss der Aktienkurs binnen Tagesfrist um 10 Prozent nach oben.
Ein Großraumbüro in einem Industriegebiet am Rande Dublins. Über die Monitore laufen Zahlenkolonnen. Während Hunderte Mitarbeiter in abgetrennten Kammern Befehle per Tastatur eingeben, telefonieren sie mit Kunden in Kuala Lumpur, Rio de Janeiro und Chicago.
Das britisch-amerikanische Unternehmen Experian, selbst ernanntes Information-Powerhouse, ist die größte Kreditauskunftei der Welt. Experian besitzt Kreditdaten von fast einer Milliarde Menschen und berechnet mithilfe von Algorithmen, wie wahrscheinlich es ist, dass sie ihre Kredite nicht zurückzahlen können. Nahezu alle Banken, Mobilfunker und Autohändler aus den USA greifen auf die von Experian gelieferten Analysen zurück, um ihr Risiko einzudämmern.
Experian ist aus dem Londoner Einzelhandelsriesen GUS hervorgegangen, der in den 80er Jahren Produkte über Ratenkredite verkaufte und deshalb als eines der ersten Unternehmen weltweit eine Datenbank zu Kreditausfallrisiken pflegte. 1996 fusionierten die Briten mit TRW, einer der ersten US-Kreditauskunfteien, zu Experian.
Inzwischen ist das Unternehmen doppelt so groß wie die Nummer zwei im Markt und in 65 Ländern aktiv. Haus- oder Autokäufe, Kreditkartentransaktionen oder Versicherungsleistungen - "niemand sammelt so aggressiv Daten wie Experian", sagt Rebecca Kaddoum, Fondsmanagerin bei Comgest in Paris. Sie hält die Briten für eine der besten Wetten auf den Big-Data-Trend. Dank neuester Technologie spucken die Experian-Rechner in Sekunden aus, ob ein Kunde kreditwürdig ist - oder nicht. Die langfristigen Verträge mit Großkunden sichern einen hohen Cashflow und machen die Firma unempfindlich gegenüber Konjunkturzyklen.
Im Jahr 2012 erwarb Goldman Sachs den damals noch verschlafenen Experian-Rivalen TransUnion für knapp 550 Millionen Dollar, konzentrierte sich auf Risikoauswertungen für Fintechs, also Start-ups, die etwa Kredite per Smartphone-App vermitteln, und brachte die Firma an die Börse. Goldman soll seinen Einsatz verfünffacht und über Dividenden und Aktienverkäufe rund 600 Millionen Dollar verdient haben.
Weil die Masse an Daten inzwischen in großem Stil Hacker und Betrüger anlockt, hat sich im Windschatten der Software-, Analyse- und Cloudanbieter ein Sektor formiert, der sie vor solchen Raubzügen schützt. Allein in diesem Jahr werden Unternehmen dem Marktforschungsinstitut Gartner Research zufolge 90 Milliarden Dollar für ihre Cybersicherheit ausgeben. Auch Staaten und Behörden erhöhen ihre Investitionen massiv, um gegen Attacken aus dem Netz gewappnet zu sein.
Das zunehmende Bedürfnis nach Cybersecurity lässt sich am Aktienkurs von Symantec ablesen. Der stieg allein binnen der vergangenen zwölf Monate um rund 100 Prozent. Der Konzern aus Mountain View, etwa drei Meilen entfernt vom Google-Headquarter, ist mit 3,6 Milliarden Dollar Umsatz und 11.000 Mitarbeitern der weltgrößte Anbieter für Sicherheitssoftware. Von Symantec stammt das Antivirenprogramm Norton Internet Security, das millionenfach auf PC vorinstalliert ist.
Seit sich das Geschäft mit Anti-Viren-Software abschwächt, weil immer mehr Nutzer auf mobile Endgeräte umsteigen, hat das vom Stanford-Forscher Gary Hendrix gegründete Unternehmen einen Strategie- schwenk vollzogen. 2016 schluckte Symantec für 4,7 Milliarden Dollar Blue Coat, das auf die Abwehr von Angriffen auf Firmen-IT spezialisiert ist. Finanziert haben die Kalifornier diesen Deal durch den Verkauf ihrer Datenspeichersparte Veritas. Sichtbarstes Zeichen der Neuausrichtung: Blue-Coat-Chef Greg Clark stieg zum CEO von Symantec auf.
Kampf gegen Datengangster
Heute stehen 96 der 100 größten Finanzkonzerne in Clarks Kundenkartei. "Durch diesen Datenschatz können wir Bedrohungen frühzeitig erkennen", sagt Thomas Hemker, Sicherheitsstratege bei Symantec. Wenn sich ein Angestellter beim Surfen unbemerkt eine schädliche Datei herunterlädt, wird diese über die Symantec-Software sofort mit Millionen schädlicher Codes abgeglichen. Handelt es sich um einen der Firma bekannten Trojaner, wird der Download gestoppt, ohne dass es der Mitarbeiter merkt.
Im Winter 2016 half Symantec deutschen Ermittlern, das internationale Gangsternetzwerk Avalanche hochgehen zu lassen, das Hunderttausende Computer und Onlinebankingkonten gekapert und ausgeraubt hatte. Symantec entlarvte die Botnetze und IP-Adressen der gekaperten Rechner. Daraufhin stürmten bewaffnete Polizisten Wohnungen und Büros im moldawischen Chisinau, im ukrainischen Poltawa, in Pittsburgh und in der Nähe von Berlin.
Längst ist auch Symantec so groß, dass sich um den Marktführer herum neue Anbieter formieren. Barracuda Networks aus San Jose etwa hat Firewalls im Programm, die vor Phishing-Attacken schützen. Und FireEye versucht, schädliche Software in abgeschlossene Bereiche zu verschieben, wo diese getestet und eliminiert wird.
Wer von den kleineren Spezialisten übrig bleibt, wird sich zeigen. Denn Symantecs Geldspeicher sind gut gefüllt, und in der Vergangenheit haben die Kalifornier immer wieder Rivalen geschluckt. Die Kunden sind zumeist froh, wenn ihnen ein Full-Service-Anbieter die lästigen Sicherheitsthemen abnimmt. Wer von Symantecs Cyber-Threat-Intelligence-Analysten erst einmal betreut wird, gewöhnt sich rasch an die neue Sicherheit, da werden auch hohe Preise akzeptiert, was sich bei Symantec in einer stolzen operativen Marge von fast 30 Prozent niederschlägt.
Eine starke Preismacht, langfristige Verträge, rasantes Wachstum und die stete Bereitschaft, das eigene Geschäftsmodell nachzujustieren, um dem raschen Wandel standzuhalten - das zeichnet viele der Topwerte im Datensektor aus. Datagroup-Chef Schaber jedenfalls sieht für sein Unternehmen keine Grenze nach oben. Die Digitalisierung des Mittelstands habe ja gerade erst begonnen. "Mehrere Milliarden Euro Umsatz - warum nicht?"
Als Schaber kürzlich Investoren in Helsinki, Paris und Kopenhagen besuchte, waren die nach dem Gespräch ganz begeistert und kauften Datagroup-Aktien. Ein familiengeführtes schwäbisches IT-Unternehmen mit Aussicht auf starkes Wachstum - das ist selten an der Börse.