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Gute Banker, böse Banker: Tomás Sedlácek und Paul Achleitner im Streitgespräch

Foto: Andreas Pohlmann für manager magazin

Tomás Sedlácek und Paul Achleitner "Wirtschaft ist Religion"

Kultur trifft Kommerz beim manager magazin: Starautor Tomás Sedlácek streitet mit Deutsche-Bank-Chefaufseher Paul Achleitner um Gut und Böse in der Finanzwelt.

mm: Bertolt Brechts Frage "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" hat seit der Finanzkrise an Aktualität gewonnen. Was antworten Sie darauf?

Achleitner: Zuallererst zeigt Brechts Zitat doch, dass Banker noch nie beliebt waren. Das zieht sich als roter Faden durch die ganze Geschichte, von den Geldwechslern im Tempel bis heute.

Sedlácek: Auch in Shakespeares "Kaufmann von Venedig" kommt Shylock, dem Banker, die Rolle des Unsympathen zu.

Achleitner: Absolut. Geschichtlich betrachtet finden wir keine einzige Epoche, in der Banker besonders populär waren.

mm: Der klassische Bankier war durchaus noch eine Respektsperson, seit der Finanzkrise hat sich das grundlegend geändert. Die Banker bedienten wie ein Trupp von Lemmingen ein scheinbar vernunftgesteuertes System, das sich als absolut hasardeurhaft entpuppte und dessen Folgen bis heute kaum in den Griff zu kriegen sind.

Achleitner: Das kann man sicherlich so sehen, aber ohne die Finanzrevolution des 20. Jahrhunderts, ohne die vielfältigen Erfindungen der Finanzmärkte wären wir niemals in der Lage gewesen, das heutige Stadium der Globalisierung zu erreichen. Wir hätten auch nicht die deutsche Wiedervereinigung in der Form finanzieren können oder die Osterweiterung der Europäischen Union. Und wie hätte die deutsche Industrie ihre Investitionen in China und Asien stemmen können, wenn sie nur über die Bilanz von ein paar Banken gelaufen wären? Kurzum: Ohne die Finanzrevolution und die damit verfügbaren Finanzierungsmöglichkeiten hätten wir diese weltweite Entwicklung nicht erlebt, auf die wir heute so stolz blicken.

Sedlácek: Sind wir darauf wirklich alle so stolz?

Achleitner: Man mag über den Segen der Globalisierung unterschiedlicher Ansicht sein, mein Punkt ist der: Genauso wie es unhaltbare Zustände mit Hungerlöhnen oder Kinderarbeit im Verlauf der industriellen Revolution gab, kam es in gleichem Maß zu dem völlig inakzeptablen Gebaren im Zuge der Finanzrevolution. Die große Herausforderung besteht jetzt darin, die Exzesse der Revolution künftig auszuschließen, ohne dabei ihre nützlichen Instrumente zu zerstören.

Sedlácek: Es gab diesmal glücklicherweise keine Robespierres, kein Banker ist gehenkt worden oder musste auch nur im entferntesten Unheil erleiden. Auch weil die Wirtschaftsgelehrten mehr Schuld trifft als die Banker. Das Problem war, dass sich alle verhalten haben wie im Lehrbuch. Ein bisschen wie in dem Horrorfilm "Cube", in dem sieben Leute ziemlich kafkaesk in einer Art Zauberwürfel gefangen sind und sich daraus befreien wollen. Erst als es schon zu spät ist, merken sie, dass sie selbst, wenngleich unbewusst, an der Konstruktion der Hindernisse beteiligt sind, die sie gefangen halten.

mm: Am Schluss sind fast alle tot. Ist unser Wirtschaftssystem selbstzerstörerisch?

Sedlácek: In der Geschichte der Menschheit geschieht es immer wieder, dass wir etwas Mächtiges konstruieren, es fetischisieren, und am Ende richtet es sich gegen uns. Selbst Gott ist diesem Mechanismus erlegen. Er erschuf die Menschen, sie richteten sich gegen ihn, und er wusste keinen anderen Ausweg, als für sie zu sterben.

mm: Banker haben sich in der Vergangenheit ebenfalls gottgleich gefühlt. Herr Achleitner, hat sich die Deutsche Bank deshalb einem so radikalen Kulturwandel verschrieben?

Achleitner: Das ist verkürzt gesagt ...

mm: ... das ist die Sprache Ihres eigenen Hauses.

Das Moral-Hazard-Problem

Achleitner: Kultur ist kein Input-Faktor, auch wenn alle so tun. Kultur ist das Resultat von Verhaltensmustern. Deshalb verändern wir zunächst das Verhalten der Einzelnen, und als Ergebnis entsteht daraus dann eine neue Kultur. Und wo Sie, Herr Sedlácek, über Horrorfilme sprechen, mag ich im Gegenzug klassische Western. Wir alle wissen, dass die Eroberung des amerikanischen Westens zunächst in einem wilden Umfeld vonstattenging. Da war der Kampf um Land, von Neuankömmlingen gegen bereits Etablierte. Aber das Gesetz folgte ihnen nach. Und zwar nicht das Gesetz des Stärkeren, sondern das Gesetz, das für alle gleichermaßen gilt. Jeder vernünftige Rancher konnte unter diesen gesicherten Rahmenbedingungen seine Viehfarm aufbauen und prosperieren. Wer aber glaubte, sich weiterhin im gesetzlosen Raum bewegen zu können, wurde von der Kavallerie verjagt.

Sedlácek: Es gibt diesen wunderbaren Song von Aerosmith, "Livin' On The Edge". Und ausgerechnet die Banker, die immer als oberseriös und sogar todlangweilig galten, die haben sich auf Messers Schneide ausgetobt. Wer sich so verhält, darf sich nicht wundern, dass er sich dabei schwer verletzen kann. Jedem System, auch dem perfektesten, wohnt sein eigener Zusammenbruch inne. Nehmen wir ein Computerprogramm wie das in meinem Smartphone hier (hält es an seine Brust). Es ist mein treuester Begleiter. Ich nehme es jede Nacht mit ins Bett, es ist auf jeder Reise dabei, ist völlig rational konstruiert, durch und durch mathematisch, berechenbar, zeigt keinerlei Emotion, keinen Ödipuskomplex, kurzum - das perfekte System! Und doch: Von Zeit zu Zeit stürzt es einfach ab. Weil ich das aus Erfahrung weiß, leite ich das Reset selbst ein, vorzugsweise am Sonntagabend, wenn nichts Wichtiges anliegt. Es gab übrigens antike Hochkulturen wie die der Hebräer, die sich immer nach 49 Jahren ein soziales Reset verordnet haben; zurück auf null, man gab seine Ländereien zurück, Schulden wurden erlassen, Sklaven in die Freiheit entlassen. Eine systemische Desystematisierung war das. Der Absturz der Finanzwirtschaft hat sich leider völlig unvorhergesehen vollzogen. In Zukunft müssen wir wenigstens dafür Sorge tragen, dass sich solche Abstürze sozial verträglicher gestalten.

mm: Nach dem Absturz ist dem Bürger in Gestalt des Steuerzahlers klar geworden, dass die Verluste sozialisiert werden, die Gewinne aber privat bleiben.

Achleitner: Ja, gewiss. Wir haben es hier mit dem viel zitierten Moral-Hazard-Dilemma zu tun ...

mm: ... was sich darin zeigt, dass der einzelne Banker etwa beim Entstehen einer Immobilienblase für sein Verhalten per Bonus belohnt wird, die Gesellschaft aber den Schaden trägt.

Achleitner: Unsere ganze Debatte ist getrieben von der Annahme, dass dieses Moral-Hazard-Problem der Bankindustrie inhärent ist. Das mag ein hübsches intellektuelles Konstrukt sein, hat aber nichts mit der Realität zu tun. Ich möchte zu bedenken geben, dass der Banker als Individuum menschlich kein bisschen anders ist als die restlichen 99 Prozent der Welt. Wie alle anderen Menschen wollen auch Banker gesellschaftliche Akzeptanz erfahren und Teil einer Gemeinschaft sein. Welchen Trost sollte der Einzelne darin finden, dass der Steuerzahler seine Bank schon retten wird, wenn er es vermasselt? Der Einzelne wird gefeuert, wenn er versagt, womöglich gar vor Gericht angeklagt.

Sedlácek: Aber damit das System wieder funktioniert, bedarf es einer öffentlichen Verurteilung. Die Philosophen sagen: Wenn du die Welt rational betrachtest, schaut sie genauso zurück.

Achleitner: Kein Missverständnis bitte: Ich will, dass dieser Prozess der Erneuerung der Finanzwirtschaft weitergeht und ein solides Regelwerk entsteht. Wir dürfen nur nicht versuchen, nutzenstiftende Erfindungen ungeschehen zu machen. China etwa war bis ins 15. Jahrhundert hinein eine große Seefahrernation. Bis plötzlich ein neuer Kaiser die Produktion von Mehrmastern untersagte, dann war es vorbei mit der hohen Kunst der Seefahrt.

"Wir stecken in einer Glaubenskrise"

mm: Jetzt bemühen Sie auch noch den Kaiser von China. Sie haben doch bereits die beiden religionsgeschichtlichen Kürzel "BC" und "AD" in Ihrem Sinne umgewidmet in "Before Crisis" und "After Deleveraging". Herr Sedlácek, wird diese Zäsur "unser Leben in jeder Hinsicht verändern", wie Herr Achleitner behauptet? Stehen wir nun vor einem depressiven Zeitalter des Schuldenabbaus?

Sedlácek: Das Problem ist, dass wir im Augenblick gar nicht genau wissen, in welchem Stadium wir uns befinden. Meine These ist: Wir stecken nicht in einer Finanz-, sondern in einer Glaubenskrise. Wir tun immer so, als seien die Märkte rationale Gebilde mit klar definierten Gesetzen. Das sind alles nur Glaubenssätze, und deshalb finde ich - und damit will ich das alles nicht ins Lächerliche ziehen -, wir sollten die Wirtschaft wie eine Religion behandeln. In diesem Sinn bin ich ein Gläubiger. Ich glaube an die Marktwirtschaft. Es gibt kein besseres System. Sie muss natürlich unablässig verbessert werden, aber die Alternative, der Kommunismus, in dem ich aufgewachsen bin - das ist der Horror. Darf ich Ihnen einen Witz erzählen?

Achleitner: Aber bitte.

Sedlácek: Zwei Professoren lehren Marxismus-Leninismus. Eines Tages sagt der eine zum anderen: "Ich verstehe es einfach nicht." Sagt der andere: "Komm am Freitag mit einer Flasche Wein, dann erkläre ich es dir." Schüttelt der andere den Kopf und erwidert: "Idiot, erklären kann ich es selbst."

Achleitner: Die Menschen, die am Wendepunkt von BC/AD gelebt haben, waren sich dessen gar nicht bewusst. Nur aus historischer Perspektive können wir die Welt in solchen Dimensionen betrachten. Worauf ich hinweisen will, ist: In den letzten 30 Jahren waren wir süchtig nach einer leistungssteigernden Droge, die uns erlaubt hat, schneller zu sein, höher zu springen, noch schwerere Gewichte zu stemmen. Vor dieser Droge, dem übermäßigen Schuldenmachen, und ihren Folgen hat uns kein Doktor gewarnt. Im Gegenteil - alle sagten: kein Problem. Bis wir einen schlimmen Herzinfarkt erlitten. Von der Intensivstation sind wir mittlerweile entlassen, wir befinden uns aber immer noch im Krankenhaus und auf Entzug. Wir nehmen jetzt ein Ersatzmittel ein in Form von günstigem Zentralbankgeld. In Phase drei müssen wir indes kapieren, dass es kein Zurück in alte Muster gibt. Wir werden nicht mehr so hoch springen können wie vorher. Deshalb müssen wir unbedingt über die Konsequenzen nachdenken, anstatt uns zu fragen, wann wir endlich wieder die Alten sein werden.

Sedlácek: Da bin ich absolut bei Ihnen.

mm: Was heißt das für den Wohlstand und das Wachstum?

Sedlácek: Da bringe ich mein Beispiel mit den zwei Bieren: Wie sollen wir die unter uns dreien aufteilen? Soll ich als Ausländer eins bekommen und die Dame das andere oder Sie als Respektsperson eines, Herr Achleitner?

Achleitner: Ich bin auch Ausländer. (lacht)

Sedlácek: Jedenfalls ist das eine schwierige philosophische und ethische Frage. Wenn das dritte Bier wie durch Zauberhand auf dem Tisch steht, ist das für mich die Allegorie von Wachstum. Wachstum löst zunächst Probleme, aber genau darin steckt eine große Gefahr. Wirtschaftlich betrachtet, würde jeder Ökonom antworten, das Bier bekommt der, der am meisten bezahlt.

Achleitner: Das Problem ist nicht das Wachstum, sondern wie es finanziert wird. Ist es angebracht, dass wir Wachstum mit Schulden finanzieren? Ja. Ist es angebracht, dass wir es mit Schulden finanzieren, die wir nicht bedienen können? Nein. Wir brauchen Wachstum. Ich weiß, Sie sehen das anders, aber im Englischen gibt es ein Sprichwort, das besagt, es ist noch niemand zu Größe geschrumpft. Und ganz nebenbei: Es gibt keine englische Übersetzung für "gesundschrumpfen".

"Menschen im Banking sind demütiger geworden"

Sedlácek: Jesus und Buddha sind zu Größe geschrumpft.

Achleitner: Darauf können wir nicht bauen in einer Situation, in der die Weltbevölkerung in kürzester Zeit von sieben auf neun Milliarden wächst.

Sedlácek: Wenn Sie fair sein wollen, dann sollen jene wachsen, die mehr werden, aber nicht wir in Europa.

Achleitner: Schon wegen der alternden Bevölkerung sollten auch wir Teil der globalen Wachstumsstory sein.

Sedlácek: Ich bin froh darüber, dass seit der Schuldenkrise wieder mehr Nachdenklichkeit erlaubt ist. Unterm Strich muss ich feststellen, dass "AD", wie Sie es nennen, die Leute nicht mehr so zynisch sind wie "BC".

Achleitner: Woran merken Sie das?

Sedlácek: Ich habe eine Menge zynischer Menschen angetroffen, zum Beispiel als Tschechien damals der Europäischen Union beigetreten ist. Wir brauchten eine Tranche Euros, ein Geschäft, das wir übrigens mit Ihrer Bank gemacht haben.

Achleitner: Glückwunsch!

Sedlácek: Wir waren Greenhorns wie aus dem Bilderbuch, als wir in London eintrafen, um den Deal einzufädeln. Da waren diese Investoren, die einen Privatfonds managten, sie hielten uns an und fragten: "Macht ihr das zum ersten Mal?" Wir: "Ja." Sie daraufhin: "Da gibt es etwas, das wir euch sagen müssen: Wir sind keine netten Menschen. Wir schauen proper aus, wir riechen gut, wir tragen weiße Hemden, Schlipse, aber wir sind keine netten Kerle. Okay, weiter im Text."

Achleitner: Das Selbstbild der Finanzleute hat sich seitdem verändert. Die Menschen im Banking sind demütiger geworden, die hängen auch nicht mehr so an den Lippen der Ökonomen; eine positive Entwicklung also.

mm: Herr Sedlácek, Sie waren bereits als 24-Jähriger der wichtigste ökonomische Berater von Václav Havel. Wir nehmen jetzt einmal einen Rollentausch vor und machen Sie zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank. Herr Achleitner schlüpft in die Rolle des Präsidentenberaters. Wie viel Misstrauen hegen Sie gegenüber der anderen Seite jetzt noch?

Achleitner: Als Präsidentenberater würde ich die Deutsche Bank konsultieren, aber auch andere. Wie sagte doch Bismarck so treffend: "Jeder Mann kann aus seinen eigenen Fehlern lernen, der weise Mann aber lernt aus den Fehlern der anderen." Wenn ich den Präsidenten also gut beraten wollte, würde ich viele Meinungen einholen und daraus meine eigene Sicht formen.

Sedlácek: Pardon, dass ich kurz in meiner eigenen Haut bleibe, aber genauso habe ich es gemacht. Ich habe alle, mit denen ich mich auseinandersetzen wollte, in die Kantine eingeladen. Dort gab es subventioniertes Mittagessen für 50 Cent, auf Plastiktellern zwar, aber genießbar und im Schloss; niemand schlug eine solche Einladung aus. Auf diese Weise konnte ich eine Menge Wissenslücken füllen. Als Aufseher der Deutschen Bank wie als Berater des Präsidenten würde ich immer darauf achten, politisch und intellektuell unabhängig zu bleiben.

mm: Würden Sie den Kulturwandel vorantreiben?

Sedlácek: Unbedingt. Die Topführungskräfte im Westen sind zu meiner großen Überraschung in der Regel sehr ernsthafte Denker.

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