
Große Visionen, turmhohe Schulden Digitaler Samurai - wie Masayoshi Son Softbank aufbläst
Die folgende Geschichte stammt aus der Januar-Ausgabe 2018 des manager magazins, die Ende Dezember erschien. Wir veröffentlichen sie hier als Kostprobe unseres Journalismus' "Wirtschaft aus erster Hand". Damit Sie künftig früher bestmöglich informiert sind, empfehlen wir ein Heft-Abo.
Es war ein Mittagessen im türkischen Marmaris, das für Simon Segars (50) alles ändern sollte. Danach war der Brite um 11,4 Millionen Pfund reicher, und sein Job wurde deutlich einfacher. Der Chef des britischen Chipentwicklers Arm flog an diesem Sonntag im Juli 2016 von seinem Wohnort im Silicon Valley an die türkische Ägäis, um dort einen Mann zu treffen, der per Privatjet aus Tokio kam: Masayoshi Son (60, genannt Masa), Gründer und CEO des japanischen SoftBank-Konzerns. Arms Aufsichtsratsboss Stewart Chambers (61), der in der Türkei Segelurlaub machte, aß ebenfalls mit.
Son bot den beiden Männern 32 Milliarden Dollar für Arm, das als Kronjuwel der britischen Hightechindustrie gilt. Arms Chiptechnologie steckt in Milliarden Smartphones und Elektrogeräten weltweit. Sons Offerte bedeutete einen Aufschlag von 43 Prozent auf den letzten Börsenkurs - plus einem Zusatzpaket für das Gründerteam.
Segars und der Aufsichtsrat fackelten nicht lange, gut zwei Wochen später stand der Deal. "Ein großartiges Geschäft für uns", freut sich Segars bis heute.
Der Arm-Boss, ein schlanker Mann mit wenig Haar, wähnt sich seitdem im Managerhimmel: Er könne nun schneller entscheiden, müsse keine Rücksicht mehr auf nervige Aktionäre nehmen. Son denke sehr langfristig, ins Tagesgeschäft rede er ihm nicht rein. Arms Mannschaft wuchs unter SoftBank um 25 Prozent.
Sons Einsätze türmen sich hoch wie der Vulkan Fuji
"Masa ist einer der außergewöhnlichsten Menschen, die ich kenne", sagt Segars. Tatsächlich hat sich Son den Ruf eines genialen Investors und Unternehmers erarbeitet. Mitstreiter behaupten, er könne "in die Zukunft sehen". Selbst Telekom-Boss Timotheus Höttges (54) war nach den gescheiterten und für ihn frustrierenden Fusionsverhandlungen zwischen T-Mobile US und Sons US-Mobilfunker Sprint voll des Lobes. Die "Freundschaft" mit dem Japaner will sich Höttges unbedingt erhalten.
Sons Einsätze türmen sich mittlerweile hoch wie der Vulkan Fuji vor den Toren Tokios. Neben Arm kaufte SoftBank 2013 nicht nur für 22 Milliarden Dollar die Mehrheit an Sprint , sondern im Jahr davor auch den französischen Roboterhersteller Aldebaran. 2017 investierte Masa 5 Milliarden Dollar in den chinesischen Taxidienst Didi. Und das sind nur die großen Brocken. Zuletzt machte SoftBank mit einer geplanten Milliardenbeteiligung am Fahrtenvermittler Uber Schlagzeilen.
Sons SoftBank Group ist einzigartig, er machte aus dem Softwarehändler erst einen Telekommunikationskonzern, nun wird er zu einem Techkonglomerat mit Weltgeltung ausgebaut. Der Gründer stieg zum reichsten Mann Japans auf (Vermögen: 23 Milliarden US-Dollar). In seiner Heimat wird er als nationale Version von Steve Jobs verehrt. Selbst in den USA feiern sie ihn als Guru, weil er das Zusammenspiel von Robotik, künstlicher Intelligenz und Mobilfunk wie kein Zweiter begreife. SoftBank ist einer der wenigen Konzerne, die dem Silicon Valley noch Paroli bieten.
Einer der am höchsten verschuldeten Konzerne Japans
2017 verging kaum ein Monat, in dem Sons Unternehmen keine neue Beteiligung verkündeten. Um seine Feuerkraft zu erhöhen, legte SoftBank den 100 Milliarden Dollar schweren "Vision Fund" auf, den größten Technologiefonds der Welt (siehe Grafik). Als Geldgeber mit dabei: Apple sowie das saudische Königshaus. Ob Uber, in das er gerade 10 Milliarden Dollar pumpt, das Büroimmobilien-Start-up WeWork (4,4 Milliarden) oder der Bürochat Slack (250 Millionen) - Son greift nach den Filetstücken der Digitalwirtschaft.
Die Kehrseite dieser kreativen Unternehmensführung: SoftBank ist einer der am höchsten verschuldeten Konzerne Japans, gut 133 Milliarden Dollar drücken auf die Bilanz. Die vielen spekulativen Einsätze, fürchten Analysten, könnten SoftBank noch über den Kopf wachsen.
Sons Glaube an die Synergien zwischen seinem Japan-Geschäft, Sprint und Arm in einer total vernetzten Welt des Internets der Dinge klingen fabelhaft. Dass der Kapitalhahn offen bleibt, hat er vor allem seinen Erfolgen der Vergangenheit zu verdanken. SoftBank ist die wohl kühnste, zumindest aber komplexeste Wette der Techindustrie.
Von Anfang an CEO
Masayoshi Son ist 16 Jahre alt, als er aus Tosu im Süden Japans nach San Francisco zieht. Er will Unternehmer werden und weg aus dem Land, in dem er als Nachfahre koreanischer Einwanderer kaum Chancen für sich sieht. Sein Vater brennt Schnaps und züchtet Schweine, die Familie hat nicht viel Geld. Die japanischen Kinder im Ort bewerfen den kleinen Masa mit Steinen, er denkt zeitweise daran, sich umzubringen.

Aus Demütigung wird Trotz. "Mich haben diese Erlebnisse stärker gemacht", bekannte Son einmal. Masa wird der Erste seiner Familie sein, der sich öffentlich Son nennt. Seine Sippe hatte sich jahrzehntelang hinter dem japanischen Tarnnamen Yasumoto versteckt.
Nach der Highschool studiert Son Wirtschaft in Berkeley. Computer haben es ihm angetan. Seine erste Firma importiert Space-Invaders-Spielkonsolen aus Japan. "Masa hat sein ganzes Leben als CEO gearbeitet", sagt Finanzchef Kazuhiko Fujihara (58), der ihn seit über 16 Jahren kennt. Er wollte niemandem dienen.
Nach dem Abschluss kehrt der Japaner zurück in die Heimat und kämpft sich nach oben. Das Startkapital für SoftBank stammt vom Elektronikkonzern Sharp, der ihm eine Erfindung abkauft: ein digitales Taschenwörterbuch.
Ende der 90er transformiert Son SoftBank, das anfangs vor allem mit Software handelte und Elektronikmagazine herausgab, in einen Internetkonzern. Er imitiert die Geschäftsmodelle von US-Vorbildern wie Ebay und Yahoo oder holt sie als Joint-Venture-Partner nach Japan.
Mit seinem Copy-and-Paste-Modell ist Son erfolgreicher als manche Vorbilder: Seine Version von Yahoo etwa, über die man anders als beim kränkelnden Original auch Autos kaufen oder Wohnungen mieten kann, ist heute die beliebteste Website Japans - und hat noch nie einen Yen Verlust gemacht.

Als die New-Economy-Blase 2001 platzt, fällt aber auch Sons Reich in sich zusammen. Vorerst. Denn ein Deal aus dieser Zeit macht ihn später zur Legende. 2000 trifft er in China den Ex-Lehrer Jack Ma (53) und vertraut ihm 20 Millionen Dollar für das Start-up Alibaba an. Heute ist der 29-Prozent-Anteil, den SoftBank schon teilweise versilbert hat, 126 Milliarden Dollar wert. Ma und Son sind Freunde geworden und wirken im Aufsichtsrat der Unternehmen des jeweils anderen.
Masayoshi Son wusste schon mit 20 genau, was er mit 60 tun wollte. Für seine Firma hat er einen 300-Jahres-Plan aufgestellt.
Finanzchef Kazuhiko Fujihara muss lachen, wenn er von seinem Boss erzählt. Der ehemalige Mazda-Manager, ein fröhlicher Mann mit grüner Elefantenkrawatte, sitzt in einem Konferenzraum in der SoftBank-Zentrale in Tokio.
"Masa ist verrückt"
Fujihara kann sich noch gut daran erinnern, wie es war, als Son vor ihm zum ersten Mal aufdrehte. "Ich dachte: Masa ist verrückt", sagt er. Es war 2006, und Masa stellte in Tokio seine Ziele für das Mobilfunkgeschäft vor.
SoftBank hatte gerade für 15 Milliarden US-Dollar Vodafone Japan übernommen und drängte mit aller Macht ins nationale Handygeschäft. Son versprach, in zehn Jahren würde er mehr Gewinn erwirtschaften als Marktführer NTT Docomo Docomo, der ehemalige Staatsmonopolist. Das klang nach Größenwahn - erst recht im konservativen Japan. SoftBank war nach dem Zukauf hoch verschuldet und die abgeschlagene Nummer drei. Die Leute verspotteten Son.
Aber er lieferte. SoftBank jagte der Konkurrenz mit Sonderangeboten Millionen Kunden ab, 2008 sicherte sich Son die Japanrechte für den exklusiven Vertrieb des iPhones. Er war eng mit Steve Jobs befreundet, besuchte ihn sogar am Sterbebett.
Das heimische Telekom-Geschäft wuchs zu SoftBanks Cashcow heran. Die üppigen Gewinne bilden bis heute das Fundament. Ohne die so gewonnene Bonität und die Milliarden aus dem Alibaba-Deal wäre die Shoppingtour der vergangenen Jahre nicht möglich gewesen.
Neben dem charmanten Chefverkäufer Son war es vor allem Fujihara, der SoftBank während des aggressiven Wachstums mit Finanztricks aus der Autoindustrie liquide hielt: Die Kunden konnten die teuren Handys leasen, SoftBank verflüssigte die so generierten Verbindlichkeiten am Kapitalmarkt.
"Bei SoftBank tanzen wir gern Freistil", sagt CFO Fujihara - die drückende Verschuldung macht's nötig. Nach dem Scheitern der Fusionsverhandlungen mit der Deutschen Telekom braucht Sons Mobilfunker Sprint nun schnell Milliar- den, um sein Geschäft auszubauen. Sonst kann die Nummer vier auf dem US-Markt nicht mehr mithalten.
Dabei mangelt es Son nicht an Ideen, für die er Geld braucht.
"Ich bin so aufgeregt", sagte Son im Juli auf einer Bühne in Tokio, "Schlaf erscheint mir nur noch als Zeitverschwendung." Er träumt von der totalen Digitalisierung, schwärmt von einer Zukunft, in der sich Billionen von Sensoren an Heizungen, Fenstern oder Düngemaschinen befinden und die gesammelten Daten von überall via Satellit ins Netz speisen. Dort würden sie von Algorithmen analysiert, die daraus etwa einen Plan für eine effizientere Energienutzung ableiten.
Bei anderen Auftritten philosophiert er über selbstfahrende Autos oder smarte Roboter, die den Menschen ein arbeitsloses Leben im Luxus ermöglichen. Er sieht die Menschheit an der Schwelle zu einer Epoche, in der selbstlernende Computer ihre Schöpfer intellektuell übertrumpfen werden.
Es sind die gängigen Techutopien unserer Zeit, doch anders als die meisten Entrepreneure möchte Son nicht allein in einer Zukunftsdisziplin zur Spitze gehören. Stattdessen knüpft er ein Netz aus Investments und Eigenentwicklungen, das SoftBank die Kontrolle über die Infrastruktur der nächsten, intelligenten Ära sichern soll. Das Datenmaterial zum Training der Algorithmen sollen die vielen Beteiligungen liefern, etwa das Karten-Start-up Mapbox oder Plenty, eine Firma, die Biogemüse und -obst in US-Großstädten anbaut.
Sons Vision für SoftBank fußt auf den Säulen Robotik, künstliche Intelligenz sowie dem Internet der Dinge. Die Überzeugung von der gegenseitigen Abhängigkeit dieser drei Segmente ist der fantastische Kitt seiner Börsenstory.
Die Gefahr dieses Techkonglomerats: Passen die Einzelteile doch nicht zusammen, ist Sons Konstrukt bloß ein überambitioniertes Sammelsurium von Investments, das allein in seinem Kopf Sinn ergibt - dann droht ein Absturz, wie Son ihn schon 2001 erlebte.
Was ihm die Investoren derzeit noch hoch anrechnen, ist sein Geschick beim Geldverdienen. Mit Japans Yahoo oder Arm erzielt er solide Gewinne. Im Herbst wurde bekannt, dass der Vision Fund bei Uber mit einem üppigen Rabatt von 30 Prozent auf die bisherige Bewertung einsteigen will.
SoftBank konstruierte den Fonds laut Investorenguru Howard Marks derart geschickt, dass er 60 bis 70 Prozent der Rendite einstreicht. Dabei stellen die Japaner nur 28 Prozent des Eigenkapitals bereit. Auch bei der Telekom ist Sons Spielernatur berüchtigt. Weil der bei Sprint überreizte, sagte Höttges genervt ab.
Mikromanager Son
Mit Stewart Butterfield (44), dem Gründer der Bürokommunikationssoftware Slack, dagegen kam es zu einem leichten Deal. Nach nur zwei Treffen erhielt Butterfield 250 Millionen Dollar aus dem Vision Fund und von anderen Investoren. Er hofft nun, zusätzlich von Sons Kontakten zu profitieren. Der Fonds sei flexibler als konventionelle Wagniskapitalgeber, lobt der Slack-Gründer. Die müssten schnell Gewinne liefern - nicht erst nach Jahrzehnten.
Butterfield und Son trafen sich in Woodside, Kalifornien. Der Japaner besitzt dort ein Haus, das er 2012 für 117,5 Millionen Dollar erstand - seinerzeit der höchste Preis, der je in den USA für ein Privatdomizil gezahlt wurde.
Sein Imperium regiert Golf-Fan Son mittlerweile wie ein weiser Patriarch von seinen Anwesen aus. Nachdem der Übergang auf Ziehsohn und Ex-Google-Star Nikesh Arora (49) 2016 scheiterte, will er SoftBank noch eine Weile selbst führen.
Für japanische Verhältnisse ist Son ein unkonventioneller Chef, er fragt seine Leute nach ihrer Meinung und trägt Hemden der Discountmarke Uniqlo. In seiner konservativen Heimat gilt er als erfolgreicher Regelbrecher. Selbst im Baseball hat er sich einen Namen gemacht und die "SoftBank Hawks" gegen das Establishment zur Meisterschaft geführt.
Ins Tagesgeschäft mischt sich der Boss nur bei Herzensprojekten wie SoftBank Robotics ein. Pepper, das bekannteste Produkt der 600 Mitarbeiter starken Tochter, empfängt die Kunden in jeder SoftBank-Filiale, man kann ihm Fragen stellen oder ihn tanzen lassen. Seit dem jüngsten Update kann der weiße Roboter - 20.000 Euro für drei Jahre Mindestmietzeit - auch Gesichter erkennen.
In Japan hat SoftBank Pepper bereits an gut 2000 Unternehmen verleast. In Europa läuft es noch zäh.
Nächste Generation: Ein Pflegeroboter namens Romeo
Das Aussehen und die Stimme des Roboters hat Son selbst ausgewählt. Masa "mikromanagt" uns noch, sagt Sparten-Co-Chef Kenichi Yoshida. Jede halbwegs wichtige Entscheidung muss er sich absegnen lassen. Son glaubt, dass Menschen und Roboter Freunde sein könnten.
Die nächste Generation, ein Pflegeroboter mit dem Codenamen Romeo, soll deutlich nützlicher sein, verspricht Forschungschef Rodolphe Gelin. Gelin, der in Paris sitzt, hat bereits für die französische Vorgängerfirma Aldebaran gearbeitet, nun fliegt er monatlich nach Tokio, um Son Bericht zu erstatten.

Von der Google-Mutter Alphabet kaufte Son im Sommer Boston Dynamics. Die Kreaturen der Amerikaner springen wie ein Gepard oder steigen Treppen wie ein Mensch. Sprechen können sie noch nicht. Gepaart mit Peppers Social Skills könnte indes bald ein humanoider Superroboter entstehen. Erste Treffen von Managern beider Firmen gab es bereits, verrät Gelin.
Wichtiger als Pepper ist für Son nur der Samurai Sakamoto Ryoma. Eine lebensgroße Abbildung des Nationalhelden empfängt die Gäste in der elften Etage des SoftBank-Hochhauses in Tokio. Ryoma legte mit seiner Revolution im 19. Jahrhundert das Fundament des modernen Japan. Son verehrt ihn seit seinem 15. Lebensjahr, sammelt seine Briefe und zieht sogar ähnliche Gewänder an.
Ryoma schuf den ersten Konzern Japans: Kaientai, eine Reederei. Vor wichtigen Entscheidungen, erzählen enge Mitarbeiter, frage sich Son stets, was der Samurai an seiner Stelle tun würde.
Dabei ist er längst ambitionierter als sein Vorbild. Im aktuellen Geschäftsbericht schreibt der CEO, dass er nicht allein Japan, sondern die ganze Welt "durchschütteln" und "den Status quo zerschlagen" möchte.
Koste es, was es wolle.