
Kampf gegen Monopole Geht es Amazon und Google an den Kragen?
Die folgende Geschichte stammt aus der Dezemberausgabe des manager magazins, die Ende November 2017 erschien. Wir veröffentlichen Sie hier als Kostprobe unseres Journalismus' "Wirtschaft aus erster Hand". Damit Sie künftig früher bestmöglich informiert sind, empfehlen wir ein Heft-Abo.
Ich will mal mit einem etwas anderen Ton anfangen", sagt Barry Lynn. "Es gibt nur zwei Arten von Freiheit: die Freiheit von Sklaverei und die Freiheit, andere zu versklaven." In Amerika sei es an der Zeit, wieder für die erste Form der Freiheit zu kämpfen, Plutokraten und Wirtschaftsriesen zu entmachten. Denn: "Die Monopolisten von heute bauen zügig Strukturen auf, die nach Sklaverei schmecken."
Starke Worte, gesprochen auf einer großen Ökonomenkonferenz an der Universität von Chicago, Ende März. Der ehemalige Wirtschaftsjournalist formuliert sie so ruhig, als seien es Selbstverständlichkeiten. Lynn (56) leitet das "Open Markets"-Programm beim Washingtoner Thinktank "New America", er fordert seit Langem eine neue Antitrust-Offensive und einen Paradigmenwechsel der Kartellpolitik. Dass diese Tagung zu den Konzentrationstendenzen in der US-Wirtschaft überhaupt stattfindet, ist auch ein Meilenstein seiner Arbeit.
Weltbekannt indes wird Lynn ein Vierteljahr später: In einer Pressemitteilung lobt er die EU-Rekordstrafe von 2,42 Milliarden Euro gegen Google. Daraufhin feuert ihn sein langjähriger Arbeitgeber abrupt. New America wirft ihm unkollegiales Verhalten vor. Google ist ein wichtiger Förderer der techorientierten Denkfabrik, bestreitet aber jede Einflussnahme.
Lynn hält dagegen: Vonseiten des Konzerns sei massiver Druck gekommen, berichtet er und verweist auf Mails und Recherchen etwa der "New York Times". Das gesamte Open-Markets-Team muss nach dem Eklat gehen. Es hat sich inzwischen selbstständig gemacht und erlebt eine Welle der Unterstützung.
"Wir werden gewinnen", sagt Lynn heute. 2016/17 sei ein Wendepunkt in der Antitrust-Debatte gewesen: "Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es richtig Bewegung."
Der Triumph von Donald Trump hat in den USA nicht nur die Macht des Geldes grell beleuchtet. Er zeigt vor allem, dass die Politik dringend neue Antworten auf die chronischen Schwächen der US-Wirtschaft braucht: lahmer Produktivitätsfortschritt und geringe Lohnzuwächse, dramatische Ungleichheit und eine ohnmächtige Wut der einfachen Arbeitnehmer.
Eine wachsende Gruppe von Ökonomen und Politikern nimmt mittlerweile immer lauter das fast vergessene M-Wort in den Mund: Monopolisierung erdrossele das Wachstum, und damit letztlich Rechtsstaat und Demokratie, weil die Konzerne de facto unangreifbar werden. Nach der schleichenden Kartellierung in der Old Economy drohe als Nächstes ein Durchmarsch der Digitaltitanen: Google (Kurswerte anzeigen), Amazon (Kurswerte anzeigen), Facebook (Kurswerte anzeigen) und Apple (Kurswerte anzeigen) - genannt "GAFA". Oder "die Viererbande".
Barry Lynn erinnern die Kolosse an die Ära der "Räuberbarone", der Öl-, Stahl- und Eisenbahntycoons, die Amerika schon einmal in eine Plutokratie verwandelt haben. Gebrochen wurde diese Vorherrschaft der Superreichen schließlich von einer Gegenbewegung, die sich selbst als "Populisten" bezeichnete - und die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein scharfes und mächtiges Wettbewerbsrecht erfand.
Dass die Konzentration in der US-Wirtschaft zuletzt drastisch zugenommen hat, ist durch viele Studien belegt. Sogar der Rat der Topökonomen im Weißen Haus nahm sich das Thema gegen Ende der Obama-Amtszeit vor. Die Zahl der Neugründungen und börsennotierten Unternehmen sinkt seit Jahren. Die Hälfte des Gewinns sämtlicher US-Aktiengesellschaften entfiel 2015 auf gerade mal 30 Konzerne.
Ob Banken oder Digitales, Airlines oder Bier - viele Branchen werden von Oligopolen mit weniger als einer Handvoll unabhängiger Player dominiert. Der Reigen der Megafusionen nimmt kein Ende: Bayer kauft Monsanto, Praxair will mit Linde verschmelzen, Broadcom greift sich Qualcomm.
Solche Übernahmen gab es schon immer - was diesmal anders ist: Es entsteht eine Ökonomie der Superstars, in der nicht nur die Löhne vieler Normalverdiener stagnieren, sondern auch die Kapitalrenditen äußerst ungleich verteilt sind. Während die breite Masse sich so durchwurstelt, räumen einige Dutzend Spitzenkonzerne ab.
"Amerika hat ein Monopolproblem"
Natürlich senkt Größe zunächst die Kosten und so die Verbraucherpreise. Ein harter Wettbewerb, so geben Ökonomen zu bedenken, kann auch zwischen wenigen Giganten funktionieren, wenn der Markt für neue Herausforderer und "Disruptoren" offen bleibt. Und Gewinne weit über Normalniveau sind so lange in Ordnung, wie sie echte Neuerung und unternehmerische Spitzenleistung belohnen.

Doch wo läuft das wirklich so? Aus Sicht der Kritiker sind all das überwiegend Ammenmärchen. Die Vermachtung der Märkte sei der Hauptgrund dafür, dass die Performance der US-Wirtschaft seit Jahren enttäusche, sagt Joe Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und Vordenker der politischen Linken: "Amerika hat ein Monopolproblem - und zwar ein riesiges."
Dass die Konzerne selbst versuchen, sich durch Größe und Fusionen abzusichern, ist nicht weiter verwunderlich. Die US-Anlegerikone Warren Buffett lehrt seit Jahrzehnten, dass ein Unternehmen dann am attraktivsten ist, wenn es durch einen "Burggraben" (moat) unangreifbar wird und nur wenig investieren muss.
Dominante Marken, schützende Gesetze oder eben schiere Größe halten lästigen Wettbewerb auf Distanz. Ungestört Kasse machen - dieses Ideal bestimmt die Strategie vieler CEOs und Investoren. Der "Buffettismus" ruiniere den US-Kapitalismus, ätzte kürzlich ein Kolumnist der "Financial Times".
Selbst im hyperkompetitiven Silicon Valley heißt das lukrativste Spiel Monopoly. "Wettbewerb ist etwas für Verlierer", predigt der PayPal-Mitgründer und Wagniskapitalfinanzier Peter Thiel: Wer Werte schaffen und erhalten wolle, müsse in unentdeckte Marktlücken stoßen und sich dort eine Alleinstellung aufbauen. Eine so eroberte Lizenz zum Gelddrucken beruht aber nicht immer auf echter Innovation.
Wer es da mit den Techriesen aufnimmt, wird sich schwertun. Sie saugen alles ab, was ihnen gefährlich werden könnte: Google verleibte sich YouTube ein, Facebook übernahm WhatsApp und Instagram - und buhlte bis zuletzt um Snapchat.
Die Forschungsbudgets der Viererbande sind gigantisch. Amazon, das beim Börsenwert bereits auf eine halbe Billion Dollar zusteuert, gibt laut einer neuen PwC-Studie 2017 weltweit erstmals am meisten für Forschung und Entwicklung aus (16,1 Milliarden Dollar) - gefolgt von der Google-Holding Alphabet (Kurswerte anzeigen) (13,9). Microsoft (12,0) investiert fast so viel wie der Ex-Forschungsweltmeister VW, Apple (10,0) liegt weit vor Toyota oder GM. Und selbst Facebook (5,9) steckt inzwischen mehr in seine F&E-Töpfe als IBM oder Siemens.
Jenseits des Preisfetischismus
Insbesondere im digitalen Plattformkapitalismus zählt am Ende aber nicht allein die beste Technik. In einem Wettbewerb von Such-, Buch- oder Chat-Anbietern läuft es fast von selbst auf den Größten zu. Dieser eingebaute Monopoltrend fasziniert Investoren und stellt Kartellwächter vor ganz neue Probleme.
Völlig zahnlos sind die Behörden nicht, wie hart sie in den USA zuschlagen können, erleben auch deutsche Unternehmen regelmäßig. "Man kann nicht generell behaupten, dass die Politik in Amerika laxer ist als in Europa", sagt der deutsche Wettbewerbsökonom Justus Haucap (48), der von 2008 bis 2012 die Monopolkommission leitete. "Die Amerikaner sind nur etwas optimistischer, was Effizienzgewinne angeht."
Für Barry Lynn und seine Mitstreiter beginnt der Fehler genau bei dieser Abwägung. Es gebe umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten, doch Amerikas Trustbuster seien heute die Gefangenen eines Theoriegerüsts, das den Wettbewerb auf "Preisfetischismus" reduziere: Seit der Reagan-Ära werde nur noch darauf geschaut, welche Folgen eine Konzentration für die Portemonnaies der Verbraucher hat. Die Shopper mögen von einer supereffizienten "Walmart-Ökonomie" profitie- ren, doch ihre Betroffenheit als Beschäftigte und Unternehmer, als Bürger und als Wähler werde systematisch ausgeblendet.
Der aus Italien stammende Chicagoer Ökonom Luigi Zingales (55) warnt vor einem "Medici-Teufelskreis": Geld verschafft politische Macht - und diese Macht sichert wiederum das Geldverdienen. Ein solcher Kreislauf führe volkswirtschaftlich in den Niedergang, müsse deshalb von einer aktiven Aufsicht regelmäßig durchbrochen werden. "Das beste Beispiel ist Google", sagt Zingales. Das Unternehmen liefere heute noch Spitzenprodukte, für die seine Kunden keinen Cent zu zahlen haben. Aber seine enorme Macht über die Daten sei zum Problem geworden: "Die Technologie hat neue immaterielle Assets geschaffen, die richtig definiert werden müssen."
Wer ein Netz oder eine Plattform betreibt, muss den Zugang für alle zu gleichen Bedingungen offen halten, darf sich nicht selbst einen Konkurrenzvorteil gegenüber anderen verschaffen: Nach diesem Prinzip wurde einst die Monopolmacht der Frachteisenbahnen begrenzt und zuletzt auch die Dominanz von Microsoft gebrochen. Erst das Antitrustverfahren gegen den Softwareriesen aus Redmond habe Google und Facebook die Eroberung des Internets ermöglicht, argumentiert Zingales. "Die Monopole von heute sind die Start-ups von gestern. In einem guten System ändert sich das immer wieder. Wenn es sich nicht ändert, ist das System verkrustet."
Für die GAFA-Gang sind solche Angriffe eine irritierende neue Erfahrung. Nur wenige Jahre ist es her, da redete der damalige Google-CEO Eric Schmidt noch selbst wie ein revolutionärer Außenseiter: "Der Durchschnittsamerikaner merkt gar nicht, in welchem Maß die Gesetze von Lobbyisten geschrieben werden", lästerte er 2010 auf einem Podium. Gemeinsam mit dem Präsidenten des "Change", Barack Obama, trat das Silicon Valley damals an, die Welt zu verbessern - unbekümmert, cool und natürlich auf der Seite des Guten.
Heute hat sich eine ganze Kulturkritik auf die Techies eingeschossen, sie stehen im Verdacht, als die Schleusenwärter der Informationsgesellschaft für "Fake News" und Massenmanipulation verantwortlich zu sein. Zugleich wird die Frage nach ihrer ökonomischen Macht so laut gestellt wie nie zuvor.
Anlass dazu geben die Konzerne zuhauf. Amazon zermalmt mittlerweile nicht mehr nur traditionelle Einzelhandelsläden, sondern gar potente Kaufhausketten. Google und Facebook haben den Onlinewerbemarkt weitgehend unter sich aufgeteilt und machen den Verlagen das Leben zur Hölle. Eine Gesellschaft ohne die allwissende Suchmaschine aus Mountain View ist fast unvorstellbar geworden.
"Google ist unser moderner Gott", schreibt Scott Galloway, Professor an der New Yorker Stern School of Business, in einem neuen Buch über die GAFA ("The Four"). Das Unternehmen kenne "unsere tiefsten Geheimnisse". Weil der hochprofitable Konzern fast so wichtig ist wie ein Strom- oder Wasserversorger, steht er wie kein anderer im Zentrum der Antitrust-Debatte. "Googles Marktmacht ist heute eine der entscheidenden Herausforderungen für die Wettbewerbspolitiker der Welt", schrieb Barry Lynn in der Pressemitteilung, die ihn den Job kostete.
2017 wird die Holding Alphabet voraussichtlich erstmals mehr für Lobbying in Washington ausgeben als jedes andere US-Unternehmen. Bei Amazon und Facebook steigen die Lobbyausgaben in der Hauptstadt ebenfalls rasant. Diese Budgets lassen den tatsächlichen Einfluss aber lediglich erahnen.
Wie außerordentlich eng die Verbindungen in den acht Jahren der Obama-Präsidentschaft waren, dokumentiert das "Google Transparency Project", eine 2016 gegründete Non-Profit-Gruppe, die auch von Rivalen wie Oracle Geld erhält. Im Schnitt mehr als einmal pro Woche (insgesamt 427-mal) besuchten Google-Mitarbeiter in jener Zeit das Weiße Haus; allein die Direktorin für Public Policy, Johanna Shelton, kam dort auf 128 Termine - eine Zahl, die kein anderer Lobbyist annähernd erreichte, deutlich höher auch als die Besuchszahl der gesamten Telekom- oder Ölbranche.
Demokratische Populisten
Für Googles Ex-Boss Schmidt (62) habe es während dieser Zeit "praktisch eine offene Tür" im Weißen Haus gegeben, schreiben die Autoren des "Transparency Project". Schmidt trat 2011 als CEO zurück und engagierte sich dann im erfolgreichen Digitalwahlkampf Obamas. Dass die FTC, Amerikas Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde, zeitgleich ein Ermittlungsverfahren gegen Google führte, ist den Kritikern des Konzerns bis heute suspekt. Anfang Januar 2013, kurz nach Obamas Wiederwahl, stellte die FTC das Verfahren ein.
Donald Trump stört sich an der Macht der Megakonzerne immer nur dann, wenn sie ihm selbst in die Quere kommen. So schießt er regelmäßig via Twitter gegen Amazon-Chef Jeff Bezos, dem die einflussreiche "Washington Post" gehört.
Offen in den Kampf ziehen dagegen die Demokraten. Kongressabgeordnete der Oppositionspartei fordern in ihrem Manifest "A Better Deal for American Workers" erstmals seit Jahrzehnten wieder eine knallharte Antitrust-Politik. Während unter den Präsidenten Clinton und Obama businessfreundliche linke Technokraten den Ton angaben, gewinnen nun jene an Einfluss, die sich selbst als progressive Populisten in bester US-Tradition sehen.
Ihre Führungsfigur ist Elizabeth Warren (68), Senatorin aus Massachusetts und Professorin an der Harvard Law School. Auf einer Konferenz von Barry Lynns Open-Markets-Programm warnte sie schon 2016 davor, dass Google, Amazon und Apple "den Wettbewerb ersticken". Mit ihren Verbündeten im Kongress erarbeitet sie Vorlagen für schärfere Gesetze.
Der Abgeordnete Keith Ellison (54), zugleich Vizechef der Demokraten, verlangt von der FTC, spätestens bis zum 30. November alle Ergebnisse des eingestellten Ermittlungsverfahrens gegen Google öffentlich zu machen. Amazon müsse gezwungen werden, die Cloud-Computing-Sparte zu verkaufen.
Es kommt Schwung in die Wettbewerbspolitik: Ende September bestätigte der Senat den neuen Chef der mächtigen Kartellaufsicht im Justizministerium, Makan Delrahim (47). Kurz darauf nominierte Trump endlich auch die neue FTC-Führung, nachdem drei der fünf Kommissarposten lange unbesetzt waren.
Für Barry Lynn ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das etablierte Effizienzparadigma in den Antitrust-Untersuchungen kippt. Der Markt für die wissenschaftliche Politikberatung habe sich neu ausgerichtet, sagt er. Im US-Kongress werde längst "eine andere Art von Analyse nachgefragt". Billigpreise und Kundenservice - ein zentrales Amazon-Credo - reichen als Argument nicht mehr aus. Überprüft wird nun die Fähigkeit, andere vom Markt auszuschließen.
Den Durchbruch in die Popkultur hat das einstige Spezialistenthema jedenfalls schon geschafft: Der Kultsatiriker John Oliver nutzte seine TV-Show jüngst für ein ausführliches Horror-Tutorial in Sachen Megamerger und Marktmacht. Der Punkt sei ganz einfach: "Wir haben Gesetze, um die schlimmsten Folgen zu verhindern. Es könnte höchste Zeit sein, sie aggressiver einzusetzen."