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Innenansichten:: Meditierende Manager

Foto: Dieter Mayr für manager magazin

Meditation Innenansichten eines Chefs

Was einst mit esoterischen Spinnern und Hippie-Rebellen in Verbindung gebracht wurde, gehört mittlerweile zum selbstverständlichen Ritual vieler Mächtiger. Eine Reise ins Reich der Geistesschulung.

Hamburg - Sie sitzen in lavendelblauen und sauerkirschroten Bademänteln um Vierertische, Frauen und Männer mit ölig glänzenden Gesichtern und Kopfwickeln, festgezurrt mit bunt gestreiften Baumwollkapuzen. Intensiv-herber Ölgeruch liegt in der Luft des kleinen Restaurants, wo gerade jedem von ihnen ein Teller mit demselben Gericht serviert wird; Reis und Linsen, Süßkartoffeln, grüner Spargel, gedünstetes Obst mit Chilischoten. Getränk des Tages und auch aller folgenden: heißes Wasser.

Hinter dem Einheitslook verbirgt sich eine Reihe Individualisten vom Zuschnitt deutscher Leistungsmenschen. Aus dem Wirtschaftsleben zumeist, wie der Abkömmling einer namhaften Messermanufaktur zum Beispiel, ein Unternehmensberater aus Kassel, ein Toparchitekt aus Osnabrück; auch ein Friseurmeister, Filmproduzent und gleich mehrere Ärztinnen sind darunter. Später kommt noch eine Schauspielerin dazu. Ein Politiker ist soeben abgereist.

Niemand nimmt weiter Notiz davon, dass aus dem Leib eines Teakholzelefanten ein Altar herausgeschnitzt wurde, mit Lotosblume, vor sich hin aschendem Räucherstäbchen und Buddhastatue. Die angeregten Gespräche drehen sich um die unmittelbaren Erfahrungen und Fragen: Was hat Doktor Susil verordnet, wer hat die ätzendste Medizin zu schlucken, wie waren die Behandlungen, wer schwitzte im Svedan, saß im Blütenbad, welche Folgen hielt dieses Mal Shirodhara, der Stirnguss, bereit? Plötzlich fragt jemand: "Wo ist eigentlich Walter?" Walter hat Abführtag, Vireka ... Gelächter.

Auffällige Disziplin

Ein Ayurveda-Resort auf einem einsamen Berg auf Mallorca. Entgiftung und Entschleunigung stehen auf dem Programm. Ruhe soll einkehren. Was nicht immer ganz einfach ist für die auf 24-Stunden-Erreichbarkeit Gepolten, die immer wieder verzweifelt den idealen Standpunkt im Garten für den Handyempfang suchen oder maulen, weil die Internetverbindung zusammengebrochen ist. Ansonsten: auffällige Disziplin, sich an den Tagesablauf zu halten, der bei Sonnenaufgang mit Yoga beginnt und mit Meditation endet.

Achtsamkeit, das neue Mantra der aufgeklärten Gesellschaft, hält nun auch in den deutschen Chefetagen Einzug. BMW-Chef Norbert Reithofer, sonst als äußerst nüchtern bekannt, nimmt in schöner Regelmäßigkeit einen Schluck Ingwerwasser zu sich, schließt seine Bürotür, und die Insider im Münchener Vierzylinder wissen: Jetzt wendet der Chef den Blick nach innen. Auch Peter Terium, RWE-Boss, zieht regelmäßig den Stecker. Er ist Vegetarier geworden und meditiert.

Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner ist ayurvedisch dabei, und Wolfgang Reitzle hält sich schon seit den Anfängen seiner Karriere den Psychologen Jens Corssen als Privatguru. Gleich eine ganze Reihe von Topmanagern ließ sich von dem Verhaltenstherapeuten mit dem Konzept des "Selbst-Entwicklers" ein mentales Korsett basteln.

Mein Haus, meine Jacht, mein Guru

Was früher Sport und Fitness waren, sind heute Yoga und Transzendentale Meditation (TM). Es geht um Stressbewältigung, um Selbstoptimierung, und vielleicht, so die Hoffnung, leitet die neue Inwendigkeit auch einen längst fälligen Kulturwandel ein. Hinter immer mehr starken Managern steht ein starker Meditationstrainer, am besten gleich der Rinpoche aus Nepal, der Spitzenmanager ist auch da in der Spitzenliga unterwegs. Das neue Besitzstandstriptychon: Mein Haus, meine Jacht, mein Guru.

Traugott Hellnwein ist entsetzt, dass manche Chefs ein so persönliches Thema in die Öffentlichkeit tragen. Er möchte nur mit Pseudonym genannt werden. Anfang 50, schlank und energiegeladen, gute Ausstrahlung, einnehmendes Wesen - Hellnwein ist ein Zahlenmensch mit steiler Karriere, Vorstand der Finanzen in einem bekannten Konzern. Seine Vita ist wie die vieler anderer nicht verschont geblieben von den Brüchen globaler Neuformationen, ausgelöst durch eine Übernahmeattacke.

Als der Angriff Hellnwein ereilte, ging das einher mit permanentem Schlafentzug über viele Monate, Krisensitzungen, Rankünen, Psychostress bis zum Anschlag. Am Ende war nichts mehr zu machen. Da stand neben der Konzernkapitulation auch das Eingeständnis "Mir geht's dreckig", der Blick fiel in ein schwarzes Loch, angefüllt mit der Asche der über die Jahre abgefackelten Ressourcen. Burn-out. So weit nichts Neues.

Bei der Kur in Bad Ems trifft er auf den Münchener Arzt Ulrich Bauhofer; der ist eine prominente Anlaufstelle für ausgelaugte Topmanager. Bauhofer rät zur Transzendentalen Meditation, und Hellnwein merkt zu seinem Erstaunen schon nach wenigen Wochen, dass innere Zwistigkeiten sich lösen können wie verspannte Muskulatur. Ein Jahr hat es gedauert, bis die gröbsten Schleifspuren beseitigt waren. "Vorstände haben ja eine hohe Meinung von ihrem Können und ihren körperlichen Möglichkeiten, da wird völlig ausgeblendet, dass jeder eine Grenze der Belastbarkeit hat", sagt Hellnwein. Die Meditation hilft ihm nun, das Stoppschild nicht zu übersehen. Er "spürt sich plötzlich besser".

Das Schweigen der Manager

Im Münchener "Schumann's", Kantine der Aspiranten und High Flyer aller Branchen des prosperierenden Bayern, wartet Andreas von Schorlemer. Der Anwalt ist Mitglied des Rohwedder-Clans; sein Onkel, Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder, wurde von RAF-Terroristen erschossen; der Bruder, Leiter der deutschen Niederlassung der Royal Bank of Scotland , werde zunehmend verschwiegener, und die Ex-Frau mache im Kulturministerium in Dresden mit seinem Namen Staat, grollt der Freiherr. Erleichterung versprach er sich von einer zehntägigen Vipassana-Meditation, das heißt in diesem Fall: Schweigen; und das im tief provinziellen Triebel im Vogtland.

Den Schlüssel des schicken Autos abgeben und auch das Handy, um vier Uhr aufstehen und meditieren bis Sonnenuntergang, kein Gefühl mehr in den Knochen, dazwischen karge Kost, danach die schmale Pritsche, nicht einmal ein Buch auf dem Nachttisch. Und kein Wort zu niemandem. Wer es gar nicht mehr aushält, dem wird einmal am Tag die Möglichkeit gewährt, dem Lehrer eine Frage zu stellen. Am Mittag ein Spaziergang im Wald, Frauen und Männer auf streng getrennten Pfaden.

Gerade wollen wir Mitleid anbieten, da schauen wir in seine glänzenden Augen und erfahren die Fortsetzungstermine seiner Reise nach innen. Ein Kick der besonderen Art? Mag sein, aber ein boomender. Die einschlägigen Häuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind allesamt auf Monate ausgebucht.

"Ich brauche keinen Kick, ich bin erfüllt", stellt gleich am Anfang unseres Gesprächs Antonio Arrigoni klar. Jeans, weißes Hemd, schwarze Nerd-Brille, graues Haar, am Handgelenk die obligatorische Rolex. Ein schlanker, jugendlich wirkender Mann mit Schweizer Akzent, der Finanzvorstand der Constantin Medien AG.

Positive Energie

Seine Frau drängte ihn, auch etwas für sich zu tun: "Du kannst gar nicht mehr abschalten." Arrigoni entschied sich für eine Meditationsschulung. Schon als Student, wenn er überlastet war, legte er sich aufs Bett, machte seinen inneren Kopf ganz schwarz - und entspannte.

Vom Meditieren war er zunächst enttäuscht, anstelle des siebten Himmels, den er sich erhofft hatte, schoss ihm Profanes durch den Kopf wie: "Ich müsste mal die Schuhe zum Schuster bringen." Es hat gedauert, bis er reinkam, trotzdem blieb er konsequent dabei, ein- bis zweimal am Tag für 15 bis 20 Minuten alle Geräte stummzustellen. Und siehe da, der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Er konnte abschalten. Nun weiß er, wovon er spricht. "Innehalten hilft, wenn man gehetzt ist."

Es wirkt. Was lange als esoterische Spinnerei galt, ist heute wissenschaftlich akzeptiert. Die Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR), die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, wird mittlerweile sogar von den Krankenkassen anerkannt. Oder, wie Roland Fuschelberger, Arzt im Reichenrefugium "Lanserhof" in Österreich, sagt: "Wenn man per Meditation das Gehirn leer macht, dann geht auch der Blutdruck abbi."

Der vergnügte Mittvierziger nimmt sich mit ganzheitlichem Blick der Malaisen der Manager an. Allerhöchste Zeit sei es, dass sich die Führungskräfte und das System änderten. Und all jene, die sich bei ihm ein ums andere Mal wieder in Topform bringen lassen, sähen das auch so, selbst die härtesten unter ihnen. Allerdings immer mit dem unguten Gefühl: Wenn ich das Ding nicht durchziehe, dann macht's halt ein anderer. "Die sind innerlich zerrissen", sagt Fuschelberger. Die Folge sind massive Schlafstörungen, Rücken- und Verdauungsprobleme, Gereiztheit bis hin zur Aggressivität.

Die internationale Klientel wächst

Die meditierenden Manager - sie alle brauchen einen Meditationsmanager, einen, der sie anleitet. Ohne Guru geht es nicht. Die einen gehen ins Kloster, die anderen suchen regelmäßig eine der bekannten deutschen Koryphäen auf oder buchen lieber gleich ein Original: einen Rinpoche. Anna Preen ist 72 und arbeitet seit mehr als zehn Jahren mit S.E. Shyalpa Rinpoche zusammen (sie unterrichtet seine Kinder und übersetzt für ihn).

Von Jahr zu Jahr wachse die internationale Klientel, berichtet sie. Immer mehr Businessmänner aus Asien, Amerika und Europa reisen an zu den Massen-Lectures, die Seine Eminenz, der auch in der stierblutroten Kutte wie eine exzentrische Kreuzung aus coolem Rock 'n' Roller und smartem Salonintellektuellen wirkt, in Hongkong regelmäßig abhält.

Die Gebühren dieser erlesenen Darreichungen für den Geist werden in der Regel auf Spendenkonten eingezahlt und fließen in soziale Projekte in Indien oder Nepal. Böse Zungen zischeln, auch teure Luxuslabel würden davon profitieren, wenn sich die Frauen der Erleuchteten im Gegenzug westlicher Konsumdekadenz hingeben. Die Rinpoches, ob sie nun in Asien, Europa oder in den Vereinigten Staaten auftreten, sind auf lange Zeit ausgebucht.

Die Luxusvariante sieht so aus: Man lässt sich seinen Privatguru öfter mal aus Indien einfliegen. Sicher, er lade ihn gelegentlich ein, wiegelt etwa Investor Lars Windhorst ab, als wir ihn auf das Gerücht ansprechen, aber der habe sowieso in Europa zu tun. Windhorst, das gefallene Wunderkind der Kohl-Ära, das sich wieder zurückgekämpft hat, stellt sich allmorgendlich yogamäßig auf den Kopf. Dabei geht es ihm nicht um Entspannung, sondern um positive Energie. "Die Müdigkeit kommt eigentlich immer aus dem Kopf."

Unternehmen Körper

Einen Privatguru der besonderen Art hat der bayerische Mittelständler Hans Hörmann: seine Tochter. Er ist 86, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, ein großer Ayurveda- und Meditationsanhänger und überzeugt, dank seiner Einstellung zu Gesundheit und Geist immer noch fidel seinen florierenden Geschäften nachgehen zu können. Früher reiste er nach Indien, um den Geist zu fokussieren, dann finanzierte er kräftig mit, um die Lehre der Gurus nach Europa zu bringen, nach Mallorca und ins RoSana im oberbayerischen Rosenheim.

Tochter Heidi, Juristin und mehrere Jahre Personalchefin in Hörmanns Familienkonzern, ist dort nun Geschäftsführerin und Meditationsleiterin. In dieser Funktion übt sie alljährlich in Brüssel auf dem World Forum for Ethics in Business mit Wirtschaftslenkern und Politikern aus aller Welt neues Denken für eine neue Ära. In den bekannten TLEX-Seminaren geht es um "Transformational Leadership for Excellence", ums Wiederbeleben menschlicher Werte in der Wirtschaft, um Inspiration und Wandel, um Kopf und Herz. Zum erlesenen Kundenkreis gehören die Weltbank, Großkonzerne wie Coca-Cola , Siemens , Tata , Ikea und auch die Harvard Business School.

Warum plötzlich so viel Inwendigkeit? Ein Anruf bei Dr. Ulrich Bauhofer, dem Ayurveda-Arzt und Lehrer für Transzendentale Meditation, dem sich viele Mitglieder der Chefetagen anvertrauen, ist jetzt unvermeidlich. "Da ist null Esoterik im Spiel", stellt er gleich klar. Ayurveda sei eine sehr alte Wissenschaft über die Regeln des gesunden Lebens, deren Vokabular keiner lernen muss. Es gehe darum, "den menschlichen Körper als biologisches Unternehmen zu sehen, das Geheimnis der Führungsstärke liegt im intelligenten Energiemanagement".

Kein Wunder, dass ihm bei dieser Betrachtungsweise die Manager die Tür einrennen. Als Allererstes sagt Bauhofer seinen Patienten, sie sollen mehr schlafen und regelmäßig essen - back to basics. Studien zeigen, dass unausgeschlafene Manager entscheiden wie Betrunkene.

Wie eine Gedankendusche

"Wir laufen auf eine große Meditationswelle zu", sagt Bauhofer.

Wieso denn das?

"Weil die Leute das brauchen."

Das kann jeder behaupten.

"Die WHO hat Stress als eine der größten Gefahren ausgemacht, und der Stress wird täglich größer, das kann jeder an sich selbst und seinen Nächsten beobachten."

Und wie genau müssen wir uns das Verhältnis zwischen dem bösartigen Stress und der Meditation vorstellen?

"Durch Meditieren haben Sie eine simple Methode an der Hand, den Stress abzubauen. Das ist wie eine Gedankendusche. Sie gehen ja auch nicht aus dem Haus, ohne sich zu waschen und die Zähne zu putzen."

Wenn das so einfach ist, würden wir gern erfahren, wie sich die Anleitungen für das Führungspersonal der gesellschaftlichen Spitze anhören.

"Am Telefon?"

Sicher, wir haben schließlich wenig Zeit.

Verweigerungslachen.

Meditierendes Vorbild

Kurze Zeit später in der Praxis von Ulrich Bauhofer, im noblen Teil der Münchener Altstadt. Mit dabei sechs schöne Blumen, drei süße Früchte und ein weißes, frisch gewaschenes Baumwolltaschentuch, getreu der Regieanweisung. Mit seinem kahl geschorenen markanten Schädel und dem stoischen Blick durch die Intellektuellenbrille verströmt Bauhofer Kojak-Anmutung, das Ganze im königsblauen Kaschmir-Outfit.

Bevor wir in einer Einzelsitzung eingewiesen werden in die "simple Methode" der TM, gilt es - Copyright soll Copyright bleiben - eine Unterschrift zu leisten, über das genaue Prozedere zu schweigen, auch das Mantra darf nie verraten werden.

Auf dem schwarzen Designerschreibtisch wurde der Apple-Bildschirm zur Seite geschoben, ein weißes Tischtuch ausgebreitet und ein kleiner Maharishi-Altar aufgebaut zwecks einer Dankbarkeitszeremonie an die alten Lehrer. Sandelholz und Reiskörner sind ebenfalls im Spiel und ein kurzer Gesang in Sanskrit. Als Hausaufgabe gibt's mit auf den Weg, morgens und abends je 15 Minuten zu meditieren. Lotossitz und Meditationsaccessoires sind nicht vonnöten.

So weit ist alles ganz einfach, komplizierter wird es, wenn man nach den Motiven forscht. Auf ehrliche Meditation komme es an, mahnen Kritiker, sie dürfe nicht als nächste Welle der Selbstoptimierung missbraucht werden. Nur dann habe sie wirklich eine ethische Dimension. Die Meditation im Westen darf nicht auch noch kapitalisiert werden und zu Lifestyle-Quatsch verkommen, mahnt die Soziale-Neurowissenschaftlerin Tania Singer. Dreimal nacheinander war die Max-Planck-Direktorin auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und beobachtete jedes Mal ein noch größeres Interesse der Weltwirtschaftsführer an der Meditation. Ihre Sitzungen waren jedes Mal ruck, zuck ausgebucht.

Gut für den Menschen, für die Performance, für die Firma

Die Grenze ist fließend im Dreisatz: Was gut ist für den Menschen, ist gut für dessen Performance, ist gut für die Firma. In den USA etwa, wo die einst von den Hippies ausgelöste Meditationswelle zunächst Rock-, Pop- und Hollywood-Größen erfasste (Tina Turner, Cher, Richard Gere, Martin Scorsese, Clint Eastwood und natürlich David Lynch) und inzwischen die Teppichetagen geflutet hat, gibt ein milliardenschwerer Anlagestratege wie Ray Dalio unumwunden zu: "Mehr als alles andere war die Meditation der ausschlaggebende Faktor für jeglichen Erfolg, den ich je hatte." Dalio ist Gründer von Bridgewater, dem weltweit größten Hedgefonds. Auch für Philipp Hildebrand vom Vermögensverwalter BlackRock ist TM "in vielerlei Hinsicht ein Must".

Die IT-Elite ist nicht weniger infiziert. Im Februar versammelte sie sich in San Francisco zur Wisdom-2.0-Konferenz, getragen von den Start-up-Dynamos und digitalen Großmächten, vornweg von Google , das sich den hauseigenen Achtsamkeitstrainer Chade-Meng Tan leistet. Die Meditationseuphorie an der Westküste ist nicht neu. Zen wird dort schon lange praktiziert, Apple-Ikone Steve Jobs galt als glühender Anhänger.

Kraft sammeln, "sich resetten", ist für Claudia Derkum das zentrale Motiv, wenn sie nach innen blickt. Die Geschäftsführerin bei Axel Springer Direct leistet sich einen Personal Coach für Pilates, Yoga und Meditation. Mit dessen Hilfe stärke sie ihre Fähigkeit, bei Stress wie auf Knopfdruck abzuschalten und danach neu zu starten. "Ich muss eine stabile Säule sein", sagt sie. "Wenn es mir nicht gut geht, überträgt sich das schnell auf das Team."

Alerter Chef - alerte Company. Psychologen und Businesscoachs aller Couleur verweisen darauf, dass Mitarbeiter stets darauf achten, wie der Chef drauf ist, und genau das widerspiegeln. Die Leute wollen sich führen lassen, erklärt Jens Corssen, der schon lange in den Topetagen unterwegs ist und noch die alten Haudegen der Deutschland AG kannte. Normalerweise sehe der Chef den einzelnen Mitarbeiter nicht, sondern nur dessen Funktion anhand der Frage: "Bringt der mir was, die Pfeife?"

Menschlichkeit als Revolution

Entsprechend fallen die Ergebnisse einer Gallup-Studie aus: Nur 16 Prozent aller Mitarbeiter engagieren sich aktiv für ihr Unternehmen, 67 Prozent sind unengagiert, und 17 Prozent sind "aktiv unengagiert". Nicht gut.

Durch die Achtsamkeitsübungen lerne die Führungskraft, den Mitarbeiter in einem anderen Kontext wahrzunehmen, als Mensch nämlich, "das ist das eigentlich Revolutionäre daran". In seinem soeben erschienenen Buch, "Ich und die anderen", das er gemeinsam mit der Verhaltensforscherin Christiane Tramitz verfasst hat, verweist Corssen darauf, dass durch die nur geringfügige Umkonditionierung in die Bewusstheit eine Führungskraft dem "K-Modus - Konfrontation, Kampf, Killen" entkommen könne. Das Resultat: Funktionierende soziale Beziehungen in Tateinheit mit der Befriedung des Selbst.

Dem joggenden Topmanager etwa, der selbst im Entspannungsprogramm sein Leistungsprinzip und Wettbewerbsdenken auf die Spitze treibt, legt Corssen Hausaufgaben in den Laufschuh: "Bevor Sie sich zu Tode joggen, schauen Sie sich die Schöpfung am Wegesrand an." Die Klienten müssen ihm berichten, welche Blumen sie gesehen, welchen Vogel sie beobachtet, welchen Duft sie eingesogen haben. "So wird das Joggen nicht nur zur körperlichen, sondern auch zur seelischen Fitness." Auch das sei Meditation.

Für Jens Corssen ist die Sache klar: Ist der Chef gelassen, fühlen sich auch die Mitarbeiter besser, arbeiten engagierter und - Halleluja und Ooomm - "der Laden macht mehr Geld".

Empathie und Movitation

Was für viele ältere Herren in den Chefetagen eine Revolution sein mag - für die junge Generation gehört es fast schon selbstverständlich zum Mindset. Alexandra Beschenar etwa, 32, blond, entzückend, tough, ging schon während des Studiums an der European School of Business in Reutlingen für zwei Monate nach Indien und lernte Yoga.

Bei Lilly Deutschland heuerte sie an, weil die Firma Yogakurse anbietet und die Möglichkeit, als Freiwilliger in sozialen Hilfsprojekten auf der ganzen Welt mitzuarbeiten. Connecting Hearts gehört zur Firmenphilosophie, und so kam Beschenar nach Tansania, um Vorschulkinder zu unterrichten.

Nebenbei sind auch die Aufstiegschancen beim Pharmakonzern Lilly nicht schlecht: Mit 28 war Beschenar bereits Distriktleiterin für Bayern und führte ein Team von zehn Mitarbeiten. Die Mauer aus Ablehnung und Misstrauen der meist älteren Kollegen, die sich anfangs gegen sie aufbaute, ist längst zerbröselt. Beschenar gilt als empathisch und motivierend. Und dass sie Vegetarierin ist, Yoga und Meditation praktiziert und sich jedes Jahr ein paar Tage ins Exerzitienhaus Werdenfels zurückzieht, um zu fasten, weiß jeder. Gilt sie deshalb als esoterische Spinnerin? Nein, eher als Vorbild.

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