
Endstation Bogenhausen Wie Martin Winterkorn aus dem Autohimmel fiel
Die folgende Geschichte stammt aus der Ausgabe 09/2016 des manager magazins, die Ende August erschien. Im Vergleich zur gedruckten Version wurde der Text an mehreren Stellen geringfügig aktualisiert. Wir veröffentlichen ihn hier als Kostprobe unseres Journalismus' "Wirtschaft aus erster Hand". Damit Sie künftig früher bestmöglich informiert sind, empfehlen wir ein Heft-Abo
Martin Winterkorns Drama beginnt mit einer Frau. Es geht nicht um Liebe, wohl aber um weibliche Intuition, Emotion, Macht und ein kleines bisschen auch um Eifersucht.
Die Dame heißt Ursula Piëch und ist seit 1984 verheiratet mit Volkswagens langjährigem Großaktionär Ferdinand Piëch. Seit ihr Mann kränkelt, wacht sie mit teils irritierendem Furor über ihn.
Der Anlass ist in diesem Fall eine Immobilie. Wolfgang Porsche möchte 2009 nach der Trennung von Ehefrau Susanne seine Münchener Villa loswerden; Winterkorn will sie kaufen. Das passt Uschi Piëch nicht, und das, erzählen sie in München, habe sie ihm auch gesagt.
Winterkorn versteht die Aufregung nicht. Er hat schon eine ehemalige Piëch-Villa in Ingolstadt erworben, das empfand auch keiner als anmaßend. Und das Porsche-Anwesen in Bogenhausen ist kein Geschenk. Auf einen Preis in niedriger zweistelliger Millionenhöhe einigt man sich.
Doch Ursula Piëch stört an dem Deal nach Einschätzung enger Wegbegleiter etwas ganz anderes: Wolfgang Porsche gilt ihr als Gegner ihres Mannes, Winterkorn, der damals wohl engste Vertraute von Ferdinand Piëch, hat mit dem feindlichen Cousin keine Geschäfte zu machen
Winterkorn kauft trotzdem. Und schafft sich damit eine gefährliche Gegnerin.
30 Jahre sind Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn gemeinsam aufgestiegen, im Gleichtakt, Winterkorn immer schön zwei Stufen unterhalb seines Vorbilds. Jetzt frisst sich Ursulas Verärgerung wie Rost in den Männerbund.
Als Qualitätsassistent war Winterkorn 1981 zu Audi gekommen, bescheiden und seinem Mentor Ferdinand Piëch hörig. In seine spätere Ära als Vorstandschef von Volkswagen (Kurswerte anzeigen) fiel Rekord um Rekord. Mit einer Serie neuer Modelle erweckte er den Konzern 2007 aus der Depression. Er setzte das Ziel, bis 2018 zum größten und erfolgreichsten Autohersteller der Welt zu werden. Eine Vision wie die Bergpredigt, größer als das Leben. Schon der Glaube daran bewirkte Wunder.
Die Volkswagen AG übernahm Porsche und Ducati, kaufte die Lkw-Hersteller Scania und MAN, stieg tatsächlich auf zum weltgrößten Autobauer. Winterkorns Selbstbewusstsein wuchs im selben Tempo. Vor eineinhalb Jahren räumte er sogar den scheinbar übermächtigen Patriarchen Piëch aus dem Weg, als der erstmals öffentlich Kritik an seinem Ziehsohn übte. In Wolfsburg sprechen bis heute viele ehrfürchtig vom "Doktor", manche gar vom "Professor" Winterkorn.
Telefon und Terrasse
Kaum war mit Piëch der alte Autogott weg, folgte jedoch der Skandal um elf Millionen manipulierte Dieselautos in den USA - und der Sturz seines eifrigsten Jüngers aus dem Autohimmel.
"Das Leben ist bei uns das Auto", hat CEO Winterkorn 2011 über Piëch und sich selbst gesagt. Das alte Leben ist jetzt weg. Hat Winterkorn ein neues gefunden, hinter den Mauern seiner Villa in Bogenhausen? Fühlt er Schuld? Oder nur Ungerechtigkeit?
Wie es ihm geht, mag er nicht erzählen, verweist auf die laufenden Ermittlungen. "Sie müssen verstehen ..."
Münchener Nachbarn und Bekannte berichten von einem Mann, der ein paar Kilo zugenommen hat, bei gutem Wetter den halben Tag lang auf der Terrasse und im Garten telefoniert, sich aber kaum noch vor die Tür traut, selbst den Gang zum nahen Bäcker seiner Frau überlässt.
Ständig werde der Ex-Chef angerufen, heißt es in Winterkorns Umfeld. Alte Bekannte fragten um Rat. Wie sollen wir weitermachen mit der Fahrwerksaufhängung des neuen Golf? Wie lösen wir dieses, wie jenes Problem?

In der Konzernzentrale erzählen sie eine andere Geschichte. Winterkorn selbst rufe an, wolle alles wissen, erkundige sich bei Vertrauten, sobald er in den Medien von technischen Neuerungen höre. VW-Chef Matthias Müller habe einige Male mit seinem Vorgänger telefoniert; Audi-Lenker Rupert Stadler treffe ihn bisweilen bei Fußballspielen; und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, unter Winterkorn noch Finanzvorstand, spreche im Schnitt zweimal pro Woche mit seinem Ex-Chef über dienstliche Belange: Gehalt, Ermittlungen der Justiz, den lang erwarteten Dieselgate-Bericht der US-Kanzlei Jones Day. Themen gebe es genug.
Winterkorn nehme alles, was sich in der Branche und insbesondere bei VW tue, gierig auf, erzählte ein BMW-Vorstand Kollegen. Er wirke, als sei er "am Anschlag", geradezu "fix und fertig". Die beiden Automanager hatten sich zufällig beim Friseur getroffen.
34 Jahre lang war Volkswagen Martin Winterkorns Ein und Alles - da fällt es schwer loszulassen. Wer über Jahrzehnte behandelt werde wie der Größte, nehme das irgendwann wie selbstverständlich hin, sagt ein langjähriger Vorstand eines deutschen Autokonzerns. Aus der Rolle werde Realität. "Man kann dann nicht mehr anders." Und wenn es vorbei ist? "Von hundert auf null, das geht nicht. Sie müssen langsam abtrainieren, wie ein Sportler."
Für Winterkorn kam das Aus wie der ungebremste Lauf gegen eine Glasscheibe: unerwartet, schmerzhaft, mit erheblichen Nachblutungen.
Der Weg vom Helden zum Versager ist oft sehr kurz in der Wirtschaft. Wer ihn gehen musste, erlebt ihn als Schockmoment. Die alte Welt verschließt sich. Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer brauchte Jahre, um sich vom Korruptionsskandal zu erholen. Sein damaliger Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger nahm sich das Leben. Thomas Middelhoff (Arcandor): krank und in Haft. Wendelin Wiedeking (Porsche): macht jetzt in Schuhen und Pizza. Nur Uli Hoeneß ist beim FC Bayern wieder da, wo er einmal war.
Der Rücktritt des VW-Chefs war Topmeldung in der "Tagesschau", im Fernsehen liefen diverse Dokumentationen über den Dieselskandal, ein Spielfilm ist geplant. Der Staatsanwalt ermittelt.
"Winterkorn war Leibeigener"

Winterkorn hinterlässt seinen Nachfolgern eine schwere Last. Die Dieselkosten sind immens, die Zahlen bei der Kernmarke VW schwach. Den Bezug zur Realität hat er - nach und nach - schon vor einigen Jahren verloren, dann sein Idol Ferdinand Piëch, schließlich fast alles. Es ist das Drama eines hochbegabten Technikers, der sich zu Europas vielleicht wichtigstem Manager emporschwingt und nun geächtet wird unter seinesgleichen. Und eine Geschichte über autokratische Macht und fehlende Kontrolle.
Geprägt, im Guten wie im Schlechten, begleitet beim Aufstieg genauso wie beim Abstieg hat ihn Ferdinand Piëch - eine schicksalshafte Verkettung.
Begonnen hat die gemeinsame Geschichte der beiden mit einem Auto, das im Konzern als "der cW-Weltmeister" bekannt ist. Kaum hat Piëch den Kühlschrankentwickler Winterkorn bei Bosch losgeeist, gibt er dem neuen Assistenten seines Qualitätschefs eine ganz spezielle Aufgabe: Piëch, damals noch Entwicklungsvorstand bei Audi, will die windschlüpfrigste Limousine aller Zeiten bauen. Der neue Audi 100 soll die Marke mit dem Wackeldackelimage näher an die Vorbilder Mercedes und BMW rücken lassen.
Problem: Nach Einschätzung der Ingenieure funktioniert Piëchs Konstruktion nicht. Der Motor bekomme zu wenig Luft. Keine Chance!
Piëch mag das nicht akzeptieren: "Herr Winterkorn, geht das oder geht das nicht?"
Es geht. Ein paar unkonventionelle Änderungen an den Ansaugstutzen, und der Audi 100 rollt als "der cW-Weltmeister" auf die Straße.
Ferdinand Piëch war ganz nach Winterkorns Geschmack. Da versuchte einer, Unmögliches möglich zu machen. Und Piëch hatte endlich einen gefunden, der ihm seine Visionen umsetzt.

Ein Team, das Volkswagen über Jahrzehnte dominierte, war geboren. 1988 übernahm Piëch den Chefposten bei Audi, 1993 stieg er zum Konzernboss auf und wechselte 2002 an die Spitze des Aufsichtsrats. Winterkorn folgte ihm wie ein Hinterrad dem Vorderrad. 1993 machte Piëch ihn zum Qualitätschef des Konzerns, dann zum Entwicklungsvorstand, erst der Marke VW und später des gesamten Unternehmens. 2002 wurde er zusätzlich Audi-Chef, Anfang 2007 löste er Bernd Pischetsrieder (68) als Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG ab.
Piëch habe die Visionen, "und ich garantiere, dass die Autos dann auch funktionieren". So hat Winterkorn die Rollenverteilung im Gespräch mit manager magazin 2006 beschrieben. Seine Legitimation war Piëchs Wohlwollen.
Zweimal pro Monat erstattete der Vorstandschef seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Bericht, im Schnitt. Ein Anruf aus Salzburg, und Winterkorn flog ein. Da konnte der Kalender noch so voll sein.
"Winterkorn war nicht Angestellter, er war Leibeigener", lästert ein Vorstandsmitglied. Piëchs Wille geschah. Piëch wollte die Einliterflunder XL1 - sie wurde gebaut. In Miniserie, die Nummer eins für Gattin Ursula. Piëch wollte seine Lieblingsmotorräder im Konzern haben - Winterkorn kaufte Ducati. Piëch traute dem von Audi geplanten Wankelmotor für den Kleinwagen A1 nicht - er wurde gestrichen.
Wirkliche Anweisungen waren dazu oft nicht nötig. Die beiden verstanden sich auch so. Selbst in ihrem an Arroganz grenzenden Misstrauen gegenüber Konkurrenten und Zulieferern aus den USA, China, Indien und sogar Japan waren sie sich einig - was bisweilen absurde Blüten trieb.
Entzauberte Wunderformel
Etwa als der damalige China-Chef Karl-Thomas Neumann (heute Opel-Boss) im April 2011 den Vorstand zu einer Krisensitzung nach Wolfsburg bittet. Es gibt Ärger mit der Staatsführung. Ausländische Autobauer sollen mit ihren Joint-Venture-Partnern chinesische Marken gründen. Neumann ist dafür, er schlägt ein Elektrolabel vor. Winterkorn lehnt ab. Er will keine VW-Patente in China anmelden, fürchtet Kopien.
Die Chinesen spielen Hardball, verweigern eine fest zugesagte Lizenz für ein VW-Werk in Foshan. In Wolfsburg herrscht Aufregung. Nirgends bei VW produzieren die Werke so am Anschlag, wachsen die Verkaufszahlen so schnell und sind die Gewinnmargen so hoch wie in China. In Foshan muss gebaut werden, und zwar zügig.
Neumann wirbt weiter für eine Kooperation. Er will die Kollegen über die Besonderheiten des chinesischen Marktes informieren, darüber, wie andere Hersteller sich vor Ort aufstellen. Er lässt einen Experten der US-Botschaft in Peking nach Wolfsburg einfliegen; der soll über die Erfahrungen und Strategien von General Motors und Ford berichten.
Wer denn der Typ sei, will Winterkorn wissen, als er übel gelaunt und mit einer Stunde Verspätung den Raum betritt und das Gesicht des Amerikaners entdeckt. Neumann erklärt, wer der Mann ist. Und der Gast aus den USA muss gehen. Winterkorn, der Schwäbisch, aber schlechtes Englisch spricht, braucht keine Lehrstunde von einem Amerikaner.
Entzauberte Wunderformel
Zu der Zeit war er auf dem Höhepunkt seiner Macht. Umsatz, Absatz und sogar der Gewinn erreichten Rekordwerte. Toyota, bei Winterkorns Amtsantritt weit weg, war eingeholt, Winterkorns Vertrag verlängert worden bis Ende 2016. In den Medien wurden er und seine Autos gefeiert, manager magazin kürte ihn 2012 zum "Manager des Jahres".
Der Aufstieg zur Nummer eins der Autobranche schien nur mehr eine Frage der Zeit. Denn in Wolfsburg glaubten sie, die Wunderformel entdeckt zu haben: "MQB", den "Modularen Querbaukasten". Die Autoarchitektur sollte das Gerüst für Dutzende Modelle sein, eine Plattform für mehrere Millionen Fahrzeuge jährlich und Millionen Gleichteile. Die Kosten, Winterkorn und seine Leute versprachen es immer wieder, würden so um 20 Prozent sinken, der Gewinn also steigen.
Doch die Wunderformel erwies sich als Schimäre, sie kostete sogar Rendite. "Volkswagen ist der erste Konzern, der so gewaltige Größenvorteile in einen Kostennachteil verwandelt", ätzt ein US-Investor.
Winterkorns Hang zum Overengineering zerstört alle Kostenpläne - eine Verbohrtheit, die 2002 bereits der damalige Volkswagen-CEO Bernd Pischetsrieder erkannte. Der hatte von einem Lenkungskreis analysieren lassen, dass der von Winterkorn als Entwicklungsvorstand verantwortete VW Polo alle Zeit- und Kostenpläne sprengte. Dutzende Änderungen in der Schlussphase hatten den Aufwand massiv vergrößert.
Selbstbewusstsein grenzt an Größenwahn

Die Präsentation der Ergebnisse wird zum Fanal für Winterkorn, ein Chart nach dem anderen benennt die Schwächen, zeigt die verfehlten Meilensteine auf. Winterkorn sei langsam rot geworden, die Wut immer sichtbarer, erinnert sich ein damals Anwesender. Dann sei er geplatzt, habe den Präsentierenden beschimpft und gebrüllt, wegen einiger unfertiger Teile sei doch noch lange nicht alles schlecht.
Winterkorns Lautstärke wird legendär; eine stille Sitzung bei VW sei keine gute gewesen, sagt ein Topmanager. Abends soll Winterkorn sein Gebrüll dann bisweilen leidgetan haben. "War ich da jetzt zu laut?", sei so eine typische Frage an seine Vertrauten gewesen, erzählt einer.
Winterkorn ist kein Despot, selbst am legendären Schadenstisch will er niemanden quälen. Wenn er dort, erst bei Audi und später bei Volkswagen, Qualitätsprobleme bespricht und die Stimme erhebt, will er Probleme lösen und von Schlamperei abschrecken. Pädagogik à la Winterkorn. Er doziert - offen diskutiert wird allerdings nicht.
Der Konzern wird immer größer, die Zahl der Modelle immer unübersichtlicher; aber der CEO kämpft im Kleinen. Winterkorn bleibt der oberste Entwickler, getreu dem Motto: Das Auto ist alles.
Egal was es kostet - gefällt ihm das Heck des fertig entwickelten China-Modells Lavida nicht, müssen die Stoßfänger geändert werden. Sind die Kanten des US-Passats nicht scharf genug, müssen die Zulieferer nacharbeiten. Die Kosten solcher Änderungen summieren sich auf zwei-, teils dreistellige Millionenbeträge.
Immer an Winterkorns Seite: Ulrich Hackenberg, bis 2012 Chefentwickler bei VW, später dann Audi-Vorstand. Will Winterkorn beim Billigprojekt Budget-Car einmal Qualitätsabstriche machen, bringt ihn der noch dogmatischere Hackenberg wieder auf teure Linie. Unter der Ägide der beiden explodieren die Entwicklungskosten; die späten Änderungen verteuern auch die Produktion.
Die ersten Getreuen mucken auf. Finanzvorstand Pötsch treibt 2013 eine Reformagenda voran, mit dem Ziel, 1000 Euro pro Auto zu sparen. Selbst an das vom CEO lieb gewonnene Sportsponsoring ("mehr als 500 Millionen Euro") will er ran. Auch Betriebsratschef Bernd Osterloh verlangt mehr Disziplin.
Nichts passiert. Winterkorns Selbstbewusstsein grenzt jetzt bisweilen an Größenwahn.
"Ferdinand Piëch war der Innovator und ich der Mann, der seine Ideen in die Serie gebracht hat", sagt Winterkorn in dieser Phase - und fügt hinzu: "Später bin ich dann selbst der Innovator geworden." Der Zauberlehrling hat sich von seinem Lehrmeister emanzipiert, er braucht ihn nicht mehr. Glaubt er zumindest.
Risse zwischen Lehrer und Schüler

Das überbordende Selbstbewusstsein wird auch in Salzburg registriert. Insbesondere Ursula Piëch ist irritiert. Es fängt an zu knirschen zwischen Winterkorn und den Piëchs.
Zu spüren ist das zunächst in der "Walhalla"; so nennen sie in Wolfsburg das Allerheiligste ihrer Designer. Etwa alle sechs Wochen fliegt Piëch ein, um mit Winterkorn und Chefdesigner Walter de Silva in der Designzentrale neue Modelle zu begutachten. Als 2012 ein Platz im Aufsichtsrat frei wird und Ursula Piëch nachrückt, sind sie in der Walhalla zu viert. Frau Piëch redet mit, schlägt Farb- und Formwechsel vor. Winterkorn staunt. Und traut seinen Ohren nicht, als der Patriarch auch noch auf Uschi hört.
Er, Europas wahrscheinlich mächtigster Konzernfürst, soll sich von der Gattin seines alten Meisters belehren lassen? Das hat Martin Winterkorn nicht nötig.
So sehr ärgern den Vorstandschef diese Treffen, dass er die Piëchs einfach nicht mehr einlädt. Man trifft sich fortan nur noch einmal im Jahr zur Designschau. Auf jenem Kontrolleursmeeting, bei dem allen Aufsichtsräten nebst Ehepartnern neue Modelle präsentiert werden.
Ferdinand Piëch ausladen? Der alte, brave Winterkorn hätte das nie gewagt. Ursulas Misstrauen überträgt sich auf Ferdinand.
Der beobachtet, wie Winterkorn im Sommer 2014 verspricht, das VW-Ergebnis bis 2017 um gut sechs Milliarden Euro zu verbessern, das Effizienzprogramm Future Tracks dann aber schnell runterkocht und Geld ausgibt wie gehabt.
Über Monate nervt Piëch seinen CEO, indem er aus Salzburg ständig neue Informationen anfordert und ihn in Manndeckung nimmt. Dann das erste Misstrauensvotum. Piëch holt den Brachialsanierer Herbert Diess von BMW nach Wolfsburg, als VW-Markenchef. Den Job erledigte bis dahin Winterkorn in Personalunion mit. Die Risse zwischen Lehrer und Schüler klaffen mittlerweile so weit wie das Spaltmaß beim ersten VW Käfer.
Doch lässt sich die Leistung eines Volkswagen-Chefs überhaupt mit gebräuchlichen Kennziffern messen? Der Konzern wird co-gesteuert von einer starken Belegschaft, hat mit dem Land Niedersachsen einen rein politisch interessierten Ankeraktionär und mit dem Porsche/Piëch-Clan einen zerstrittenen Mehrheitseigner. "Unter den Bedingungen hat Winterkorn das Beste herausgeholt", sagt ein Konzernmann. "Verglichen mit dem Chaos heute waren die Winterkorn-Jahre Champions League", stimmt ein Kollege zu.
Er blendet allerdings aus, dass Winterkorn das Chaos des Dieselskandals mit angerichtet hat. Und dass nach dem Sturz des Diktators immer eine Phase der Unordnung folgt.
Servieren, braten, dekantieren
Winterkorn regierte wie ein Autokrat. Was der Chef anordnete, wurde gemacht. So hatte bereits Piëch gesteuert.
Und Winterkorn hatte sich noch etwas von Piëchs Führungsstil abgeschaut: Er herrschte nicht nur; er teilte auch. Die Arbeitnehmer bekamen rund 50.000 neue Jobs allein in Deutschland. Zählt man Porsche und MAN hinzu, sogar fast 110.000. Die Familie, durch die versuchte Volkswagen-Übernahme von Wendelin Wiedeking finanziell fast ruiniert, machte er mächtig wie nie zuvor. Er rettete die Porsche AG und sicherte dem Clan mithilfe von Finanzvorstand Pötsch die Stimmenmehrheit an Volkswagen. Auch das Land Niedersachsen hielt er mit kleinen Geschenken bei Laune. So übernahm Volkswagen das Osnabrücker Werk des insolventen Zulieferers Karmann.
Winterkorns Lohn für all das? Ein sattes Millionengehalt - und vor allem: Autos!
Schon Piëch hatte sich auf diese Art das Wohlwollen von Land und Betriebsrat erkauft. Im Gegenzug durfte er den Bugatti bauen, Lamborghini übernehmen und später sogar die Trucks von MAN.
So viel wollte Winterkorn gar nicht. Ihm ging es um die schärfsten Kanten, das perfekte Spaltmaß, den Testsieg bei der Fachzeitschrift "Auto, Motor, Sport". Nicht gegen Toyota, Opel oder Renault. Er wollte Mercedes und BMW schlagen, mit Modellen wie dem VW Passat. Das wiederholen, was Piëch mit Audi geschafft hatte.
Der Mann hat für Volkswagen gelebt. Er jettete um die Welt, testete Autos, in der Wüste und im Eis. Er wurde von Politikern hofiert, weil er Investitionsmilliarden verteilte. Er hatte mit Gattin eine Audienz beim Papst, saß mit Gottschalk beim Hahnenkamm-Skirennen in Kitzbühel zusammen und war zu Gast im Kanzleramt.
Winterkorn genoss das Leben im Licht. Mitunter ein wenig zu sehr. Wie etwa bei einem Investoren- und Analystentag im Herbst 2014. VW hat Finanzexperten aus aller Welt nach Sardinien geladen; ausnahmsweise präsentiert ihnen Winterkorn persönlich den neuen Passat. Schon über den Ort wundern sich manche: das "Hotel Romazzino" in Porto Cervo. Hier erholt sich Winterkorn regelmäßig in den Ferien, hier hatte fünf Jahre zuvor Ferdinand Piëch den damaligen Porsche-Chef Wiedeking mit ein paar Sätzen vernichtet.
Winterkorn sei an diesem Abend aufgetreten wie ein Fürst, erinnert sich ein Anwesender: Beim Dinner bedienen sich alle am Buffet, nur am Tisch des CEOs wird serviert und gebraten; die Kellner dekantieren dort große Flaschen Rotwein, reichen dicke Zigarren. Da hat einer die Bodenhaftung verloren.
Das war zu Beginn seiner Karriere noch ganz anders. Freundlich sei er gewesen, berichten Weggefährten, bescheiden und unprätentiös, uneigennützig und kollegial. Sie kommen mit dem Loben gar nicht nach.
Das Alter fordert Tribut
Wenn Winterkorn sich völlig fertig in den Fond seines Wagens fallen lässt, wie so häufig nicht zum Essen gekommen, scheint dieser alte "Wiko" manchmal noch durch. Dann kann sich der Allmächtige über eine vom Fahrer organisierte Wurstsemmel "halb tot freuen", erzählt einer, der sonst eher kritische Worte über den Ex-Chef findet.
Inzwischen aber wirkt Winterkorn auf seine Umgebung meist kühl, distanziert, misstrauisch gegenüber Neuem. Als herrschsüchtig, autoritär und selbstverliebt wird er in seiner Spätphase beschrieben. Er sei zum Diktator mutiert.
Und auch das Alter fordert Tribut: Die Knie schmerzen, das Bücken fällt schwer, die Reisen kosten Kraft. Das gelegentliche Training im Trimmkeller hilft nicht viel.
Immer häufiger werden Zweifel laut, ob Winterkorn noch der richtige Chef sei, um Volkswagen in die Zukunft zu führen. Selbst im Vorstand. Das sei doch "Realitätsverlust", räsoniert ein Kollege, wenn man glaube, mit fast 70 noch der beste Vorstandschef für eine Ära zu sein, die geprägt ist von Elektromobilität und neuen Geschäftsmodellen, von Digitalisierung und Angreifern aus dem Silicon Valley.
Ja, die schöne alte Autowelt. Carsharing? Nein danke, "die Schweißfüß' von einem anderen muss ich nicht haben", sagte Piëch einmal. Die Autos seien im Innenraum viel zu oft dreckig, pflichtete Winterkorn bei. Thema abgehakt.
Eine Beteiligung der Familienholding Porsche SE am israelischen Newcomer Mobileye, spezialisiert aufs autonome Fahren? 10 Prozent für rund 150 Millionen Dollar? Abgelehnt. Heute wäre der Anteil eine Milliarde mehr wert.
Und Tesla? "Warum haben wir das nicht?", musste Piëch nach einer Fahrt im Model S fragen, ehe Winterkorn den Töchtern Audi und Porsche zusammen fast drei Milliarden Euro bewilligte für die Entwicklung zweier Batterieboliden.
Nur wenig später, im Frühjahr 2014, landet eine Anfrage aus Kalifornien in Wolfsburg. Die US-Umweltbehörden haben VW-Modelle getestet und dabei auffällig hohe Stickoxidwerte im Abgas registriert. Sie bitten um Aufklärung.

Was dann geschieht, steht exemplarisch für die Gefahren des Management by Winterkorn. Die merkwürdigen Abgaswerte bleiben lange Randthema. "Brief EPA diskutiert", "Maßnahmen einzuleiten", "Rückruf?" Sechs Wörter im Protokoll einer Sitzung des VW-Markenvorstands, mehr nicht. Es ist Mai 2014, die Techniker versprechen eine Lösung. Der Rückruf wird später tatsächlich beschlossen, von den Behörden genehmigt und in den Wintermonaten abgearbeitet.
Alles klar. Nächster Punkt. Denkt Winterkorn.
Nie hat er den Zugang zum amerikanischen Markt gefunden, nun ignoriert er die Probleme. Der eigens entwickelte US-Passat war gefloppt. Winterkorn und sein Chefentwickler Hackenberg schwärmen zwar, sie hätten das Modell "entfeinert". In Wahrheit stritt man selbst noch darüber, ob US-Lack und Leder von amerikanischen Rindern nicht doch zu billig seien für VW-Qualität. Die von Winterkorn mitkonzipierten Autos waren zu perfekt und zu teuer für den US-Markt. Die Folge: Absatzziele verfehlt, Ergebnis tiefrot.
VW ohne Winterkorn? Geht das?
Angefressen auch von den Sticheleien aus Salzburg, nimmt Winterkorn nun solche unangenehmen Realitäten nur noch partiell wahr. Problemgespräche mit den Amerika-Verantwortlichen finden immer seltener Platz im Kalender. "Die bringen nur Ärger mit", soll Winterkorn mal gesagt haben. Jene, die Probleme melden, fürchten selbst Ärger.
Und so bleibt, obwohl der Rückruf in den USA dann scheitert, in Wolfsburg alles weitgehend ruhig. Nur wenige Mahner trauen sich, die Misere offen anzusprechen. Kommen aber nicht durch. "Er war am Ende nicht mehr erreichbar", blickt einer aus der Konzernspitze zurück.
Winterkorn mag sich nicht mehr neu erfinden, er führt, wie er es bei Piëch gelernt hatte. Doch der hatte nur einen etwa halb so großen Konzern gemanagt. Zu Volkswagen gehörten längst auch Trucks, Motorräder und Schiffsdiesel. Einer allein kann da nicht den Überblick behalten und überall gleichzeitig präsent sein.
Martin Winterkorn wirkt zunehmend überfordert. Und dann bricht auch noch der Konflikt mit Ferdinand Piëch offen aus. Mal mäkelt der Aufsichtsratschef, Winterkorn sei nicht der Richtige, ihn an der Spitze des Aufsichtsrats abzulösen. Dann klagt er, der Konzern verstehe die USA "nur zu einem gewissen Grad". Und als ihm ein Manager ein Billig-SUV des chinesischen Herstellers Great Wall zeigt, fragt er genervt: "Warum können wir das nicht?"
All diese Kritik landet auch bei Martin Winterkorn. Sie tut weh.
In ein zentrales Projekt wie die letztlich gescheiterten Fusionsverhandlungen mit FiatChrysler weiht Piëch den CEO lange nicht ein. Salzburger Vertraute und Hans Dieter Pötsch übernehmen die Gespräche. Der heutige Chefaufseher gewinnt an Bedeutung; er begleitet Winterkorn immer häufiger bei dessen Piëch-Besuchen.
Im Hintergrund stichelt Ursula weiter. "Meine Frau sagt, er muss weg", vertraut Piëch einem Gesprächspartner an.
Gerüchte machen die Runde, Piëch wolle Ehefrau Ursula zu seiner Nachfolgerin machen. Piëch geht "auf Distanz zu Winterkorn", findet aber keine Verbündeten und gibt zwei Wochen später alle Konzernämter ab.
Winterkorn hat den Machtkampf gewonnen, den Patriarchen aus dem Weg geräumt. Das hat vorher noch keiner geschafft. Er hat jetzt den alleinigen Durchgriff, scheint auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen - und ist doch geschwächt.
Denn Ferdinand Piëch mag zum Schluss gestört haben. Nun fehlt er.
Ganz besonders am 18. September 2015, an jenem Freitagabend, als die amerikanische Umweltbehörde mit einer "Notice of Violation" die anfangs nur auffälligen Abgaswerte in den USA als Gesetzesverstoß einstuft. Und mögliche Milliardenstrafen in den Raum stellt. Fünf Tage später, am 23. September, wird Martin Winterkorn aus dem Autohimmel fallen.
Eine Krisensitzung jagt die nächste
In Wolfsburg jagt eine Krisensitzung die nächste; die ersten Tage vergehen damit, die Dimension des Betrugs zu begreifen. Noch in der Nacht von Montag auf Dienstag schwankt die Zahl der manipulierten Motoren zwischen 4 Millionen und 12 Millionen. 11 Millionen sind es schließlich, am Dienstagmorgen geht eine Gewinnwarnung raus, 6,5 Milliarden Euro werden zurückgestellt. Die Suche nach den Schuldigen beginnt.
Der Aufsichtsrat übernimmt die Führung. Der ehemalige IG-Metall-Chef Berthold Huber und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) drängen in einer Präsidiumssitzung am Mittwoch vehement auf Konsequenzen: Wenn das alles so stimme, müssten Köpfe rollen. Wessen Kopf genau sie damit meinen, sagen sie noch nicht.
Winterkorn wirkt paralysiert. Am Freitag hätte der Aufsichtsrat seinen Vertrag als Vorstandschef verlängern sollen. Er soll bis 2019 bleiben. So ist es fest vereinbart.
Jetzt informiert ihn Huber, seit Piëchs Rücktritt übergangsweise Chefkontrolleur, "unter diesen Umständen" sei die Verlängerung nicht möglich. Man müsse die Entscheidung verschieben.
Für Außenstehende erscheint das nur logisch, fast schon nachsichtig.
Für Winterkorn ist es eine Beleidigung. Wie soll Volkswagen denn ohne ihn, der jede Schraube kennt, funktionieren?
Schon zwei Wochen zuvor hatten sie ihm einen brutalen Schlag versetzt. Winterkorn war erholt aus dem Urlaub zurückgekehrt, sein Aufstieg zum Chef des Aufsichtsrats längst beschlossen. Er würde demnächst von München aus arbeiten, ein Büro bei der Truck-Tochter MAN beziehen.
Das alles galt nach den Ferien nicht mehr. Ferdinand Piëch hatte im Hintergrund seine Restmacht ausgespielt und die Familie überzeugt, dass Winterkorn der falsche Aufsichtsratsvorsitzende sei. Finanzchef Pötsch sollte das Amt bekommen.
Winterkorn hatte sich gebeugt. Zum Trost bekam er die Vertragsverlängerung zugesagt.
Nun sollte er selbst auf die verzichten. Winterkorn verstand das alles nicht. Er hatte doch die Motoren nicht persönlich manipuliert. Verantwortlich waren andere. Konnte nicht sein langjähriger Intimus Hackenberg - zuletzt Entwicklungsvorstand bei Audi - die Verantwortung übernehmen?
Doch Hackenberg wollte sich nicht opfern. Er sei überhaupt kein Motorenexperte. Winterkorn verlor nach Piëch den zweiten Fixpunkt seiner Volkswagen-Welt. Dieses Unternehmen war nicht mehr seins. Er trat zurück.
Seither muss er zusehen, wie sein Erbe nach und nach zur Altlast erklärt wird.
Der Konzern, der doch bis September 2015 auf dem Weg zu neuen Rekorden war? In Existenznot. Die Kosten des Dieselskandals werden mittlerweile auf deutlich mehr als 20 Milliarden Euro geschätzt.
Piëch verweigert ihm die Hand
Die alte Unternehmenskultur? Zur Gefahr erklärt. Immer wieder proklamieren Matthias Müller und Herbert Diess das "New Volkswagen".
Die Absatz- und Gewinnrekorde? Als Zerrbild entlarvt.
Die Errungenschaften und Erfolge der Winterkorn-Ära? Vergessen.
Der Geschmähte weiß nicht einmal, wie viel von seinem Vermögen bleibt. Rund 130 Millionen Euro hat er brutto verdient, seit er 2002 den Chefposten bei Audi antrat. Dazu kommen nicht umgewandelte Aktienrechte und fast 30 Millionen Euro Rentenzusagen. Doch der Konzern prüft längst, ob er von Winterkorn Schadensersatz verlangt.
Noch hätten die Anwälte nichts Belastendes gegen den langjährigen Vorstandschef gefunden, heißt es in Wolfsburg. Aber als CEO trug er die größte Verantwortung, die US-Behörden könnten theoretisch gegen ihn persönlich vorgehen. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Verdacht: Marktmanipulation. Winterkorn und Markenchef Diess sollen die Börsen zu spät über die drohenden Kosten informiert haben. Beide weisen die Vorwürfe zurück.
Piëch verweigert ihm die Hand
Einer der wenigen Freunde, die Winterkorn geblieben sind, ist Uli Hoeneß (64). Der Mann dürfte sehr genau nachfühlen können, wie es Winterkorn gerade geht; er rät ihm, sich "nicht zu verstecken". Hoeneß war 35 Jahre lang Manager und Präsident des FC Bayern, er hat den Klub praktisch im Alleingang zur Fußballweltmarke geformt, wurde ähnlich hofiert wie Winterkorn - und musste dann wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis.
Der Fußballmanager ist für Winterkorn seit Jahren ein Vorbild. Die beiden schätzen sich, sind inzwischen Duzfreunde und haben einander wiederholt geholfen. Audi ist mit 8,3 Prozent an Bayern München beteiligt. Jetzt darf Winterkorn seinen Sitz im Aufsichtsrat des FC Bayern behalten; "sein Rat ist uns wichtig", sagt Hoeneß. Winterkorn werde sein Mandat erfüllen. Wenigstens ein Amt, wenigstens ein Anlass, die Villa in Bogenhausen auch mal zu verlassen. Doch die Ehrentribüne des FC Bayern taugt nicht als Ersatz für die Vorstandsetage in Wolfsburg. Und auch nicht für Ferdinand Piëch.
Winterkorn hätte Piëch selbst nach dem Machtkampf noch die Ehre erwiesen. Er wollte den neuen Luxus-VW Phaeton passend zum 80. Geburtstag des Patriarchen 2017 präsentieren. Erst Matthias Müller und Herbert Diess stoppten das Projekt, schrieben die bislang angeblich aufgelaufenen Kosten von 700 Millionen Euro ab.
Quiz: Hätten Sie unter Ferdinand Piëch überlebt?
Piëch hingegen denkt nicht an Versöhnung. Zuletzt treffen sich die beiden im Sommer 2015 bei einer Aufsichtsratssitzung der Porsche Holding SE. Piëch hat den Aufsichtsratsposten bei der SE als einziges Mandat behalten, Winterkorn ist als Vorstandschef geladen.
Piëch kommt, geht herum, schüttelt Hände, spricht hier und da ein paar Worte. Nur einem verweigert er sich: Als Martin Winterkorn auf ihn zugeht, wendet Piëch sich ab.
Interview mit Uli Hoeneß: "Er sollte sich nicht verstecken"
Im Interview mit manager magazin rät Uli Hoeneß Martin Winterkorn zur Offensive

Leidgenossen
Uli Hoeneß (r., mit Winterkorn beim Basketball) hält zu seinem "persönlichen Freund", Winterkorn bleibt im Aufsichtsrat des FC Bayern München
mm: Herr Hoeneß, Volkswagen hat Martin Winterkorn nach dem Dieselskandal verstoßen, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn. Warum sitzt er noch im Aufsichtsrat des FC Bayern?
Uli Hoeneß: Das stand für uns nie infrage. Was bei VW passiert ist, kann ich nicht beurteilen. Aber Martin Winterkorn ist ein toller Mensch und für mich ein persönlicher Freund. Wir arbeiten beim FC Bayern sehr gut mit ihm zusammen, sein Rat ist uns wichtig. Von daher war für Karl-Heinz Rummenigge, Karl Hopfner und mich immer klar: Martin Winterkorn ist gewählt bis 2018 und wird das Mandat erfüllen.
mm: Sie sprechen pro domo. Sie waren in einer ähnlichen Situation, haben sogar eine Gefängnisstrafe verbüßt.
Hoeneß: Ja, das habe ich, und Martin Winterkorn hat mir gleich gesagt, dass er immer zu mir stehen wird. Dafür bin ich ihm dankbar. Aber ich habe auch den ehemaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer in den Verwaltungsbeirat geholt, als die Korruptionsvorwürfe gegen ihn auf dem Höhepunkt waren. Das war deutlich vor dem Verfahren gegen mich. Wir haben uns beim FC Bayern immer unser eigenes Urteil gebildet, und Herr von Pierer ist am Ende auch nicht verurteilt worden. Ich bin froh, dass er uns bis heute berät. Auch er ist für mich ein echter Freund geworden.
mm: Martin Winterkorn lebt aktuell fast versteckt. Zieht er sich zu sehr zurück?
Hoeneß: Vielleicht. Er muss sich an dieses neue Leben erst gewöhnen. Das geht ja von Tempo 100 auf vielleicht 30. Aber egal was an Vorwürfen erhoben wird: Er sollte sich nicht verstecken. Ich habe mich öffentlich gezeigt, als ich am Wochenende Hafturlaub hatte. Ins Stadion durfte ich nicht, das war mit der Gefängnisleitung vereinbart. Aber ich bin mit meiner Familie ins Restaurant gegangen, war auch Golf spielen. Martin Winterkorn hat erst recht keinen Grund, sich zurückzuziehen.
mm: Sie gehen mit ihm essen, laden ihn zum Basketball ein. Was raten Sie ihm bei diesen Treffen?
Hoeneß: Er braucht Freunde. Martin Winterkorn war fast verheiratet mit Volkswagen und Audi, hat 24 Stunden am Tag für das Unternehmen gelebt. Da ergeben sich wenige Möglichkeiten, einen privaten Freundeskreis zu pflegen oder aufzubauen. Das wäre jetzt wichtig. Freunde, mit denen er zum Beispiel Schafkopf spielen und schlicht entspannen kann. Er sollte die neue Freizeit nutzen. Mal ein paar Wochen mit seiner Frau verreisen, die Bäume im Englischen Garten beim Spazierengehen anschauen und nicht nur aus dem Flugzeug.
mm: Und dann ...
Hoeneß: ... könnte ich mir vorstellen, dass sein Rat noch anderswo gefragt ist als beim FC Bayern. Das muss ja kein Autounternehmen sein.