
Superexklusive Kleinstmanufakturen Die Taktgeber der Luxusuhrenbranche
Der Firmensitz ist kaum zu finden und wirkt eher wie eine Notunterkunft: Der Gartenanbau eines schlichten grauen Zweifamilienhauses in einer Kleine-Leute-Wohngegend im schweizerischen Biel, der heimlichen Hauptstadt der Luxusuhrenindustrie. Die Swatch Group hat hier ihre Zentrale, Rolex seine Fertigung. Drinnen: eine Werkstatt mit gerade mal drei Räumen. Das Domizil einer Marke, der Kenner höchsten Respekt zollen und deren Uhren Preise gewinnen: Urban Jürgensen & Sønner, kurz UJS.
Der neue Chef Søren Jenry Petersen (52), ein stämmiger Däne, dreiteiliger Maßanzug, hellblaues Maßhemd, Vater von drei Kindern, empfängt bestens gelaunt. In seinem vorigen Leben war er viele Jahre Topmanager bei Nokia, Mitbegründer von Vertu und Berater für McKinsey. Alles Spitzenjobs, aber seine jetzige Aufgabe macht ihm sichtlich am meisten Spaß - und kommt seinem Nationalstolz entgegen: Im November 2014 hat er die dänische Traditionsmarke von 1773 zusammen mit fünf weiteren Landsleuten übernommen und damit zurückgeholt in heimischen Besitz. Dänen mögen das.
Zwei Wochen vor der freundlichen Übernahme hatte die kleine Marke gerade noch die höchste Auszeichnung eingefahren, die die Uhrenwelt zu vergeben hat, den Grand Prix d'Horlogerie de Genève (GPHG), den Uhren-Oscar. Als Best Watch in der Kategorie Männeruhren für die klassisch gestaltete "Central Second", mit neu entwickeltem Kaliber UJS-P8 und einer - erstmals in einer Armbanduhr - besonders präzisen Chronometerhemmung. Preis: 49000 Schweizer Franken.
Die Trophäe in Form der Skulptur eines vergoldeten Arms hatte auf der Genfer Gala noch Helmut Crott entgegengenommen, renommierter Ex-Auktionator und exzellenter Uhrenkenner, der die kleine Firma als Interimschef zum Erfolg geführt und lange nach einem würdigen Nachfolger gesucht hat. Mit Sätzen wie "Wir verkaufen keine Uhr, sondern ein Kunstobjekt, das von Hand gemacht wird", dürfte sich der Däne Petersen dafür mehr als qualifiziert haben.
Glänzen mit Exklusivität und Exzellenz
Solche Geheimtipps wie UJS gibt es einige in der Uhrenbranche. Wenig bekannte, unabhängige Uhrmacher, die mit Innovation, Exklusivität und Exzellenz glänzen und so neben Großen wie A. Lange & Söhne, Breguet oder Hublot bestehen können. Einzelkämpfer wie Greubel Forsey, Kari Voutilainen oder Laurent Ferrier gehören genauso dazu wie die abgelegenen Ateliers Habring aus Völkermarkt in Kärnten oder Grönefeld aus Oldenzaal in den Niederlanden.
Ihre Namen finden sich in schöner Regelmäßigkeit auf der Liste der Preisträger des Genfer Grand Prix, der in zwölf Kategorien vergeben wird. In der Jury sitzen 26 Leute vom Fach, die - anders als bei landläufigen Publikumspreisen in Zeitungen - statt Abbildungen wirkliche Uhren in den Händen halten. Als Kommissar dient Ludwig Oechslin, studierter Altertumswissenschaftler und Physiker, gelernter Uhrmacher und einer der findigsten Konstrukteure weltweit, der bis vor Kurzem das Internationale Uhrenmuseum in La Chaux de Fonds leitete.
"Es geht hier um Qualität", sagt Oechslin über die geheime Wahl der Gewinner, "und man darf stolz sein auf diesen Preis." Jurypräsident Aurel Bacs, Auktionator und Schlüsselfigur der Branche, betont die Bedeutung der kleinen und mittelgroßen Manufakturen: "Dank ihrer größeren Beweglichkeit und Unabhängigkeit können sie mutiger und schneller auf neue Entwicklungen reagieren und so den großen Gruppen aufzeigen, was der Markt heute erwartet." Zusammen mit UJS gehörten vergangenes Jahr auch die "Horological Brothers" Bart (46) und Tim Grönefeld (43) zu den Gewinnern.
Aus lauter toten Teilen etwas Lebendiges machen
Sie haben ihre Manufaktur in einem stattlichen Geschäftshaus aus braunen, weiß abgesetzten Backsteinen, inmitten der kreisrunden Altstadt Oldenzaals, gleich neben einem uralten Kirchenbau. Vor der Tür ein Porsche Cayenne, im Erdgeschoss ein schicker Salon mit offenem Kamin, oben im Dachgeschoss die Werkstatt mit zwölf Angestellten. Gegenüber hatten die Eltern ein Juweliergeschäft, 1912 vom Großvater, ebenfalls Uhrmacher, gegründet. Sie selbst haben 2005 angefangen, ihre erste Uhr zu konstruieren, die "GTM 06", mit das Komplizierteste, was es gibt, ein Tourbillon mit Minutenrepetition. 2008 ist das Stück fertig geworden.
"Wir zeigen gern, was wir können", sagt Bart, und Tim lächelt. Als hätten sie jemandem einen Streich gespielt. Tatsächlich können sie eine ganze Menge. Denn sie haben eine mustergültige Ausbildung hinter sich, die sie über große Strecken gemeinsam absolviert haben: Uhrmacherschule und Gesellenjahre in Holland, danach wieder auf die Schulbank der Wostep, einer Spitzenlehranstalt der schweizerischen Uhrenindustrie in Neuchâtel. Sie waren die ersten Holländer dort.
Nacheinander traten die beiden dann ihren ersten Haute-Horlogerie-Job an, natürlich in derselben Firma - bei Renaud & Papi im schweizerischen Le Locle, einer Legende der Uhrmacherei, die heute zu Audemars Piguet gehört. Mitinhaber Giulio Papi gewann 2008 den Grand Prix als bester Uhrmacher. Bei ihm lernten sie die Faszination komplexer Uhren, Tim verantwortlich für das Tourbillon, Bart für die Minutenrepetition: "Man hat lauter tote Teile auf dem Tisch und muss daraus etwas Lebendiges fabrizieren", sagt Bart.
"Und jedes Teil, das man einbaut, bringt etwas mehr Leben." 1998 kehrten die Unzertrennlichen zurück nach Oldenzaal, die Freundinnen warteten, auf dem Programm stand Familiengründung. Die Grönefelds boten großen Marken wie IWC, Audemars Piguet und Breitling an, deren Service für Holland zu übernehmen, und gründeten ihre eigene Firma. Im Hinterkopf immer den Traum von der Grönefeld-Uhr.
Nur 30 bis 50 Uhren im Jahr
Heute arbeiten sie zu 60 Prozent für andere, zu 40 Prozent an eigenen Uhren, zwischen 30 und 50 Stück schaffen sie im Jahr. Alle mit selbst entwickelten Werken, versehen mit aufwendig herzustellenden Stahlbrücken, technologisch raffiniert.
So wie ihre Grand-Prix-Siegeruhr. Die "Parallax" erhielt 2014 den Tourbillon Watch Price des GPHG für "superlative hand finishing" (Jury), vor allem aber für die geschickte Synchronisierung zwischen fliegendem Tourbillon, aufgehängt an nur einem Arm, und einer Zentralsekunde mit Sekunden-Stop. Dieser Mechanismus ermöglicht es, "die Zeit beim Tourbillon auf die Sekunde genau einzustellen". Die Auflage: zwölf Stück im Stahlgehäuse, fünf in Platin, 28 in Gold (167250 Franken).
Uhrenliebhaber weltweit, verbunden über Facebook und Instagram, schätzen derlei technische Finessen. So sehr, dass Bart und Tim immer wieder unterwegs sind, um die Uhren persönlich auszuliefern, Dubai, Hongkong, Singapur, Peking. Tim Grönefeld gefällt das: "Die Sammler möchten stets uns beide sprechen, so haben wir Spaß und langweilen uns nie." Ein Satz, der, so scheint es, auch für Maria und Richard Habring gilt, die heimlichen Stars der Kleinuhrmacherei.
Das Paar betreibt ein Atelier im österreichischen 11000-Seelen-Flecken Völkermarkt am Nordhang der Karawanken, dem Grenzgebirge zu Slowenien. Aus ihrem Studio hoch über dem Hauptplatz der Stadt hat man das kantige Alpenpanorama vor Augen. Die beiden haben bereits zum dritten Mal einen Grand Prix in Genf abgeholt, einmal in der Kategorie Sports Watch (2012), 2013 und 2015 den Petite Aiguille d'Or, der für Uhren unter 8000 Schweizer Franken vergeben wird. 2013 erhielten die Habrings die Auszeichnung für eine Pilotenuhr mit springender Sekunde und in diesem Jahr für ihren Neuling "Felix". Ein Basismodell, dessen Werk "den Manufakturbegriff neu definiert", so die Jury.
Überschaubarkeit ist Programm
Selbstständig gemacht haben sich die Habrings 2004. Der hagere, hochgewachsene Richard (46) hatte bereits eine ansehnliche Karriere als Uhrmacher absolviert, vom Lehrling aus einem Dorf nebenan bis hoch zum Konstrukteur, zunächst bei IWC in Schaffhausen, später bei A. Lange & Söhne in Glashütte. Unter der Ägide des mythenumwobenen, jung verstorbenen Markenmanagers Günter Blümlein, der die sächsische Feinuhrmacherei nach der Wende wieder zum Leben erweckte.
In der S-Bahn in Dresden lernte Habring seine Frau kennen, eine attraktive durchsetzungsstarke Touristikerin mit unverkennbar sächsischem Dialekt. Sie führt seit der Gründung die Geschäfte des Fünf-Leute-Unternehmens.
Habring hat zunächst Einzelstücke gebaut, Tourbillons etwa, bei denen er das komplette Werk selbst herstellte. Bis dann seine Frau kam und sagte: "Lass uns das professionell machen, mit einem modularen System, mit dem man fast jeden Wunsch erfüllen kann. Wir schaffen das!" Drei Grand-Prix-Auszeichnungen, internationales Renommee, Kunden in Japan und Hongkong, Australien und den USA geben ihr recht. Sie pflegen ein auf Nachhaltigkeit gerichtetes Herstellungsverfahren mit einem ausgesuchten Zuliefererkreis. Viele Teile bezieht das Paar von kleinen Familienunternehmen. Die Hemmung aus dem Wallis, Schrauben aus Thüringen, Spiralfedern aus dem Schwarzwald, Zahnräder aus Neuchâtel - daraus fertigen sie gut 200 Uhren im Jahr, zu Preisen zwischen 4450 und 6000 Euro.
Überschaubarkeit ist für Habring Programm. "Jede Uhr muss durch unsere Hände gegangen sein", sagt er. Nur so könne er die Qualität garantieren.
"Wir sind hier, um Kunstwerke zu machen"
Dieses Prinzip verfolgt auch der Däne Søren Petersen bei UJS. Als Produktionsingenieur könne er sehen, was mit der Maschine und was von Hand gemacht ist. "Es gibt viele Marken, die sich Manufakturen nennen. In Wirklichkeit werden deren Uhren in Fabriken gebaut von Tausenden Leuten. Das ist keine Handarbeit mehr." Auf die Uhr gekommen war Petersen, als er neben seiner Sport-Rolex für festliche Veranstaltungen noch ein goldenes Modell zum Anzug brauchte. Beim Kopenhagener Topjuwelier Ole Mathiesen zeigte ihm Geschäftsführer Hans Ryser ein Exemplar von Urban Jürgensen & Sønner. Das war 1996. Danach fing Petersen an, Uhren zu sammeln.
Die Marke UJS behielt er immer im Blick. Als er sie 2014 kaufte, holte er auch Hans Ryser als COO mit in die Firma. Das hat sich ausgezahlt: 2016 wird ein neuer Standort bezogen, eine repräsentative Villa in Biel, vier Stockwerke, 500 Quadratmeter, stattlich, aber nicht überdreht. Für kleine Stückzahlen. Zu Preisen zwischen 14.000 und 400.000, für Einzelstücke vielleicht mal 500.000 Schweizer Franken.
"Wir sind hier, um Kunstwerke zu machen", sagt Petersen. "Deswegen gehen wir ganz vorsichtig vor, das Unternehmen wird nicht mit Tonnen von Geld schnell hochgezogen." Er will keine Marketingmaschine sein, sondern als "Marke für feinste Sammleruhren" wahrgenommen werden.