
Oetker Halbe Brüder, ganze Feinde
Den gemeinsamen Vorfahren können sie nicht leugnen. August Oetker (69) und Alfred Oetker (46) sehen einander verblüffend ähnlich. Und das, obwohl sie aus verschiedenen Ehen ihres Vaters stammen. Vom Patriarchen Rudolf-August Oetker (1916-2007) haben beide die stattliche Größe geerbt, die hohe Stirn, das stolz gereckte Kinn, eigentlich alle wesentlichen äußeren Züge.
Hinzu kommt noch eine selbst erzeugte Ähnlichkeit. August wie Alfred tragen Unmut im Gesicht. Bei August ist es ein Grimmen in den Mundwinkeln. Bei Alfred ein unglücklicher Trotz in den Augen. Was sie eint, ist der Groll - auf den anderen.
Halbe Brüder, ganze Feinde. August und Alfred Oetker sind die Vorkämpfer eines Streits, der eine ganze Unternehmersippe enerviert. Da wird geflucht und gestichelt, einander angeschrien. Da werden Finten angewendet und Topjuristen bemüht - alles nur, um die andere Seite niederzuringen.
Der Kern des Zerwürfnisses ist eine Personalie: Wer wird der nächste Chef? Derzeit steht Richard Oetker (63) an der Spitze des Konzerns, Augusts jüngerer Bruder. Spätestens in drei Jahren muss er abtreten. Alfred Oetker will dann unbedingt übernehmen. Doch sein Halbbruder August - als Vorsitzender des Beirats mit einiger Macht ausgestattet - ist strikt dagegen. Zumal er weiß, dass die Mehrheit der Familie auf seiner Seite steht. Statt Alfred wollen sie lieber einen familienfremden Manager im Kommandostand sehen.
Nachfolge für Richard: Wer wird der nächste Chef?
Alfred reagiert mit Widerstand. Unterstützt von seinen jüngeren Geschwistern Carl Ferdinand (41) und Julia Oetker (34), sperrt er sich gegen fast alle Großprojekte der amtierenden Führung.
So legte das Trio sein Veto ein, als August versuchte, die Oetker-Reederei Hamburg Süd mit dem Konkurrenten Hapag-Lloyd zu vereinen. Eine womöglich historische Chance fiel so dem Familienzwist zum Opfer. Zumal der Umsatz in der für die Gruppe so wichtigen Lebensmittelsparte im Jahr 2013 nur noch um magere 2,3 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro gestiegen ist - und der Geldbedarf in der kriselnden Schiffsparte die Erlöse des Pudding- und Pizzageschäfts aufzuzehren droht.
Zerstritten und blockiert - ausgerechnet die als ruhig und solide geltenden Oetkers aus Bielefeld leisten sich derzeit einen gefährlichen Machtkampf. Das Tagesgeschäft läuft zwar routiniert weiter. Doch zu großen Weichenstellungen scheint die Sippe nicht mehr in der Lage. Und je länger der Streit dauert, desto größer wird die Gefahr, dass der Konzern den Anschluss an neue Entwicklungen verliert.
Verspielt hier eine große Dynastie ihre Zukunft? Zerbricht eine Ikone der deutschen Wirtschaft am Starrsinn der Erben?
"Der Streit ist eskaliert"
"Der Streit ist eskaliert", munkelt ein Kenner der Familie, "weil tiefe Verletztheit im Spiel ist." Es geht weit hinab auf den Urgrund der Familienpsychologie.
Patriarch Rudolf-August Oetker (internes Kürzel: "RAO") hinterließ nicht nur eine ausladende Industrie- und Dienstleistungsgruppe, die mit Nahrungsmitteln, Getränken, Schifffahrt, Hotels und einer Bank zuletzt rund elf Milliarden Euro umsetzte und gut 26.000 Mitarbeiter beschäftigt. Zu seinem Vermächtnis zählt auch eine Familie mit vielen wunden Punkten und offenen Rechnungen.
Dreimal heiratete er, das letzte Mal mit Ende 40. Von den fünf Kindern aus seinen ersten beiden Ehen waren da vier noch minderjährig.
Bei den älteren Oetkers ging es bodenständiger und westfälischer zu
Mit Argwohn betrachteten sie, wie ihr Vater mit der dritten Ehe die Familie gleichsam neu erfand. Mit Neid und Eifersucht müssen sie gesehen haben, dass er seiner neuen Frau und den drei Kindern der Verbindung eine Aufmerksamkeit schenkte, an die zu ihrer Zeit nicht zu denken war.
Daran hatte allerdings die neue Partnerin großen Anteil: Marianne von Malaisé, genannt Maja. Sie erzog die Kinder in einem elitären Bewusstsein, wie langjährige Beobachter des Hauses meinen. Maja, die großen Wert auf ästhetische Feinheiten und Etikette legt, machte ihren Nachwuchs zugleich mit den aristokratischen Sitten ihrer Familienlinie vertraut.
Tatsächlich zeigen die jungen Oetkers einen Hang zu Adel und gesellschaftlichem Glanz. Sowohl Alfred als auch Julia heirateten Adelige, alle drei Geschwister verkehren in gehobenen internationalen Kreisen. Bei den älteren Oetkers ging es da deutlich bodenständiger, westfälischer zu, zumindest in den frühen Jahren.
Enttäuschte Erwartung
Doch auch auf Majas Seite gibt es Verbitterung. Die heute 79-Jährige fühlt sich offenbar um die versprochene Zukunft ihrer Kinder betrogen. Würde ihr Mann noch leben, wäre Alfred wahrscheinlich längst zum Chef ernannt worden. Außerdem hat Maja Oetker selbst nicht die Rolle einnehmen können, die sie sich erhofft haben dürfte: als informelles Oberhaupt der Sippe.
Umso mehr bestärkt sie jetzt ihren ältesten Sohn in seinem Anspruch auf den Thron. Und kämpft notfalls selbst, wenn es um das Andenken ihres Mannes geht.
Erst jüngst geriet sie dabei heftig mit August Oetker aneinander. Der hatte eine historische Studie in Auftrag gegeben, die die Verstrickung der Oetkers in den Nationalsozialismus beleuchten sollte. Die Untersuchung ergab, dass Rudolf-August Oetker, einst Mitglied der Waffen-SS, keineswegs "abkommandiert" worden war, wie er selbst immer behauptet hatte. Vielmehr hegte er in jungen Jahren einige Sympathien für die Nazis. Sein Sohn August fasste die Studie in der "Zeit" so zusammen: "Mein Vater war ein Nationalsozialist."
Das letzte Wort zu RAO
Maja Oetker schnappte nach Luft - und ließ sich umgehend von einem Redakteur ihres Heimatblatts "Neue Westfälische" interviewen. "Es stimmt einfach nicht, dass mein Mann ein überzeugter Nazi war", protestierte sie gegen das Fazit ihres Stiefsohns, "das lasse ich mir von niemandem einreden." Merke: Das letzte Wort zu RAO beansprucht sie.
Der Alte hat wohl geahnt, dass die Familie nach seinem Tod auseinanderdriften könnte. Vorsorglich ließ er seine Erben schon seit den 90er Jahren üben, wie es ist, gemeinsam Verantwortung für das Unternehmen zu tragen. Mindestens zweimal jährlich lud er die acht Kinder zu fingierten Gesellschaftersitzungen ein. Ließ sie diskutieren, als gehöre ihnen die Firma schon.
Streit gab es damals nie - warum auch? Es ging um nichts, die wichtigen Entscheidungen traf allein der Patriarch. Daran änderte sich auch nichts, als er 2002 seine Kinder als gleichberechtigte Erben einsetzte und ihnen seine Anteile schenkte.
Verwehrter Wunsch
Erst als er nicht mehr war, 2007, ging die Fehde los - mit einer heiklen Bitte. August Oetker wollte länger Konzernchef bleiben, und zwar über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus, die ihm 2009 dräute. Das Amt hatte er schon 1981 übernommen, sich aber unter dem Übervater nie ganz entfalten können. Nur allzu gern hätte er das erstmals volle Kommando noch eine Weile genossen.
Die jungen Oetkers blockten ab. August solle Platz machen für Alfred.
Das Veto bekam ihnen jedoch schlecht. Die älteren Oetkers rückten erst recht zusammen, nominierten überraschend Augusts jüngeren Bruder Richard als nächsten Konzernchef. Der Familienfrieden war dahin. Aus den latenten Spannungen wurde ein offener Schlagabtausch.
Alfreds Bruder Carl Ferdinand war offenbar so wütend auf August, dass er ihn nicht zu seiner Hochzeit einlud. Die Alt-Oetkers antworteten, indem sie geschlossen der Feier an der Côte d'Azur fernblieben.
Das Boykottieren setzte sich fort, als Julia Oetker, die Jüngste, vor zweieinhalb Jahren einen spanisch-italienischen Grafen heiratete. Zwar kam diesmal Rosely Schweizer (73), die Älteste der Oetker-Kinder. Richard und August hingegen fehlten demonstrativ.
Bis heute lassen die zerstrittenen Familienzweige kaum eine Gelegenheit aus, sich gegenseitig zu gängeln. So gibt es dem Vernehmen nach ein kleinliches Hickhack, wer das Firmenflugzeug, die "Puddingmeise", benutzen darf. Die Alten pochen auf Vorrechte.
Richard hält die Stellung
Nur für einen Moment keimte Hoffnung auf Frieden. Richard werde nicht die volle Amtszeit absolvieren, glaubten die Auguren; bald bekomme Alfred eine neue Chance. Das klang plausibel. Richard Oetker ist gesundheitlich belastet. Er plagt sich bis heute mit den Verletzungen, die er 1976 als Opfer einer brutalen Entführung erlitt. Die Gerüchte um Richards Rückzug trogen. Heute ist klar: Er hält die Stellung. Und auch danach soll Alfred nicht drankommen.
Hatte August seinem Halbbruder das Amt noch 2006 öffentlich in Aussicht gestellt ("Aus meiner Sicht spricht nichts gegen ihn"), macht er heute unmissverständlich klar: "Gesellschafter zu sein heißt nicht automatisch, dass ein Führungsanspruch oder eine Beschäftigung damit einhergeht."
Aspirant Alfred aber hat den Kampf aufgenommen. Und immerhin erreicht, dass Jung und Alt sich inzwischen auf höchstem juristischen Niveau beharken. Unter strenger Geheimhaltung haben die streitenden Parteien ein Schiedsgerichtsverfahren angestrengt, das sich nun schon rund drei Jahre hinzieht.
Die Besetzung ist erstklassig. Als Schiedsrichter sind zwei renommierte Juraprofessoren aufgeboten: Klaus Hopt (73) vom Hamburger Max-Planck-Institut und Peter Hommelhoff (71) aus Heidelberg. Den Vorsitz führt ein ehemaliger Präsident des Bundesgerichtshofs, Karlmann Geiß (78). Hinzu kommen auf beiden Seiten exzellente Anwälte.
Entsprechend gründlich gehen die Rechtskundler zur Sache. Da diskutiert man bis in die Nächte, ringt um kleinste Formulierungen und Formalien. Eine grundsätzliche Einigung ist aber weiter nicht in Sicht - trotz des ganzen Aufwands. Oder vielleicht gerade deswegen.
Nur in Detailfragen gab es Durchbrüche. Der größte: eine Regel, wie der Beirat besetzt wird. Er ist neben der Gesellschafterversammlung das wichtigste Kontrollgremium der Gruppe. Festgelegt wurde, dass die drei Familienstämme, die durch die drei Ehen des Patriarchen markiert sind, jeweils einen Vertreter in den Beirat entsenden. Hinzu kommen externe Beiratsmitglieder wie der ehemalige Henkel-Chef Ulrich Lehner (67) oder Lufthansa-Manager Carsten Spohr (47). Die Fremden sollen stets in der Mehrheit sein.
Aufstieg mit Nebenwirkungen
Die Neuregelung nutzt vor allem Alfred. Er konnte als Vertreter des jüngsten Stamms in den Beirat einziehen, was ihm zuvor verwehrt blieb.
Seine Widersacher drückten allerdings eine Nebenbedingung durch, die ihm gar nicht schmeckt. Beiräte dürfen nicht gleichzeitig im Oetker-Management mitwirken. Neubeirat Alfred Oetker musste deshalb seinen geliebten Posten als Chef der Nahrungsmittelsparte in den Niederlanden aufgeben. Und das, obwohl er in dem Job nach Ansicht von Insidern durchaus erfolgreich war. Der erzwungene Abschied vom Tagesgeschäft ist offensichtlich so schmerzlich, dass er bis heute vor der Öffentlichkeit verborgen wurde.
Mit seiner wichtigsten Forderung ist Alfred Oetker bislang abgeblitzt. Er will partout zum "persönlich haftenden Gesellschafter" (phG) ernannt werden. Nur dann kann er Chef werden.
Die Alten bleiben hart. Sie wollen die Angelegenheit aussitzen und vertrauen darauf, dass Alfred ohnehin keine Mehrheit zusammenbekommt: Er bräuchte die Zustimmung sowohl des Beirats als auch der Mitgesellschafter, um seinen großen Traum zu verwirklichen.
Hoffen auf das Schiedsgericht
Wann und wie das Schiedsgericht hier eine Lösung findet, ist völlig offen. Und solange keine Einigung zu Alfreds Gunsten existiert, verlegt er sich aufs Blockieren.
Die Handhabe dazu hat ihm pikanterweise RAO selbst verschafft. Der verfügte schon vor Jahrzehnten, dass wichtige Entscheidungen nur mit überwältigender Mehrheit der Gesellschafter getroffen werden können. Oft sind drei Viertel der Stimmen nötig. Der Clanchef wollte damit wohl die Familie zu Einigkeit zwingen. Erreicht hat er das Gegenteil. Jetzt kann die Minderheit alles lahmlegen und die Mehrheit geradezu erpressen. Devise: Wir sagen so lange Nein, bis ihr Alfred vorlasst!
Dem notorischen Einspruch fiel auch der Reederei-Deal zum Opfer. Die älteren Geschwister um August und Richard waren sich einig, dass ein Zusammenschluss von Hamburg Süd und Hapag-Lloyd sinnvoll, ja fast zwingend ist, um die Dauerkrise der Schifffahrt zu überstehen. Die Jungen lehnten den Plan dennoch kategorisch ab.
Damit düpierten sie vor allem August Oetker, denn der leitete die Verhandlungen. Richard Oetker, der angebliche Primus, trat kein einziges Mal in Erscheinung.
Das fruchtlose Gezänk gefährdet das Unternehmen
Die Alten zeigten ebenfalls wenig Reife. Leichtfertig schlugen sie eine diplomatische Offerte aus. Um das Projekt zu retten, bot der frühere Hamburg-Süd-Chef Horst Schomburg (84) seine Vermittlung an. Der agile Grandseigneur, im Haus allseits anerkannt, wollte sich mit den jungen Oetkers zum Abendessen treffen. Da aber schritten die Alt-Oetkers ein. Streng untersagten sie ihm, mit den Quertreibern zu reden.
Keiner der Kombattanten scheint sich zu fragen, ob Oetker sich das fruchtlose Gezänk überhaupt leisten kann.
Anstatt sich von Emotionen treiben zu lassen, hätten sie Grund, intensiv über die Zukunft ihres Unternehmens nachzudenken. Eine schonungslose Analyse ist überfällig: Soll sich die Familie wirklich ganz aus der operativen Führung zurückziehen, wie es den Alten vorschwebt? Soll es bei der altmodischen Konstruktion der Firma als Kommanditgesellschaft bleiben? Vor allem aber: Wie soll es weitergehen mit dem eigentümlichen Mischmasch von Geschäften? Über allen Sparten (siehe Grafik "Schwere Schiffe") stehen große Fragezeichen.
Hamburg Süd braucht dringend einen Partner
Ganz vornweg die Containerreederei, die rund die Hälfte des Gruppenumsatzes einfährt. Gewiss, Hamburg Süd kam in der Vergangenheit besser durch als andere, weil die Linie sich auf die Nische Südamerika konzentriert hat. Diese Lücke haben jetzt aber auch die ganz Großen der Branche entdeckt und stoßen mit Wucht hinein. Allein auf sich gestellt könnte Hamburg Süd bald im Wellental versinken.
Die Nahrungsmittelsparte - Backzutaten, Pudding, Müsli, Tiefkühlpizza - wirkt solide. Doch im Vergleich mit Champions wie Nestlé ist sie zu klein, zu speziell, zu einseitig auf den europäischen Markt zugeschnitten.
Beim Bier (Radeberger, Jever) ist Oetker deutscher Marktführer, auch bei Sekt, Spirituosen und sonstigen Getränken (Henkell Trocken, Wodka Gorbatschow, Bionade) prominent unterwegs - und liegt trotzdem weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Das Ziel, den deutschen Biermarkt zu konsolidieren, hat Oetker klar verfehlt. Ein Fünftel des Marktes wollte das Unternehmen bis 2010 erobern. Heute liegt der Anteil bei 15 Prozent - und damit auf dem Stand von 2006.
Die hauseigene Lampe-Bank schließlich und eine Handvoll Luxushotels ("Brenners", "Eden Roc") bringen Prestige ein, nähren aber keinen Topkonzern. Statt großer Würfe - sprich gewichtige Übernahmen, Fusionen und radikale Einschnitte ins Portfolio - herrscht Klein-Klein. Mit neuerdings rüden Methoden.
Rabiater Rauswurf
Noch immer sind viele im Haus geschockt, mit welcher Kälte im vergangenen Oktober der langjährige Manager Erlfried Baatz (58) geschasst wurde. Nach nur vier Monaten an der Spitze der Biersparte wurde er von jetzt auf gleich vor die Tür gesetzt, ohne dass ihm ein Vergehen vorzuwerfen wäre. Zuvor hatte Baatz den Oetkers 28 Jahre erfolgreich gedient. Seine Absetzung bedeutet einen Kulturbruch. Hire and Fire war in Bielefeld früher fremd wie Dattelpalmen.
Insider sehen den Rauswurf als erstes Anzeichen, dass die Ruppigkeit, mit der die Familie zankt, aufs Unternehmen übergreift.
Vor allem einer wirkt angesteckt: Albert Christmann (50), seit Jahresbeginn der neue Finanzchef im Hauptquartier. Vermutlich ist Baatz über einen Konflikt mit Christmann gestürzt. In der offiziellen Mitteilung zur Demission ist von "unterschiedlichen Auffassungen über die strategische Ausrichtung" die Rede. Der Bier-Manager wollte dem Vernehmen nach den regionalen Einheiten mehr Freiheiten lassen, um so unternehmerische Kräfte zu entfesseln. Christmann hingegen gilt als Verfechter straffer Führung und voller Kontrolle von ganz oben.
Dabei ist er als Hüter der Finanzen ohnehin eine der mächtigsten Personen im Oetker-Reich. Sein Vorgänger, der legendäre Ernst F. Schröder (65), genoss den Ruf einer grauen Eminenz.
Christmann scheint noch weiter nach oben zu schielen. Hat nicht August Oetker einmal angedeutet, der nächste Chef der Gruppenleitung könne ein Familienfremder sein, sofern er sich bestens im Haus auskennt? Klingt wie eine Stellenbeschreibung für den amtierenden Kassenwart.
Peinliche Ermittlungen
Fraglich ist nur, ob er die richtige Persönlichkeit für das höchste Amt mitbringt. Albert Christmann ist als ehemaliger Chef der Oetker-Brauereien - vor Baatz leitete er die Division - in den großen Kartellskandal um Preisabsprachen der deutschen Brauer verwickelt. Der Ermittlungsbericht des Bundeskartellamts wirft kein gutes Licht auf ihn.
Christmann soll den Kartelljägern demnach nicht immer die volle Wahrheit gesagt haben. Unter anderem halten sie ihm eine "offensichtliche Schutzbehauptung" vor: Christmann hatte den Ermittlern treuherzig erklärt, mit anderen Brauereichefs lediglich "über die allgemeine Marktentwicklung und Kostensteigerungen" gesprochen zu haben. Einzelne Angaben seien "nicht glaubhaft", resümieren die Ermittler - ein harsches Urteil in diplomatischer Verpackung.
Ob Alfred Oetker das schlechte Zeugnis seines heimlichen Konkurrenten weiterhilft? Wohl kaum. Der Familienstreit geht weiter, auch deshalb, weil er bereits auf die nächste Generation übergegriffen hat.
Zahlreiche Erben haben ihre eigenen Kinder schon unterbeteiligt - und sie in den Kampf hineingezogen. Jedenfalls hat Alfred Oetker auch in der Enkelgeneration einen schweren Stand. Viele halten ihn für arrogant, zudem gibt es Zweifel an der Befähigung des promovierten Betriebswirts. Seine Auftritte - etwa bei Veranstaltungen des Industrie- und Handelsclubs Ostwestfalen-Lippe - wirken ungelenk. Außerdem hält man im Zweifel immer zur näheren Verwandtschaft.
Was, wenn es keine Einigung gibt?
Was aber, wenn es schlicht keine Einigung gibt? Schon kreisen im Haus Gedanken über eine Ultima Ratio. "Wenn es anders nicht geht", raunt ein altes Mitglied des inneren Zirkels, "dann muss man die Jungen eben auszahlen." Oder die Gruppe aufteilen - so wie einst beim Keks-und-Chipshersteller Bahlsen.
Bruchlinien sind vorgezeichnet. Das Herz der Älteren hängt vor allem an der Schifffahrt und am Getränkegeschäft. Die Jungen hegen ein Faible für die Nahrungsmittelsparte und die Bank.
Eine Aufspaltung wäre kompliziert und würde aus Steuergründen wohl viele Werte vernichten. Ein teurer, womöglich allzu teurer Friede. Überdies wären die Alten wohl niemals bereit, den Firmennamen Oetker aufzugeben und ihn den Jungen zu überlassen.
August Oetker weiß aus eigenem Erleben, wie schwierig der Generationswechsel in einer Dynastie ist. Lange behandelte ihn der Vater wie einen kleinen Jungen, ließ ihn nicht wirklich zur Macht vor. "Das Grundproblem bei einer Nachfolge ist: Der eine will bewahren", räsonierte August unlängst, "der andere will weiterbauen." Streiten die Brüder August und Alfred weiter wie bisher, wird das Oetker-Reich weder bewahrt noch weitergebaut - sondern demontiert.