
Abfindungen Die Millionen-Jäger
Die Queen hatte es leider nicht persönlich ins Schwabenland geschafft, doch von diesem kleinen Detail abgesehen, ließ der Empfang zu ihrem 85. Geburtstag kaum Wünsche offen. Mehr als 200 sommergelaunte Gäste in der Stuttgarter Celesio-Zentrale (darunter der baden-württembergische Finanzminister Nils Schmid), schmachtende Streicher und stets gut gefüllte Champagnergläser prägten Mitte Juni 2011 einen "heiteren und stilvollen" Abend, wie sich die Pressestelle selbst beglückwünschte.
Als aufgeräumter Gastgeber führte Fritz Oesterle durch die Sause, britischer Honorarkonsul und zwölf Jahre lang Celesio-Chef, bis ihm im März zuvor der Aufsichtsrat den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte. Dennoch präsentierte er ein von Missmutsflecken ungetrübtes Gesicht. Seht her, sagte sein Lächeln, hier steht ein Mann, der sich im Lichte historischer Ereignisse von persönlichen Rückschlägen nicht die Stimmung verhageln lässt.
Das Wahren britischer Gelassenheit dürfte Oesterle angesichts der Umstände seines Abgangs nicht allzu schwer gefallen sein: Die Aktionäre überschütteten ihn mit Lob und beschimpften Aufsichtsratschef Jürgen Kluge. Was das Finanzielle anging, wurde sich das zerstrittene Duo dennoch einig: Oesterles Vertrag war erst 2008 von Kluges Vorgänger Eckhard Cordes um fünf Jahre verlängert worden, ein haushohes Einfallstor für gewitzte Arbeitsrechtler.
Statt der oft genannten 9,1 Millionen wurden Oesterle wohl rund 11 Millionen Euro zugesichert und größtenteils bereits ausgezahlt - die Summe der ausstehenden zweieinhalb Dienstjahre, plus Ruhegeld und variable Vergütung.
Dazu eine üppige Apanage für seinen Aufwand als britischer Honorarkonsul: Als Celesio-Chef hatte Oesterle die Konsulatsarbeit in den Räumen des Pharmahändlers ausgeübt. Nun mussten neue repräsentative Örtlichkeiten gefunden und unterhalten werden. Ein eher exotisches Anliegen für eine Abfindungsverhandlung, doch angesichts Oesterles Verhandlungsposition offenbar durchsetzbar.
"Mit der Abfindung so richtig ins Geld kommen"
Für den Pharmalenker, der sich gern als kantiger Klartexter inszenierte und damit in der verworrenen Welt der Celesio-Eignerfamilie Haniel aneckte, wurde so inmitten des Albtraums Rausschmiss ein anderer Traum wahr. "Im Grunde wünschen sich viele Manager, einmal mit einer Abfindung so richtig ins Geld zu kommen", sagt der Düsseldorfer Arbeitsrechtler Stefan Röhrborn.
Goldener Handschlag, goldener Fallschirm - schon die Begriffe erinnern an ein sagenhaftes Eldorado, in dem geschasste Führungskräfte sanft auf goldenem Boden landen.
Immer wieder treten Mandanten mit diesem speziellen Anliegen an Röhrborn heran: "Wie komme ich mit einer möglichst hohen Summe aus meinem Vertrag raus?" Motto: Warum arbeiten im streng bürgerlichen Sinn des Wortes, wenn doch das Auszahlen von Verträgen viel angenehmer ist?
Vorzeitige Vertragsverlängerungen, Change-of-Control-Klauseln oder ganz schlicht ein schleichendes, ganz dezent geschürtes Zerwürfnis mit dem Aufsichtsratschef sind nach wie vor Klassiker, um den einen oder anderen Euro fürs süße Nichtstun herauszuschlagen. Reich werden mit Abfindungen?
Ein guter Wein mit dem AR-Chef - und eine Zahl auf der Serviette
Ja, das geht immer noch, doch die Bedingungen haben sich verschärft. Denn die Vertragslaufzeiten werden kürzer, und die Aufsichtsräte, umgetrieben von Compliance-Sorgen, werden knauseriger. "Ein guter Wein mit dem Aufsichtsratschef, eine Zahl auf die Serviette kritzeln, und den Rest erledigen am nächsten Tag dann die Anwälte - das funktioniert nicht mehr", sagt Stefan Lunk von Latham & Watkins.
Der Fall Oesterle markiert dabei einen Einschnitt. "Ich persönlich bin ein großer Anhänger von Drei-Jahres-Verträgen", sagt Eckhard Cordes, der den Kontrakt mit Oesterle 2008 um fünf Jahre verlängerte. "Aber damals war das noch nicht üblich."
Inzwischen schon. "Fünfjährer sind bei Erstbestellungen mittlerweile Ausnahmen, etwa bei besonders begehrten externen Kandidaten", sagt Governance-Experte und DWS-Aufsichtsrat Christian Strenger.
Abfindungsorgien bei Haniel und Metro
Nicht zuletzt wegen der langen Laufzeiten feierten Haniel und Metro , gefangen in ebenso umfang- wie friktionsreichen Umbauarbeiten, in den Jahren vor und nach 2010 wahre Abfindungsorgien. Metro-Primus Hans-Joachim Körber verließ das Schiff bereits 2007 mit 19 Millionen Euro, Haniel-Konzernchef Eckhard Cordes nahm rund 5 Millionen mit, Metro-Multifunktionsvorstand Zygmunt Mierdorf (Abgang im Frühjahr 2010) durfte sich über gut 13 Millionen Euro freuen.
Inklusive Zahlungen an die mittlere Führungsebene, schätzen Beobachter, gingen rund 200 Millionen Euro per goldenem Handschlag über den Tisch.
Wäre das nicht billiger gegangen? Die Corporate-Governance-Kommission, aufgeschreckt durch eine enervierte Öffentlichkeit, hatte die Frage schon im Sommer 2007 mit einem entschiedenen "Vielleicht" beantwortet. Damals empfahl ihr Kodex eine Deckelung der Abfindung bei zwei Jahresgehältern. Als es 2011 bei Oesterle mehr wurde, intervenierte Governance-Wächter Strenger.
Die Gottväter des Abfindungssurfens
Doch Celesio zeigte sich versiert in der hohen Kunst feinsinniger Unterscheidung: Zum Zeitpunkt von Oesterles Vertragsverlängerung sei der "Abfindungs-Cap" ja lediglich eine Anregung gewesen. Nur wenige Monate später hat die Governance-Kommission in ihrem Kodex diese Exit-Klausel als Soll-Empfehlung härter formuliert. "Alle Dax-Konzerne und auch Celesio halten sich inzwischen daran", sagt Strenger. Meistens jedenfalls.
Die Angst vor Abzocker-Schlagzeilen à la "Nichts leisten, aber abkassieren" sitzt tief. Verursachen schon die Gehälter als solche öffentliches Kopfschütteln, ist der "golden handshake" sicherer Empörungsgarant und mitschuldig am schlechten Image der Managerkaste.
Angesichts des öffentlichen Streits schaut die Managergemeinde mit Bewunderung und Unverständnis auf die Gottväter des Abfindungssurfens, die einst mühelos über die Wellen aus Euro-Millionen glitten. Auf Udo Stark, den Altmeister im Abkassieren, der sich mit jeweils 6,4 Millionen Euro aus der Beteiligungsholding Agiv und aus MG Technologies verabschiedete. Und bei MTU Aero Engines (Branchenspott: "Money to Udo") zum Ausstieg noch mal 39 Millionen Euro Extraverdienst mitnahm.
Udo Stark, Utz Claassen, Léo Apotheker: Altmeister im Abkassieren
Oder auf Utz "Hansdampf" Claassen, der mit deutlich unter 50 Jahren von EnBW ein jährliches Ruhegeld von 400.000 Euro verlangte und später generös einen Vergleich über eine Einmalzahlung von 2,5 Millionen Euro abnickte. Nur um wenig später bei Solar Millennium anzuheuern, wo er nach zweimonatigem Gastspiel sein Meisterstück in der Disziplin olympisches Abgreifen ablegte: Nach rüden Klagen und giftigen Vorwürfen stimmte die Pleitefirma auch hier einem Vergleich zu; Claassen durfte seine Antrittsprämie über 9,2 Millionen Euro behalten - für ganze 74 Tage Arbeit.
Derlei Paradestückchen gelingen heute nur noch wenigen - meist unbeabsichtigt. Wie dem glücklosen Léo Apotheker, der erst bei SAP und dann bei Hewlett-Packard als CEO enttäuschte. Immerhin linderten zwei Trostpflaster den Schmerz: fast 5 Millionen Euro Abfindung zahlte SAP , wenig später kamen 9,7 Millionen von HP dazu, für ein knappes Jahr Arbeit.
Für die ganz große Mehrheit der Top-Führungskräfte ist der Weg aufs goldene Ruhekissen steiniger geworden. "Die Vertragsauszahlung steht, wenn überhaupt, meist am Ende einer längeren taktisch geführten Auseinandersetzung", sagt Jobst-Hubertus Bauer von der Kanzlei Gleiss Lutz. Ist die Trennung beschlossen, kann das Unternehmen den Manager auch fristlos kündigen - und abwarten, bis ihm das Geld ausgeht und er bei einem Vergleich etwas nachgiebiger ist.
Dann geht es darum, wer zuerst zuckt.
Verträge von Topleuten verlängern - und sie dann vor die Tür setzen
Oder wer die schärferen Waffen auffährt: Der Vorstand eines Mittelständlers sollte nach zwei Jahren gehen und verlangte die restlichen drei Jahresgehälter seines Vertrags als Abfindung, rund 1,5 Millionen Euro. Das Unternehmen wählte den Evergreen, wühlte sich durch die Spesenrechnungen - und wurde fündig. Für eine dienstliche Tagung hatte der Mann ein Doppelzimmer (wo er in Damenbegleitung nächtigte) als Einzelzimmer verbuchen lassen. Ein Preisunterschied von 60 Euro - der ihn die gesamten anderthalb Millionen kostete.
Hartleibig zeigt sich auch der kriselnde Küchenhersteller Alno. Sein Ziel: Ex-Chef Jörg Deisel auf niedriger Flamme kleinkochen. Dem ruppig auftretenden Manager war im April 2011 fristlos gekündigt worden - nachdem der Aufsichtsrat seinen bis September laufenden Kontrakt um fünf Jahre verlängert hatte. Deisel forderte die Weiterführung des Vertrags (Wert: 6,5 Millionen Euro), doch Alno argumentierte, die Verlängerung sei nicht rechtens gewesen.
Ein Landgericht gab den Küchenbauern recht; das Oberlandesgericht Düsseldorf, gestützt durch eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs, schlug sich im Dezember 2012 auf Deisels Seite. Mehrere Schlichtungsgespräche scheiterten; Alno will die fristlose Kündigung verteidigen, um die Zahlung zu vermeiden. Verliert Deisel den Prozess am Landgericht, muss er Gehälter, die er seit der Kündigung gerichtlich erstritten hat, zurückzahlen - bis jetzt 1,65 Millionen Euro. Siegt er, wird es für Alno teuer.
Früh verlängerte Verträge sind ein beliebter Pfad zur Abfindung
Dass es im Küchenreich derart heiß zugeht, mag an Alnos angespannter Finanzlage und dem gewöhnungsbedürftigen Charakter von Vorstandschef Max Müller liegen. Denn prinzipiell sind früh verlängerte Verträge nach wie vor ein beliebter Pfad zur Abfindung.
Spötter meinen, sie seien bisweilen sogar ein Indikator für drohenden Rausschmiss: Ob man sich noch nicht sicher ist oder dem zu Feuernden aus Standessolidarität vorsorglich ein weiches Ruhekissen bereiten möchte - "erstaunlich häufig werden Verträge von Topleuten verlängert, kurz bevor man sie vor die Tür setzt", beobachtet der Headhunter Heiner Thorborg.
Legendär wurde in dieser Disziplin der einstige Volkswagen-Lenker Bernd Pischetsrieder: Er musste zum Jahreswechsel 2006/07 gehen, nachdem sein Vertrag im Mai zuvor um fünf Jahre verlängert worden war. Die Abfindung in zweistelliger Millionenhöhe wurde getarnt, indem der Manager - mehr oder minder - als Berater für VW arbeitete.
Kostenfalle Change of Control: Jentzsch und Licci räumten Millionen ab
Ähnlich beliebt ist unter Abfindungsmeistern die Change-of-Control-Klausel. Jedes zweite Dax-Unternehmen hat Regelungen vereinbart, die es Vorständen erlauben, bei Übernahme oder Verkauf zu gehen - unter Mitnahme der Bezüge des laufenden Vertrags.
Das kann sich lohnen: Stefan Jentzsch, Ex-Chef der Dresdner Kleinwort, ließ sich nach Übernahme durch die Commerzbank seinen Kontrakt ausbezahlen - mutmaßlich rund 8 Millionen Euro. Der passionierte Ferrari-Sammler wusste, wie es geht: Zuvor hatte er schon seinen Vorstandsposten bei der HypoVereinsbank (HVB) geräumt, nachdem diese von der Unicredit geschluckt worden war.
Herbert Lütkestratkötter im Geldregen
Jentzsch und seine Kollegen Michael Mendel, Michael Kemmer und Christine Licci beriefen sich auf Change of Control; die HVB stellte notgedrungen 25 Millionen Euro für Abfindungen zurück.
Noch teurer wurde es für Hochtief: Der Exodus des Ex-Chefs Herbert Lütkestratkötter, diverser Vorstände und weiterer Führungskräfte nach der Übernahme durch die spanische ACS belastete das Hochtief-Ergebnis mit satten 35 Millionen Euro.
Nach dieser Erfahrung schaffte der Essener Konzern die Klausel ab.
Jobwechseltrick und Control-Klauseln: Die Kreativität kennt keine Grenzen
Andernorts ist die Klausel lebendiger denn je: Blackberry-Chef Thorsten Heins, vor rund zwei Jahren zur Unternehmensrettung angetreten, ist gescheitert und muss gehen. Kein Problem für Heins: Für den Fall, dass Blackberry seine Unabhängigkeit verliert, sichert ihm sein Vertrag eine Abfindung über 55,6 Millionen Dollar zu.
Vertragsverlängerung kurz vor der Trennung und Change-of-Control-Klausel sind Klassiker, doch mit etwas Fantasie finden sich auch andere Wege. Gerade weil die rechtlichen Hürden gewachsen sind, schwingt sich die Kreativität zu neuen Höhenflügen auf.
Etwa der Jobwechseltrick: Clemens Börsig, Finanzchef der Deutschen Bank, ging in den Aufsichtsrat und nahm für diese schwere Bürde 18 Millionen Euro Abfindung mit.
Elop und Eick - viel Geld für ein kurzes Wirken
Oder jüngst Stephen Elop: Der Kanadier wechselte von Microsoft zu Nokia, führte den Aktienkurs drei Jahre lang in den Keller, verkaufte die Nokia-Handy-Sparte an Microsoft - und geht gleich mit zurück. Begleitet von wohl rund 19 Millionen Euro "Ablösesumme".
Ex-Arcandor-CEO Karl-Gerhard Eick ließ sich ein Salär von 15 Millionen Euro für fünf Jahre garantieren - und ging nach sechs Monaten Himmelfahrtskommando. Der Clou: Weil das Geld vom damaligen Arcandor-Großaktionär Sal. Oppenheim kommen sollte, liefen Governance-Vorschriften ins Leere.
Bleibt, im Wortsinn, die Eine-Million-Euro-Frage: Wie lässt man sich feuern, ohne die eigene Verhandlungsposition zu schwächen? Denn wer sich wirklich etwas zuschulden kommen lässt, Arbeit verweigert oder Aufsichtsräte ohrfeigt, wird fristlos gekündigt. Kräftiger Fußtritt statt goldener Handschlag.
Abfindungsjäger werden oft zur Nervensäge für den Aufsichtsrat
Wie Schicksal muss es deshalb aussehen, eine Verkettung unglücklicher Umstände, an deren Ende die Formel vom gegenseitigen Einvernehmen und eine möglichst hohe Zahl stehen. Beliebt sind dabei, Ärger mit Vorstandskollegen anzuzetteln oder der Verweis, bestimmte Praktiken (Bilanzkosmetik, Entlassungen) leider und beim besten Willen nicht mehr mittragen zu können.
Im Kern geht es darum, dem Aufsichtsrat lästig zu werden: Wer sich von seiner Frau trennen will, weiß auch ganz genau, wo er piksen muss, damit sie den ersten Schritt macht.
Kurz: Manager müssen entscheiden, ob sie einen Konflikt bewusst eskalieren. Nicht wenige antworten mit Ja und werden zu Jägern der Abfindung. Zum Ärger derer, die einfach ihre Arbeit machen.
Markus Schürholz: Aufgabe meistern statt Abfindung abgreifen
Wie Markus Schürholz. 2006 kam er als Finanzvorstand zur angeschlagenen Escada. Es folgten CEO-Wechsel in schneller Taktung, nicht eingehaltene Bonuszusagen, Chaos. Schürholz blieb. Erst nach dem Insolvenzantrag 2009 und der Firmenwiedergeburt ging er, ohne Abfindung, und wurde von Praktiker angesprochen. Wieder als Finanzvorstand machte er sich bei der Baumarktkette an die Restrukturierung, erlebte vier CEOs in 13 Monaten und verließ das Unternehmen trotzdem erst, als sein Vertrag fast ausgelaufen war.
Anlässe, mit einer üppigen Abfindung zu gehen, gab es bei beiden Positionen mehrfach, viele rieten ihm dazu. Schürholz aber wollte den Job erledigen, für den er eingestellt und bezahlt wurde.
Eine Führungskraft, ihre Aufgabe und ein Gehalt, das sie dafür erhält. So simpel kann es sein.