
China: Korrupte Bosse
Chinas Kampf gegen Korruption Treibjagd auf die Bosse - nur ein Clan bleibt außen vor
Noch am Flughafen in Shanghai wurde Chinas Vorzeigeunternehmer Guo Guangchang von Polizisten in Empfang und mitgenommen. Vier Tage im Dezember blieb der selbst ernannte Warren Buffett Chinas, dessen Mischkonzern Fosun auch in Deutschland aktiv ist (Tom Tailor , Hauck & Aufhäuser), verschwunden.
Erst nach einem sehr langen Wochenende tauchte er wieder in seinem Unternehmen auf und hielt dort eine Rede, als sei nichts geschehen. Kein Wort über sein mysteriöses Verschwinden, kein Wort darüber, wo man ihn verwahrt hatte.
Wenig später dasselbe Versteckspielchen, diesmal mit Zhou Chengjian, dem Gründer der Textilkette Metersbonwe, mit rund 5000 Läden die größte des Landes. Auch er verschwand Anfang des Jahres für eine Woche - ohne jede Angabe von Gründen. Und auch er schwieg danach. So bleibt weiterhin unklar, ob und welche Vorwürfe gegen ihn und Guo erhoben werden.
Zwei erfolgreiche Privatunternehmer, zwei Milliardäre, die mal kurz auf mysteriöse Weise aus dem Verkehr gezogen werden, das ließ die Wirtschaftswelt aufhorchen. In vielen Unternehmen, chinesischen wie ausländischen, herrscht seither Unruhe und Unsicherheit. Die begründete Angst: Wenn es Guo trifft, kann es jeden treffen.
Wen greifen sich die Antikorruptionsbekämpfer als Nächsten? Sind nach den Beamten und den Bossen der Staatskonzerne nun die CEOs der Privatwirtschaft dran? Erwischt es nach den Empfängern jetzt auch die Absender der Bestechungsgelder? Und was ist mit den Ausländern? "Hier herrscht ein Klima der Angst", sagt ein deutscher Manager aus Shanghai.
Dabei fing alles so gut an, als Xi Jinping Ende 2012 zum starken Mann Chinas wurde. In einer groß angelegten Kampagne sagte der neue Partei- und Staatschef nach seinem Amtsantritt der Korruption den Kampf an.
Beamten verbot er exzessive Bankette, den Besuch privater (Sex-)Klubs und Golfplätze. Wichtigstes Ziel: Die Kultur der "hong bao", der roten, mit Geldscheinen gefüllten Umschläge, auszurotten. Fliegen und Tiger wolle er fangen, verkündete Xi.
Chinas meistgefürchteter Mann - und extrem auskunftsfreudige Mätressen
Als obersten Kammer- und Treibjäger setzte er seinen Getreuen Wang Qishan ein. Der ist inzwischen "Chinas gefürchtetster Mann", so das "Wall Street Journal". Daheim nennen sie ihn "Feuerwehrkommandant". Immer wenn es brennt, rückt er an - nach dem Ausbruch der Asien-Krise 1997, als oberster Seuchendoktor gegen den SARS-Virus, als Chefplaner der Olympischen Spiele 2008.
Der 67-jährige Wang leitet die Central Commission for Discipline Inspection (CCDI), eine der geheimnisvollsten Organisationen Chinas. Ihr sollen Tausende Mitarbeiter unterstehen, verteilt auf mehr als 250 Büros im ganzen Land. Die meisten Provinzen haben sieben, acht Büros, aus denen die Ermittler ausschwärmen. Oft setzen sie sich wochenlang in den Behörden und Staatsunternehmen fest, durchforsten Akten und Laptops, verhören Kollegen, Freunde, Feinde.
Es sind immer häufiger Whistleblower, die Hinweise auf Bestechung liefern. In den vergangenen Jahren hat sich ein ausgeprägtes Denunziantentum entwickelt. Die CCDI richtete eine Funktion auf We Chat ein, wo die Kader sich gegenseitig bloßstellen und anschwärzen. Das Netz quillt über von Handyfotos, auf denen saufende und hurende Beamte oder Manager zu sehen sind.
Viele korrupte Bürokraten leisten sich Zweit- oder Drittfrauen
Als besonders auskunftsfreudig erweisen sich Mätressen. Ein weitverbreitetes Phänomen in der chinesischen Tradition der Konkubinenkultur. 80 bis 90 Prozent der korrupten Bürokraten leisten sich Zweit- oder Drittfrauen. Eine von denen ist Ji Yingnan. Genüsslich darf sie in der Presse ihre Affäre ausbreiten: Vier Jahre lang war sie mit einem hohen Beamten zusammen. Anfangs steckte er ihr bei jedem Treffen 1000 Dollar zu. Gemeinsam shoppten sie bei Prada und schlemmten in Luxuslokalen. Nachdem er sie sitzenließ, stellte sie Hunderte Fotos ins Netz - als Beweismittel.
Nur ein Fall von Hunderttausenden. Seit Xi Jinping zur Jagd geblasen hat, kann sich keiner mehr sicher sein. Allein 2015 wurden 282000 Offizielle bestraft, davon 200.000 Fliegen, also niedere Beamte, sowie 80.000 Tiger, das sind die Chefbürokraten und Bosse der Staatskonzerne.
Unfassbar, was selbst bei kleinen Kadern gefunden wurde. Bei Wei Pengyuan (Nationale Energiebehörde) mussten die Ermittler mit 16 Zählmaschinen einer Bank anrücken, um die 100 Millionen Yuan in seiner Wohnung zu erfassen.
Bei Ma Chaoqun, dem Chef der städtischen Wasserbehörde im Badeort Beidaihe, stellten die Ermittler 37 Kilo Gold sicher, 40 Kisten voller Geldscheine und Kaufverträge von 68 Wohnungen, darunter 7 in Peking.
Trotzdem sind das nur Fliegen. Bei den Tigern sind noch ganz andere Summen im Spiel.
Jagd auf die korrupten "Tiger": Telekom- und Ölbranche im Fokus
Im Fokus standen bisher vor allem zwei Branchen: Die Telekom- und die Ölindustrie, beide werden von drei staatlichen Oligopolisten beherrscht.
Zuerst griff sich die CCDI die Petroleummafia und deren mutmaßlichen Paten Zhou Yongkang. Der 73-Jährige war Mitglied im Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem höchsten Parteigremium, und einst Chairman des Energiekonzerns CNPC. Ermittelt wird auch gegen Su Shulin, in gleicher Funktion bei Sinopec, bevor er Gouverneur der Provinz Fujian wurde. Jiang Jiemin, ebenfalls ehemaliger Chef von CNPC, musste für 16 Jahre hinter Gitter.
Mit gleicher Rigorosität gehen Wangs Jäger gegen die Telekomriesen vor. China-Telecom-Chairman Chang Xiaobing, lange bei Unicom, sitzt seit Ende 2015 in Haft. Er soll von Zulieferern mit Geld und Frauen belohnt worden sein. "Eine parasitäre Familie", lästert ein Fahnder über die drei Großen der Branche.
Nach dem Börsencrash knöpft sich die CCDI jetzt die Finanzindustrie vor, Zhang Yun, Chef der drittgrößten Bank ABC, wurde bereits weggeschlossen. Xu Xiang, "Hedgefondsbruder Nummer eins", wurde filmreif auf dem Weg zur Geburtstagsfeier seiner Oma gestellt, sogar eine Autobahn wurde dafür gesperrt.
Hohe Strafen drohen - wer rechtzeitig gewarnt wird, flieht ins Ausland
Den Tigern droht eine hohe Gefängnis- oder gar die Todesstrafe. Manche entziehen sich dem Verdikt durch Suizid. Stürze aus Gebäuden sind keine Seltenheit, obwohl die Verhöre eigentlich im Erdgeschoss oder höchstens auf der ersten Etage stattfinden dürfen. Und auch die weich gepolsterten Zellen verhindern offenbar keine Selbstmorde.
Wer rechtzeitig gewarnt wird, flieht ins Ausland. Die beliebtesten Fluchtländer sind Australien, Kanada und die USA. Viele vermeintlich Verdächtige haben Frau und Kinder (und jede Menge Geld) bereits vorausgeschickt, sie heißen "nackte Offizielle" und sind stets ausreisebereit. Auch viele Privatunternehmer haben Teile ihres Geldes längst ins Ausland transferiert, illegal über Schleichwege via Macao oder Hongkong oder legal, indem sie im Ausland zugekauft haben.
Das wissen natürlich auch die Häscher. Die Operation "Fox Hunt" soll korrupte Flüchtlinge heim ins Riesenreich holen - mithilfe der Gastländer, notfalls aber auch ohne sie.
Antikorruptionskampagne schadet Luxusherstellern - und versetzt die Bürokraten in Schockstarre
So nötig die Antikorruptionskampagne sein mag, die Brutalität, mit der sie durchgezogen wird, hinterlässt massive Kollateralschäden. Den Luxusherstellern brechen die Umsätze weg, Staatskonzerne bestellen keine Privatjets mehr. Jade, Pu-Erh-Tee sowie tibetanische Mastiffs, das ultimative Statussymbol, sind nichts mehr wert, wegen der mangelnden Nachfrage. Spitzenrestaurants müssen schließen, Tophotels Sterne abgeben.
Noch gravierender sind die immateriellen Auswirkungen der Kampagne. Denn sie hinterlässt eine zunehmend frustrierte und gelähmte Bürokratie. Kristin Shi-Kupfer vom Mercator Institute for China Studies in Berlin sagt: "Xi droht damit, den Apparat zu zerstören, den er für die Umsetzung der Reformen dringend braucht." In der Tat: Von den vielen angekündigten Reformen hat Xi bislang nur wenige umgesetzt.
Viele Beamte treffen keine Entscheidungen mehr, aus Angst, etwas falsch zu machen. Keiner weiß, ob sein Gegenüber sauber ist, also tut er lieber nichts. "Viele Großprojekte werden nicht mehr durchgeführt", klagt Jörg Wuttke, Chef der Europäischen Handelskammer in Peking.
Was treibt Staatschef Xi Jinping zu solcher Härte?
Der Attentismus bei den Investitionen schwächt die ohnehin kriselnde chinesische Wirtschaft zusätzlich. Laut Berechnungen der französischen Großbank BNP Paribas kostet die Treibjagd die Volksrepublik 1 bis 1,5 Prozent Wachstum.
Warum nimmt Xi Jinping das in Kauf? Was treibt den Staatschef zu solcher Härte? Xi, dem ein nahezu absolutistischer Machtanspruch nachgesagt wird, glaubt, dass er die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei und den oligopolistischen Staatskapitalismus nur bewahren kann, wenn er die Korruption ausmerzt. Die nämlich gefährdet die Akzeptanz der KP in der Bevölkerung und führt dazu, dass viele Anordnungen aus Peking von den Provinzfürsten gar nicht mehr umgesetzt werden.
Hinzu kommt, dass der Staatschef mit den zur Willkür neigenden Disziplinarkommissaren die Feinde in der eigenen Partei mundtot machen will, um seine Autorität zu zementieren.
Xis Machtbasis ist die Shaanxi-Gang, benannt nach der nordwestlichen Provinz, aus der er stammt. Die Verbundenheit der Führer mit ihrer Heimat hat Tradition in der Volksrepublik. Jeder Parteichef umgab sich mit Vertrauten aus seiner Provinz: Mao mit Hunan-, Deng mit Sichuan-, Jiang und Hu mit Shanghai-Genossen.
Die Jagd ist in vollem Gang - doch allein eine Sippe bleibt außen vor
Keiner scharte so konsequent Gefolgsleute um sich wie Xi. Die Shaanxi-Gang besetze inzwischen viele der Toppositionen in Militär und KP, sagt Parteiexperte Cheng Li vom US-Thinktank Brookings. Auch Chefdisziplinator Wang gehört dazu, ihn kennt Xi schon seit über 40 Jahren. Zuletzt gingen die Häscher auffallend häufig gegen die nach wie vor einflussreiche Shanghai-Clique um Ex-Parteichef Jiang Zemin vor, der auch Fosun-Tycoon Guo zugeordnet wird.
Diese Hetzjagd auf unliebsame Gegner läuft zumeist jenseits von Recht und Gesetz ab. Zunächst ermittelt die Partei - ohne die Justiz. "Die Verfahren sind total intransparent", kritisiert eine deutsche China-Anwältin. Verdächtige verschwinden oft für mehrere Monate, dann landen sie vor Gerichten, die allzu häufig ein politisches Urteil fällen.
Unangetastet bleibt allein die Sippe von Xi Jinping. Dabei hat es auch die zu beachtlichem Wohlstand gebracht. Zwar bezieht der Staatschef nur 1600 Euro monatliches Grundgehalt, trotzdem kann er es sich leisten, seine Tochter - stets begleitet von Leibwächtern - unter Pseudonym in Harvard studieren zu lassen.
Xis Clan, so ergab eine penible Recherche von Bloomberg, besitzt ein Vermögen von mehr als 376 Millionen Dollar, darunter teure Immobilien in den besten Lagen von Peking und Hongkong. Den Recherchen eines Journalistennetzwerkes zufolge haben auch Verwandte Xi Jinping Briefkastenfirmen in Mittelamerika genutzt - China wies die Anschuldigungen zurück.
Ein Großteil des Vermögens gehört der Familie von Xis älterer Schwester Qi Qiaoqiao. Diese Gütertrennung hat System: Dadurch kann sich die Nummer eins im Land als Saubermann gerieren, während sich die Verwandtschaft unter seinem Protektorat bereichert. So haben es fast alle seine Vorgänger gehalten.
Ausländische Firmen verschärfen Complianceregeln
Ähnlich tabu wie die Clans der Mächtigen waren bisher die Ausländer. Die Unternehmen aus dem Westen blieben von Nachforschungen verschont. Nur der Fall des Pharmakonzerns Glaxo Smith Kline (GSK) schreckte die Expatriat-Community 2014 kurz auf. Die Briten wurden zu einer Rekordstrafe von knapp 500 Millionen Dollar verurteilt, der China-Statthalter zu mehreren Jahren Knast. GSK hatte Ärzte mit fingierten Rechnungen und Scheinhonoraren für nie gehaltene Vorträge geschmiert.
Aufgerüttelt durch diesen Fall, haben fast alle ausländischen Unternehmen ihre Complianceregeln verschärft. "Die Unternehmen sind extrem sensibilisiert", sagt Thomas Heck, Leiter des deutschen China-Desk bei PwC in Shanghai. Er und andere Wirtschaftsprüfer führen intensive Schulungen durch.
Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es in China jedoch nicht. Dazu tragen auch die Ausländer noch zu viele "Altlasten" mit sich herum, konzediert ein Manager.
Amnestie für die korrupten Kader?
Viele deutsche Konzerne wären froh, wenn die Hatz endlich zu Ende ginge. Denn selbst wenn sie verschont bleiben, betroffen sind sie trotzdem. Mit jedem Chinesen, der weggesperrt wird, geht ein Partner verloren. "Auf Su Shulin war stets Verlass", schwärmt ein ehemaliger Topmanager der BASF rückblickend. "Sein Handschlag zählte." Seit gegen den einst mächtigen Ex-Boss von Sinopec ein Verfahren läuft, fehlt dem deutschen Chemiekonzern der wohl wichtigste Ansprechpartner.
Chinas Unternehmen sind zumeist extrem auf den Mann an der Spitze zugeschnitten. Wird der festgenommen, entsteht erst einmal ein Vakuum. "Da herrscht seit Monaten Stillschweigen", heißt es aus dem BASF-Umfeld. Bis zur neuen Führung ein vertrauensvoller Kontakt aufgebaut ist, kann es dauern.
Die Sittenwächter von der CCDI haben erst Anfang des Jahres verkündet, weder "Intensität" noch "Geschwindigkeit" ihrer Säuberungsaktionen abmildern zu wollen. Laut He Jiahong, ein bekannter Juraprofessor und Krimiautor, sind "in Teilen des Landes und in einigen Industrien fast alle Offiziellen korrupt". Um diesen Sumpf trockenzulegen, benötige das Regime 40 bis 50 Jahre. Er macht deshalb einen radikalen, im Lande freilich umstrittenen Vorschlag: Amnestie für alle korrupten Kader.
So abwegig ist die Idee gar nicht. Hongkong, einst ebenfalls gigantischer Sündenpfuhl, hat diesen radikalen Weg Mitte der 70er Jahre eingeschlagen - mit Erfolg. Heute gilt die Sonderverwaltungszone als ziemlich sauber. Im aktuellen Transparency-International-Ranking liegt sie gleich hinter den USA auf Platz 18.
China dagegen dümpelt seit Jahren um Platz 80 herum - trotz der gefürchteten Disziplinarkommission.
Anmerkung: Dieser Artikel erschien in der März-Ausgabe von manager magazin (Heft 3/2016)