Fotostrecke

Autoindustrie: Deutsche Autobauer im Existenzkampf

Foto: © Elijah Nouvelage / Reuters/ REUTERS

Wie Audi, BMW und Mercedes gegen Elon Musk bestehen wollen Alle gegen Tesla - Deutschlands digitale Car-Guys

Audi, BMW und Mercedes müssen gegen Apple, Google und Tesla bestehen. Die Chefs haben das begriffen, aber viele Manager verkennen noch den Ernst der Lage, wie ein Report aus der April-Ausgabe von manager magazin zeigt.

Rückblick, Dezember 2005: Showtime! Im Red-Bull-Hangar am Salzburger Flughafen schwört der Audi-Vorstand die Führungskräfte auf die neuen Visionen ein: auf die "Route 2015". 1,5 Millionen Autos wollen sie pro Jahr verkaufen, fast doppelt so viele wie 2004. 10 Prozent operative Umsatzrendite sollen es werden. Die knapp 5 Prozent Profit der Vergangenheit erscheinen Audi-Chef Martin Winterkorn und seinem Finanzchef Rupert Stadler viel zu bescheiden. Das Duo will an die Spitze, BMW  und Mercedes überholen.

März 2016. Wieder brütet der Audi-Vorstand über einer Strategie für die nächsten zehn Jahre. Inzwischen führt Stadler den Ingolstädter Autohersteller. Nur die Zukunftsvision ist heute eine ganz andere. Stadler ist jetzt nicht mehr der Angreifer. Er muss verteidigen.

Erster, Zweiter, Dritter, knapp vor oder hinter BMW und Mercedes? Egal. Es geht nun gegen Gegner, die 2005 noch Computer herstellten oder Software programmierten, wenn sie überhaupt schon gegründet waren.

Die Rivalen von morgen heißen Apple  und Google , Tesla  und Uber. Und sie sind gefährlicher als die Kollegen in Stuttgart und München - weil unberechenbarer.

"Out! Of! Business!" - deutsche Autobauer im Überlebenskampf

Wer nicht bald die Stacheln ausfahre, sagt Rupert Stadler, wer nicht schleunigst Geschäftsmodelle entwickle für die Zukunft, der sei: "Out! Of! Business!" Intern sei er noch deutlicher geworden, zitieren staunende Audi-Manager ihren Chef: Es gehe ums Überleben, "auch für Audi".

Moment mal. Kampf ums Überleben? Out of Business? Rast die Autoindustrie nicht gerade durch die beste Phase ihrer Geschichte? Die deutschen Hersteller haben hierzulande trotz Globalisierung Zehntausende neue Arbeitsplätze geschaffen; allein die vier Luxusmarken verdienten im vergangenen Jahr 25 Milliarden Euro.

Und jetzt plötzlich Überlebenskampf und Umbau des kompletten Geschäftsmodells? "Da kommen viele unserer Mitarbeiter nicht mehr mit", gesteht Stadler. "Wir brauchen aber ein Bedrohungsszenario; wir müssen die Gefahr so vermitteln, dass die Menschen wirklich gepackt werden."

BMW: "Nur wenige begreifen, wie ernst es ist"

Fotostrecke

Elektroautos für den Massenmarkt: Tesla-Fighter: So rüstet die Autobranche gegen das Model 3

Foto: Justin Prichard/ AP

"Nur wenige begreifen, wie ernst es ist", stimmt BMW-Chefentwickler Klaus Fröhlich (55) seinem Rivalen zu. "Die neuen Dienste lassen sich nur zum Teil monetarisieren." Fröhlich meint damit die Investitionen in gewaltige Rechnerkapazitäten, in Mobilitäts-Apps und zusätzliche Services. Es gehe darum, "unser Industriegeschäft zu sichern". Rund 80.000 Arbeitsplätze, allein in Deutschland.

Ein Daimler-Topmann, der nicht genannt werden will, fasst die "Krux" so zusammen: "Wir stehen so gut da wie nie. Unsere Absatzzahlen werden weiter deutlich steigen." Deshalb investiere Daimler  auch in neue Werke, "die wir wahrscheinlich bald nicht mehr brauchen werden". Denn die fetten Jahre sind vorbei. Der Einbruch werde kommen, bei Absatz und Gewinn, prophezeit der Manager. "Wir wissen nur nicht, wie schnell und wie steil."

Elon Musk geht steil: "Zwei Millionen Tesla im Jahr 2025"

Das hängt ganz entscheidend davon ab, was die neue Konkurrenz treibt. Wann Apple mit dem iCar kommt, wann Googles Ei fahrerlos als Robo-Taxi durch die Metropolen kurvt und ob Tesla es 2025 tatsächlich schafft, zwei Millionen Elektroautos zu verkaufen, wie Elon Musk (44) großspurig angekündigt hat.

Besonders spannend wird, ob sich Uber-Chef Travis Kalanick (39) an eine Vereinbarung mit Daimler-Chef Dieter Zetsche (62) erinnert. Mehr als 100.000 Exemplare des Flaggschiffs S-Klasse will er Mercedes angeblich langfristig abnehmen - wenn das Modell nach 2020 autonom fährt.

Der Uber-Deal wäre eine Chance. Die Herren Zetsche, Stadler und auch BMW-Chef Harald Krüger (50) sehen sich derzeit eher als Verteidiger. Sie müssen sich zügig auf die neue Ära vorbereiten, neue, sauberere Antriebe entwickeln, vernetzte und selbstständig fahrende Autos. Dazu werden sie viel mehr Geld ausgeben als heute. Die Erträge werden schrumpfen wie Benzinvorräte bei Vollgas.

Nach einer Studie der Beratungsgesellschaft Bain kommen die Autohersteller 2025 im Schnitt nicht einmal mehr auf 3 Prozent Marge (ohne Servicegeschäft). Bis 2030 werde das autonome Fahren die alte Ordnung zusätzlich durcheinanderbringen, sagt Bains Automobilchef Klaus Stricker voraus. Den Traditionskonzernen drohe eine "Degradierung" zum reinen Zulieferer von Hardware für die neuen Herren, die Digital Car Guys.

Was nun, ihr glorreichen drei?

I. Die Chefs von Audi, BMW und Daimler gehen neue Wege

Vor zehn Jahren waren Stadler und Fröhlich noch in der alten Welt unterwegs, mehr auf der Suche nach Produktivitätsgewinnen als nach profitablen Onlinegeschäften. Als Fröhlich 2004 mit der Arbeit an der späteren "Strategie Number One" begann, war BMW noch "Produzent von Automobilen". Zwei Jahre später definierte sich der Autobauer bereits als "Anbieter von Mobilität". Erster Vorbote einer neuen Zeit.

Die beiden kämpfen heute mit Gegnern, die von der Fantasie der Märkte leben. Uber etwa, von Investoren zuletzt mit rund 55 Milliarden Euro bewertet und damit auf einer Stufe mit Volkswagen .

Ein Autohersteller mit 600.000 Mitarbeitern soll unter die Räder eines Taxiunternehmens geraten, das von einem großmäuligen CEO geführt wird? Das lässt viele in der Branche immer noch schmunzeln.

Nicht Klaus Fröhlich. Uber habe sich unlängst quasi exklusiv die Kompetenz des Carnegie-Mellon-Instituts gesichert, in den USA das akademische Gehirn für künstliche Intelligenz, warnt BMWs Entwicklungsvorstand. "Wir wissen, wo Uber überall angreift", sagt Stadler. "Die bauen gewaltige Engineering Power auf." Wie gefährlich die Rivalen aus dem Silicon Valley werden können, hat der Audi-Chef bei seinen Reisen nach Kalifornien begriffen.

Dort sprach er immer wieder mit Managern wie Salesforce-Chef Marc Benioff (51) über die Welt der Zukunft; dem ehemaligen Google-Chef Eric Schmidt (60) schob er einen Riegel vor ("das geht nicht"), als der für eine Softwarekooperation massenhaft Kundendaten abgreifen wollte. Erst verlangte Schmidt 35 Datensätze, dann 17, am Ende bekam er: 2.

Wie besteht man gegen Neulinge, die ohne Fixkosten auskommen?

In Klaus Fröhlich fand Stadler einen Verbündeten, als Nokia  seinen Kartendienst Here zum Verkauf stellte. Bevor andere - Google! - das Navigationsgeschäft auf ewig dominiert hätten, schlugen Audi, BMW und Mercedes mit vereinter Kraft zu. 2,4 Milliarden Euro blätterten sie für Here hin. Verteidigungskosten. Investiert zur Abwehr von Angreifern, die gewaltige Kostenvorteile haben.

"Uber? Vertickt Millionen von Fahrten, ohne die Autos zu besitzen", sagt Stadler. Wie besteht man gegen Neulinge, die praktisch ohne Fixkosten auskommen? Gegen Angreifer, die Autos bauen können, ohne Motoren- und Getriebewerke an Hochlohnstandorten finanzieren zu müssen oder ein überdimensioniertes Händlernetz. Die fast alle Zutaten zum elektrischen und selbst fahrenden Auto einfach zukaufen.

Dieser Kostennachteil der Etablierten ist eines der zentralen Themen, das sich Fröhlich und sein CEO Krüger für ihre Strategie 2025 vorgenommen haben. Maximal 5,5 Prozent des Umsatzes wolle BMW in Forschung und Entwicklung investieren, so die ursprüngliche Vorgabe des Vorstands. Die Quote werden sie nicht einhalten können, das gilt intern längst als gesetzt - auch wenn es offiziell niemand bestätigen mag. Daimler hat sogar angekündigt, den Entwicklungsetat für 2016 auf rund 7,2 Milliarden Euro zu erhöhen. 2014 waren es noch 5,7 Milliarden Euro.

Audi: Ab 2025 keine neuen Verbrennungsmotoren mehr

Nur Audi will es anders schaffen. Rund 30 Prozent wolle Rupert Stadler herausschneiden aus dem Etat seiner Entwickler, berichten Ingolstädter Finanzer. 30 Prozent, das wären rund 1,3 Milliarden Euro. Das Geld soll in neue Geschäftsmodelle fließen, in eine eigene Mobilitätsplattform, in "neuartige Autos" und in kleine Softwareeinheiten, die diese Autos mitentwickeln.

"Wir müssen überall nach Wegen suchen, effizienter zu werden", stimmt Stadler seine Leute auf magerere Zeiten ein. Seine drastischen Vorgaben sorgen intern für Aufregung. Dürfen die Entwickler zum Beispiel für ein Derivat heute noch 500 Millionen Euro ausgeben, so soll das künftig für 300 Millionen Euro gehen. Es wird weniger Modelle geben als geplant, die Zahl der Getriebe, Schaltungen und Motorvarianten wird sinken.

Wer weniger Verbrennungsmotoren baut, benötigt weniger Mitarbeiter. Das ist allen klar in Ingolstadt, so viele Elektromotoren können sie gar nicht bauen. Also rüstet man sich für einen neuen Beschäftigungspakt. Stadler, so heißt es, wolle vorsorgen: Sollte Audi in Zukunft tatsächlich mit 5000, 10.000 oder gar 20.000 Beschäftigten weniger auskommen, dann will er die notwendige Flexibilität haben.

Altersteilzeit, Abfindungsangebote, natürliche Fluktuation; vieles sei möglich, auch ohne große Härten, geben Audi-Strategen den Kurs vor. Man müsse nur rechtzeitig anfangen. Die Zeiten werden schwieriger. Stadler bereitet tiefe Schnitte vor. Ab 2025 will er keine neuen Verbrennungsmotoren mehr entwickeln. Richtig gelesen: keine!

II. Tesla - Der Angreifer definiert das neue Premium

Im Herbst 2015 hat Tesla-CEO Elon Musk einen neuen Vertriebschef installiert. Der Mann heißt Jon McNeill (48), er hat zuvor vier Start-ups gegründet und geführt. "Elon schätzt Unternehmertypen", sagt McNeill. "Weil sie fast alle schon vor dem Scheitern standen" und - ganz wichtig - "weil sie die Krisen gemeistert haben".

Anfang März sitzt McNeill zwischen schulterhohen Stellwänden beim Genfer Autosalon. Auf dem Tisch locken Minitörtchen, fünf Meter weiter steht das neue Elektro-SUV Model X. McNeill erklärt, warum Tesla  so schnell ist - und die deutsche Konkurrenz so langsam.

Beim Autopiloten zum Beispiel. Die beiden Tesla-Modelle S und X - andere gibt es noch nicht - bieten mehr autonome Fahrfunktionen als BMW, Mercedes und Audi, obwohl die Deutschen da eigentlich kompetenter sind. Ihr Problem: Sie sind auch risikoaverser.

"Wir denken eher wie ein Softwarekonzern", sagt McNeill. Tesla stattet seine Gefährte zu Beginn mit einer Betaversion aus. "Die ist dann schon sehr sicher, aber noch nicht perfekt." Sobald Tesla durch die von den Autos gesammelten Straßen- und Verkehrsdaten dazulernt, wird die Software verbessert, übers Internet wird der Autopilot ständig aktualisiert. Auch wer früh kauft, bleibt so nicht lange bei der Betaversion.

Die Deutschen beherrschen diese Online-Updates noch nicht. Der Elektro-Emporkömmling definiert das neue Premium.

McNeill wirkt wie so viele im Silicon Valley. Ein bisschen Angeber ("Wir haben bei Tesla die besten Innovatoren der Welt"), ein bisschen Weltverbesserer ("Ich möchte meinen Enkeln erzählen können, dass wir bei Tesla zu einer sauberen Umwelt beigetragen haben"). "Fast wie bei Bhagwan" fühle er sich in Kalifornien, so ein deutscher Vorstand.

Gut 25.000-mal hat Tesla-Chef Musk seine Limousine Model S 2015 in den USA verkauft. "Damit tun wir etwas Gutes für das Land", erklärt er gegenüber Analysten. Denn das bedeute 25.000 Mercedes S-Klasse, Audi A8 und BMW 7er, "also Spritfresser", weniger.

Musk attackiert die Rivalen an ihrer empfindlichsten Stelle. Mit den Topmodellen verdienen sie die höchsten Margen.

Und Tesla greift weiter an. 2025 will das Unternehmen so viele Autos verkaufen wie heute Mercedes. Ebnen soll den Weg zum Großserienhersteller das Model 3, ab Ende 2017 für 35.000 Dollar im Angebot (McNeill: "Der Preis gilt"), so der Plan. Das sportliche Modell soll sich an BMWs 3er messen. Zum etwa gleichen Preis verkauft VW seinen Elektro-Golf. Allerdings ist der deutlich kleiner und schafft nur 160 Kilometer Reichweite. Der Tesla soll mit einer Ladung gut doppelt so weit kommen.

Ein No-Brainer solle der Tesla werden, sagt McNeill in bester Werbermanier. "Luxuriös, cool, bequem, sauber"; wer da nicht von Benzin auf Batterie umsteige, sei selbst schuld. Dann blickt er auf seine iWatch. "Rechnung" signalisiert die. Für das Wasser vor ihm, das er kaum angerührt hat? Nein. Das Starbucks-Logo leuchtet auf. "Meine Frau hat gerade ihren Frühstückskaffee getrunken", erklärt McNeill. "In Kalifornien. Und ich soll den jetzt bezahlen." Der Mann ist angekommen in der vernetzten Welt. So wie Tesla. Volkswagen, BMW und Mercedes sind es noch nicht. Und Toyota ?

III. Toyota - der unterschätzte Pionier

Der japanische Weltmarktführer rüstet sich für die Zukunft. Und bastelt an i-Road, einer eigenen Uber-Konkurrenz. Toyota hält - trotz aller Rückschläge - an der Brennstoffzelle fest und war mit dem Hybrid Vorreiter des Elektrotrends. Vor allem aber werden die Japaner wegen ihrer operativen Exzellenz gefürchtet. Die Umsatzrendite liegt bei rund 10 Prozent, herausragend für einen Massenhersteller. Mitverantwortlich dafür ist ausgerechnet ein Franzose: Didier Leroy (58).

Der Mann war einmal ein ganz normaler Werksleiter bei Renault . Bis er Ende der 90er Jahre zu Toyota wechselte, dort erst ein Werk aufbaute und dann das hochdefizitäre Europa-Geschäft sanierte. Inzwischen hat ihn Konzernchef Akio Toyoda (59) als ersten Ausländer zu einem seiner Vizechefs erkoren. Leroy verantwortet die Märkte in Nordamerika, Europa und - ja! - auch Japan; er steht für 6 Millionen verkaufte Autos und sagenhafte 18 Milliarden Euro Gewinn im Jahr.

Leroy ist der Mann fürs Operative, er finanziert Toyotas Zukunft.

"Das derzeitige Geschäftsmodell wird immer weniger funktionieren", sagt Leroy. "Das Wachstumstempo wird deutlich sinken, ein zunehmender Teil des Gewinns muss aus neuen Segmenten kommen." Also reagiert Leroy. Fährt die Investitionen herunter, setzt auf flexiblere Werke und hält sich an das Dogma von Konzernchef Akio: "Nur so schnell wachsen, wie wir es verkraften können. Nachhaltig wie ein Baum." Der nüchterne Franzose wird pathetisch: "Jedes Jahr ein Ring, abhängig von Wetter und Boden mal dünner, mal breiter." Das mache den Konzern so stark.

Auf den Tesla S und das neue Model X haben jedoch auch die Japaner noch keine Antwort.

IV. Die New Kids on the Block

Apple-Manager Johann Jungwirth (42) hatte Teslas Strom-SUV schon bestellt, als er las, dass Volkswagen eine neue Position im Topmanagement schaffe: einen Chief Technology Officer, einen Chefdigitalen, verantwortlich für den gesamten Konzern.

Es war der Tag, an dem Matthias Müller (62) Martin Winterkorn an der Volkswagen-Spitze ablöste: der 25. September 2015. Jungwirth rief Müller an und traf ihn drei Wochen später am Stuttgarter Flughafen. Am 1. November hatte er den Job bei VW - und ein neues Auto.

Jungwirth, der zuvor im Valley sieben Jahre für Mercedes und ein Jahr für Apple tätig war, ist so eine Art Agent. Er war bei Apples "Special Project" dabei: dem iCar.

Volkswagen hat Jungwirth engagiert, Daimler Sajjad Khan (41) und BMW Jens Monsees (45). Alle drei strahlen kalifornischen Fortschrittsglauben aus, und den werden sie brauchen. Denn sie sollen die deutschen Hersteller ans Web anschließen, als Disruptoren im Auftrag des Vorstands. Solche Reformer werden in großen Konzernen in der Regel nicht geliebt.

Jungwirth startet mit der Zerstörung der alten Kultur im ganz Kleinen. Er lässt sich "JJ" nennen, er möchte, "dass wir uns alle duzen". In seinem offenen Hemd fühlt er sich "komplett overdressed", und als er dann auch noch ein Großraumbüro für sich und sein Team einforderte anstatt möglichst vieler Fensterachsen für sich allein, war das Staunen groß in Wolfsburg.

"Ich weiß, wohin ich will", sagt Volkswagens neuer Tech-Chef. Und lässt seinen Visionen freien Lauf. Das autonome Fahren werde deutlich früher kommen, als die meisten Kollegen erwarten. Spätestens 2019 werde es in den ersten Städten so weit sein, nicht erst 2025, und zwar vollautonom, nicht nur mit Stauassistent; der Fahrer dürfe sich dann auch nach hinten setzen.

Manager in der Messias-Rolle

Die Messias-Rolle hat es ihm angetan: 37668 Stunden durchschnittlich am Steuer vergeudete Lebenszeit will Jungwirth den Menschen zurückgeben. Mehr als vier Jahre sind das. Und er will weltweit jährlich 1,25 Millionen Menschen vor dem Verkehrstod retten. "Mein Audi, hol mich ab", schwärmt er bei einem Auftritt auf der Genfer Messe. "Wow, das wäre doch klasse!" Volkswagen, klar, soll der erfolgreichste Mobilitätsanbieter der Welt werden. Dazu sei aber dringend ein Wake-up Call nötig.

Hat er die Markenvorstände im Saal überzeugt, hat er sie geweckt? "Das war ein wenig flach und naiv, oder?", mault ein Wolfsburger Manager anschließend. "Ordentlich blaue Flecken" werde sich Johann Jungwirth holen, warnt ein anderer, der ihm eigentlich wohlgesinnt ist.

Die Verbündeten sitzen eher bei der Konkurrenz. "Wir beherrschen die Hardware", sagt Jungwirths Daimler-Kollege Sajjad Khan. Aber für die Zukunft spiele Software eine mindestens so große Rolle. Khan ist der Sohn eines pakistanischen Diplomaten, er ist verheiratet mit einer Deutschen, hat im kanadischen Neufundland studiert und in Dubai und Kalifornien gearbeitet, zuletzt als Verantwortlicher für Connected Drive bei BMW. Ein Weltbürger also, der lieber Englisch als Deutsch spricht und ehrlich zugibt, wie schwer es ist, die wirklich guten Leute für sich zu gewinnen; "to make them believe".

Auch Khan sieht sich als Missionar. Er kämpft um die Car Guys der alten Generation. Aber er braucht auch die Techies, die Software-Nerds, die es bislang eher zu Microsoft zog als zu Mercedes. Und er muss diese Leute in Europa finden, einem Kontinent, auf dem es "nur einen IT-Player von globaler Relevanz" gibt; "und das ist SAP".

Leuten wie Jungwirth und Khan muss es gelingen, automobile SAPs aufzubauen. Dreimal so viele Software- und IT-Experten wie heute benötige man 2020, rechnet BMW-Chefentwickler Fröhlich vor. 15.000 wären das, externe Dienstleister inklusive. Nur wo sollen die herkommen? "Hohe Gehälter reichen nicht, um Tech-Talente für sich zu gewinnen", sagt Ralf Landmann, Partner bei der Personalberatung Spencer Stuart. "Die wollen Visionen, wirklich etwas bewegen."

V. Das Beste aus beiden Welten - oder das Schlechteste?

Noch suchen alle den Heiligen Gral. GM-CEO Mary Barra (54) hat vergangenes Jahr 30 Topmanager viermal für eine Woche ins Zukunftscamp geschickt. Gemeinsam mit Forschern der kalifornischen Universität Stanford hat die Truppe, darunter auch Opels Marketingmuse Tina Müller (47), die Glaskugel befragt.

Toyota-Chef Akio Toyoda investiert eine Milliarde Dollar in ein Zentrum für künstliche Intelligenz, natürlich im Silicon Valley. Und Ford-Lenker Mark Fields (55) hat einen ganz neuen Markt für seinen Konzern entdeckt. Er will nicht länger nur Autos verkaufen, sondern Transporte. Eine Zahl für das potenzielle Transportvolumen liefert er gleich mit: 5,4 Billionen Dollar im Jahr.

Daimler gibt sich da deutlich bescheidener. Eine Milliarde Euro Umsatz hat Konzernchef Zetsche für seine Tochter Moovel als Ziel für 2020 ausgegeben. Moovel soll einmal zur Mobilitätsplattform werden. Heute vereint das Unternehmen unter anderem die App My Taxi und den Mietwagenanbieter Car2Go. Das sei "echtes Geschäft", sagt Zetsches Digitalstar Sajjad Khan, "da müssen wir weiter angreifen."

Doch der Konzernboss bremst. Car2Go schreibt Verlust, und zwar dreistellig. Apple-Chef Tim Cook (55) mag über solche Summen lächeln. Wenn er einen Wachstumsmarkt ausgemacht hat, spielt Geld keine Rolle. Bei Dieter Zetsche ist das anders. Car2Go zieht sich aus den ersten Städten zurück. Daimler saniert sein derzeit größtes Zukunftsprojekt. Nicht Glaube regiert, sondern Realismus.

Doch funktioniert die automobile Revolution auch in kleinen Schritten? Kann man gleichzeitig die Rendite maximieren und die Autowelt neu erfinden? Wenn Rupert Stadler sich die Zukunft malen könnte, dann so: 50 Prozent des Geschäfts steuern bei Audi künftig Software- und Serviceangebote bei, das ergäbe aus heutiger Sicht gut 2,6 Milliarden Euro Gewinn. 2020 könne es so weit sein, hat Stadler mal gesagt. Da war er ein bisschen zu forsch. "Irgendwann", heißt es jetzt.

Also mehr Weckruf als Vision. Stadler will seinen Leuten aufzeigen, was möglich sein muss. Ihm schwebt ein Upgrade (und Update) des traditionellen Geschäfts vor.

Auch da ist Tesla der Konkurrenz längst enteilt. Die Amerikaner bieten zum Beispiel seit 2015 den "ludicrous mode" an. Wer will, kann sich diesen "Wahnsinnsmodus" übers Internet aufspielen lassen. Das Model S beschleunigt mit dem Leistungspaket in 3,0 Sekunden von null auf hundert, das schwerere Model X in 3,4 Sekunden.

Stadler staunt. Über die Extrapower, noch mehr aber über die Extraeinnahmen. 10.000 Dollar kostet das Software-Update.

Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst in der April-Ausgabe von manager magazin (4/2016)

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren